Protocol of the Session on January 26, 2011

Die Frage nach den Ursachen hat für mich zwei Seiten: Zum einen ist es kriminelle Energie – auch darüber wurde eben bereits gesprochen –, die man im Einzelfall kaum verhindern kann, aber durch wirksame Systeme der Zulassung und Kontrollen sowie Strafen eindämmen und erschweren kann und muss. Aber mehr Kontrollen allein und höhere Strafen werden die grundlegenden Ursachen nicht beseitigen. Zum anderen ist es die Frage, welche Art der Futter- und Lebensmittelproduktion in unserer Gesellschaft gewollt und möglich ist.

Dazu komme ich später.

Ich möchte erst einmal einige Fragen der Kontrolle aufwerfen:

Erstens. Das System der Lebensmittelkontrolle hat sich als nicht ganz zureichend gezeigt. An Futtermittel und an ihre Hersteller sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die eigentlichen Lebensmittel und ihre Produzenten. Das trifft sowohl für die Zulassung als auch aus unserer Sicht für eine verbindliche Zertifizierung zu. Gesunde und sichere Lebensmittel brauchen ein wirksames Kontrollsystem für die gesamte Erzeugungskette vom Acker sozusagen bis auf den Teller.

Zweitens. Die Untersuchung und Bewertung von Risiken ist noch unzureichend. Für viele Umweltgifte, wie Dioxin, sind die Wege in die Lebensmittelkette nicht ausreichend bekannt. Hier setzt auch unsere Intention an, dass wir mehr Forschung benötigen. Ich verweise hier auf den vorliegenden Änderungsantrag Punkt 2.

Drittens. Die Risikovorsorge in der Erzeugungskette ist lückenhaft. Ein unüberschaubarer Strom von Roh- und Zusatzstoffen hat das Eintrittsrisiko von Schadstoffen in unsere Lebensmittel erst ermöglicht. Häufig haben die Behörden nur einen begrenzten Überblick über die Herkunft und die Wege der Erzeugnisse. Hier brauchen wir mehr Transparenz und Kenntnis der Verflechtungen. Keiner der Akteure auf Landes- und Bundesebene hat vorausgesehen, welche Ausmaße die Lieferbeziehungen in diesem Falle haben.

Viertens. Die Information der Verbraucher über die gesundheitlichen Gefahren und die erforderlichen Maßnahmen war ungenügend. Wichtige Befunde privater Prüflabore erreichten die Behörden nicht, da die einstmalige Verpflichtung der Labore zur Meldung von Grenzwertüberschreitungen aufgehoben wurde und jetzt glücklicherweise wieder eingeführt wird. Die Verbraucher wurden spät und unvollständig über die Dioxinvorfälle informiert. Fleisch und Eier mit Dioxinbelastung gelangten unentdeckt in den Handel. Als Voraussetzung für vorsorgenden Verbraucherschutz ist für uns eine kooperative Zusammenarbeit der Bundesländer und der Bundesregierung erforderlich. In den Anfängen des Skandals war allerdings davon nicht viel zu bemerken.

Nun zu der anderen Seite der Frage nach den Ursachen des sogenannten Dioxinskandals, der Frage nach den gesellschaftlichen Ursachen. Wir haben es hier mit dem dioxinverseuchten Futterfett, mit einem weiteren Lebens- und Futtermittelskandal zu tun, der dazu geführt hat, dass sehr viele Verbraucherinnen und Verbraucher verunsichert und besorgt sind über die Sicherheit unserer Lebensmittel. Landwirte, die unverschuldet von den Auswirkungen der Betriebssperren, aber auch vor allem verlorenem Verbrauchervertrauen durch fehlenden Absatz und stark sinkende Preise betroffen sind, gehören ebenfalls zu den Geschädigten.

Sie stellen zu Recht die Frage nach Entschädigung. Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht sehr viel Besorgnis über die Entwicklung der Futtermittel-, Agrar- und Ernährungswirtschaft und die vorhandenen Strukturen und Verflechtungen. Immer stärker werden Fragen zur ethischen und moralischen Verantwortbarkeit aufgeworfen, die den Blick auf die gesamte Kette der Lebensmittelwirtschaft und ihre Entwicklung richten.

Der Dioxinskandal, meine Damen und Herren, macht auch deutlich, dass wir es in der Lebensmittelproduktion

schon lange leider nicht mehr mit einem Wettlauf um das beste Produkt, sondern häufig um das billigste Produkt zu tun haben. Aber nicht nur in Deutschland ist das so. Längst ist das ein europäisches Problem, ja, ein globales Problem geworden.

