Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 18. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratung vereinbarungsgemäß fort.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 35: Beratung des Antrages der Fraktionen der SPD und CDU – Geschlechtersensible Gesundheitsberichterstattung, auf Drucksache 5/486.
Antrag der Fraktionen der SPD und CDU: Geschlechtersensible Gesundheitsberichterstattung – Drucksache 5/486 –
Aber nun zum Ernst der Sache: In den 70er Jahren verstärkte sich in Westdeutschland das Bewusstsein für die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen und in diesem Zusammenhang fi el verschärft auf, dass Frauen in den gesundheitsbezogenen Wissenschaften praktisch überhaupt nicht vorkamen. Ihr spezifi scher Versorgungsbedarf wurde weitestgehend ignoriert. Folge war die Entwicklung einer Frauengesundheitsbewegung, die Ende der 70er Jahre zur Gründung der ersten Frauengesundheitszentren führte. Parallel zu diesen Entwicklungen bemühte sich die Weltgesundheitsorganisation um eine Erweiterung des Gesundheitsbegriffs. In der OttawaCharta der Weltgesundheitsorganisation von 1986 werden die Entstehung und der Verlauf von Gesundheit und Krankheit mit der sozialen Lage und den Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in Zusammenhang gebracht und damit wurde auch das soziale Geschlecht – wir kennen das alle, englisch „gender“ – ein wesentlicher Faktor.
Folgerichtig fi ndet die Frauengesundheit bei der Weltgesundheitsorganisation seither eine stärkere Berücksichtigung. Das Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation forderte ihre Mitgliedsländer durch die Wiener Erklärung „Women’s Health Counts“ von 1994 auf, zur gesundheitlichen Lage von Frauen Bericht zu erstatten, und formulierte Grundsätze zur Weiterentwicklung der Gesundheit von Frauen in den europäischen Regionen der Weltgesundheitsorganisation. Bereits 1985 wurde auf der 3. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Nairobi Gender Mainstreaming als politische Strategie vorgestellt. 1995 auf der 4. Weltfrauenkonferenz – ich denke mal, Frau Dr. Seemann hat Ihnen dazu schon öfter berichtet – wurde das Prinzip in der verabschiedeten Aktionsplattform verankert und damit verpfl ichtend für die Mitgliedsstaaten.
Für die Europäische Union wird der Gender-Mainstreaming-Ansatz 1999 mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai zum ersten Mal in rechtlich verbindlicher Form festgeschrieben. Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 des EG-Vertrages verpfl ichten die Mitgliedsstaaten zu einer aktiven Gleichstellungspolitik im Sinne des Gender Mainstreaming. Im Jahr 2000 wird die gemeinsame Geschäftsordnung unserer Bundesminis
terien entsprechend novelliert. Der neue Paragraf 2 lautet nun: „Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist durchgängiges Leitprinzip und soll bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesministerien in ihren Bereichen gefördert werden...“ Das gilt für alle Bundesministerien, die damit aufgefordert sind, eigenverantwortlich dieses Leitprinzip in all ihren Aktivitäten umzusetzen.
Zuvor hatte bereits im Jahr 1996 das Bundesfrauenministerium beschlossen, den ersten deutschen Frauengesundheitsbericht in Auftrag zu geben, und folgte damit folgenden Erkenntnissen: Biologische Unterschiede werden in der Medizin nicht ausreichend berücksichtigt. Frauen und Männer unterscheiden sich bezüglich ihrer Krankheiten und gesundheitlichen Einschränkungen. Unterschiedliche Umgangsweisen von Männern und Frauen mit dem Gesundheitssystem und unterschiedliche Umgangsweisen des Gesundheitssystems mit Männern und Frauen werden meist nicht refl ektiert. Spezifi sche Arbeits- und Lebensbedingungen von Männern und Frauen haben spezifi sche Auswirkungen auf deren Gesundheit. Unterschiedliche Sozialisationserfahrungen der Geschlechter führen zu einem unterschiedlichen Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Besonders der Zusammenhang von Frauenarbeit und Gesundheit ist noch ein weitgehend unbearbeitetes Forschungsfeld. So sind Berufskrankheiten ein weitgehend männlich dominierter Bereich. Die gesundheitlichen Auswirkungen vereinbarkeitsbedingter Belastungen und Ressourcen sind bisher selten Gegenstand von Forschungen. Über Unfälle im Haushalt gibt es kaum aussagekräftige Daten.
