Protocol of the Session on June 29, 2006

Ich sage hier noch einmal, ich mache der betreffenden Staatsanwältin nicht den Vorwurf, dass sie an diesem Tag die Prüfung nicht so durchgeführt hat, wie man es hätte tun müssen, um überhaupt zum Inhalt der Frage zu kommen: Lagen die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor? Ich sage jetzt aber auch, weshalb es so entscheidend ist, denn wenn es keine Anhaltspunkte für neue Tatsachen gegeben hätte, dann könnte man sagen: Na gut, eine sorgfältige Prüfung hat nicht stattgefunden, aber letztlich wäre das Ergebnis dasselbe gewesen. Dies wäre ein fataler Irrtum.

Bezeichnenderweise haben gerade die Sachverständigen, die sich mit dem Fellert-Gutachten intensiv auseinander gesetzt haben und die über eine langjährige Berufserfahrung im Gegensatz zu der Staatsanwältin verfügen, Folgendes ausgesagt: Die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof des Zweiten Strafsenats, Frau Dr. Rissingvan Saan, hat uns erläutert, dass sie etwa zweieinhalb Tage gebraucht hat, um die Akten durchzuarbeiten. Was lag ihr vor? Ihr lag unter anderem das vor, was Entscheidungsgrundlage sein muss für eine so schwerwiegende Fragestellung – das haben die anderen Sachverständigen deutlich gemacht –, nämlich eine fünfbändige Gefangenenpersonalakte. Und sie hat gesagt, es ist so, wie der Vorsitzende es dargestellt hat. 14 Disziplinarverstöße, wenn man sich die einzeln anguckt, mehr oder weniger Lappalien, aber das ist nur bei oberflächlicher Betrachtungsweise so. Das Entscheidende ist, 1998 zum Zeit

punkt der Verurteilung wurde Maik S. noch als therapiefähig angesehen. Ich habe das vorhin ausgeführt. Jetzt kommt ein Disziplinarverstoß zum anderen. Jetzt zeigt sich eine permanente Arbeitsverweigerung und jetzt zeigen sich andere Verhaltensauffälligkeiten. Die sind zwar im Fellert-Gutachten auch angesprochen, aber das kann nicht das Studium der originären Primärakten ersetzen. Also sie hat zweieinhalb Tage dafür gebraucht, um zum Ergebnis zu kommen. Ja, da gibt es nicht nur Hinweise, sondern die sind so deutlich. Und das Gleiche hat derjenige gesagt, der als einziger der Sachverständigen, die wir hier gehört haben, entsprechende praktische Erfahrungen hatte. Ich habe ihm gesagt, schon sechsmal hat er entsprechende Gutachten erstattet, viermal ist ihm das Gericht gefolgt, die beiden anderen Entscheidungen stehen noch aus. Auch er sagt: Wir haben eine geradezu dramatische Persönlichkeitsveränderung feststellen müssen im Laufe des Vollzugs, was nicht verwunderlich ist, wenn einer als 21-jähriger Sexualstraftäter verurteilt wird, dann nicht therapiert wird und nachher 28 ist. Aber als Frau Fellert das Gutachten erstattet hat, war er 28 Jahre alt. Und jetzt muss man dieses Gutachten genau lesen. Der Minister hat immer gesagt, da steht drin: Der ist nach wie vor gefährlich. Das trifft zu, Herr Minister. Ich habe ja eben gesagt, da brauche ich nur den letzten Absatz des Gutachtens zu lesen. Aber wenn man diese 130 Seiten wirklich studiert – übrigens auch der Professor Osterheide hat wesentlich mehr Zeit dafür gebraucht, wie er uns selbst gesagt hat, als die Betreffende völlig unerfahren und mit ganz anderen Dingen auch befasste Staatsanwältin –, wenn man sie sorgfältig studiert, dann kommt man bei diesem Gutachten dazu, dass es eben nicht aussagt, hier besteht eine Gefährlichkeit einfach fort. Warum – und diese Frage ist ja nicht nur ihm gestellt worden – konnte man das denn nicht so glasklar aus dem Gutachten entnehmen, dass es sich hier um eine gesteigerte Gefährlichkeit handelt? Und das hat die Sachverständige bei den 14 Disziplinarstrafen deutlich gemacht. Die Gesamtschau, das, was an Persönlichkeit aus diesen einzelnen Vorgängen heraus deutlich wird, warum ist denn das nicht deutlicher im Fellert-Gutachten angesprochen worden?

