Protocol of the Session on January 30, 2003

Die Bezugnahme auf die gemeinsamen Werte der Wahrung der Menschenwürde und der Grundrechte war im Ausschuss hingegen völlig unstrittig, wie die europäischen Ziele der Förderung von Frieden und Versöhnung, Gerechtigkeit, Solidarität, Subsidiarität und Nachhaltigkeit. Ebenso schloss sich der Ausschuss einstimmig der Forderung nach der Achtung des Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften an, die diese nach den nationalen Regelungen genießen.

Der Ausschuss verständigte sich im Ergebnis der Sachverständigenanhörung auf einen Änderungsantrag der Fraktion der CDU, der die Stellungnahme der Kirchen zu den Fragen einer wertebasierten Präambel und zur Forderung nach einer Sicherung nationalstaatlicher Kompetenzen im Verhältnis zwischen Staat und Kirche aufgriff. Diese Änderungen finden Sie unter Punkt 1 b der Beschlussempfehlung.

Dem zweiten Teil der Ausschussberatung lag ein Änderungsantrag der Fraktionen der PDS und SPD zugrunde. Auf der Grundlage der aktuellen Dokumente des europäischen Konventes nimmt der Ausschuss Stellung zu den Fragen der Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips in Punkt 1 c der Beschlussempfehlung, der damit einhergehenden notwendigen Finanzverfassung in Punkt 1 d, der Konkretisierung der europäischen Zielvorstellung der sozialen Kohäsion in Punkt 1 e und der Form der Inkraftsetzung des Verfassungsvertrages in Punkt 1 f.

Der Rechts- und Europaausschuss beriet auf der Grundlage von insgesamt 19 aktuellen Dokumenten des Konventes, die zu referieren ich hier leider nicht die Zeit habe, außerdem auf der Grundlage der Entschließung des Europäischen Parlamentes zu der Rolle der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften im europäischen Aufbauwerk vom 14. Januar 2002. All diese Dokumente können Sie in den Beratungsunterlagen des Ausschusses nachlesen. Ich hoffe, viele werden doch neugierig.

Auf einer so umfangreichen Informationsbasis konnten natürlich nicht alle Punkte der Beschlussempfehlung annähernd so ausführlich und kompetent beraten werden, wie es durch die Sachverständigenanhörung zum Punkt 1 b d e r Fall war. So beschränkte sich der Ausschuss auf die Grundfragen wie beispielsweise die institutionelle Einbindung des Ausschusses der Regionen durch ein prospektives Klagerecht, wenn er durch Rechtsakte der EU das Subsidiaritätsprinzip für verletzt hält.

Erst zwei Tage vor der Ausschusssitzung, die am 16. Januar war, hat das Europäische Parlament den so genannten Napolitano-Bericht debattiert und beschlossen, der

dank der Unterstützung unserer Landesvertretung in Brüssel als Tischvorlage noch Berücksichtigung finden konnte. Leider hatten wir auch in diesem Punkt nicht genügend Zeit für die Debatte. Erst nach Abschluss der Ausschussbefassung wurde deutlich, dass die Fraktionen sich einer Stellungnahme gegen ein separates Klagerecht für die Region mit Gesetzgebungsbefugnis nicht anschließen können. Der Ihnen vorliegende Änderungsantrag auf Drucksache 4/195 der Fraktionen schlägt deshalb die Streichung des entsprechenden Satzes in der Beschlussempfehlung vor. Auch wenn ich dies fachlich nur bedauern kann, so bitte ich im Sinne eines fraktionsübergreifenden Konsenses um die Zustimmung zu dieser Änderung.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Der Ausschuss debattierte auch die Frage, ob wir angesichts der Neufassung in den Punkten 1 c und d sowie 2d, in denen wir uns zum Subsidiaritätsprinzip äußern, nicht den Innenausschuss beteiligen müssen. Dies lehnte der Ausschuss angesichts der Tatsache ab, dass eine Beteiligung des Innenausschusses angesichts des Zeitplanes des Konventes und des Zeitplanes der Vorbereitung der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten sowie der Fraktionsvorsitzenden nicht mehr machbar ist und der Rechts- und Europaausschuss vom Landtag mit der Beratung des Antrages beauftragt worden ist. Nichtsdestotrotz sind alle Ausschüsse des Landtages weiterhin eingeladen, sich mit der europäischen Debatte zu beschäftigen und initiativ zu werden. Wir verstehen uns hier als federführend zuständiger Ausschuss, der Initiativen anderer Ausschüsse begrüßen und unterstützen wird.

