Protocol of the Session on October 14, 2010

Eine leistungsgerechte und existenzsichernde Bezahlung führt nicht nur dazu, den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern bessere Rahmenbedingungen für ein glückliches Familien- und Privatleben zu bieten, sondern ist auch eine Frage der Anerkennung der geleisteten Arbeit. Und hier sehe ich auch das Problem. Wenn man die Menschen in unserem Land fragt, seid ihr mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zufrieden, dann sagen die, okay, die Betreuungsangebote, die haben wir. Aber unser Problem ist eigentlich, dass wir teilweise auf eine Arbeitswelt treffen, die doch noch sehr familienfeindlich ist.

Sie wissen, wir haben viele Pendler und wir haben viele schwierige Arbeitszeiten. Viele Familien erleben, dass sie mit dem, was sie dann an Einkommen haben, nicht wirklich ihre Familien so unterstützen können, wie sie es gerne hätten. Und hier ist noch der Widerspruch in der Frage Vereinbarkeit von Familie und Beruf weniger in der Betreuungswelt, sondern mehr in der Arbeitswelt.

Weiterhin ergänzt die Landesregierung die Leistungen der Bundesregierung mit eigenen Maßnahmen. Und das ist ganz entscheidend, dass wir uns zum einen aufstellen, was brauchen wir an bundespolitischen Rahmen

bedingungen – da zeigt der Bericht, was notwendig ist, das zeigt die Stellungnahme der Landesregierung –, aber wir brauchen auch eigene Antworten, um der relativen Armut mit passgenauen Lösungen für einzelne Personengruppen entgegenzutreten. Und hier möchte ich einige erwähnen, die die Landesregierung und die Koalition auf den Weg gebracht haben:

Uns geht es um gezielte Förderung der Kindertagesbetreuung. Hier wurden Eltern entlastet, insbesondere im letzten Kindergartenjahr. Kinder, deren Eltern Leistungen nach dem SGB II und XII beziehen, erhalten ein kostenfreies gesundes Mittagessen während der Kindertagesförderung. Also das, was wir einfordern, tun wir auch im Land.

Finanzschwache Familien können alle zwei Jahre nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen einen gemeinsamen Familienurlaub in einer Familienferienstätte in M-V in Anspruch nehmen.

In Familienbildungseinrichtungen, Kindertageseinrichtungen und Schulen werden verstärkt präventiv wirtschaftliche Bildung und Beratung angeboten, damit Eltern, Kinder und Jugendliche einen bewussten Umgang mit Geld erlernen sowie Überschuldung und Armut vermieden werden kann, die Förderung und die qualitative Weiterentwicklung der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung, die in Schulden und in Not geratene Menschen kompetent, fachlich beraten und begleiten.

Wir fördern außerdem mit der Bundes- und Landesstiftung „Hilfen für Frauen und Familien“. Wir stellen Finanzmittel für schwangere Frauen in Notlagen sowie für unverschuldet in Not geratene Familien, Alleinerziehende und alleinstehende Frauen zur Verfügung. Und das scheint mir ganz besonders wichtig zu sein, denn eins ist klar: Wir werden nicht alle Lebenssituationen mit Gesetzen abdecken können, deswegen brauchen wir immer noch diese unkomplizierte Hilfe für Familien in Not.

Ich möchte auf die Alleinerziehenden eingehen. In Bezug auf Alleinerziehende gilt für die Landesregierung, dass alle Maßnahmen oder Projekte, die sich an Frauen und Männer, Mütter und Väter richten, selbstverständlich auch von Alleinerziehenden in Anspruch genommen werden können.

Zusätzlich ergänzt das Land die Leistungen des Bundes und der Bundesagentur für Arbeit mit folgenden Handlungen: Wir unterstützen Projekte, die Modelle für eine effektive Teilzeitausbildung entwickeln und umsetzen, die eine Beratungs- und Unterstützungsstruktur für Unternehmen und Auszubildende entwickeln, die weibliche und männliche Jugend bei der Berufsorientierung, den Bewerbungsaktivitäten und dem Bewerbungstraining unterstützen.

Wir brauchen die Unterstützung bei der Bildung von Netzwerken und Kooperationen durch regionale Akteure wie die Arge, das Sozialamt, Jugendamt, Unternehmen, Bildungseinrichtungen und andere soziale Hilfesysteme mit dem Ziel, Alleinerziehenden eine Erwerbstätigkeit, eine Berufsausbildung oder einen Berufsabschluss zu ermöglichen.

