Werte Kolleginnen und Kollegen des Landtages! Werte Frau Präsidentin! Ein anderer Antrag als dieser, über den Sie immer noch diskutieren, ist jetzt auf der Tagesordnung, und zwar geht es um die Pflegeversicherung. Wir wissen alle in der Zwischenzeit, dass es immer mehr Menschen in unserem Bundesland gibt, wie überall, die über Pflegeversicherung, Pflege, wer pflegt und wie wird gepflegt, nachdenken müssen. Das liegt in mehreren Dingen begründet.
Experten unter uns war schon lange klar, dass die Anforderungen an die Pflegeversicherung immer mehr wachsen. Da sind wir uns einig. Es gibt verschiedene Ursachen des Wachstums. Das liegt natürlich einmal an der demografischen Entwicklung, das ist wahr, aber das ist nicht alles. Es liegt natürlich auch daran, dass die Wissenschaft sich immer mehr entwickelt, es demzufolge mehr ältere Menschen gibt, die länger leben und demzufolge auch dann mehr Pflege brauchen.
Die Gerontopsychiatrie wurde weiterentwickelt. Das bedeutet, dass Menschen mit diesem Krankheitsbild länger leben, dass sie gepflegt werden müssen, wenn ihre Krankheiten in chronische Krankheiten übergehen. Die Pflege an sich soll qualitativ gut durchgeführt werden, das wissen wir auch.
Und wir haben eine Erhöhung der zu Pflegenden zu verzeichnen, in den letzten zehn Jahren um 16 Prozent. Das ist eine stolze Zahl und wir wären unredlich, wenn wir davon sprechen würden, dass das nicht mehr Geld kostet.
Vor allem sei auch gesagt, dass wir in den 15 Folgejahren mehr als 5 Millionen Menschen haben werden in
der Bundesrepublik Deutschland, die Pflege benötigen. Jetzt sind es 3,6 Millionen. Das ist auch ein Anstieg, der Aufgaben an die Pflegeversicherung stellt, die man nicht einfach unter den Tisch kehren kann.
Wir in Mecklenburg-Vorpommern haben schon heute einen Spitzenbetrag, einen Spitzenbetrag dahin gehend, wie viele Menschen bei uns – über 85-jährig – pflegebedürftig sind. In der Bundesrepublik Deutschland ist das ein Durchschnitt von 37 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern ist es ein Durchschnitt von 49 Prozent. Ich spare mir hier irgendwelche Kaffeesatzlesereien, woran das liegt. Es ist so.
Ich denke, diese ganzen Zahlen, die ich hier genannt habe, und die damit verbundenen Erhöhungen in der Pflegeversicherung sind uns so bewusst, dass sie auch unstrittig sind. Es führen ja auch noch andere Punkte zu erhöhtem Pflegeaufkommen. Das liegt einmal daran, dass die Familien heutzutage nicht mehr so zusammenleben wie noch vor 20 Jahren – also flexible Arbeitsorte, die Kinder sind weg, die Anforderungen an professionelle Hilfe werden größer. Außerdem ist es so, wenn die Eltern älter werden, sind die Kinder auch älter, wenn sie dann als Pflegepersonen in die Verantwortung gezogen werden könnten. Das funktioniert dann nicht mehr so.
Bis jetzt wurde alles von mir benannt, was völlig unstrittig ist und wo wir als LINKE auch überhaupt keinen Hehl draus machen. Strittig ist aber, wie wir in Zukunft die Pflegeversicherung, die wahrscheinlich 2030 um die 12,4 Millionen Euro mehr kosten wird, bezahlen wollen.
In dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU, FDP haben wir einen Punkt gefunden, der davon spricht, dass eine IMAG sich darum kümmern soll, einen Vorschlag zu machen, wie eine obligatorische Zusatzversicherung in Pflege aussehen soll – eine obligatorische Zusatzversicherung in Pflege. Damit würden wir zum ersten Mal in Deutschland das System sozialer Pflegeversicherung völlig durchbrechen, indem wir pflegeversicherte Menschen die Zusatzversicherung zu einer Pflicht gestalten lassen.