Der Aspekt Gendersensibilität bedeutet in der Gesundheitsberichterstattung und in der gesundheitlichen Versorgung, die Bedeutung des Geschlechts systematisch für Männer und Frauen zu berücksichtigen. Es geht auch darum, bei der Darstellung von Daten und Ergebnissen zu spezifi schen Krankheiten die Bedeutung und Aussagefähigkeit der im Gesundheitswesen gestellten Diagnosen kritisch zu hinterfragen im Hinblick darauf, welche implizierten Vorurteile über Krankheiten bei Frauen und Männern dahinterstehen und Diagnosen und Therapien beeinfl ussen.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es auch durchaus Herren gibt, die unter Migräne leiden. Aber die Notwendigkeit wird am Beispiel von HerzKreislauf-Erkrankungen besonders deutlich sichtbar. Während die Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern vom 35. Lebensjahr an eine der Hauptursachen für den vorzeitigen Tod sind, sind Frauen erst in einem höheren Lebensalter betroffen. Trotzdem sind sie auch bei den Frauen die Haupttodesursache. Da der Herzinfarkt immer noch als typische Männerkrankheit wahrgenommen wird, werden Risikofaktoren und Symptome bei Frauen weniger ernst genommen. Oftmals werden die mehr frauentypischen Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen unterschätzt und nicht mit der eher als männertypisch geltenden Krankheit in Verbindung gebracht – von den Frauen selbst, von ihren Angehörigen, aber, noch schlimmer, auch vom medizinischen Personal. Bei Zunahme der Lebenserwartung und der damit einhergehenden Zunahme des Anteils älterer und pfl egebedürftiger Frauen ist die Bedeutung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen für die gesundheitliche Versorgung von Frauen offensichtlich.
Die Augsburger Herzinfarktregisterdaten, die über einen Zeitraum von zehn Jahren erhoben wurden, und zwar für 25- bis 74-jährige Einwohnerinnen und Einwohner, zeigen, dass nur 36 Prozent der Frauen im Vergleich zu 44 Prozent der Männer den Herzinfarkt überleben. Sie sterben häufi ger vor oder kurz nach Erreichen einer Klinik als Männer. Diese Daten der Augsburger Herzinfarktregisterdaten sind bis 1995 erhoben worden, muss ich an dieser Stelle einfügen, aber auch die neueren Daten des Berliner Herzinfarktregisters zeigen, dass Frauen nach akutem Herzinfarkt immer noch deutlich öfter in der Klinik sterben. Sie erreichen die Klinik später, sie werden seltener von einem Notarzt in die Klinik transportiert. Unterschiede sind auch bei der Therapie, der Diagnostik belegt. Frauen erhalten seltener eine Herzkatheteruntersuchung und insbesondere jüngere Frauen sterben häufi ger nach einer Bypassoperation. Die Ursachen dafür sind bisher nicht bekannt. Hier besteht dringender Forschungsbedarf, der auch die psychosozialen Variablen mit einbeziehen sollte – ein typisches Beispiel für die Notwendigkeit von Gender-Forschung in der Medizin.
Ein weiteres großes Thema in diesem Zusammenhang ist das Thema Gewalt, das ich hier aber nun nicht weiter ausführen möchte. Frau Dr. Seemann wird Ihnen nachher auch noch ganz anschauliche Beispiele liefern.
Eines tritt aber in jedem Fall klar zutage: Geschlechterstereotype greifen nicht, sie verhindern im Gegenteil Behandlungsfortschritt. Folge ist Über-, Unter- oder Fehlversorgung, die der Sachverständigenrat des Bundes für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem Gutachten Anfang 2000/2001 zu Recht kritisiert. Ziel ist daher nicht unbedingt eine Ausweitung der Versorgungsleistungen, sondern deren wirksamer und zielgerichteter Einsatz.