Für mich ergibt sich deshalb die andere Seite der Frage nach den Ursachen. Das System der Marktwirtschaft, das durchaus Vorzüge bei der Freisetzung von Ideen, Initiativen und technischem Fortschritt hat, darf in solch sensiblen Bereichen der Land- und Ernährungswirtschaft nicht ungezügelt, ungeregelt agieren. Wir brauchen solche Wettbewerbsanreize, die eine nachhaltige, vertretbare und sichere Nahrungsmittelproduktion ermöglichen. Zugleich wird die Forderung erhoben, dass Lebensmittel bezahlbar bleiben müssen.

Außerdem ist die Landwirtschaft der strategische Faktor bei der Gewährleistung der Ernährungssicherheit. Das Europäische Parlament hat dazu gerade mit dem Titel „Anerkennung der Landwirtschaft als Sektor von strategischer Bedeutung für die Ernährungssicherheit“ eine umfassende Entschließung angenommen, in der auf diese Verantwortung hingewiesen wird. Neben einem enormen Bevölkerungszuwachs in den nächsten Jahren in der Welt – im Jahre 2050 rechnet man mit neun Milliarden Menschen – haben wir es mit Einschränkungen durch den Klimawandel zu tun und haben leider immer weniger landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung. Daher ist eine einseitige Orientierung, künftig nur noch Bioproduktion in der Landwirtschaft zu wollen, keine Zukunftsoption. Wir brauchen in allen Bereichen umwelt- und ressourcenschonende Produktionsverfahren.

Das Problem dieses Dioxinskandals ist auch nicht die Frage nach Bio- oder konventioneller Produktion oder nach großen oder kleinen Betrieben, sondern es ist die Frage nach mehr Sicherheit in der Futter- und Lebensmittelproduktion. Dafür sind zahlreiche Einzelmaßnahmen, die hier schon genannt worden sind, nötig, aber auch ein Umdenken für die Zukunft der Landwirtschaft.

DIE LINKE hat schon mehrfach auf ihre Vorstellungen einer ökologischeren und sozialeren Ausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 in diesem Hause hingewiesen. Diese soll ermöglichen, dass Landwirte und ihre Beschäftigten von ihrer Arbeit leben und ihre Betriebe auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts ausrichten können. Zugleich soll durch die Anbindung der jetzigen Direktzahlungen an konkrete Leistungen der Landwirte für die Gesellschaft in Form von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen, der Stärkung der Biodiversität und nachhaltigeren Produktionsweisen, die an einen sozialen Faktor gekoppelt sind, der ländliche Raum neue Perspektiven erhalten.

Ich weiß, dass die Ansichten dazu hier im Hause auseinandergehen, jedoch meine ich, dass der sogenannte Dioxinskandal zeigt, dass die Lösungen weiter gehen müssen, als es der gemeinsame Aktionsplan der Länder und des Bundes derzeit vorsieht. Wir sehen den gemeinsamen Änderungsantrag der demokratischen Fraktionen dieses Hauses als einen richtigen Schritt an, um vorhandene Übereinstimmungen deutlich zu machen, sehen aber auch noch lange nicht das Ende der Diskussion um den zukünftigen, richtigen Weg der Land- und Ernährungswirtschaft im Lande und Europa.

Meine Damen und Herren, absprachegemäß ziehen wir unseren Antrag auf der Drucksache 5/4067 zurück. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Danke schön, Herr Professor Tack.

Es hat jetzt das Wort zur Einbringung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 5/4057 die Abgeordnete Frau Reese. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wieder mal hat in Deutschland ein Skandal mit Lebens- und Futtermitteln für Schlagzeilen gesorgt. Und dies ist bereits der 17. seit 1998. Nach jedem Skandal wurden bislang Konsequenzen angekündigt, überwiegend aber sind die Ankündigungen im Sande verlaufen und konnten keine weiteren Skandale verhindern.

Allein in der Amtszeit von Frau Künast als Verbraucherschutzministerin gab es vier Dioxinskandale, aber auch ihr Agieren hat keinen Beitrag dazu leisten können, weitere Skandale zu verhindern oder kriminelle Energie zu beseitigen. Und daher sollte gerade Frau Künast an ihre eigene Amtszeit denken, bevor sie Rücktrittsforderungen an andere stellt.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Auslöser des jetzigen Dioxinskandals ist eindeutig kriminelle Energie. Für die FDP steht außer Frage, dass jedes kriminelle Handeln intensiv zu verfolgen und zu ahnden ist. Tage- und wochenlang überschlugen sich die Medienmeldungen mit Zahlen gesperrter Betriebe von anfangs ein paar bis auf circa 6.000 Betriebe mit Geflügel, Rindern und Schweinen zu späteren Zeiten. Ebenso wie die Anzahl der gesperrten Betriebe stiegen mit der Bekanntgabe weiterer Lieferanten die Anzahl der betroffenen Bundesländer und die riesigen Mengen der in Umlauf gebrachten Futtermittel.