Der Abgeordnete Friese hat dankenswerterweise bereits einen Auszug der dem Rechts- und Europaausschuss vorliegenden Unterlagen an die Mitglieder des Innenausschusses weitergeleitet. Schlussendlich spricht sich der Rechts- und Europaausschuss in Punkt 1 f für die Annahme der Verfassung durch eine europaweite Volksabstimmung aus, dies auch im Hinblick auf die Eingangsdebatte zur Präambel der Verfassung und unserer eigenen positiven Erfahrungen mit der Annahme der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern durch eine Volksabstimmung.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der vorliegenden Beschlussempfehlung sind längst nicht alle die Kompetenzen des Landtages Mecklenburg-Vorpommern berührenden Fragen des Europäischen Konventes aufgegriffen worden. Wie die Sachverständigen bestätigten, stehen beispielweise auch Fragen der Kulturhoheit der Länder zur Debatte. Allerdings bestätigten sie auch den Zeitdruck, dem der Landtag unterliegt, soll die Stellungnahme noch Gehör finden.

Am 7. Februar, also in acht Tagen, wird der Europäische Konvent im Plenum abschließend über den Schlussbericht der Arbeitsgruppe des Konventes zum Thema „Einbeziehung der nationalen und regionalen Parlamente“ beraten. Dieser Abschlussbericht liegt seit Oktober letzten Jahres vor. Unsere Stellungnahme heute kommt also bereits ziemlich spät, aber noch nicht zu spät.

Wir empfehlen unter Punkt 3 a, diesen Beschluss in die Vorbereitung der Konferenz der Landtagspräsidentinnen und -präsidenten sowie Fraktionsvorsitzenden einzubringen und sich dafür einzusetzen, dass die Vertreter aller Länderparlamente gemeinsam im Sinne unseres heutigen Beschlusses gegenüber dem Konvent Stellung nehmen. Zuletzt hat der Präsident des Deutschen Bundestages die

Länderparlamente am 21. Januar des Jahres hierzu eindringlich aufgefordert und zu Recht darauf hingewiesen, wie dringend notwendig eine breite Debatte und die Beteiligung der Länderparlamente ist.

Ich bin davon überzeugt, dass diese Debatte genauso konstruktiv und auf Konsens bedacht sein wird wie die im Rechts- und Europaausschuss, auch wenn vielleicht nicht alle Punkte durchsetzbar sein werden. Da der Europäische Konvent sich bereits am 7. Februar mit der Rolle der nationalen und regionalen Parlamente befasst, schlägt der Ausschuss weiterhin in Punkt 3 b vor, die Präsidentin zu bitten, diesen Beschluss umgehend den deutschen Mitgliedern des Konventes mit der Bitte um Berücksichtigung und Unterstützung zuzuleiten. Neben der Berichterstattung der Landesregierung schlägt der Rechts- und Europaausschuss dem Landtag in Punkt 5 der Beschlussempfehlung vor, ihn zu beauftragen, die Arbeiten weiterzuverfolgen und dem Landtag gegebenenfalls Beschlussempfehlungen zu unterbreiten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Rechts- und Europaausschuss hat die Ihnen vorliegende Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Sie stellt den gegenwärtigen Stand der gemeinsamen Überzeugung in diesem Parlament zu unserer künftigen Verantwortung in Europa und Deutschland in den Vordergrund. Insofern beweist sie eindrucksvoll die Eingangsbemerkung in der Sachverständigenanhörung, dass die gemeinsamen demokratischen Grundwerte und Überzeugungen sich in der Föderalismusdebatte auf europäischer wie auf nationaler Ebene widerspiegeln. In diesem Sinne empfiehlt der Rechts- und Europaausschuss das vorläufige Ergebnis dieser Debatte dem Landtag zum Beschluss in der Überzeugung, dass wir uns als Landtag Mecklenburg-Vorpommern mit diesem Beitrag in eine hochaktuelle Diskussion konstruktiv und gemeinsam einbringen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS)

Danke schön, Herr Neumann.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne damit die Aussprache.