Erstens, wir durchbrechen das System der solidarischen Versicherung auf eine Art und Weise, die es in Deutschland noch nicht gegeben hat, die den Generationenvertrag bricht, die Menschen allein dafür verantwortlich macht, wie viel private Pflege sie bezahlen und sich leisten können, und, da das eine kapitalgedeckte Pflegeversicherung sein soll, auch dem Risiko aussetzt, dass durch Krisen das Geld einfach weg ist. Diejenigen, die in Ländern wohnen, wo solche Versicherungen üblich waren, haben im letzten und vorletzten Jahr schon zusehen können, wie ihre Pensionen einfach so in der Sonne dahingeschmolzen sind.
Außerdem fragen wir: Wie soll das funktionieren? Wir haben in der Anhörung zu Hebammen und Versicherungen gehört, wie Versicherungen – private Versicherungen – ihre Ansprüche stellen, ihre Kriterien stellen. Und dann fragen wir natürlich ganz besorgt, wie sollen bitte Versicherungen aussehen von Menschen, die schon in jüngeren Jahren eine chronische Erkrankung haben, eine Behinderung haben, bei denen man sehen kann, dass es zu einer chronischen Erkrankung führt und, und, und. Die werden ungleich schlechtergestellt werden, weil der Risikokatalog einer privaten Versicherung da schon entsprechend entgegenwirken wird.
Wir als DIE LINKE sind konsequent gegen eine obligatorische private Zusatzversicherung. Wir sind konsequent dafür, dass Kapitaldeckungen bei diesen Versicherungen nicht das Mittel sein können, mit dem agiert wird.
Bei einer Kleinen Anfrage der SPD im November 2010 wurde auf Problematiken eingegangen und die Bundesrepublik hat geantwortet. Die Bundesrepublik hat geantwortet, dass sie keinen Bedarf sieht, die Pflegeversicherung zu erhöhen bis 2014. Weiter noch: Die Bundesrepublik hat geantwortet, dass – und das ist eigentlich sehr bedenklich für meine Begriffe – sie überhaupt nirgendwo in Auftrag gegeben hat zu schauen, um wie viel es sich handeln könnte, was an Geld mehr gebraucht wird, und auch überhaupt keinen Auftrag gegeben hat, mal zu recherchieren, richtig zu recherchieren, um welche Dinge es sich dabei handeln könnte.
Also, wir wollen darauf aufmerksam machen, es soll eine Pflichtversicherung, eine pflichtige Privatversicherung eingeführt werden, obwohl überhaupt keine Kriterien da sind, die das unterstützen. Im Gegenteil, die Bundesregierung hat gesagt, sie braucht nicht. Die obligatorische Pflegeversicherung soll eingeführt werden, ohne Not – ohne Not, die Zahl haben wir und Sie können das gerne nachlesen im Internet beim DGB und auch bei der Bundesregierung.
Der DGB hat am 01.03. dieses Jahres – am 01.03. dieses Jahres, Herr Mantei, damit Sie das Datum auch haben – sich ganz eindeutig durch ihre Referentin Frau Buntenbach auf Zahlenwerke bezogen, die die Grünen, Bündnis 90/Die Grünen, haben machen lassen als Ursachenforschung für die Versicherung von Pflege.
Da wird auch ausgesagt, keine obligatorische Pflichtversicherung als Zusatzversicherung. Wir sollen und wollen die solidarische Pflegeversicherung erhalten. Das erst mal in der Einbringung so weit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne dann die Aussprache.
Und als Erste hat ums Wort gebeten die Ministerin für Soziales und Gesundheit Frau Schwesig. Bitte schön, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir hatten heute in der Debatte des Landtags bereits über den demografischen Wandel gesprochen, als es um die Unterrichtung der Landesregierung zum Strategiebericht ging. Unstrittig ist, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern die gleiche Entwicklung haben wie deutschlandweit, dass die Menschen immer älter werden, was ausdrücklich was Gutes ist, weil es ein Zeichen ist der höheren Lebenserwartung. Aber ältere Menschen haben den Wunsch, so lange wie möglich gesund zu bleiben und vor allem selbstbestimmt zu leben, und dazu gehört natürlich, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu leben.