Die Antwort ist ganz einfach: Frau Fellert hat nach allem, was wir schon aufgrund des Gutachtens wissen, als Zeugin, als sachverständige Zeugin hier die Aussage verweigert, ebenso wie Dr. Orlob. Die Sachverständige Fellert hatte einen ganz klaren Auftrag, als das Gutachten erstellt wurde am 30. Januar 2005. Was war der Auftrag dieses Gutachtens? Sie sollte dem Gericht die Frage beantworten: Kann eine vorzeitige Haftentlassung in Frage kommen? Kann die Freiheitsstrafe, die planmäßig am 8. Juli zu Ende war, verkürzt werden? Also Strafaussetzung zur Bewährung? Nur diese Frage hatte sie zu beantworten. Und darauf hat sie ganz eindeutig geantwortet: Das kann nicht verantwortet werden, weil Maik. S. in besonderer Weise gefährlich ist. Sie hat sogar eine Prognose sehr sorgfältig erarbeitet. Ich bin kein entsprechender Sachkundiger, der sich im Einzelnen zu solchen Inhalten äußern kann, aber das Gutachten macht es deutlich und andere Sachverständige haben uns das vor Augen geführt. Aus diesem Gutachten ist ganz klar zu ersehen, hier besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Maik S. in besonders gefährlicher Weise rückfällig wird, wenn er freigelassen wird. Und da die Fragestellung nur war: Ist eine vorzeitige Haftentlassung möglich? War die Antwort genauso ganz klar: Nein!

Genau das ist der Ansatzpunkt, wo die Staatsanwaltschaft, wenn sie denn in die Lage versetzt worden wäre,

dass man sie rechtzeitig mit den nötigen Informationen versorgt hätte, aufgerufen gewesen wäre zu sagen: Genau diese Frage, ob eine gesteigerte Gefährlichkeit vorliegt gegenüber dem Tatzeitpunkt, dem Verurteilungszeitpunkt 1998, genau diese Frage lasse ich jetzt gutachterlich untersuchen. Dieser Antrag ist unterblieben. Dass er rechtlich zulässig war, das haben uns die Sachverständigen hier eindeutig vor Augen geführt.

Darin liegt die Tragik, dass die Staatsanwältin hier zwar gesagt hat, sie hätte anhand des Gutachtens den Gedanken gehabt, dass vielleicht auch nachträgliche Sicherungsverwahrung in Frage kommt, dann hat sie mit dem Kollegen gesprochen. Ich habe das Gespräch eben geschildert. Aber sie hat zu dem Zeitpunkt keine Chance gehabt, sich wirklich mit dem Gutachten so auseinander zu setzen, wie es notwendig gewesen wäre, wenn man ihr die vollständigen Akten einschließlich Gefangenenpersonalakte rechtzeitig vorgelegt hätte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt weitere Sachverhalte, auf die ich kurz eingehen möchte. Wie gesagt, ich habe diesen Teil eben bewusst sehr viel kürzer gehalten, als ich es eigentlich vorhatte. Aber damit man sich hier nicht auf eine Rechtsfrage zurückzieht und nachher sagt: Das hat der Ausschussvorsitzende so dargestellt. Rechtsfragen kann man unterschiedlich beantworten. Wenn die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht angeordnet worden wäre, dann wäre Maik. S. trotzdem zum selben Zeitpunkt freigelassen worden. Genau, weil das nicht passieren darf, sondern weil man die ganzen anderen schwerwiegenden Dinge im Auge haben muss, habe ich das jetzt gekürzt. Ich möchte noch auf Folgendes hinweisen, auch das werde ich jetzt verkürzt machen:

Und zwar die Frage: Was hat es eigentlich mit dem Strafverfahren im Hinblick auf die Vergewaltigung eines zwölfjährigen Jungen im Jahre 1995 auf sich? Ich muss das in aller Deutlichkeit sagen. Der Kollege Mohr hat eben insofern zutreffend das Mehrheitsvotum hier wiedergegeben. Die Behauptung, dieser Fall sei für die Frage, ob Maik S. hätte in nachträgliche Sicherungsverwahrung genommen werden können oder nicht, schon deshalb irrrelevant, weil sich das damalige Opfer – das Opfer aus dem Jahre 1995 – erst aufgrund der Presseberichterstattung im Zusammenhang mit dem Mord an der Carolin gemeldet hätte, und das sei ja nun nach der Haftentlassung des Maik S. gewesen, also hätte nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden können. Wenn das so wäre, dann hätten Sie alle vollkommen Recht. Aber genau das ist nicht der Punkt, auf den es ankommt, sondern es geht um etwas ganz anderes.