Es erhält das Wort die Abgeordnete Frau Bretschneider von der Fraktion der SPD. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal erinnern, weshalb wir im Dezember dieses Hohe Haus mit dem Antrag „Föderalismus voranbringen – Länderkompetenzen stärken“ befasst haben. Gemeinsames Anliegen aller Fraktionen war es, und das ist in der damaligen Debatte deutlich geworden, uns als Landesparlament Mecklenburg-Vorpommern in die aktuelle Föderalismusdebatte einzubringen. Diese Debatte wird nicht nur auf der Ebene der Parlamente geführt, sie wird auch geführt auf der Ebene der Regierung, auf der Ebene der Bundesregierung bis hin zur europäischen Ebene.

Welche Position hat nun das Landesparlament und damit auch das Parlament Mecklenburg-Vorpommern zu folgenden Fragen? Ich will die wesentlichsten Handlungsebenen hier noch einmal beschreiben.

Da geht es um Zuständigkeiten, um Kompetenzen, um das Verhältnis zwischen Landesparlamenten und Bundesparlament. Da geht es um das Verhältnis zwischen Landesparlament und Landesregierung, da geht es um die Zuständigkeiten und Kompetenzen der Landesparlamente im europäischen Einigungsprozess, und das alles vor dem Hintergrund des anspruchvollen Zieles, dass man damit politische Teilhabe sichern will, Politik transparent gestalten will, für den Bürger erlebbar gestalten will. Ich glaube, diese Diskussion haben wir auch in der Einbringung so geführt.

Vielleicht ist es auch noch mal interessant zu beleuchten, weshalb wir uns als Parlament gerade jetzt und aktuell in diese Debatte verstärkt einbringen. Das hat aus meiner Sicht mehrere Gründe. Das eine ist der formale Grund, dass es im März den Konvent der Präsidenten und Fraktionsvorsitzenden geben wird. Aber es gibt auch einen anderen Hintergrund. Die neuen Länder haben sich in den Anfangsjahren, und dazu zählen wir uns natürlich auch, mit sehr vielen Dingen befassen müssen. Das war die ganze Frage der Staatsorganisation, das war die Frage, welche Befugnisse durch Parlament und Exekutive auszufüllen sind. Jetzt inzwischen haben wir einen Stand erreicht, in dem wir uns auf gleicher Augenhöhe mit den alten Ländern bewegen, weil wir uns zunehmend mit den Mängeln des jetzt aktuell existierenden föderalen Systems konfrontiert sehen und uns natürlich fragen: Ist das, wie es derzeit ausgestaltet ist, richtig oder sind hier Veränderungen erforderlich? Dazu treten dann noch die ganzen Komplexe der Herausforderungen des europäischen Einigungsprozesses.

In Vorbereitung des Konvents am 31. März in Lübeck haben nunmehr alle 16 Bundesländer daran mitgewirkt, Vorschläge zu erarbeiten, wie wir der Ursprungskonzeption unseres Grundgesetzes wieder näher kommen können. Ich will das noch mal zitieren: „Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.“

Von diesem Grundsatz haben wir uns an vielen Stellen eben schon sehr weit entfernt und es besteht jetzt auch vor dem Hintergrund dieses Konvents und vor dem Hintergrund der Fragen, die uns auch in Bezug auf Europa bewegen, erstmals die begründete Hoffnung, dass noch in der laufenden Wahlperiode des 15. Deutschen Bundestages es zu einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes kommen könnte, in der die Länder wieder mehr Kompetenzen eingeräumt erhalten. Diese Zeitschiene haben nicht nur die Präsidenten der Landtage und die Fraktionsvorsitzenden ins Auge gefasst, sondern derartige Überlegungen entsprechen auch den Vorstellungen der Ministerpräsidentenkonferenz, soweit uns dazu Informationen vorliegen.

