Protocol of the Session on July 8, 2010

Es ist vorgesehen, eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten durchzuführen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

(Toralf Schnur, FDP: Block IV!)

Ich eröffne die Aussprache.

(Jörg Vierkant, CDU: Aktuelle Fassung.)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Ritter von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Innenminister, eigentlich steht am Beginn meines Redekonzeptes ein Lob an die Landesregierung. Aber nach Ihrer letzten Bemerkung oder der Bitte, „gründlich und zügig“ dieses Gesetz zu erarbeiten oder zu bearbeiten, lasse ich das jetzt mal mit dem Lob,

(Heinz Müller, SPD: Sie enttäuschen jetzt.)

weil mir da schon wieder Schlimmes schwant.

(Torsten Renz, CDU: Nee, Herr Ritter! – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Ich habe in den letzten Wochen und Monaten oft genug die Erfahrung machen müssen im Innenausschuss, wie es ist, wenn Gesetze nach dem Willen der Koalition zügig bearbeitet werden sollen. In den meisten Fällen war die Regierung selber daran schuld, weil sie die Gesetze einfach zu spät vorgelegt hat. Ich bitte uns alle darum, auch für dieses Gesetz wirklich die Gründlichkeit an den ersten Punkt zu stellen

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

und nicht zu versuchen, wieder über Geschäftsordnungskniffe hier eine detaillierte Beratung dieses Gesetzentwurfes im Innenausschuss nicht zuzulassen.

(Heinz Müller, SPD: Was heißt „wieder“?!)

Na ja, Herr Müller, ich habe das vorhin beim KiföG erst deutlich gemacht. Erst abschließende Beratungen drei Tage nach einer Anhörung, das ist schon ein bisschen heftig.

(Toralf Schnur, FDP: Das stimmt.)

Okay, lassen wir das.

Ich meine dennoch, das will ich neidlos anerkennen, die Idee, das Kommunalwahlgesetz, das Landeswahlgesetz und das Wahlprüfungsgesetz zusammenzulegen, dass man dem durchaus einiges abgewinnen kann. Denn wenn man das gut anpackt und wenn man das gründlich macht, kann das durchaus ein gelungenes Beispiel für Deregulierung im Lande sein. Die Frage ist aber, ob dieses neue Landeswahlrecht dann auch den Anforderungen an ein modernes Wahlrecht entspricht. Dazu gehört freilich mehr als nur das Zusammenstricken einzelner Gesetze. Erforderlich ist aus unserer Sicht vor allem eine

inhaltliche Weiterentwicklung des Wahlrechtes. Und vielleicht ist da schon eine Trennlinie zwischen „gründlich“ und „zügig“.

Der Innenminister hatte ja selber aufgeführt, dass das Wahlrecht seit 1993 nicht mehr umfassend auf den Prüfstand gestellt wurde. Der Innenminister meint, dies hinreichend getan zu haben. Ihm fielen, das merkt man ja an dem vorliegenden Gesetzentwurf, vor allem zwei Dinge auf: Zum einen sollen die sogenannten Scheinkandidaturen erschwert werden oder verhindert. Bewerben sich künftig hauptamtliche Bürgermeister oder Landräte oder Bürgermeisterinnen oder Landrätinnen um einen Sitz in einem Kommunalparlament, müssen sie vor der Wahl erklären, ob sie ihr Amt weiterführen oder stattdessen das Mandat annehmen wollen. Ich glaube, in den meisten Fällen können wir uns ausrechnen, was dabei herauskommt. Gegen eine solche Absichtserklärung ist nichts einzuwenden. In der Tat gab es in der Vergangenheit, ich will das gar nicht verhehlen, parteiübergreifend Fälle, wo Amtsinhaber ihre Popularität genutzt haben und kandidierten, das Mandat dann aber nicht angenommen haben. Und aufgrund eines guten Wahlergebnisses jedoch haben sie dann anderen zu einem Sitz in der Vertretung verholfen. Nun soll Klarheit darüber geschaffen werden, vor allen Dingen für die Wählerinnen und Wähler. Und das finden wir durchaus in Ordnung.

Ich frage mich aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob diese Regelung nicht auch vielleicht für Landesminister gelten sollte. Es gab Fälle, wo auch Landesminister für Kreistage kandidiert haben und das Mandat dann aus verschiedenen Gründen nicht angenommen haben.

(Toralf Schnur, FDP: Das stimmt. – Zuruf von Hans Kreher, FDP)

Gut, das mag ja bei Ministerinnen oder Ministern auch anders sein. Aber ich frage ja nur, von wegen „zügig“ und „gründlich“.

(Toralf Schnur, FDP: Der ist gut.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine zweite inhaltliche Neuerung ist die Verpflichtung aller Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl eines Bürgermeisters oder eines Landrates, vorab schriftlich zu erklären, ob sie eine Tätigkeit für die Staatssicherheit ausgeübt haben, vorausgesetzt sie hatten am 15. Januar 1990 das 18. Lebensjahr bereits vollendet. Die Landesregierung begründet dies damit, dass eine öffentliche Diskussion stattfinden sollte und die Bürgerinnen und Bürger am Ende selbst entscheiden können im Wissen um die Vergangenheit der Kandidatinnen und Kandidaten. Auch diesem Vorschlag wird sich meine Fraktion nicht verschließen. Allerdings bin ich schon jetzt auf die Debatten gespannt, die spätestens nach dem 31. Dezember 2011 eintreten werden,

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

denn dann tritt die Regelung aufgrund der Koppelung an die entsprechende Vorschrift des Stasiunterlagengesetzes außer Kraft. Und was dann? Noch einmal verlängern? Ich weiß es nicht. Vielleicht bekommen wir aber in einer gründlichen Beratung dieses Gesetzentwurfes im Innenausschuss dazu eine Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Toralf Schnur, FDP: So ist es.)