Am 4. Januar verkündete Minister Backhaus, dass kein dioxinverseuchtes Futtermittel nach Mecklenburg-Vorpommern geliefert worden sei. Doch diese voreilige Schnellmeldung hatte keinen langfristigen Bestand. Schon kurz darauf wurde bekannt, dass Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern doch betroffen waren. Zunächst sperrte man vorsorglich sechs Betriebe. Noch am 6. Januar ließ der Minister veröffentlichen, dass Eier aus Mecklenburg-Vorpommern absolut in Ordnung seien. Die Verbraucher im Land atmeten auf und fühlten sich ein wenig sicherer. Die Nummer 13 aus Mecklenburg-Vorpommern avancierte nach Aussagen des Ministers zur sicheren Glückszahl beim Eierkauf. Aber auch das war eine sprichwörtliche Ente, denn kurz darauf mussten Geflügelbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern auch gesperrt werden. Dies, Herr Minister Backhaus, trägt wenig zur Verbrauchersicherheit bei.

Eier aus ökologischer Haltung sollten nach Aussagen unseres Ministers bedenkenlos gekauft werden können. Aber auch hier möchte ich anmerken, dass wenige Monate zuvor der letzte Dioxinskandal bei Bioeiern aufgetreten war. Herr Minister Backhaus, es hilft nicht, mit dem Finger nur auf andere zu zeigen. Sie selbst haben jetzt gemerkt, wie schnell man zum Betroffenen werden kann. Verbraucherschutz heißt eben auch, zum richtigen Zeitpunkt zu warnen und zum richtigen Zeitpunkt zu entwarnen. Und nun müssen Sie eine klare Linie zeigen, welche Konsequenzen Sie aus diesem Skandal für die Verbesserung der Verbrauchersicherheit ziehen wollen. Ziel ist es, sowohl Verbraucher als auch Produzenten

zu schützen, und dafür müssen Maßnahmen umgesetzt werden.

(Hans Kreher, FDP: Richtig.)

Es ist gut, dass für die Verbraucher zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden hat und es zu keiner Zeit ein Inverkehrbringen von vergifteten Lebensmitteln gegeben hat. Dennoch ist der Imageschaden für gute, gesunde und preiswerte Lebensmittel immens und die Verunsicherung der Menschen veränderte massiv deren Kaufverhalten. Die Medienberichterstattung führte dazu, dass die Verbraucher die gesamte Branche über den sprichwörtlich gleichen Kamm zogen und die Nachfrage nach konventionellem Schweine- und Rindfleisch sowie Eiern erheblich sank. In der Konsequenz senkte der Handel die Preise oder nahm die Waren erst gar nicht an, auch wenn die Produkte aus nicht gesperrten Betrieben kamen. Als Sieger dieser Situation muss wohl die Biobranche genannt werden, die einen wesentlichen Käuferzuwachs erzielen konnte. Daraus aber die Zukunftslosigkeit der konventionellen Landwirtschaft abzuleiten, ist vollkommen verfehlt.

(Hans Kreher, FDP: Richtig.)

Auch der Verbraucher konventionell erzeugter Lebensmittel hat einen Anspruch auf giftfreies Essen

(Hans Kreher, FDP: Richtig.)

und unsere heimischen, konventionell wirtschaftenden Landwirtschaftsbetriebe produzieren ebenso qualitativ hochwertige Produkte und Lebensmittel.

Was ist nun das Fazit aus diesem Dioxinskandal? Den Tierhaltern ist, wenn sie nicht von den verseuchten Futtermittellieferungen betroffen waren, ein erheblicher Schaden entstanden, der sich nach Aussage des Landesbauernverbandes auf mehr als 5 Millionen Euro beläuft. Es ist erschreckend, dass ein einziger krimineller Futtermittelhändler es schaffte, das Vertrauen in die gesamte Branche zu erschüttern.