Wir haben das, was ich jetzt sage, ja nur durch einen reinen Zufall im Ausschuss aufdecken können. Ich erinnere mich noch ganz genau daran. Wir hatten die Staatsanwältin Below gehört, und sie hat mehr oder weniger für uns alle überraschend berichtet: Ja, ich war schon seit 1995 zuständig für diesen Fall des Zwölfjährigen, und war es auch wieder im Jahre 2005. Dann haben wir gesagt, meine Fraktion im Untersuchungsausschuss: Wir möchten diese Staatsanwältin noch einmal hören. Ich weiß noch, und das ist in Ordnung, und ich mache keinen Vorwurf daraus, die Kollegen haben uns gefragt: Ist das denn wirklich nötig? Brauchen wir die hier noch einmal? Was wir bei der zweiten Vernehmung erfahren haben, das muss ich ehrlich sagen, hat einige von uns bald umgehauen. Nicht nur, dass wir eine Staatsanwältin erlebt

haben, die hier in einem Ausbruch erklärt hat, diesen Kerl könnte ich umbringen – damit war der Polizeibeamte gemeint, der ihr wichtige Informationen vorenthalten hat –, sondern wir haben durch einen reinen Zufall Informationen bekommen, an die wir sonst nie gelangt wären. Und diese Informationen zeigen, wie wichtig der Zusammenhang ist.

Was ist passiert? Im Jahre 1995 wird ein Zwölfjähriger vergewaltigt. Es wird Anzeige erstattet – ich gebe das alles insoweit unstreitig wieder, was die Beweisaufnahme ergeben hat –, die Eltern gehen mit dem Jungen zur Polizei und die Polizei bringt ihn zum Arzt. Der Arzt entnimmt Proben. Es werden weitere Beweismaterialien sichergestellt. Folgende Beweismaterialien sind dann vorhanden: Es handelt sich um zwei Sekretspuren aufgrund eines Abstrichs, den der Arzt vorgenommen hat, um ein Bonbonpapier und um eine Zigarettenkippe. So und jetzt findet etwas statt, von dem ich nur hoffen kann, dass das inzwischen nicht unmöglich ist, weil die Staatsanwältin – das Protokoll kann ich nur jedem empfehlen, das steht ja jetzt, wenn ich unser Gesetz richtig lese, auch zumindest den Abgeordneten des Hauses zur Verfügung, weil man das sonst nicht glauben kann –, die Staatsanwältin Below hat hier klar gemacht: Die Polizei hat diese Proben an das Gerichtsmedizinische Institut in Rostock gegeben und hat angeordnet, dass die Proben zu untersuchen sind auf Spermaspuren und auf Fingerabdrücke. Beides negativ. Die Staatsanwältin sagt, sie hat von diesem ganzen Vorgang nichts mitbekommen, obwohl nach dem Gesetz eindeutig die Staatsanwältin die Herrin des Verfahrens ist, die Polizei ist insofern Hilfsbeamter. Sie hat auch nichts davon mitbekommen, dass sie das Verfahren weitergegeben haben an die Kriminalinspektion in Rostock. Stattdessen, da die Ergebnisse negativ waren, ist das ganze Verfahren von ihr – und das halte ich allerdings auch für mehr als bedenklich – nach einem halben Jahr endgültig eingestellt worden, nach einem halben Jahr, immerhin Vergewaltigung eines Zwölfjähigen, eingestellt worden, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte.