Wir fördern die Lokalen Bündnisse für Familien, die regionalen Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familien- und Privatleben und spezielle Projekte zur individuellen Unterstützung von Alleinerziehenden. Wir wollen, dass das landesweite Projekt „Modulare Qualifizierung in der Elternzeit“ weitergeführt

wird, mit dem das Qualifikationsniveau von Beschäftigten, die sich in der Elternzeit befinden, erhöht werden kann. Sie sehen also, dass hier Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftsmarktpolitik und Familienpolitik zusammengeführt werden.

Zum Bereich frühkindliche Förderung: Die frühkindliche Förderung, die frühkindliche Bildung als Bestandteil des lebenslangen Lernens und insbesondere der Ausbau der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sind in der Landespolitik und bleiben auch das zentrale Thema, und natürlich in unserer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben.

Die Landesregierung hat viele Maßnahmen in Angriff genommen. Ich möchte noch mal auf das neue KitaGesetz hinweisen. Es unterstützt die Eltern bei der Erziehung und Betreuung der Kinder einerseits, aber unterstützt vor allem die Kinder in der frühkindlichen Bildung von Anfang an. Die individuelle Förderung jedes Kindes von Anfang an ist zentraler Bestandteil des Kita-Gesetzes. Grundlage dafür ist die Bildungskonzeption für Null- bis Zehnjährige. Dazu gehört auch die Vorbereitung auf die Schule für Kinder von drei bis sechs Jahren. Wenn wir beklagen, dass wir so viele Schulabbrecher haben und viele Kinder ohne Schulabschluss, dann müssen wir früh anfangen, schon in den Kitas, und hier vor allem die Standards verbessern.

Die Gesundheitsförderung der Kinder, die Gesundheitsvorsorge und der Kinderschutz erhalten einen besonderen Stellenwert. Alle Kinder sollen künftig eine vollwertige und gesunde Verpflegung erhalten.

Und noch mal: Wir unterstützen insbesondere die Kinder aus finanziell schwachen Familien. Sozial benachteiligte Kinder im Alter von unter drei Jahren erhalten schon ab 2011 einen Anspruch auf Förderung, also eher den Rechtsanspruch, als er bundesweit kommt. Und im Kindergarten betreut zukünftig eine Fachkraft durchschnittlich nur noch 17 Kinder. Das ist der erste Schritt in die Verkleinerung der Gruppen. Dank dieser Personalaufstockung hat die Erzieherin zukünftig mehr Zeit für die individuelle Förderung.

Weiterhin erhalten Eltern für ihr Kind im Jahr vor dem Eintritt in die Schule eine Elternbeitragsentlastung. Diese Entlastung der Eltern in Höhe von bis zu 80 Euro monatlich ist nicht mehr freiwillig, sondern gesetzlicher Standard.

Sehr geehrte Damen und Herren, außerdem unterstützen wir vor allem die sozialen Brennpunkte mit zusätzlichem Personal. Wir haben die Vor- und Nachbereitungszeiten erhöht, sodass wir insgesamt 500 Vollzeitstellen geschaffen haben im Kita-Bereich, damit Erzieher wirklich Zeit haben für die Kinder.

Ich freue mich, dass die Bundesfamilienministerin jetzt auch ein Programm für soziale Brennpunkte aufgelegt hat, wenn auch einen Tick kleiner als das Programm von Mecklenburg-Vorpommern. Aber wir werden Möglichkeiten haben, unser Programm damit zu flankieren. Und ich finde es gut, wenn Bund und Land hier Hand in Hand, insbesondere für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, mehr Personal für die frühe Förderung zur Verfügung stellen. Denn wir sollten nicht nur darüber reden, dass immer mehr Geld notwendig ist, sondern vor allem darüber reden, wie wir die Kinder an die Bildungsangebote heranbekommen, wie wir frühzeitig bei den Kindern Interesse wecken können für Sport, Kultur und andere Freizeitaktivitäten.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Ergebnisse des Prognos-Berichtes bestätigen einerseits die Landesregierung in ihrer Politik für die Familien im Land und den Einsatz der zur Verfügung stehenden Ressourcen, andererseits ist sich auch die Landesregierung bewusst, dass künftig besondere Anstrengungen notwendig sind, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene, damit Familien über eine erforderliche materielle Ausstattung zur gesellschaftlichen Teilhabe verfügen und eine familiengerechte Infrastruktur vorfinden.

