Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem Wochenende sind unsere Gedanken bei den Menschen in Japan, den Opfern und ihren Angehörigen. Allen Japanerinnen und Japanern gehört unser Mitgefühl.
Sehr geehrte Frau Reese! Sehr geehrte Kollegen der FDP! Es war nur folgerichtig, das Thema der Aktuellen Stunde zu verändern. Das hat unsere Unterstützung gefunden, denn angesichts der Katastrophe in Japan werden alle anderen Fragen, alle anderen Prob
leme ganz klein und unwichtig, denn gestern war Japan noch ein Land in Fernost, heute ist Japan bei jedem, bei jeder Familie zu Hause. Die Bilder aus Japan scheinen Bilder aus einem Science-Fiction-Film zu sein. Sie sind unfassbar, dennoch sind sie bittere Realität. Ich kann bis heute die Wucht und das Ausmaß der Zerstörung nicht fassen. Zu den Naturkatastrophen kommt die atomare Gefahr, insbesondere aus dem Atomkraftwerk Fukushima. Stündlich erreichen uns neue Schreckensmeldungen, immer gepaart mit der Hoffnung, dass der GAU nicht eintritt.
Welche Erkenntnisse hat uns die schreckliche Katastrophe in Japan gebracht, die man nicht schon seit Tschernobyl besaß, fragte gestern die „Berliner Zeitung“. Ist das gerechtfertigt, heute schon die ersten Schlussfolgerungen aus den Ereignissen in Japan zu ziehen? Ich meine Ja, und das unverzüglich. Meine Schlussfolgerungen lauten:
Drittens. Jede Technologie beweist ihre Vollkommenheit nicht im alltäglichen Regelfall, sondern in einer Ausnahmesituation.
Bereits der Reaktorunfall in Tschernobyl hat bewiesen, dass die Nutzung der Atomenergie nicht beherrschbar ist. Die politischen Vorgaben, zum Beispiel Sicherheitsstandards in Kraftwerken, müssen sich nach wissenschaftlichen und nicht nach ökonomischen Erfordernissen richten. Seit Tschernobyl und erst recht seit Fukushima können und dürfen wir nicht mehr von einem Restrisiko sprechen, denn dieses Restrisiko, insbesondere dieses kalkulierbare Restrisiko, gibt es nicht.
Meine Damen und Herren, für die große Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik sind die Schlussfolgerungen völlig klar, und das nicht erst seit den schrecklichen Ereignissen in Japan. Seit dem Herbst 2010 erleben wir, dass Menschen zu Zehntausenden sagen: Wir wollen die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht. Wir lehnen den schwarz-gelben Deal mit der Atomwirtschaft als unverantwortlich ab. Und darum ist es natürlich folgerichtig, dass Menschen nach der Katastrophe in Japan hier in Deutschland und anderswo auf die Straße gehen, um ihren Unwillen, um ihren Unmut über die aktuelle schwarz-gelbe Politik zum Ausdruck zu bringen,
weil sie Sorge und Angst haben, Angst um sich, um ihre Familien, Angst um unsere Zukunft in Deutschland und in Europa.
Aber auch die rot-grüne Energiepolitik war ein Kompromiss. Die Antiatombewegung und DIE LINKE waren damit nicht zufrieden, aber immerhin, es gab eine absehbare Ausstiegsperspektive. Wir können Sie, Herr Ministerpräsident Sellering, ausdrücklich unterstützen, dass Sie zurück wollen zu dieser Perspektive, aber einer beschleunigten, die Sie eben gerade eingefordert haben. Das ist auch unsere Position. Ein Zurück zu dieser Ausstiegsperspektive allein reicht nicht aus.
Der Weg der Erkenntnis ist manchmal weit. Heute führt er über Japan. Warum eigentlich? Zukunft, meine Damen und Herren, wird es ohne Geschichte nicht geben.
Ja, Herr Roolf, wir haben Montag telefoniert. Und ich habe gesagt, wir prüfen, ob wir unseren Dringlichkeitsantrag, den wir überlegt und vorbereitet hatten, nicht einbringen werden. Nachdem wir aber vernommen haben, dass Sie über Schlussfolgerungen aus der Katastrophe in Japan hier nicht sprechen wollen, haben wir es für notwendig erachtet, genauso diesen Dringlichkeitsantrag einzubringen.