Wozu führt das in der Praxis? Ich hatte neulich Gelegenheit, mich mit sehr erfahrenen Kollegen darüber zu unterhalten. Das führt natürlich dazu, dass die Polizei keine Akten mehr hat. Und wenn das Verfahren endgültig eingestellt ist, gibt sie die Akten an die Staatsanwaltschaft zurück. Jetzt kommt das betreffende Opfer ein bis zwei Jahre nach der Tat in eine Tankstelle und sagt, ich habe den Täter wiedererkannt, meldet sich bei der Polizei, die haben aber keine Akten mehr. Fest steht, obwohl er Teile des Kennzeichens angegeben hat, das Kennzeichen nicht ermittelt worden ist, fest steht, obwohl ein Film aufgezeichnet worden ist, der Film überspielt worden ist, weil die Polizei das nicht rechtzeitig sichergestellt hat, was allerdings nicht verwunderlich ist, für mich nicht verwunderlich ist angesichts der Tatsache, dass das Verfahren endgültig eingestellt war. Trotzdem ist es natürlich nicht ordnungsgemäß, man müsste in einem solchen Fall dann auch mit allem Nachdruck der Sache nachgehen.

Aber jetzt kommt der Punkt, weshalb ich sage, hier ist es schon äußerst wichtig, den Zusammenhang zu sehen, das nicht irgendwie vom Tisch wischen zu wollen, weil wir sonst wieder bei dem Punkt sind, dass da, genau da, wo es anfängt notwendig zu werden, dass Konsequenzen gezogen werden, sie nicht gezogen werden.

Was ist dann tatsächlich passiert? 2005 nach der Presseberichterstattung hat sich das damalige Opfer

gemeldet und gesagt: Er meine, eine Ähnlichkeit mit dem Täter erkannt zu haben, der ihn vergewaltigt hat. Und dann hat die Polizei, so, wie es ganz normal ist, entsprechende Vergleichsbogen mit Fotografien hergestellt. Das Interessante ist, der eine Bogen beziehungsweise zwei Bögen enthalten Fotografien, auf denen unter anderem auch Maik S. abgebildet ist zum Tatzeitpunkt, also 1995. Und man hat ihm Fotografien vorgelegt mit Bildern von 2005. Und jetzt sage ich Ihnen, diejenigen, die Aufnahmen von Maik S. gesehen haben, ich kann Ihnen nur sagen, wenn Sie mir die Vergleichsfotos von 1995 vorlegen und sagen würden, ordne dem Foto mal eines aus dem Jahr 2005 zu, wäre ich dazu nicht in der Lage. Er hat sich völlig verändert in seinem Aussehen.

Aber das Entscheidende ist, das damalige Opfer hat immerhin zehn Jahre später, also im Jahre 2005, bei den Vergleichsfotos – und so sagt es der Polizeibericht – gesagt: Der hat die größte Ähnlichkeit mit ihm. Das war zehn Jahre her. Und wer war das, der die größte Ähnlichkeit hatte? Es war Maik S.

Jetzt will ich Ihnen deutlich machen, warum genau das so entscheidend ist für die Frage: Hätte nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden können? Und was noch viel entscheidender ist: Wäre Maik S. zwangsläufig freigelassen worden am 8. Juli 2005, wenn dieser Fall ordnungsgemäß bearbeitet worden wäre?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe eben gesagt, durch einen Zufall sind wir dahinter gekommen. Zunächst wollte uns die Staatsanwältin glauben machen, 1995 war das nicht Stand der Technik, dass man DNA-Analysen machte. Aber sie ist widerlegt worden durch ein Protokoll. In diesem Zusammenhang hat sie gesagt: Diesen Polizeibeamten könnte ich umbringen. Widerlegt wird das durch ein Protokoll, von dem sie gar nicht wusste, dass es noch da ist, das wir zufällig bekommen haben. Sie hat es uns aber gegeben, das muss man fairerweise sagen. Sie hat sich wirklich um Aufklärung bemüht. Aber in diesem Protokoll, das hat zunächst gar keiner gemerkt, ist vermerkt, was mit den Spuren geschehen ist. Daraus ergibt sich, die Staatsanwältin – der Kollege Krumbholz hat es da – hat überhaupt nichts angeordnet, sondern da wird gefragt: Zu vernichten die Proben, ja oder nein? Schon das ist nicht angekreuzt worden. Aber es ist deutlich, dass das alles nicht auf Weisung der Staatsanwaltschaft geschehen ist.