Weiterhin muss festgehalten werden, dass der Bund entscheidend Einfluss auf die soziale Lage von Familien im Land hat. Deswegen lehne ich Sparmaßnahmen beim Elterngeld oder die Reform der Hartz-IV-Regelsätze, wenn sie sich nachteilig auswirken für die Familien in unserem Land, natürlich ab. Und deswegen muss ich mich als Sozialministerin in den Bundesgremien über den Bundesrat dafür einsetzen, dass die Situation der Familien im Land verbessert wird. Für mich ist wichtig, dass wir weiter festhalten an einer Politik für Familien, die aus Infrastruktur, Zeit und Geld für Familien besteht. Das bestätigt der Bericht und das bestätigt auch die Stellungnahme der Landesregierung, dass wir diesen Dreiklang weitergehen werden bis zum Ende der Legislatur und natürlich auch in der nächsten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Frau Ministerin, Sie haben Ihre Redezeit um 15 Minuten überzogen. Diese Zeit wird natürlich dann prozentual den Oppositionsparteien angerechnet.

Meine Damen und Herren, der Redebeitrag von Herrn Heydorn wurde noch mal überprüft. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, dass da einige Äußerungen waren, die sehr grenzwertig waren. Ich erteile Herrn Heydorn einen Ordnungsruf.

Herr Müller, Sie haben während der Rede von Herrn Pastörs einen unparlamentarischen Ausdruck verwendet.

(Harry Glawe, CDU: Na so was! – Dr. Margret Seemann, SPD: Schäm dich! – Heinz Müller, SPD: Oh ja.)

Ich weise diesen Ausdruck zurück und bitte Sie, das zu beachten.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, es hat jetzt das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Linke von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung hat einen Bericht zur Lebenssituation von Haushalten mit Kindern in Mecklenburg-Vorpommern für 140.000 Euro erarbeiten lassen und zu diesem im Juni eine Stellungnahme vorgelegt.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Das Interessante für uns als Abgeordnete an der Stellungnahme der Landesregierung sind die Handlungsempfehlungen, also Schlussfolgerungen für die Landespolitik und Bundespolitik, Schlussfolgerungen, welche die Landesregierung für geeignet hält, um die bestürzenden Sachverhalte im Analysebericht zu verändern. Ich möchte ganz ausdrücklich sagen, ich werde jetzt keine Grundsatzrede halten, auch keine umfassende Rede

zur Kinder- und Jugendpolitik, sondern mich eben auf diesen Bericht, auf diese hier vorgelegten Dokumente beziehen.

Der Unterrichtung ist selbst nicht zu entnehmen, welchen Maßstab, also welches übergeordnete Ziel die Landesregierung gewählt hat, um quasi in einem Soll-Ist-Vergleich die geeigneten Handlungsempfehlungen abzuleiten, Handlungsempfehlungen, die für die Kinder ergebnisorientiert angelegt und für die Gesellschaft nachprüfbar sind. Meine Fraktion hat deshalb kurz entschlossen die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU aus dem Jahre 2006 gewählt, um die Analyse einerseits, also den Bericht, und die Handlungsempfehlungen andererseits, also die Unterrichtung der Landesregierung, zu vergleichen und zu beurteilen.

In der Koalitionsvereinbarung findet sich in der Präambel der herausgehobene Anspruch, ich zitiere: „Mit einer mutigen Familienpolitik … Mecklenburg-Vorpommern“ in den fünf Jahren der Regierungszeit „zum familienfreundlichsten Land in Deutschland“ zu „machen“,

(Egbert Liskow, CDU: Das schaffen wir.)

wobei Familienpolitik sowie Kinder- und Jugendpolitik als Synonyme gebraucht werden. Die Unterrichtung geht sehr verschämt mit der Koalitionsvereinbarung um. Fast hat man den Eindruck, die Landesregierung hat vergessen, was einst vereinbart wurde.