Ich hatte eingangs die Frage aufgeworfen, ob wir es bei dem Gesetzentwurf wirklich mit einem modernen Wahl

recht zu tun haben. Zunächst einmal empfand es der Innenminister offenbar als modern, öffentlich Beschäftigten keine Aufwandsentschädigung zu zahlen, wenn sie ehrenamtlich als Wahlhelferin oder Wahlhelfer mitmachen. So lautet die Regelung in der ersten Fassung. Sparen beim Ehrenamt, das war nicht die feine Art und das ist auch nicht modern. Zum Glück hat sich der Innenminister vom Gegenteil überzeugen lassen. Im Gesetzentwurf sind die entsprechenden Passagen plötzlich – aber zum Glück – verschwunden. Das ist gut so.

(Toralf Schnur, FDP: Ich hatte keinen Gesetzentwurf.)

Nicht verschwunden, weil leider gar nicht erst enthalten, sind aber Regelungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die dem Wahlrecht in Mecklenburg-Vorpommern einen wirklich modernen Anstrich gegeben hätten. Ich rede hier vom aktiven Wahlrecht ab 16 Jahren bei den Landtagswahlen. An dieser Stelle blieb der Innenminister mutlos. Das ist nicht nur für mich vollkommen unverständlich.

(Gabriele Měšťan, DIE LINKE: Sehr schade!)

Was spricht eigentlich gegen die Absenkung des Wahlalters auch bei Landtagswahlen auf 16 Jahre? Bei den Kommunalwahlen können Jugendliche ab 16 Jahre bereits seit über zehn Jahren in unserem Land wählen. Kommunalwahlen sind keine Wahlen von geringer Bedeutung.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Was hält uns also davon ab, die Ungleichbehandlung zu überwinden? Im Ergebnis werden immer wieder Vorurteile dagegen vorgebracht. Die etwa befürchtete sogenannte Jugendwählerradikalität ist dabei nachweislich ein Mythos. Ich will nicht verschweigen, dass wir nicht zufrieden sind mit dem Gebrauch des Wahlrechtes P 16 auf der kommunalen Ebene. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

das ist kein Vorwurf an die Jugendlichen, das ist zunächst ein Vorwurf an die erwachsenen Wählerinnen und Wähler. Denn welchen Grund sollte ein Jugendlicher am Wahlsonntag haben, in das Wahllokal zu gehen, wenn seine Eltern zu Hause bleiben?

(Udo Pastörs, NPD: Das fragen sich manche auch, warum sie da überhaupt hingehen. Immer dieselbe Soße. – Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Aber deswegen den Jugendlichen ab 16 Jahren zum Beispiel nicht die Möglichkeit zu geben, auch schon bei Landtagswahlen mitentscheiden zu können, das wäre die falsche Schlussfolgerung.

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Zahlreiche Experten befürworten daher auch eine Absenkung des Wahlalters seit vielen Jahren. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat sich positiv geäußert. Das Land Bremen hat bereits gehandelt und in Berlin will neben der LINKEN nun auch die SPD ran.

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Es wird also entsprechende Regelungen auch im Land Berlin geben. Mecklenburg-Vorpommern sollte sich nicht länger sträuben und auch das Wahlrecht bei den Landtagswahlen ab 16 Jahren einführen.

Ich bitte Sie, Herr Minister, bei einer gründlichen Beratung dieses Gesetzentwurfes im Innenausschuss den Blick nicht länger vor den Realitäten, vor den aktuellen Entwicklungen zu verschließen. Wir sollten den Jugendlichen auch in Mecklenburg-Vorpommern die Chance geben, sich aktiv und rechtzeitig auch auf Landesebene in Politik einzumischen. Ich denke, auch die Junge Union wird diesem Anliegen offen gegenüberstehen.

Ich kündige bereits an dieser Stelle an, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass meine Fraktion auf eine entsprechende Änderung im Gesetzentwurf drängen wird. Das heißt, dass wir einen entsprechenden Änderungsantrag einbringen werden. Wir hoffen an dieser Stelle auf eine gründliche Beratung dieses Vorschlages. Es sollte also notwendig sein, dass wir zum Gesetzentwurf eine Anhörung durchführen, die ich hiermit namens meiner Fraktion bereits ankündige.

Ich muss zum Zweiten leider auch feststellen, dass im Gesetzentwurf keine Regelungen zum Wahlrecht für Drittstaatenangehörige enthalten sind.

(Stefan Köster, NPD: Wir leben in Deutschland.)

Auch das sehen wir für ein modernes Wahlrecht als notwendig an. Das ist aber kein Vorwurf an die Landesregierung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist dies nicht möglich. Aber warum? Stellen wir diese Frage erneut in den Mittelpunkt. Seit mittlerweile über 20 Jahren wird diese Frage in der Bundesrepublik diskutiert. Auch der Landtag – also auch wir – hat bereits Ende 2007 Initiativen der Bundesregierung zur Prüfung der Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländerinnen und Ausländer, die keine EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sind, begrüßt,

(Michael Andrejewski, NPD: Am besten mit doppeltem Stimmrecht. – Raimund Frank Borrmann, NPD: Auch für Amerikaner. – Udo Pastörs, NPD: Für alle!)

passiert ist allerdings nichts.