Viele der Punkte des nun erarbeiteten Bundesaktionsplanes decken sich mit den Forderungen der FDP. Wohl wissend, dass kriminelle Machenschaften auch zukünftig nie vollkommen ausgeschlossen werden können, bieten sie, die vorgeschlagenen Maßnahmen, einen akzeptablen Rahmen, um das kriminelle Betätigungsfeld weitestgehend einzudämmen. Jetzt geht es darum, die Pläne effektiv und zeitnah umzusetzen. Den Worten müssen Taten folgen und das Verbrauchervertrauen in die Produkte unserer Landwirtschaft muss zurückgewonnen werden.

Die auf Bundesebene anstehende Novelle des Verbraucherinformationsgesetzes könnte hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten. Trotz des aktuellen Dioxinskandals sollte sich die Gesetzesnovelle aber auch auf andere Bereiche als nur auf Lebens- und Futtermittel beziehen. Hier hat die Landesregierung ihren ganzen Einfluss geltend zu machen und die Rechte und die Sicherheit der Verbraucher weitestgehend zu schützen.

Ein Rückschlag und sehr bedauerlich in dieser Frage ist die Ablehnung einer auf europäischer Ebene verankerten Positivliste durch die EU-Kommission am Montag in Brüssel. Sie war und bleibt ein wesentlicher Bestandteil der Forderungen der FDP. Ebenso wichtig erscheinen meiner Fraktion die Trennung der Produktionsströme, erweiterte, verpflichtende Haftungsregelungen, ein ländereinheitliches, risikoorientiertes Modell zur Futtermit

telkontrolle und die abgesicherte Rückverfolgbarkeit der Lebens- und Futtermittel. Die Durchführung der Kontrollen muss in Zukunft effizienter und zeitnah nach standardisierten Verfahren erfolgen.

Deshalb fordern wir auch einen Bericht über die bisherige und zukünftig geplante Kontrolldichte und Kontrollqualität. In diesem Rahmen muss die Landesregierung dafür Sorge tragen, dass die zuständigen Behörden dies auch leisten können. Und hier, Herr Minister Backhaus, schauen Sie ins eigene Land, wie die Kontrolldichte und -qualität derzeit gelaufen sind. Die Kontrollen müssen ein Höchstmaß an Verbrauchersicherheit gewähren, aber dennoch in bezahlbarem Rahmen liegen. Lebensmittelsicherheit ist das oberste Gebot des Handelns.

Ich bin sehr froh, dass es auch auf Initiative meiner Fraktion gelungen ist, einen gemeinsamen Änderungsantrag zu erarbeiten. Neben dem Bericht zur Umsetzung des Aktionsplans inklusive einer Evaluierung der bisherigen Kontrolldichte und -qualität ist es uns wichtig, zu erfahren, welche weiteren Konsequenzen und konkreten Maßnahmen die Landesregierung für einen besseren Schutz der Verbraucher als erforderlich ansieht.

Mecklenburg-Vorpommern als Agrarland muss mit eigenem Handeln im Sinne des Verbraucherschutzes vorangehen. Der mündige, selbstbestimmte Bürger ist das Leitbild der FDP. Ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, selbstbestimmt und ausgestattet mit den notwendigen Produktinformationen eine Kaufentscheidung zu treffen.

(Udo Pastörs, NPD: Aus dem Wirrwarr das Richtige rauszufischen.)

Grundsätzlich aber ist die Annahme falsch, dass preiswerte Lebensmittel für geringere Qualität und höhere Gesundheitsrisiken stehen und höherpreisige Lebensmittel automatisch qualitativ hochwertig und gesundheitlich risikolos sind. Falls jemand mit ausreichender krimineller Energie seine Gewinnspanne erhöhen will, so wird er dies bei preiswerten oder doch noch viel eher bei den preishöheren Produkten machen, denn dadurch würde er seine Spanne weiter erhöhen.

(Udo Pastörs, NPD: Quatsch, umgekehrt!)

Ich denke, dass man sich davor nicht abschließend schützen kann.

Kriminelle Energie entfaltet sich auch ohne Bezug auf eine gewisse Produktionsform und ohne Bezug auf eine bestimmte Betriebsgröße,

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

haben wir doch auch Dioxin- und Lebensmittelskandale auf Biohöfen und Bioproduktionen schon erleben müssen, ebenso wie bei kleinbäuerlichen Betrieben als auch bei industrieller Tierhaltung.

Die FDP stimmt dem gemeinsamen Änderungsantrag selbstverständlich zu. Und auch wir ziehen unseren eigenen Antrag in diesem Sinne zurück. Dieses wichtige Thema ist für uns nämlich kein Thema für politisches Geplänkel und Bund-Länder-Streitigkeiten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP)

Danke schön, Frau Abgeordnete Reese.