Kurz zum Bericht: Er gliedert sich im Wesentlichen nach einigen statistischen Übersichten in die Bereiche wirtschaftliche Situation, Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit, Wohnen, gesellschaftliche Integration, Freizeitangebote und Wohnumfeld. Der Bericht belegt die aus anderen Analysen uns bereits bekannten Tatsachen. Mecklenburg-Vorpommern ist bundesweit das Land mit der höchsten Langzeitarbeitslosigkeit, mit den geringsten Nettoeinkommen, mit dem höchsten Anteil von Frauen und Männern, die sogenannte Transferleistungen erhalten, mit der höchsten Kinderarmut, mit dem höchsten Anteil von Kindern, die eine Förderschule besuchen, mit dem höchsten Anteil von Jugendlichen, die ohne einen qualifizierten Abschluss die Schule verlassen, mit der geringsten Abiturquote, mit dem höchsten Anteil von Abbrechern in der Berufsausbildung.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Und da frage ich, Frau Ministerin: Wo ist der soziale Brennpunkt in Mecklenburg-Vorpommern? Vielleicht können Sie uns das einfach noch mal erklären.

Diese Aufzählung der Befunde lässt sich fortsetzen. In dem Zusammenhang nehmen sich die gestrigen Äußerungen des Herrn Ministerpräsidenten mehr als grotesk aus. Wir erinnern uns: In der gestrigen Aktuellen Stunde zum Thema „Bildung und Teilhabe für alle Kinder in Mecklenburg-Vorpommern“ führte der Herr Ministerpräsident sinngemäß aus, Mecklenburg-Vorpommern sei in den vergangenen 20 Jahren deutlich vorangekommen. Großartige Leistungen seien vollbracht, über die alle stolz sein könnten. Ich erinnere noch einmal, es ging eben nicht um die Entwicklung des Städtebaus, die Sanierung der wunderschönen Altstädte, Schlösser und Kirchen in Mecklenburg-Vorpommern, nein, es ging um Bildung und Teilhabe für alle Kinder des Landes, also genau um die Thematik des Berichtes und der Unterrichtung, die hier auf der Tagesordnung stehen.

Verehrte Landesregierung, wir leben in einem Land, wo es vor 20 Jahren undenkbar war, dass Schüler ohne qua

lifizierten Schulabschluss, ohne eine berufliche Ausbildung ins Leben getreten sind, wo am Bildungsstand der Kinder nicht erkennbar war, ob die Mama Professorin oder der Papa Bauer war. Die Einwohner des Landes, so fürchte ich, werden Herrn Ministerpräsidenten nicht verstehen.

(Beate Schlupp, CDU: Die zweite Frau meines Vaters hat keinen Berufsabschluss. – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Frau Schlupp, Sie können sich gern zu Wort melden und mich dann ergänzen.

Ich fürchte aber, die Einwohnerinnen und Einwohner des Landes werden nicht verstehen, worauf man angesichts der Bilanz in diesem Bericht stolz sein kann.

(Egbert Liskow, CDU: Eine Verklärung der Vergangenheit.)

Ich muss allerdings präzisieren, es sind nicht allein die Worte des Ministerpräsidenten, die Widerspruch hervorrufen, es sind das diesen Worten zugrunde liegende Politikverständnis, die darin zum Ausdruck kommenden Anforderungen an ein Bildungssystem, die umstritten sind und in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit abgelehnt werden beziehungsweise keine Resonanz finden.

Lassen Sie mich das begründen: Durch die Empfehlungen der Landesregierung in der Unterrichtung ziehen sich Begriffe wie „unterstützen“, „anleiten“, „informieren“, „beraten“, „Unterstützungsangebote“ und so weiter. In der Unterrichtung ist die Rede von sozial schwachen, bildungsfernen Schichten. Was aber heißt das in einem Land, wo Langzeitarbeitslosigkeit ein Phänomen einer seit Jahrzehnten verfehlten Steuer- und Wirtschaftspolitik des Bundes ist, wie das heute ja hier schon mehrfach thematisiert wurde?

Arbeitslosigkeit ist kein persönliches Versagen, aus dem man durch Beratung, Information, Anleitung wieder herauskommen kann. Arbeitslosigkeit der Eltern heißt ja nicht a priori bildungsfern, auch nicht sozial schwach, heißt jedoch sozial benachteiligt. Denn Langzeitarbeitslosigkeit geht einher mit finanzieller Armut und einer Ausgrenzung aus dem aktiven gesellschaftlichen Leben. Die Betonung liegt bewusst auf „aktiv“. Denn fehlende Möglichkeiten der Eltern, aktiv ihr Leben auf der Grundlage von Arbeit zu gestalten, diese fehlenden Möglichkeiten können nicht durch Beratungen, Anleitungen und Unterstützungen und wie auch immer zum richtigen Umgang mit Geld, wie Sie es ja auch in Ihrem Bericht ausführen, kompensiert werden.