Jetzt kommt es ja noch doller. Das Gerichtsmedizinische Institut hat eine Rechnung vorgelegt – nachdem uns die Staatsanwältin vorher noch gesagt hat, 1995 DNAAnalysen, das war alles nicht möglich –, somit wussten wir durch einen glücklichen Umstand, dass das bereits 1992 zum Beispiel im Bundesland Hessen selbstverständlich war, dass man DNA-Proben nahm und auch Vergleichsanalysen mit Strafgefangenen durchführte, die entsprechend bestraft einsitzen. Aber hier ging das angeblich nicht. Dann haben wir die Rechnung des Gerichtsmedizinischen Instituts gesehen. Und was ergibt sich aus der Rechnung? Allein sechs verschiedene Kategorien weisen DNA-Analysen der unterschiedlichsten Art aus. Es gibt eine Originalrechnung des Medizinischen Instituts der Universität Rostock. Hätte die Staatsanwaltschaft, so, wie es das Gesetz zwingend vorsieht, als Herrin des Verfahrens, das angeordnet, was mit den Proben zu geschehen hat, Zigarettenkippe ist völlig unstrittig, dass da eine hohe Wahrscheinlichkeit ist, dass man DNA-Spuren findet, Sekretspuren ist völlig unstrittig, dass eine hohe Wahr

scheinlichkeit besteht, was hinsichtlich des Bonbonpapiers ist, weiß ich nicht. Nur das alles hat nicht stattgefunden und jetzt sage ich, warum das für diesen Fall die entscheidende Rolle spielt: Wäre seinerzeit bei den Spuren, die sichergestellt wurden, ordnungsgemäß verfahren worden, die Staatsanwältin hätte der Polizei gesagt, lasst diese Spuren untersuchen und zwar auf DNA, dann hätten wir seit 1998 bis 2005 die Möglichkeit gehabt, den Nachweis zu führen, wenn Maik S. der Täter war, dass er das tatsächlich ist. Das ist eine Frage der Computeranalyse von Stunden und nicht von Tagen oder Wochen.

Genau das muss routinemäßig durchgeführt werden. Ich weiß allerdings, was wir hier für Auseinandersetzungen hatten, als der Minister damals sogar noch unserer Fraktion folgen wollte, nachdem wir beim Gerichtsmedizinischen Institut in Rostock waren und uns davon überzeugen konnten, wie viel man mit DNA-Analysen erwirken kann. Da war es der damalige Kollege Neumann, der datenschutzrechtliche Bedenken hatte. Damals sind wir mit einem Antrag gescheitert,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Hm! – Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS: Ja.)

als wir die DNA-Analyse ausweiten wollten. Dass das Stand der Technik war, ist überhaupt keine Frage. Also von 1998, das ist der Zeitpunkt, wo Maik S. in die Haftanstalt eingewiesen worden war, bis zum 7. Juli 2005 hätte ein Vergleich durchgeführt werden können, wenn man Spuren gehabt hätte. Und deshalb sage ich: Wenn Maik S. der Täter war, dann hätte man mit diesen Spuren den Nachweis führen können, dann wäre er niemals freigekommen am 8. Juli. Das steht ganz eindeutig fest. Entweder wäre nachträgliche Sicherungsverwahrung sofort erst einmal vorläufig angeordnet worden oder es hätte ein neues Strafverfahren gegeben. Dieses ist ja …

(Birgit Schwebs, Die Linkspartei.PDS: Wenn, wenn, wenn!)

Ja, ganz genau, Frau Borchardt, wenn, wenn, wenn!

(Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS: Ich habe gar nichts gesagt.)

Aber wenn man die notwendigen Arbeiten nicht durchführt, dann hat man natürlich keine Chancen, den Täter zu überführen. Dazu ist die Polizei da, das zu machen, und die Staatsanwaltschaft, das Verfahren zu leiten. Wenn man das alles unterlässt, hat man auch keine Chance, entsprechende Nachweise zu führen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Logisch.)

Aber Ihre Behauptung, dieser ganze Fall hätte nichts mit der Frage zu tun, ob hier nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, weil sich das Opfer erst nach dessen Freilassung gemeldet hat, das ist geradezu abenteuerlich und das zeigt,

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

dass Sie offensichtlich entweder nicht in der Lage waren, es nachzuvollziehen, oder es nicht verstehen wollten, warum es gerade so entscheidend war, dass die Spuren gesichert wurden und hier auch ein Abgleich stattgefunden hat.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist richtig.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt kommt in diesem Zusammenhang noch etwas, das kann über

haupt nicht mehr hingenommen werden, und zwar die Tatsache, dass wir das, was ich eben dargestellt habe, im Untersuchungsausschuss nicht aufklären konnten, weil in einer ganz und gar unglaublichen Art und Weise schlicht festgestellt wurde, fälschlicherweise sind die Akten vernichtet worden, die dieses Verfahren mit dem 12-Jährigen betreffen, und zwar drei Jahre vor Ablauf der Verjährungsfrist. Das muss man sich mal vorstellen!