Der im Jahr 2001 vorgelegte Bericht zur gesundheitlichen Situation von Frauen in Deutschland macht deutlich, dass eine zielgenaue geschlechterdifferenzierte Gesundheitsvorsorge und -versorgung erforderlich ist. Am 9. Juni 2004 hat der Bundesrat dem 12. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes zugestimmt. Danach muss die klinische Prüfung für die Zulassung von Arzneimitteln zukünftig eventuelle unterschiedliche Wirkungsweisen bei Frauen und Männern berücksichtigen – ein Erfolg, den wir der EU zu verdanken haben.
Das Prinzip des Gender Mainstreaming haben wir hier im Land festgeschrieben, nun müssen wir auch alle erforderlichen Konsequenzen ziehen und das Mögliche dazu beitragen, um Defi zite in der gesundheitlichen Versorgung abzubauen. Wir sind auf diesem Weg in diesem Land schon erstaunlich weit gekommen. Der Sozialminister wird dazu nachher sicherlich noch ausführliche Berichte abgeben. Aber nur das Gender-Mainstreaming-Prinzip als durchgängiges Leitprinzip bringt uns da wirklich weiter und ich bitte Sie um Unterstützung für diesen Antrag.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Um das Wort gebeten hat zunächst der Sozialminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Sellering.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für den Sozial- und Gesundheitsminister gibt es sehr viele gemeinsame Arbeitsfelder mit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten
und ich freue mich, dass ich sagen kann, dass unser Arbeitsverhältnis auch im persönlichen Bereich sehr gut ist. Wir haben das ja schon sechs Jahre einüben können während meiner Zeit als Justizminister, wo wir vor allem im Bereich der Opferhilfe sehr gut zusammengearbeitet haben – häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, Zwangsprostitution.
Bei der Gesundheit geht es um die gemeinsame Aufgabe, herauszufi nden und dafür Voraussetzungen zu schaffen, welche Unterschiede wir in der Vorsorge und in der akuten Behandlung zwischen Männern und Frauen machen müssen. Das ist ein lange vernachlässigtes, aber sehr wichtiges Thema. Und manchmal würde ich mir wünschen, dass es uns gelingen würde, dieses wichtige Thema zu besprechen, ja, vielleicht leicht verständlich auch für die Menschen draußen, ohne dass wir Begriffe wie „gender“, „geschlechtsspezifi sch“, „geschlechtsdifferenziert“ gebrauchen müssen.
Das ist ziemlich schwierig, aber ich würde bitten, dass wir das jedenfalls versuchen, denn das Thema ist sehr wichtig und geht jeden hier im Land an.
Vorbildlich sind wir in Mecklenburg-Vorpommern bereits in der Erfassung von Daten, aus denen man diese unterschiedliche Behandlung ableiten kann. Es hat eine Länderarbeitsgruppe gegeben, in der alle Landesarbeitsgemeinschaften für Gesundheit vertreten waren, und da ist vorgeschlagen worden, 268 Daten zu erfassen. Wir hier in Mecklenburg-Vorpommern tun das bereits mit 228. Da liegen wir sehr gut. Wo wir aber ganz deutlich besser werden können und auch besser werden müssen, das ist bei der Auswertung, bei der Analyse und den daraus abgeleiteten Handlungsrahmen. Ich verstehe den Antrag heute so, dass das weiter befördert werden soll, dass wir darauf die Aufmerksamkeit richten, dass wir dabei gemeinsam zusammenarbeiten wollen.
Da möchte ich mich gern mit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten auf Prioritäten verständigen, denn uns ist ja allen klar, dass das durchaus Arbeit bedeutet, wenn wir diese 228 Daten verknüpfen, analysieren, Handlungsrahmen daraus ableiten. Das geht nicht alles sofort und gleichzeitig. Ich möchte am liebsten die Verständigung darüber herbeiführen in der Landesarbeitsgemeinschaft Frauengesundheit, die es ja bei uns gibt
und die wir vielleicht gemeinsam etwas stärker wiederbeleben sollten. Dann ist, glaube ich, gewährleistet, dass diese wichtige Arbeit kontinuierlich von einem bestimmten Arbeitsgremium geleistet wird. Also das ist mein Angebot. Ich bin sicher, dass wir auf diese Weise sehr wichtige Schritte vorankommen werden und dass wir dann zielgenauer und besser auf die Frauen und Männer bezogen Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversor
gung anbieten können. Also mein Angebot ist, da weiter sehr gut zusammenzuarbeiten mit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten. Das ist unser gemeinsames Thema. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kollege Herr Bluhm hat ja eben gesagt, es war kurz.
