Protocol of the Session on July 12, 2007

Sie haben heute einen Antrag der FDP-Fraktion vorliegen, für dessen Unterstützung ich hiermit werben will, wobei ich davon ausgehe, dass ich hier eigentlich gar nicht werben müsste, da Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sicherlich keine vernünftigen Gründe zur Ablehnung unseres Antrages fi nden dürften, zumindest nicht, wenn Sie sich täglich an den Auftrag der Wählerinnen und Wähler an uns Landtagsabgeordnete erinnern. Oder wie es im Artikel 20 unserer Landesverfassung so treffend steht, ich zitiere: „Der Landtag ist die gewählte Vertretung des Volkes. … Er wählt den Ministerpräsidenten, übt die gesetzgebende Gewalt aus und“ – jetzt kommt der Teil, dem dieser Antrag gewidmet ist – „kontrolliert die Tätigkeit der Landesregierung und der Landesverwaltung.“

(Zuruf von Michael Roolf, FDP)

„Kontrolliert“ war das entscheidende Stichwort, entscheidend deshalb, weil damit eine alte Weisheit in eine verfassungsrechtliche Norm gegossen wurde. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – unter diesem Leitsatz gehen die Abgeordneten dieses Hauses jeden Tag aufs Neue an die Erfüllung ihrer Arbeit. Und weil dem so ist, weil uns als Abgeordneten die Kontrolle als staatliches Handeln obliegt, weil uns damit auch der Schutz der Bürger vor unrechtmäßigen Eingriffen des Staates in die Privatsphäre des Bürgers obliegt, bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag, dessen Titel bereits viel über den Antragszweck aussagt, Transparenz und Kontrolle bei Telefonüberwachungsmaßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern sicherzustellen.

Wir Liberale betrachten die teilweise hysterischen Sicherheitsdebatten der letzten Jahre mit viel Skepsis. Die Auswirkungen des zunehmenden subjektiven Unsicherheitsgefühls der Bevölkerung, vor allem aber der Sicherheitshysterie einiger Politiker, Minister und von Teilen der Sicherheitsbehörden, verkehren das Gesellschaftsbild, das wir als Liberale haben, ins absolute Gegenteil. Wir glauben nicht, dass jeder, der nichts zu verbergen hat, der nichts zu befürchten hat, alles von sich preisgeben sollte,

(Beifall Hans Kreher, FDP, und Michael Roolf, FDP)

dass der Staat jedes erdenkliche Mittel nutzen sollte, um seine Bürgerinnen und Bürger überwachen zu können.

Wir Liberale gehen heute mehr denn je davon aus, dass sich der Staat für Eingriffe in die Privatsphäre, in die Persönlichkeitsrechte, in die Handlungsfreiheit von Bürgerinnen und Bürgern rechtfertigen muss und nicht umgekehrt.

(Beifall Hans Kreher, FDP, und Michael Roolf, FDP)

Deshalb müssen wir als Parlamentarier ein umfassendes qualitatives und quantitatives Bild von staatlichen Maßnahmen haben, welche die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger einschränken. Uns muss klar sein, wann der Staat von seinen Befugnissen in welchem Umfang Gebrauch macht.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Nur so können wir unseren Kontrollauftrag gewissenhaft wahrnehmen. Nur so können wir dem Wählerauftrag, der sogar Verfassungsrang hat, gerecht werden.

Wir sind uns sicherlich alle einig, dass die Überwachung von Telefonanschlüssen, das Mithören von Telefongesprächen durch den Staat, durch die Polizei nicht der Regelfall sein kann und darf. Trotzdem nahm die Zahl der Telefonüberwachungsmaßnahmen in den vergangenen Jahren rapide zu. Seit 1995 hat sie sich verfünffacht. Allein zwischen 2001 und 2006 verdoppelte sich die Zahl der Überwachten von 23.000 auf fast 42.000 Anschlüsse. Damit wir uns nicht falsch verstehen, aus Sicht der FDP ist die polizeiliche Überwachung von Telefongesprächen grundsätzlich bei der Verbrechensbekämpfung und gerade im Bereich der Organisierten Kriminalität zwingend notwendig, aber ob der Umfang nicht für einen leichtfertigeren Einsatz dieses Mittels spricht, darüber sollten wir ganz intensiv auch einmal im Innenausschuss diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Auf meine Kleine Anfrage aus dem Februar 2007 hat die Landesregierung geantwortet, dass es mit 154 Telefonüberwachungsmaßnahmen im Jahr 2005 zum Jahr 2000 eine zahlenmäßige Steigerung der Überwachungsmaßnahmen um fast 50 Prozent gab.

(Zuruf aus dem Plenum: Donnerwetter!)

