Protocol of the Session on September 1, 2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 62. Sitzung des Landtages. Die Landesregierung sowie die Fraktion der CDU haben gemäß Paragraph 72 Absatz 4 unserer Geschäftsordnung die heutige Dringlichkeitssitzung beantragt. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 62. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 62. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich unseren beiden Kollegen Hans-Heinrich Jarchow und Detlef Müller nachträglich zu ihrem 50. Geburtstag herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen gratulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und der Linkspartei.PDS – Heinz Müller, SPD: Zusammen sind sie schon 100. – Wolfgang Riemann, CDU: Oh!)

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 1 und 2: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Mecklenburg-Vorpommern für das Haushaltsjahr 2005, Drucksache 4/1820, in Verbindung mit der Ersten Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2005, Drucksache 4/1825, und die von der Fraktion der CDU gemäß Paragraph 43 Ziffer 2 der Geschäftsordnung beantragte Aussprache zum Thema: Auswirkungen der Urteile des Landesverfassungsgerichtes bezüglich der Klagen der CDU-Fraktion gegen den Zweiten Nachtragshaush a l t 2003 und den Doppelhaushalt 2004/2005 sowie die Rechtsfolgen aus der Nichtigkeit der Änderungsgesetze im Haushaltsrechtsgesetz 2004/2005 und Haushaltsrechtsanpassungsgesetz 2005, hierzu die Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Auswirkungen der Urteile des Landesverfassungsgerichtes bezüglich der Klagen der CDU-Fraktion gegen den zweiten Nachtragshaush a l t 2003 und den Doppelhaushalt 2004/2005 auf den Landeshaushalt 2005 und den Doppelhaushalt 2006/2007, Drucksache 4/1826.

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes MecklenburgVorpommern für das Haushaltsjahr 2005 (Haushaltsgesetz 2005) (Erste Lesung) – Drucksache 4/1820 –

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2005 (Erste Lesung) – Drucksache 4/1825 –

Aussprache gemäß § 43 Ziffer 2 GO LT Auswirkungen der Urteile des Landesverfassungsgerichtes bezüglich der Klagen der CDU-Fraktion gegen den Zweiten Nachtragshaushalt 2003 und den Doppelhaushalt 2004/2005 sowie die Rechtsfolgen aus der Nichtigkeit der Änderungsgesetze im Haushaltsrechtsgesetz 2004/2005 und Haushaltsrechtsanpassungsgesetz 2005

Antrag der Fraktion der CDU: Auswirkungen der Urteile des Landesverfassungsgerichtes bezüglich der Klagen der CDU-Fraktion gegen den zweiten Nach- tragshaushalt 2003 und den Doppelhaushalt 2004/2005 auf den Landeshaushalt 2005 und den Doppelhaushalt 2006/2007 – Drucksache 4/1826 –

Zunächst hat die Finanzministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Keler das Wort zur Einbringung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 4/1820 und 4/1825.

Meine Damen und Herren! Das Landesverfassungsgericht erzwingt einen neuen Haushalt für 2005, weil der alte Haushalt für nichtig erklärt worden ist. Das Gericht hat – so wörtlich – „angeordnet, dass die Haushaltsmittel auf der Grundlage der Ansätze im Haushaltsplan 2005 längstens bis zum 20. Oktober 2005 bewirtschaftet werden dürfen.“ Ebenfalls entfallen sind durch das Urteil die Artikel 3 bis 8 des früheren Haushaltsrechtsgesetzes.

Wir legen Ihnen heute einen neuen Hauhaltsplanentwurf 2005 vor, in dem die Kritikpunkte des Verfassungsgerichts Berücksichtigung finden. Das Haushaltsgesetz und das Haushaltsbegleitgesetz werden jeweils separat eingebracht. In dem Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes werden die Regelungen, die in den Artikeln 3 bis 7 des Haushaltsrechtsgesetzes 2004/2005 enthalten waren, erneut beantragt. Damit sollen die inzwischen eingetretenen tatsächlichen Verhältnisse und die Rechtslage in Übereinstimmung gebracht werden. Dazu gehört auch, dass die betroffenen Gesetze so weit wie möglich rückwirkend in Kraft gesetzt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Urteilsverkündung am 7. Juli in Greifswald haben die anwesenden Vertreter der CDU laut gejubelt und sich vor Freude auf die Schenkel geklopft.

(Harry Glawe, CDU: Na, na, na, na! Das stimmt doch gar nicht, Frau Ministerin. – Zuruf von der Linkspartei.PDS: Wer hat sich auf die Schenkel geklopft?)

In seiner Pressemeldung vom gleichen Tag hat Herr Rehberg noch einmal kräftig nachgelegt, ich zitiere: „Das Gericht hat der Praxis von Rot-Rot, geltendes Recht zu beugen, ein Ende gesetzt.“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

„Jetzt und hier ist Schluss mit dem Mogeln und Tricksen. Die Landesregierung hat für ihre Finanzpolitik die rote Karte bekommen.“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, das ist so.)

Das sind starke Worte, Herr Rehberg.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist die Wahrheit.)

Wie sind nun diese beiden Urteile aus meiner Sicht zu bewerten, vor allem hinsichtlich ihrer Wirkungen und Konsequenzen? Meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU, die vom Gericht beanstandeten Punkte entsprechen in wesentlichen Teilen der von Ihnen selbst eingeführten Praxis.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das stimmt so nicht.)