Wenn Menschen immer älter werden, dann geht damit einher, dass auch der Pflegebedarf steigt. Insbesondere bei Menschen über 80 gibt es einen signifikanten Anstieg und wir haben deutschlandweit heute schon 2,5 Millionen Pflegebedürftige. Die Prognose ist, dass mit einer älter werdenden Bevölkerung zukünftig mehr als die Hälfte der Menschen im Verlaufe ihres Lebens entweder selbst pflegebedürftig sein werden oder mit der Pflege von Angehörigen betraut sind. Und deswegen zeigen diese Zahlen, dass Pflege alle angeht und dass die Frage der guten Pflege in Zukunft eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft ist.
Was ist nötig für eine gute Pflege? Das ist sicherlich ein Maßnahmenpaket. Ich möchte drei mir sehr wichtige Punkte herausgreifen:
Erstens. Wir brauchen Qualität in der Pflege. Wir müssen weg von der Minutenpflege hin zu einer menschenwürdigen Pflege, die vor allem berücksichtigt, dass die Pflegebedürftigen in hoher Anzahl auch dement sind. Dazu wurde bereits in der alten Legislatur der Großen Koalition in der Bundesregierung ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff vorgelegt und es wäre wichtig, dass dieser Pflegebedürftigkeitsbegriff schnellstmöglich auch in Gesetzesform gegossen wird.
Zweitens. Wir brauchen gut ausgebildetes, aber vor allem auch gut bezahltes Pflegepersonal. Und wir wissen alle, dass die Bezahlung in der Pflege heute noch nicht dem gerecht wird, was Pflegende zu leisten haben. Das sieht man auch daran, dass es notwendig war, einen Mindestlohn in der Pflege einzuführen. Und ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass es ungerecht ist, dass 20 Jahre nach dem Mauerfall ein Mindestlohn in Ost und West unterschiedlich eingeführt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Regine Lück, DIE LINKE: Völlig richtig.)
Der dritte Punkt. Wir brauchen eine stärkere Unterstützung der Familien, in denen Pflege stattfindet. Heute werden zwei Drittel aller Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit gepflegt, und das zeigt, dass die familiäre Pflege, die Pflege in der Häuslichkeit, das Rückgrat in der Pflege ist. Und ich möchte hier darauf hinweisen, dass es vor allem Frauen sind, die in Deutschland diese Arbeit leisten, oftmals, nachdem sie ihre Kinder großgezogen haben. Und wir müssen darauf achten, dass die steigende Pflege nicht einfach auf die Frauen abgewälzt wird.
Deswegen ist es wichtig, dass wir zukünftig zu einer bezahlten Pflegeauszeit kommen, die zehn Tage, angelegt wie die zehn Tage Auszeit, die ich mir nehmen kann im Krankheitsfall meines Kindes. So muss es auch zukünftig sein mit den zehn Tagen Pflegezeit. Und wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir eine langfristige Pflegezeit aufstellen können, ähnlich wie bei der Elternzeit, denn das, was derzeit vorgelegt worden ist von Bundesfamilienministerin Frau Schröder zur Familien pflegezeit, ist nur ein Organisationsmodell,
aber nicht wirklich eine Unterstützung, und vor allem hilft es nicht den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, die hier mit kleinem und mittlerem Einkommen arbeiten. Das ist ein Modell, was in großen Konzernen funktioniert, was auch in der Verwaltung funktioniert, wird heute auch schon längst gemacht, dass man Teilzeit arbeiten kann
für die Pflege. Aber wir brauchen Antworten insbesondere für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen und mittelständischen Unternehmen und insbesondere für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mittleren und kleinen Einkommen.