Die Frage über die Art des überwachten Anschlusses, also der Aufschlüsselung nach Festnetz- und Mobiltelefonen konnte die Landesregierung mangels statistischer Erhebungen dabei ebenso wenig beantworten wie die Frage nach der durchschnittlichen Zeitdauer der Telefonüberwachungsmaßnahmen.

Die Schwere des Eingriffs bei einer Telefonüberwachungsmaßnahme macht aber deutlich, dass in diesem Bereich dringend der Bedarf nach einem ausführlichen Bericht gegeben ist. Wissenschaftliche Untersuchungen stellen seit Jahren wiederholt die These auf, dass der richterliche Vorbehalt und damit eine effektive Kontrolle von Telefonüberwachungsmaßnahmen in der Praxis häufi g nicht funktionieren. Heute unterliegen lediglich einzelne Teilbereiche der Telekommunikationsüberwachung einer Berichterstattung durch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns. Dazu zählt zum Beispiel der Bericht in dem sogenannten SOG-Gremium über Maßnahmen gemäß dem Paragrafen 34a des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes.

Nur durch einen weiteren jährlichen Bericht der Landesregierung über die Maßnahmen nach der Strafprozessordnung wäre eine Kontrolle durch den Landtag weitestgehend gewährleistet. Wir schlagen daher vor, dass die Landesregierung im Landtag jährlich über

die Zahl der Telefonüberwachungsmaßnahmen und der überwachten Anschlüsse,

über die antragstellende Behörde,

das erkennende Gericht auch unter Angabe der abgelehnten Entscheidungen,

die Zahl der betroffenen Personen,

die Art der verfolgten Straftaten

und vor allen Dingen das Ergebnis berichtet.

Das ist nicht mehr oder weniger als in anderen Bundesländern, zum Beispiel im Land Berlin. Seit einigen Jahren wird es ohne Problem dort praktiziert und im Übrigen durch alle demokratischen Fraktionen getragen. Sicherlich werden jetzt wieder einige Abgeordnete fragen: Wozu das Ganze? Nun, das sagt der Titel des Antrages bereits und das habe ich am Anfang meiner Rede erläutert, zu mehr Transparenz und zu mehr Kontrolle.

(Udo Timm, CDU: Richtig.)

Wir Liberale haben es satt, jedes Jahr das gleiche Spiel zu spielen, die gleichen refl exhaften Äußerungen der Beteiligten zu hören, die nichts als nur Spekulationen sind. Ich will Ihnen sagen, wie es jedes Jahr von Neuem abläuft: Die Zahlen der Telefonüberwachungsmaßnahmen steigen an. Die Bürgerrechtler der verschiedenen Parteien und Organisationen klagen an und stellen die Maßnahmen infrage. Die Polizei wiederholt wieder einmal, dass immer mehr Drogenbosse immer mehr Telefone, immer mehr Mobiltelefone gleichzeitig nutzen.

Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir eingestehen, dass wir es alle nicht so genau wissen, wann welcher Anschluss aus welchem Grund abgehört wurde, wie oft die Richter Anträge auf Telefonüberwachungsmaßnahmen abgelehnt oder diesen zugestimmt haben, wann und wie oft Angehörte und Abgehörte nicht informiert wurden. Wir wissen nicht, ob sich hinter einem überwachten Anschluss ein Monat oder sechs Monate Abhörung verbergen. Und völlig unklar ist bis heute, wie viele Personen von einer Abhörmaßnahme betroffen sind. Schließlich werden auch die Äußerungen von Freunden, Kollegen, Bekannten, von Tatverdächtigen und Unschuldigen mitgehört. Das können im besten Fall 10 Leute sein oder gleich 100 oder noch mehr. Aber wir Abgeordnete hier im Landtag wissen es nicht. Wenn wir es aber nicht wissen, wie wollen wir dann politische Schlüsse daraus ziehen?

(Beifall Hans Kreher, FDP)

Wie wollen wir unseren Kontrollauftrag ernsthaft wahrnehmen und reinen Gewissens behaupten können, dass wir die Auswirkungen der Gesetze, die wir als Politiker im Landtag oder Bundestag beschließen, wirklich einzuschätzen wissen?

Ich würde mich freuen, wenn Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen in sich hinein hören, sich diese Fragen stellen und mit einer klaren Aussage heute antworten: Ja, wir brauchen diesen Bericht.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