(Dr. Armin Jäger, CDU: Unvorstellbar, unvorstellbar!)

Die Staatsanwältin Below hat uns hier gesagt, wie so etwas möglich ist. Keiner kann sagen, wer es angeordnet hat? Da fragte ich diesen Generalstaatsanwalt: Wie ist so etwas möglich, dass Akten vernichtet werden ohne dass man wenigstens nachher noch feststellen kann, wer die Vernichtung eigentlich angeordnet hat.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist zwingend.)

Dann sagt uns die Staatsanwältin Below hier auch noch, ihres Wissens seien sogar Schüler und Praktikanten im Archiv tätig.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das kann nicht wahr sein!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da kann ich nur sagen: Hier muss wirklich alles, aber auch alles getan werden, damit sichergestellt wird, dass solche Akten solange aufbewahrt werden, wie es das Gesetz vorschreibt, und das ist wesentlich länger als der Ablauf der Verjährungsfrist, und dass Spuren gesichert werden, damit man, selbst wenn die Verjährungsfrist abgelaufen ist, später noch eine Zuordnung vornehmen kann. Keiner konnte uns im Ausschuss sagen, ob es diese Spuren noch gibt und wenn ja, wo sie sind. Es ist schlicht Schweigen im Walde und das ist unerträglich.

Was ist im unmittelbaren Zusammenhang mit der Freilassung des Maik S. passiert? Hier muss man sich Folgendes vorstellen: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung war nicht beantragt, die Haftentlassung stand bevor. Und nun ist etwas passiert, was man nur sehr, sehr schwer nachvollziehen kann, dass das möglich ist. Die Bewährungshelferin, die die Führungsaufsicht bei Maik S. wahrnehmen sollte, wurde, und das, Herr Minister, ist ausdrücklich zu begrüßen, relativ früh, nämlich im April 2005 i n die Justizvollzugsanstalt gebeten. Da hat man sie darauf hingewiesen, demnächst, nämlich im Juli, wird Maik S. freigelassen und Sie sind dann für ihn zuständig. So weit, so gut. Das, was ganz fatal ist, ist Folgendes: Der Diplompsychologe, der hier schon des Öfteren angeführt worden ist, hat uns erklärt: Ich habe Maik S., und zwar zum Zeitpunkt der Haftentlassung wie auch im Januar, als nicht gefährlich angesehen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Und was ist der Bewährungshelferin vermittelt worden? Hier gibt es einen Strafgefangenen, der entlassen wird. Der ist hoch motiviert, der ist therapiewillig und soll – weil wir zu spät damit angefangen haben, wenn er freigelassen wird – seine Therapie fortsetzen, der will das auch. Der kommt von sich aus in die Haftanstalt, um ambulant diese Therapie durchzuführen. Man hat ihr, dieser Bewährungshelferin, den Eindruck vermittelt, er sei hoch motiviert. Es gibt allerdings eine Entscheidung, dass er nicht vorzeitig aus der Haft entlassen wird und ein entsprechendes Gutachten. Dieses Gutachten kannten weder die Bedienste

ten, die das Gespräch mit mir geführt haben, geschweige denn sie selbst. Der betreffende Diplompsychologe hat uns gesagt, welchen Schock er erlitten habe, als er das Gutachten nach der Ermordung der Carolin gelesen hat.

Und hier muss ich sagen, das kann nicht sein, dass wir im Januar, am 30. Januar, ein Gutachten von über 130 Seiten haben, in dem die Gefährlichkeit eines Strafgefangenen im Einzelnen dokumentiert wird, und zum selben Zeitpunkt sind Psychologen der Anstalt der Meinung, sie sind das auch noch drei Monate später, der Betreffende ist therapiewillig, das ist eigentlich ein Gutmütiger und wenn der freigelassen wird, kommt der freiwillig in die Anstalt, um sich hier ambulant behandeln zu lassen. Es muss sichergestellt sein, dass solche Erkenntnisquellen allen zur Verfügung stehen, die mit einem solch gefährlichen Straftäter zu tun haben. Das gilt erst recht, wenn es um Führungsaufsicht geht.