Und der Ministerpräsident hat es für notwendig erachtet, seinen 5-Punkte-Plan, den er uns eben gerade vorgestellt hat, hier vorzustellen. Ich halte das für verantwortungsvoll, einen solchen Pakt der Vernunft für eine zukünftige Energiepolitik in Deutschland einzufordern. Ich will ihn ausdrücklich bei dieser Politik unterstützen.
Die Frage muss doch erlaubt sein: Haben wir in Deutschland und Europa die Kraft, aus Tschernobyl und Fukushima die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen? Es können doch nicht nur Sicherheitsstandards überprüft und hinterfragt werden, es ist notwendig, auszusteigen und umzusteigen.
Was Tschernobyl vor 25 Jahren nicht vermochte, das muss doch jetzt Fukushima leisten. Wir müssen unverzüglich, kompromisslos, systematisch und unumkehrbar aus der Atomenergienutzung aussteigen und natürlich auf die erneuerbaren Energien umsteigen.
Dass das nicht von allein kommt, wissen wir, siehe Punkt 2. Wir müssen das Primat über die Ökonomie wieder herstellen.
Wir erleben jetzt dieser Tage jähe Wendungen. Aber die Bundesregierung, ja, die Bundesregierung handelt nach wie vor ängstlich und zögerlich. Dabei muss sich niemand schämen, der gestern noch zu den Befürwortern der Atomenergie gehörte und heute als Gegner auftritt. Schämen sollten sich diejenigen, die die Lehren von Tschernobyl und Fukushima nicht verstanden haben.
Die Bundeskanzlerin und der Vizekanzler haben ein dreimonatiges Moratorium für die beschlossene Laufzeitverlängerung verkündet. Nun ist es nicht mehr ausgeschlossen, dass die sieben ältesten Meiler abgeschaltet werden. Die gestrigen Ankündigungen lassen hoffen, dass abgeschaltete Meiler nicht wieder angefahren werden und andere wie in Baden-Württemberg abgeschaltet werden. Ein Schelm, der da nicht an Wahlkampf denkt!
Und es ist richtig, Herr Sellering, Herr Ministerpräsident, eine solche Situation erfordert meines Erachtens ein geschlossenes Handeln der Politik der Bundesrepublik Deutschland. Da kann ich mir nicht aussuchen, mit wem ich über welche Wege aus dieser Krise spreche, sondern da gehören die Ministerpräsidenten und die Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages an einen Tisch, um diese Krise zu bereden und auch die Wege aus dieser Krise zu beraten.
Deswegen wundert es mich nicht, dass die Kanzlerin mit dem Moratorium darüber spricht, dass auf einmal jetzt Sicherheitschecks ohne Tabus durchgeführt werden sollen.
Was heißt denn das? Ich bin schon sehr erstaunt. Gab es vorher Tabus? Wurde hier etwas verkleistert? Wurde hier getrickst? Wurde uns etwas vorgemacht? Ging es wirklich nur um die Profite? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Und deswegen ist es meines Erachtens genau richtig, dass diejenigen, die in Stuttgart, im Wendland, auch hier in Mecklenburg-Vorpommern auf die Straße gegangen sind, die protestiert haben, weil nicht nur sie die Sorge haben über die Zukunft, weil sie den Beteuerungen der Konzerne und der politischen Lobbyisten nicht mehr glauben. Und sie haben das Recht, genau dieses auch in dieser Situation zum Ausdruck zu bringen.
Die Bundesregierung regiert gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Die Mehrheit der Bevölkerung – das sagen alle Umfragen – will diese Atomenergie nicht mehr. Und die Bundesregierung muss sich wohl überlegen, ob sie diese Mehrheitsmeinung aufnimmt oder nach wie vor tatsächlich Handlanger der Konzerne bleiben will.
Und Sie haben gefragt mit der Aktuellen Stunde: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir für Mecklenburg-Vorpommern? Herr Roolf, ich muss Ihnen sagen, ich habe da nichts gehört.
Und wir haben kein Atomkraftwerk. Wir hatten aber ein Atomkraftwerk. Und wir in Mecklenburg-Vorpommern haben bewiesen, wie man systematisch aus der Nutzung der Atomenergie aussteigen kann. Das ist Weltniveau. Das haben wir hier mehrfach betont. Aber wir haben ein Zwischenlager.
Hier werden hoch radioaktive Abfälle gelagert. Wir werden kein Erdbeben haben, Herr Kokert, und wir werden sicherlich in naher Zukunft auch keinen Tsunami bekommen. Aber auch die Fragen wurden in der Vergangenheit hier im Landtag immer wieder gestellt: Ist dieses Lager denn ausreichend gesichert?