So, wie Sie ein für alle Mal Berichte der Landesregierung über viele alltäglichere Dinge anfordern, sollte dieser Bericht ein jährliches Muss für uns in diesem Hohen Hause werden, um dem Parlament endlich Auskunft über die Anzahl von schweren Eingriffen in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu geben. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Danke schön, Herr Leonhard.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Justizministerin Frau Kuder.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Sehr geehrte Abgeordnete der FDP-Fraktion! Ihren Antrag auf Berichterstattung über angeordnete Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation in MecklenburgVorpommern und damit einer parlamentarischen Kontrolle der Maßnahmen im Landtag begründen Sie zum einen mit der steigenden Anzahl der Überwachungsmaßnahmen und zum anderen damit, dass der richterliche Vorbehalt für die Anordnung von Telekommunikationsmaßnahmen und eine effektive Kontrolle der Maßnahmen in der Praxis alarmierend häufi g nicht funktioniere.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist richtig, dass die Anzahl der überwachten Anschlüsse bei der Telekommunikationsüberwachung bundesweit und auch in Mecklenburg-Vorpommern seit 1995 ständig angestiegen ist. Allerdings, sehr geehrte Damen und Herren von der FDPFraktion, ist dieser Anstieg der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nicht auf in bedenklicher Weise gesteigertes Antragsverhalten der Strafverfolgungsbehörden und eine möglicherweise nicht funktionierende richterliche Kontrolle zurückzuführen. Ursache hierfür ist vielmehr die technische Entwicklung im Bereich der Telekommunikation und das sich verändernde Telekommunikationsverhalten von Betroffenen. Kurz gesagt, während früher nur ein Festnetzanschluss zu überwachen war, sind dies heute ISDN-Anschlüsse und oft genug nicht nur ein Handy, sondern auch mehrere Handys. So führt heute die Überwachung ein und derselben Person unweigerlich zu einer erheblichen Steigerung der zu überwachenden Anschlüsse.

Eine parlamentarische Kontrolle der Maßnahmen wegen der steigenden Zahl der überwachten Anschlüsse ist also nicht erforderlich. Und soweit Sie, sehr geehrte Abgeordnete der FDP-Fraktion, die parlamentarische Kontrolle damit begründen, dass der richterliche Vorbehalt für die Anordnung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und eine effektive Kontrolle der Maßnahmen in der Praxis alarmierend häufi g nicht funktionieren würden, ist diese, soweit es richterliche Entscheidungen betrifft, verfassungsrechtlich sogar bedenklich. Richterliche Entscheidungen werden in den hierfür gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren durch das jeweils zuständige Rechtsmittelgericht überprüft und durch keinen anderen, auch nicht durch die Legislative.

(Beifall Ilka Lochner-Borst, CDU: Richtig.)

Mit den Überlegungen, eine parlamentarische Kontrolle und damit Qualitätskontrolle über richterliche Entscheidungen auszuüben, stellen Sie die Grundsätze des Gewaltenteilungsprinzips infrage.

(Beifall Udo Pastörs, NPD)

Im Übrigen ist – anders als bei Eingriffen in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Artikel 13 Grundgesetz – durch die repressive akustische Wohnraumüberwachung beziehungsweise die präventive Wohnraumüberwachung für strafprozessuale Eingriffe in

das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 Grundgesetz eine parlamentarische Kontrolle nicht vorgesehen.

Allein bei Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nach den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder beziehungsweise nach dem G10-Gesetz sehen die Vorschriften eine parlamentarische Kontrolle durch die besonderen Landtagsgremien vor. Die geforderte weitergehende Kontrolle erscheint darüber hinaus auch angesichts des derzeit laufenden Gesetzgebungsverfahrens zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung überfl üssig. Mit diesem Gesetzentwurf werden unter anderem umfangreiche Regelungen zum Schutz des Kernbereiches der persönlichen Lebensgestaltung eingeführt. Beispielsweise werden langfristige Observationen erstmals unter Richtervorbehalt gestellt. Darüber hinaus werden für alle heimlichen Ermittlungsmaßnahmen umfassende Benachrichtigungspfl ichten zur Gewährleistung des nachträglichen Rechtsschutzes der Betroffenen geregelt und die Benachrichtigung unter richterliche Kontrolle gestellt.

Eine Vereinbarung über Berichte zu Maßnahmen nach Paragraf 100a StPO zur Ermittlung von Straftätern besteht allerdings mit dem Bund. Der von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der FDP-Fraktion, geforderte Berichtsinhalt geht jedoch weit über diese Berichte an den Bund hinaus. Eine mit Angaben über das Ergebnis der Maßnahmen im Hauptverfahren getroffene Entscheidung – die dafür entstandenen Kosten oder die Anfechtung der getroffenen Maßnahme sowie deren Ergebnis, um nur einige der von Ihnen geforderten Inhalte zu nennen – wäre in der staatsanwaltschaftlichen Praxis mit erheblicher Mehrbelastung verbunden, da diese umfangreichen Informationen in jedem Einzelfall zeitaufwendig zu erheben wären und bei Maßnahmen über den Jahreswechsel hinaus praktisch kaum handhabbare Abgrenzungsprobleme entstehen würden. Aus diesen Gründen empfehle ich dem Landtag daher, den Antrag abzulehnen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke schön, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Nieszery von der Fraktion der SPD.