Wenn ich schon zum Ergebnis komme, ich muss den freilassen, dann muss alles, aber auch alles getan werden, dass diese Informationen an die Bewährungshelferin kommen. Es muss allerdings auch sichergestellt werden, dass diese Bewährungshelferin nicht, wie es im vorliegenden Fall war, noch 80 weitere Probanten zu betreuen hat, sondern es muss, wie es in anderen Bundesländern schon erfolgreich gemacht wird, die Bewährungshelferin speziell solch gefährlichen Tätern zugeteilt werden, und da muss man von dem üblichen Schlüssel 1:80 abweichen. Der mag ja noch in Ordnung sein, wenn es um Seriendiebe und alles Mögliche geht, aber nicht, wenn es um gefährliche Sexualverbrecher geht. Dann muss man den so eng, wie das Gesetz es überhaupt nur erlaubt, führen und es muss hinzukommen, die Polizei muss informiert werden, dass derjenige freigelassen wird. Und wer mir hier mit Datenschutz kommt, dem muss ich wirklich sagen, der soll das einmal den Betroffenen ins Gesicht sagen, den Opfern derjenigen, die umgebracht werden. Der soll denen einmal sagen, aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen wir die Polizei nicht informieren, wenn wir einen als gefährlich Erkannten freilassen, weil wir der Meinung sind, rechtlich müssen wir ihn freilassen. Meine Damen und Herren, da hört bei mir der Spaß mit Datenschutz auf. Hier gilt der Schutz der Allgemeinheit und da hat alles andere zurückzutreten. Das ist nicht erfolgt und es ist schlimm, dass solche Möglichkeiten vielleicht auch erst geschaffen werden müssen.

Und jetzt komme ich zum Schluss dazu, was der Minister bisher immer als konsequent angekündigt hat. Der Minister hat gesagt: Wir müssen die nachträgliche Sicherungsverwahrung gesetzlich noch stärker ausgestalten als das jetzt der Fall ist. Abgesehen davon, dass der von der Koalition immer wieder bemühte sachverständige Professor Renzikowski die jetzige Ausgestaltung für verfassungswidrig hält, ist jedenfalls unstreitig, Herr Minister, das wissen Sie auch, dass wir verfassungsmäßig keinen großen Spielraum mehr haben, um die Sicherungsverwahrung verschärfen zu können.

Ich halte Ihnen jetzt einmal entgegen, was Sie in einem Fachvortrag am 27. Januar 2003 im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposiums „Sexualdelinquenz im Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit, Justiz und forensische Psychiatrie“ am 27. Januar 2003 in Rostock-Warnemünde gesagt haben. Herr Minister Sellering, ich sage Ihnen nur, ich stimme Ihnen über weite Passagen, was Sie gesagt haben, zu. Sie sagten nämlich: Aus der Bevölkerung kommt nach spektakulären schwersten Straftaten

der Ruf nach einem schärferen Sexualstrafrecht. Daran ist vor allem eines richtig, es kann und darf nicht sein, dass wir aus rechtlichen Gründen gehindert sind, einen Täter weiter festzuhalten in Sicherungsverwahrung oder im Maßregelvollzug, wenn durch Gutachten feststeht, dass nach seiner Entlassung eine ganz erhebliche Rückfallgefahr besteht, dass er, wie es jüngst mündlich in einer Urteilsbegründung hieß, eine wandelnde Zeitbombe ist. Also, das darf nicht sein. Solche gefährlichen Sexualstraftäter müssen, wenn nötig, für immer weggeschlossen werden. Wenn sich herausstellt, dass dazu noch rechtliche Lücken geschlossen werden müssen, werden wir das tun. Allerdings halte ich es für kontraproduktiv, wenn sich die Diskussion darüber, wie wir den höchstmöglichen Schutz der Bevölkerung gewährleisten können, darin erschöpft, über immer neue Strafverschärfungen nachzudenken. Wir haben sehr viel getan auf diesem Gebiet. 1998 und noch einmal letzten August haben wir die Möglichkeit im Sinne eines verbesserten Schutzes der Bevölkerung, Sicherungsverwahrung zu verhängen, erweitert und verbessert. Wir dürfen bei all unseren Bemühungen – fahren Sie fort –

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)