Gestern haben sich die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesparlamente in Berlin getroffen, um die Fragen des Föderalismus noch einmal zu erörtern und sich dabei auch mit dem jetzt vorliegenden Entwurf der Resolution für diesen Föderalismuskonvent zu befassen. Ganz wichtig war an diesem gestrigen Tag auch ein gemeinsames Treffen zu dieser Thematik mit dem Bundespräsidenten, der auf dem Konvent auch zum Thema des Konventes sprechen wird. Es waren alle Landesparlamente vertreten und eindeutige Aussage dieses Treffens war, dass der Schwerpunkt der Bemühungen aller Landesparlamente darauf gelegt werden muss, eine Stärkung der Kompetenzen der Bundesländer gegenüber dem Bund zu

erreichen. Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist die ganze Frage: Welche Stellung haben die Landesparlamente zukünftig in Europa?

Ich bin dankbar, dass seitens der Berichterstatter zur Beschlussempfehlung gerade dieser Aspekt des europäischen Prozesses hier noch einmal hervorgehoben werden konnte. Ich würde mich auch aus diesem Grund darauf beschränken, mich auf den anderen Aspekt zu konzentrieren.

In Vorbereitung des Konventes am 31. März hat am 16.Dezember im vergangen Jahr noch einmal die Arbeitsgruppe, die aus Präsidenten und Fraktionsvorsitzenden besteht, getagt. Sie haben einen abgestimmten Entwurf eines Positionspapiers, eines Resolutionsentwurfes vorgelegt. Und ich denke schon, dass es wichtig wäre, hier auch noch einmal das Haus über die wesentlichsten Punkte dieses Resolutionsentwurfes zu informieren, zu dem ja noch bis zum 28. Februar Änderungsanträge eingebracht werden können.

Ich will hier diese Schwerpunkte, die sich auf die Stärkung der Kompetenzen der Landesparlamente beziehen innerhalb der Bundesrepublik, noch einmal formulieren. Es geht dabei ganz klar um das generelle Bekenntnis zur Stärkung des Föderalismus, die Aussage, dass von Seiten aller Landesparlamente und Fraktionsvorsitzenden eingeschätzt wird, dass das politische Modell des Föderalismus sich bewährt hat und ermöglicht, dass eine gemeinsame Verantwortung für das Ganze auch unter Berücksichtigung des Prinzips der Solidarität und natürlich der Vielfalt der Länder auf allen Gebieten gewährleistet werden kann. Und trotzdem ermöglicht das föderale System die eigenen Wege der Länder bei der Aufgabenerfüllung. Das wird ausdrücklich noch einmal betont vor dem Hintergrund, dass es darum gehen muss, bei allen Prozessen, die ablaufen, regionale Identität nicht zu vernachlässigen und auch Bürgernähe zu gewährleisten.

Der zweite große Hauptpunkt dieser Resolution befasst sich mit der Reformbedürftigkeit des föderalen Systems. Hier wird noch einmal eindrucksvoll darauf hingewiesen, dass das im Grundgesetz eigentlich verankerte Prinzip der Ausgewogenheit des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern in den letzten Jahren verlassen wurde und man hier wieder zu einem Gleichgewicht kommen muss.

Es werden auch noch mal die Prozesse aufgeführt, die dazu geführt haben. Das ist einmal die Zentralisierung, aber auch die Entwicklung zum Exekutivföderalismus. Und die Gefahr, die darin besteht, dass nämlich die Vielfalt, die Bürgernähe und natürlich auch die demokratische Legitimation sowie Transparenz und Effektivität politischen Handelns damit gefährdet werden, ist noch einmal ausdrücklich betont worden. Deshalb setzt die Resolution darauf, den Föderalismus und hier insbesondere die Gesetzgebungskompetenzen der Länder wieder zu stärken. Dabei wird betont, dass es nicht darum geht, hier nur Formulierungen zu finden, die den Ansprüchen der Parlamente, sprich der Präsidentenkonferenz gerecht werden, sondern dass es schon darum geht, hier auch einen engen Schulterschluss zwischen Landesparlamenten und Landesregierungen zu erzielen.

Die Konferenz gestern hat einen Überblick darüber gegeben, wie die Behandlung dieser Zielstellung in den einzelnen Landesparlamenten derzeit vorangeschritten ist. Es ist deutlich gemacht worden, dass in allen Landesparlamenten eine positive Zustimmung zu diesem

Resolutionsentwurf zu erwarten ist. Einige haben sich bereits durch entsprechende Beschlüsse positioniert, andere, so wie unser Parlament, sind noch in der Befassung gewesen. Aber es ist davon auszugehen, dass sich an der grundsätzlich positiven Beschlussempfehlung dazu nichts ändern wird.

In dem Zusammenhang sei vielleicht auch noch zu bemerken, dass die Fraktionsvorsitzendenkonferenz der CDU sich bereits Anfang Januar positiv zu dieser Resolution verhalten hat. Die anderen Fraktionsvorsitzendenkonferenzen tagen demnächst. Und auch hier sind Zustimmungen zu erwarten und die Verabschiedung entsprechender Beschlüsse.

Der Wunsch und Wille zur Reform sind also in allen Landtagen vorhanden. Das ist deutlich gemacht worden, aber es gibt natürlich auch Probleme und Schwierigkeiten, wenn es um die Details geht,

(Beifall Angelika Gramkow, PDS: Sehr richtig!)

also genau festzulegen, welche der Kompetenzen denn die Länder nun zurück auf ihren Tisch holen und wie das möglich ist. Da gibt es natürlich sehr unterschiedliche Interessenlagen und der in der Resolution enthaltene Katalog dieser Möglichkeiten ist eben noch kein Konsens.

Jetzt ist natürlich die Frage, wie man hier Einvernehmlichkeit erreichen kann. Es gab dazu verschiedene Vorschläge. Wir haben uns gestern in diese Diskussion mit eingebracht. Und zwar haben wir angeregt, dass man einen Vorschlag, der nicht neu ist, aber gerade in die aktuelle politische Diskussion bisher nicht einbezogen war, wieder aufzugreifen, und zwar darüber nachzudenken, ob man in Bezug auf Artikel 72 Grundgesetz eine entsprechende Zugriffsklausel vereinbaren oder einen Artikel 72 a einfügen könnte. Dieser Vorschlag könnte dann wie folgt lauten: „Soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht nach Artikel 72 Absatz 1 Gebrauch gemacht hat, können die Länder eine bundesgesetzliche Regelung ganz oder teilweise durch Landesrecht ersetzen oder ergänzen, wenn nicht der Bundestag innerhalb von drei Monaten nach Zuleitung des Gesetzesbeschlusses Einspruch erhebt.“

Ich habe bereits gesagt, es ist kein neuer Vorschlag. E r stammt bereits aus der Verfassungsdiskussion der 7 0 e r Jahre, aber es wäre eine Möglichkeit, um diesen beabsichtigten Konsens über die Rückholung von Kompetenzen zu ermöglichen. Es ist noch mal auf Seiten der Präsidenten und der Fraktionsvorsitzenden darauf hingewiesen worden, dass dieser Konvent zum Erfolg geführt werden muss und er doch bitte auch so konkret wie möglich sein möchte. Und wenn man das mit einem Katalog nicht hinbekommt, wäre das beispielsweise eine gangbare Formulierung. Natürlich kann man eine solche Variante auch noch durch einen entsprechenden Negativkatalog ergänzen für Fälle, in denen die Ergänzung oder Setzung durch Landesrecht ausgeschlossen sein soll. In jedem Fall böte dieses Verfahren aber die Chance, dass die Diskussion über einen Kompetenzkatalog genau aus der anderen Perspektive geführt werden müsste. Es müsste nämlich festgelegt werden, wann bereits abstrakt das Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung besteht, also wann die Rechtsmaterie generell bundesgesetzlich geregelt sein soll, weil die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- beziehungsweise Wirtschaftseinheiten gesamtstaatlichen Interesses eine bundesgesetzliche Regelung unbedingt erforderlich machen.

In dem Zusammenhang will ich an das Beispiel erinnern, ob es denn einer bundeseinheitlichen Regelung bedarf darüber, wann der Rasenmäher schweigen muss. Die Bedingungen sind in Großstädten, sind von Land zu Land sicherlich sehr unterschiedlich. Das wäre so ein Fall, wo aus unserer Sicht sicherlich Kompetenzen zurückgeholt werden können. Das ist sicherlich nur ein kleines Beispiel, nichts Bedeutsames, aber es zeigt, an welchen Stellen wir hier doch unsere Kompetenzen aus der Hand gegeben haben.

Natürlich müsste dieser Maßstab auch angelegt werden, wenn der Bundestag gegen einen Gesetzgebungsbeschluss eines Landesparlamentes Einspruch erhebt. Das heißt, der Bundestag müsste mit einem Einspruch detailliert begründen, dass und warum die Kriterien nach Artikel 72 Absatz 2 Grundgesetz eine landesgesetzliche Regelung ausschließen.

Die Präsidentenkonferenz hat diesen Vorschlag gestern in die Überlegungen mit einbezogen. Die Arbeitsgruppe wird sich am 14. März vor dem Konvent nochmals treffen, um hier den vorgelegten Entwurf und die noch einfließenden oder eingehenden Vorschläge einzubeziehen und weiterzuberaten. Zur Sitzung des Konvents: Es wird für uns auch eine gute Gelegenheit werden, da neben den Präsidenten und Fraktionsvorsitzenden auch die Vorsitzenden der entsprechenden Rechts- und Europaausschüsse eingeladen werden als Gäste.

Ich will ganz zum Schluss noch einmal Bezug nehmen auf das Gespräch mit dem Bundespräsidenten, der für das Anliegen des Konvents uns die volle Unterstützung zugesagt hat und dort auch sprechen wird. Johannes Rau hat in vielen Reden auf den Föderalismus Bezug genommen, hat aber auch zugleich das Spannungsfeld beschrieben. Ich will mal ein Zitat bringen, das das sehr verdeutlicht: „Die Vielfalt und das Selbstbewusstsein der Länder führen zu einem gesunden Wettbewerb. … Auch diese wettbewerbliche Seite des Föderalismus hat durchaus ihr Gutes – solange sie nicht auf Kosten der nötigen Solidarität geht. … Es gibt im Bundesstaat keine gliedstaatlichen Teilvölker, die wirtschaftlich ihre eigenen Wege gehen könnten, ohne sich um die Not der anderen zu kümmern. Bund und Länder sind nur unterschiedliche Werkzeuge und Treuhänder seines Gemeinwohls. Der Bundesstaat ist unteilbare Solidargemeinschaft.“

Damit ist sehr eindruckvoll belegt, dass im Wettbewerb auch eine Chance des Föderalismus liegt. Die Länder haben die Möglichkeit, eigenverantwortlich zu gestalten und so in einem bundesweiten Wettbewerb um Lösungen für die anstehenden Probleme und Herausforderungen zu ringen. Gleichzeitig hat er aber auch aufgezeigt, dass Wettbewerb im Föderalismus eine Grenze finden muss, nämlich dann, wenn die erforderliche Solidarität im Bundesstaat nicht mehr gewahrt ist, also wenn die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet nicht gleichwertig sind – so beschreibt es Artikel 72 Absatz 2 Grundgesetz. Und das gilt natürlich auch in vielen Fragen der Finanzbeziehungen.

Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich vielleicht ein sprachliches Bild anführen, das auch durch den Bundespräsidenten geprägt wurde, der die Situation der föderalen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland sehr treffend beschreibt. Er hat darauf hingewiesen, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes eigentlich eine klare Abgrenzung der Verantwortung von Bund und Län

dern wollten, und zwar ähnlich klar gegliedert wie eine Schichttorte. Und er hat gesagt: „Heute gleicht die föderale Ordnung in Deutschland eher einem Marmorkuchen.“ Ob man das reparieren kann, bleibt abzuwarten, und wir werden sehen, was die Ergebnisse des Konvents am 31. März in Lübeck dazu bringen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Frau Bretschneider.

Als Nächstes hat das Wort der Abgeordnete Herr Ritter für die Fraktion der PDS.