Ja, es war sehr kurz, denn nach der Ankündigung von Frau Tegtmeier hätte ich dann doch schon etwas mehr erwartet, weil, glaube ich, dieses Land in den letzten Jahren zu diesem Thema auch mehr geleistet hat.
Gender Mainstreaming, das Prinzip, dass wir eine gleichartige Berücksichtigung von Männern und Frauen in allen Bereichen der Politik erreichen wollen, dieses Prinzip muss natürlich auch in der Frage der Gesundheitspolitik eine Rolle spielen. Ich denke, wenn wir uns anschauen, was hier in den letzten Jahren zu diesem Thema geleistet worden ist, dann kann sich das, so fi nde ich, sehen lassen. Der Minister verwies eben darauf, wir haben in der Landesgleichstellungskonzeption im Jahr 2000 dieses Prinzip festgeschrieben. Seit dieser Zeit arbeitet eine Landesarbeitsgemeinschaft Frauengesundheit. Gleichzeitig gibt es in diesem Bereich viele Aktivitäten, die auch im Rahmen der Landesregierung organisiert worden sind.
Und wenn ich einen Satz zitieren darf aus der Pressemitteilung von Frau Tegtmeier von gestern zu dem jetzigen Tagesordnungspunkt, dann verwundert der mich doch etwas, denn der lautet: „Eine ähnliche parlamentarische Initiative hatte die SPD schon in der letzten Legislatur gestartet, die jedoch von der PDS-Sozialministerin nicht umgesetzt wurde.“ Frau Tegtmeier im Original: „,Im nunmehr sozialdemokratisch geführten Sozialministerium wird diese Gesundheitsberichterstattung konstruktiv erarbeitet werden, dessen bin ich mir sicher.‘“
Ich glaube, dass diese letzten beiden Sätze vielleicht doch dem geschuldet sind, dass Sie neu sind in unserem Parlament
und nicht die Gelegenheit hatten, zumindest sich zum Beispiel einmal das letzte „Statistische Heft“, was zu diesem Thema, gefördert durch das Arbeits- und Bauministerium diese Landes, entstanden ist im Jahr 2005, das Sonderheft „Frauen in Mecklenburg-Vorpommern im Spiegel der Zahlen“, mit einem sehr interessanten Absatz zur Frauengesundheitspolitik, mit den Folgewirkungen und Auswirkungen zur Prävention, anzusehen.
Und wenn ich den letzten Gesundheitsbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern, der unter Federführung der PDS-Sozialministerin vorgelegt worden ist und auch
nicht kritisiert worden ist, mir anschaue, dann sind hier erstmals die Indikatoren, die auch von der WHO angesetzt worden sind, umgesetzt worden. 145 Indikatoren!
Ich sage nicht, dass das ausreichend ist. Ich sage auch nicht, dass wir nicht besser werden können, gerade angesichts einer Diskussion, die man aus den Zahlen erkennen kann. Wir können besser werden, wir sollten besser werden, aber wir sollten nicht so tun, als wenn wir auf diesem Weg nichts vorangebracht haben und es einer Initiative der SPD-Fraktion entsprechen würde, dieses nun endlich umzusetzen, weil die Fakten liegen doch schon auf dem Tisch und sie sind sogar für Mecklenburg-Vorpommern heruntergebrochen. Frauen in Mecklenburg-Vorpommern, in der ganzen Bundesrepublik leben länger als Männer.
Das Sterberisiko der Frauen ist damit geringer als das der Männer. Bei den Todesfällen liegen die Frauen hier in Mecklenburg-Vorpommern nicht mit dem Krebserreger an erster Stelle, sondern mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen.