Antrag der Fraktion DIE LINKE: Angemessene und bezahlbare Wohnraumversorgung fi nanziell Benachteiligter mit Sozialgesetzgebung nicht aushebeln – Drucksache 5/3809 –
Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Lück. Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Anfang September fragte ich in einer Kleinen Anfrage, was denn die Landesregierung von der geplanten Neuregelung zu den Kosten der Unterkunft und Heizung hält. Ich ging selbstverständlich davon aus, dass die Landesregierung spätestens seit der
Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage meiner Bundestagskollegin Katrin Kunert am 19. August 2010 wusste, was das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sozusagen ausheckt. Aber stattdessen drückte sich die Landesregierung am 20. September vor einer Antwort. Man könne noch nichts sagen, weil der Diskussionsentwurf der geplanten SGB-II-Leistungsrechtsreform erst für den 20. September, damit für denselben Tag, angekündigt sei.
Da frage ich mich schon, ob Sie mich veräppeln wollen mit dieser Antwort. Ein Anruf hätte genügt. Und ich hätte gerne noch eine Woche länger gewartet, dafür aber eine qualifizierte Antwort erhalten.
Sie können uns doch nicht glauben machen, dass die Landesregierung erst den Gesetzentwurf aus Berlin abwarten muss, um sich eine Meinung bilden und sich positionieren zu können. Oder – und das wäre ein Skandal – ist es Ihnen egal, dass den Kommunen der Schwarze Peter zugeschoben werden soll? Beides nehmen wir nicht hin.
Was würde die Neuregelung denn konkret für die ohnehin schon klammen Kommunen bedeuten? Künftig sollen sie erstens noch mehr Wohnkosten übernehmen und zweitens durch Satzungen selbst bestimmen, was sie als Wohnkosten – damit Wohnkomfort und Wohnfläche – für angemessen halten. Und diese Neuregelungen sollen schon ab Januar 2011 in Kraft treten auf Grundlage entsprechender Landesgesetze.
Wir sagen, der Landtag und die Landesregierung müssen jetzt nicht nur für einen Aufschub eintreten, sondern die geplanten Neuregelungen ganz ablehnen.
Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gibt vor, die Regelungen der Kosten für Unterkunft und Heizung in Hartz IV transparenter gestalten zu wollen. Ich sage, der Bund schiebt die Verantwortung auf die Kommunen ab, nach dem Motto: Wer als Kommune viele Arme beherbergt, ist doch selbst schuld und soll dann auch mal zusehen, wie er für sie sorgt.
Erinnern Sie sich noch? Der Bundesrat stellte sich am 7. November 2009 gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur weiteren Absenkung des Bundesanteils an den Kosten für Unterkunft und Heizung. Er verlangte, dass erstens Grundlage für die Berechnung der Bundesbeteiligung wieder die tatsächliche Wohnkostenentwicklung ist und zweitens eine entsprechende Neuberechnung und Neuanpassung der Beteiligungsquote erfolgt.
Seitdem schmort das Sechste Gesetz zur Änderung des SGB II im Vermittlungsausschuss. Auch heute hat sich noch nicht viel getan. In der vergangenen Woche konnte keine Einigung für die Bundesbeteiligung in diesem Jahr erzielt werden. Ich befürchte, der Bund wird nicht einlenken, denn im Gesetzentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch werden die Regelungen zur Bundesbeteiligung an den Wohnkosten im SGB II nicht erfasst, das heißt, der Bund übernimmt in diesem Jahr lediglich einen Anteil von 23 Prozent an den Kosten für Unterkunft und Heizung, so wenig wie noch nie. Das muss man einfach mal festhalten.
Und die Berechnungsgrundlage basiert weiterhin auf der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften anstelle der tatsächlichen Wohnkostenentwicklung in Hartz IV. Vor diesem Hintergrund ist die geplante Neuregelung des Paragrafen 12a SGB II zu sehen. Leistungsberechtigte sollen unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr verpflichtet sein, vorrangige Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch nehmen zu müssen. Einzelne Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft können damit auf Anträge für Wohngeld oder Kinderzuschlag verzichten, soweit dadurch nicht die ganze Bedarfsgemeinschaft für mindestens drei Monate aus der Hilfebedürftigkeit kommt. Das betrifft insbesondere Kinder, für die Unterhalt gezahlt wird und die mithilfe von Wohngeld und Kinderzuschlag nicht auf Sozialgeld angewiesen wären.
Im Referentenentwurf wird beteuert, dass auf freiwilliger Basis weiterhin Anträge auf Wohngeld und Kinderzuschlag möglich sind, damit Schlechterstellungen ausgeschlossen sind. Aber spekuliert wird, dass künftig auf das aufwendige Stellen von Anträgen verzichtet wird. Dann könnten bis zu 120 Millionen Euro Wohngeld eingespart werden, damit Bund und Länder entlastet werden. Praktisch heißt das jedoch, dass in gleicher Höhe zusätzliche Kosten für Unterkunft und Heizung entstehen, und die haben hauptsächlich die Kommunen zu tragen.
Im Gesetzentwurf finden sich keinerlei Ansätze, wie der Bund einen Teil dieser Mehrbelastungen den Kommunen abnehmen will, die gleichzeitig auch den Wegfall des Heizkostenzuschlags im Wohngeld verkraften müssen. Vielmehr sollen künftig die Kommunen selbst steuern, wie sich ihre Wohnkosten entwickeln.
Der Gesetzentwurf sieht in Paragraf 22a SGB II vor, dass die Länder die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz ermächtigen oder sogar verpflichten können, durch Satzung zu bestimmen, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet angemessen sind. Damit stiehlt sich die Bundesregierung aus der Verantwortung und schiebt die Wohnkosten allein auf die Kommunen ab.
Legen die Kommunen die Angemessenheit fest, haben sie es schließlich auch selbst in der Hand, welche Kosten für sie entstehen. Ich bin mir ganz sicher, dass dann die Wohnstandards von der Kassenlage der jeweiligen Kommunen abhängig werden.
Im Klartext heißt das: Zukünftig werden arme Kommunen mit vielen armen Menschen auch nur armselige Wohnungen bezahlen können. Das Solidarprinzip wird damit aufgelöst. Dieses Szenario wird nicht sofort eintreten, aber ich sage Ihnen voraus, das passiert schleichend.
Im Gesetzentwurf wird auf die einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Standards orientiert. Es soll das als Grundlage gelten, was Haushalte mit Niedrigeinkommen üblicherweise für Wohnraum aufbringen würden. Mit anderen Worten, die Kommunen sollen mit ihren Satzungen steuernd darauf hinwirken, die Kosten für Unterkunft und Heizung zu verringern. Unteres Mietniveau bedeutet ein Zurückfahren des Erhaltungs- und Modernisierungsaufwandes auf ein Mindestmaß und damit natürlich sinkende Wohnstandards. Dabei macht sich die Bundesregierung die Hände nicht schmutzig.
Mit dem Gesetzentwurf selbst wird der Wohnstandard nicht herabgesetzt. Dieses würdelose Geschäft überlässt man den Kommunen. Und die können nichts anderes, weil sie ohnehin vor dem finanziellen Kollaps stehen.
Die angestrebten Neuregelungen bedeuten eine Regionalisierung der Angemessenheit. Die sozialen Ungleichheiten nehmen zu in und zwischen den Wohnquartieren einer Gemeinde, zwischen den Kommunen, insbesondere zwischen Stadt und Land, zwischen aufstrebenden und strukturschwachen Regionen und natürlich auch zwischen den Bundesländern. Das bedeutet, die Bundesregierung gibt den Grundsatz auf, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen schaffen zu wollen. Das dürfen wir nicht zulassen, ist doch das Armutsrisiko in unserem Bundesland am höchsten und die Finanzkraft der Gemeinden am geringsten.
Kolleginnen und Kollegen, in den KdU-Richtlinien wird auch auf Angemessenheit orientiert. Aber Grundlage jeder Entscheidung ist zwingend eine Einzelfallprüfung, gegen die Widerspruch eingelegt und die gerichtlich nachgeprüft werden kann.
Bei Satzungen verhält sich das natürlich ganz anders. Hier stellt eine Einzelfallprüfung nur noch die Ausnahme dar, was heißt, alles, was nicht als besondere Fallkonstellation in die Satzung aufgenommen ist, kann auch nicht bei der Entscheidung zu den Wohnkosten berücksichtigt werden. Das bedeutet aber auch gleichzeitig, dass die Satzungen, wenn sie als bedarfsgerechte Entscheidungsgrundlage dienen sollen, alle möglichen Varianten beinhalten müssten. Damit würden sie sehr umfänglich, unübersichtlich und natürlich für den Bürger auch schwer lesbar sein. Deshalb werden diese Satzungen angreifbar sein und nur noch mehr Gerichte beschäftigen. Außerdem haben sie den Nachteil, dass nur im Wege eines meist langwierigen Satzungsverfahrens neue Erkenntnisse, beispielsweise aktuelle höchstrichterliche Entscheidungen, eingearbeitet werden können.
Ich denke, das alles sind Gründe genug, unserem Antrag zuzustimmen, möchte aber noch mal darauf hinweisen, weil Sie ja immer sagen, wir hätten keine Vorschläge, wie man die Wohnkosten senken kann. Ich kann es Ihnen sagen: Wir brauchen endlich einen gesetzlichen Mindestlohn.
Die Wirtschaft zahlt zu viele Niedriglöhne an Arbeitnehmerinnen und an Arbeitnehmer und zu viele Aufstocker haben wir in unserem Land. Und für diese Aufstocker zahlen die Kommunen die Kosten der Unterkunft.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zurufe von Irene Müller, DIE LINKE, und Hans Kreher, FDP)
Protokoll noch einmal das Ergebnis der Abstimmung hier darzustellen, da es offensichtlich einen Übermittlungsfehler in der Verkündung gegeben hat.
Also, an der Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 30, Drucksache 5/3798, Antrag der NPD, haben 52 Abgeordnete teilgenommen. Mit Ja stimmten 4, mit Nein stimmten 48 Abgeordnete. Damit war der Antrag abgelehnt. Es gab, akustisch zumindest im Saal, ein Missverständnis bezüglich des Ergebnisses, deswegen habe ich das hier jetzt noch mal fürs Protokoll förmlich dargestellt.
Im Ältestenrat – jetzt sind wir also wieder bei Tagesordnungspunkt 31 – ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Und als Erste hat ums Wort gebeten die Ministerin für Soziales und Gesundheit Frau Schwesig. Bitte schön, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE bezieht sich auf den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für ein Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Stand: 20. September 2010, der bereits im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ja sehr breit und intensiv diskutiert wird. Bei der Diskussion geht es oft um das Thema, sind die Regelsätze richtig, und die Frage, wie stellen wir die Bildungsteilhabe der Kinder dar. Aber dieser Referentenentwurf enthält eben noch einen anderen Punkt, und zwar ist eine Neuregelung der Kosten bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung vorgeschlagen, bei der es im Wesentlichen zum einen um eine Pauschalierung geht und zum anderen darum, dass das Thema auf Landes- und kommunale Ebene abgeschoben werden soll.
Ich teile Kritikpunkte der Linksfraktion im Wesentlichen. Es ist selbstverständlich, dass wir angemessenen und bezahlbaren Wohnraum für breite Teile der Bevölkerung wollen, und ich sehe auch mit Sorge, dass die vorgesehene Verlagerung der Zuständigkeit für eine übergreifende Regelung bei den Kosten für Unterkunft und Heizung eher eine Verschiebung der Verantwortung vom Bund auf die Länder ist und dazu führt, dass es auch bei der Frage der Unterkunft zukünftig unterschiedliche Standards gibt.
Darüber hinaus ist es so, dass sich die Sozialminister der Länder schon längst geeinigt haben und auch der Bundesministerin mitgeteilt haben, dass wir nichts davon halten, dass ausgerechnet dieser Gesetzentwurf, der ja nun schon viele Diskussionspunkte beinhaltet und letztendlich auch dringend irgendwann verabschiedet werden muss, mit dieser Frage überfrachtet wird. Denn es ist bekannt, dass es gerade bei der Frage Kosten der Unterkunft sehr unterschiedliche Auffassungen zwischen Bund und Kommunen, aber auch Bund und Ländern gibt.
Und deswegen, sehr geehrte Abgeordnete der Linksfraktion, ist Ihre Aufforderung, die Landesregierung möge sich im Bundesrat und in den Fachministerkonferenzen dafür einsetzen, dass die Regelungen für die Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft geschaffen werden, die eine bedarfsgerechte Mittelbereitstellung an die Kommunen sicherstellen, eine richtige Richtung, aber sie
und zwar des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, im Vermittlungsausschuss, weil wir bereits das getan haben, was Sie fordern. Die Landesregierung war die Landesregierung, die überhaupt diese Initiative gestartet hat, dass wir über die Kosten der Unterkunft im Sinne der Kommunen noch mal reden. Und wir haben den Vorschlag der Bundesregierung angehalten, sind damit in den Vermittlungsausschuss gegangen, auch auf Grundlage der Forderungen der Kommunen im Land an uns, an mich. Ich habe darüber mehrfach hier im Landtag berichtet, habe selbst dazu im Bundesrat gesprochen und mich auch auf die Argumentation der Kommunen bezogen. Insofern ist die Aufforderung, dass wir uns sozusagen zu dem Thema im Bundesrat einsetzen, meines Erachtens überflüssig. Wir setzen uns dafür ein.
Und noch mal: Wir werden beantragen oder haben das bereits schon gegenüber der Bundesregierung, der Bundesministerin angezeigt, dass wir nichts davon halten, diese Regelung überhaupt in dem neuen Gesetz, was ja das Verfassungsurteil umsetzen soll, jetzt einzuführen, sind uns da auch länderübergreifend einig. Ich habe mich sehr gefreut, dass mein Kollege aus Hessen hier vorgeprescht ist und gesagt hat, dass es so gar nicht geht.
Was ich gerne sagen wollte: Ich schätze das Engagement von Frau Lück in der Sache, verstehe nicht ganz ihre Bemerkung, dass wir ihr da nicht frühzeitig genug Bescheid gesagt haben. Ich möchte noch mal sagen, dass sich mein Haus natürlich nur auf Dinge, die uns offiziell vorliegen, beziehen kann in der Beantwortung der Kleinen Anfrage.
Herr Fraktionsvorsitzender, vielleicht könnten Sie das dann Ihrer Fraktionskollegin mitteilen. Das ist mir sehr wichtig, dass auch Ihre Fraktion weiß, dass wir die Kleinen Anfragen zeitnah beantworten. Und deswegen waren wir nicht in der Lage, am 20. September, als wir die Anfrage pünktlich beantworten mussten, schon Stellung zu nehmen, was uns Frau von der Leyen dann viel später vorgelegt hat mit dem Referentenentwurf. Wir können natürlich nur …