Wir sehen also, die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt. Wir müssen die Qualität der Pflege stärken und wir müssen die familiäre Pflege unterstützen und all das kostet Geld. Und zur Wahrheit gehört, dass die Pflege in Zukunft teurer wird und dass deswegen auch die Pflegekosten steigen und die Pflege insgesamt für Bürgerinnen und Bürger teurer wird. Und die Frage ist, wie wir die ansteigenden Kosten verteilen, auf welche Schultern wir sie legen.
Und das ist auch der Antrag der Linksfraktion, die darauf hinweist, dass eben die zunehmenden Pflegekosten zukünftig solidarisch finanziert werden müssen. Ich spreche mich ausdrücklich aus für eine solidarische Bürgerversicherung in der Pflege, die aber auch eine Demografierücklage berücksichtigt, denn wir müssen sehen, dass zukünftig immer weniger junge Menschen geboren werden.
Und das ist für mich eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, aber auch ein Gebot der Generationengerechtigkeit.
Welche Situation haben wir heute? Heute haben wir einmal die gesetzliche Pflegeversicherung und wir haben die private Pflegeversicherung. Und wenn wir heute schon beide Pflegeversicherungssysteme zusammenlegen würden, würden wir sofort 1,5 Milliarden Euro mehr im System haben. Das entspricht 30.000 Pflegekräften, die Deutschland dringend benötigt.
Welche Pläne liegen bundesseitig auf dem Tisch? Frau Müller hat es angesprochen, es gibt einmal die Vereinbarung im Koalitionsvertrag und die Pläne von Herrn Rösler, die Pflegeversicherung zur Pflicht zu machen, die private Pflegeversicherung. Ich halte diesen Vorschlag für sozial ungerecht, denn viele Menschen mit kleinem Einkommen werden sich das nicht leisten können. Und ich will es mal praktisch machen: Die Frauen und Männer, aber es sind überwiegend Frauen, die heute in Mecklenburg-Vorpommern in der Pflege arbeiten, die verdienen so wenig Geld, dass sie sich gar keine zusätzliche private Pflegeversicherung leisten können. Und das würde bedeuten, wenn die Pläne von Herrn Rösler Wirklichkeit werden, dass die Menschen, die heute andere Menschen pflegen,
Ich bin froh, dass es zu diesen Plänen offensichtlich in der Koalition der Bundesregierung unterschiedliche Meinungen gibt. Kritik gibt es bereits von der CSU zu diesen Plänen von Herrn Rösler und auch die CDU hat sich noch nicht dafür positioniert und ich hoffe, dass sie bei dieser Frage nicht mitmachen wird.
Klar ist, dass die Landesregierung einer solchen privaten Pflegeversicherung nicht zustimmen wird. Was macht die Landesregierung? Die Landesregierung bringt sich einerseits in diese Diskussion ein, die ja länderübergreifend schon längst begonnen hat. Parallel dazu aber haben wir Pflegestützpunkte eingerichtet, richten wir ein, unterstützen wir finanziell, damit die Menschen Hilfen aus einer Hand bekommen. Wir fördern innovative Versorgungskonzepte, wir fördern niederschwellige Betreuungsangebote und ehrenamtliche Strukturen und wir fördern zum Beispiel das Programm Vereinbarkeit Beruf und Pflege, mit Frau Dr. Seemann gemeinsam, was wir in diesem Jahr auf den Weg gebracht haben.
Es ist schade, dass Herr Holter jetzt nicht da ist, weil er heute Morgen in der Debatte demografischer Wandel, Strategiebericht der Landesregierung, behauptet hat, wir würden da jetzt irgendein Programm fördern, was dann nach ein paar Jahren ausläuft, und dann gibt es keine Anschlussfinanzierung. Was wir fördern, sind Programme und Konzepte, die entwickelt werden, um Vereinbarkeit von Beruf und Familie, hier speziell Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, zu entwickeln, gute Ideen. Und wenn die dann auf dem Tisch liegen, wenn das, was wir gerade fördern, die Ausarbeitung dieser Konzepte und Ideen, wenn die auf dem Tisch liegen, werden wir uns selbstverständlich darüber unterhalten, wie kann das denn jetzt in der Praxis umgesetzt werden.