Das gilt insbesondere für die These des Gerichts, dass wir gegen das in Artikel 61 Absatz 4 der Verfassung verankerte Bepackungsverbot verstoßen hätten,

(Wolfgang Riemann, CDU: Quod licet jovi, non licet bovi! – Heiterkeit bei einzelnen Abgeord- neten der SPD, Dr. Armin Jäger, CDU, und Egbert Liskow, CDU)

weil wir im Haushaltsrechtsgesetz 2004/2005 neben dem eigentlichen Haushaltsgesetz auch noch weitere Gesetzesartikel eingebracht und verabschiedet haben. Die Verbindung des Haushaltsgesetzes mit anderen Artikeln in einem Mantelgesetz, eben dem Haushaltsrechtsgesetz, ist in Mecklenburg-Vorpommern ständige Praxis seit der 1. Legislaturperiode.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, aber nicht so.)

Diese Vorgehensweise ist von der CDU eingeführt und nie beanstandet worden. Sie wird im Übrigen heute noch vom CDU-Finanzminister in Schleswig-Holstein praktiziert, der soeben mit dem dortigen Haushaltsplanentw u r f 2006 ein Artikelgesetz eingebracht hat, in dem das Haushaltsgesetz genau wie bei uns als Artikel 1 eines Mantelgesetzes erscheint.

(Minister Dr. Till Backhaus: Das ist dann auch verfassungswidrig.)

Das Gericht hat sich mit dieser ständigen Staatspraxis nicht beschäftigt und meines Erachtens auch den Wortlaut des Artikels 61 Absatz 4 der Verfassung nicht in seine Würdigung einbezogen. Wie dem auch sei, wir werden diese Konstruktionsvorlage in Zukunft beachten. Als Praxis der Rechtsbeugung, wie Herr Rehberg meint, kann ich diesen Sachverhalt allerdings nicht ansehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Wenn man das anders bewerten wollte, würde dieser Vorwurf, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, auf Sie selbst zurückfallen.

Ähnliches trifft für die ebenfalls vom Gericht beanstandete Vorgehensweise zu, die nötigen Änderungen aufgrund der Steuermindereinnahmen im Herbst 2003 über den Finanzausschuss in das parlamentarische Verfahren zum Haushalt einzubringen. Darin hat das Gericht einen Verstoß gegen Artikel 55 Absatz 2 der Verfassung, das heißt gegen das Gebot der zweimaligen Lesung von Gesetzentwürfen, gesehen. Ich kann das nicht nachvollziehen, weil der Haushalt 2003 in Erster Lesung im Landtag beraten und Anfang 2004 in Zweiter Lesung verabschiedet wurde. Artikel 55 Absatz 2 der Verfassung verbietet meiner Ansicht nach nicht, dass im Laufe der parlamentarischen Beratungen zwischen dem eingebrachten Gesetzentwurf und dem verabschiedeten Gesetz wesentliche Veränderungen eintreten.

(Harry Glawe, CDU: Können Sie das hier mal erklären?! – Dr. Armin Jäger, CDU: Haben wir jetzt noch ein Oberlandesverfassungs- gericht oder was? – Wolfgang Riemann, CDU: Sie haben nichts gelernt!)

Die einschlägige Rechtspraxis des Bundesverfassungsgerichts und die Literatur lassen hier einen weiten Spielraum. Es kommt nicht auf das Gewicht der Änderung an, sondern lediglich darauf, dass der Gegenstand des eingebrachten Gesetzentwurfs nicht verlassen und durch

völlig andere Regelungsmaterialien ersetzt wird. Das ist hier aber gerade nicht der Fall, weil alle Änderungen eine unmittelbare Beziehung zum Haushalt haben.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Das Verfassungsgericht hat dies anders gesehen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das war eine einstimmig gefasste Entscheidung.)

Wir werden auch das künftig zu beachten haben.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das will ich hoffen!)

Ein Anlass für das Triumphgeheul der CDU liegt aber auch darin nicht, denn genau die gleiche Verfahrensweise hat die CDU-Finanzministerin Bärbel Kleedehn im Herbst 1995 gewählt, als ebenfalls die Novembersteuerschätzung erhebliche Steuereinbrüche mit sich brachte und der Haushalt um mehrere 100 Millionen nach unten korrigiert werden musste. Auch dies ist damals nicht im Rahmen einer erneuten Ersten Lesung, sondern durch Befassung des Finanzausschusses geschehen. In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls im Parlament im Rahmen eines neuen Artikels 3 ein völlig neues Gesetz eingefügt, das heißt, dass sämtliche Teile des damaligen Verfahrens genauso abgelaufen sind wie heute. Für uns war daher die neue Sichtweise, die die CDU – jetzt bestätigt durch das Verfassungsgericht – in das Gesetzgebungsverfahren hineingebracht hat, so nicht vorhersehbar.

Die Folgen dieser neuen Lesart sind gravierend und tragen leider nicht dazu bei, das Gesetzgebungsverfahren transparenter zu gestalten. Wir werden in Zukunft mit erheblicher Rechtsunsicherheit zu kämpfen haben. Was ist eine „wesentliche Änderung“, die zu einer neuen Grundsatzdebatte zwingt? Das Gericht beschränkt dies nicht auf den Fall der Überschreitung der Kreditobergrenze. Auf Seite 21 des Urteils wird ausdrücklich die Frage gestellt, ob Paragraph 20 Haushaltsgesetz mit dem zusätzlichen Abbau von 1.600 Stellen wegen der erheblichen quantitativen Abänderung des Gesetzentwurfes für sich allein gegen Artikel 55 Absatz 2 verstößt. Das Gericht lässt die Frage offen. Falls 1.600 Stellen eine wesentliche Änderung sind, wo liegen dann die Grenzen? Bei 1.000 Stellen oder bei 500?

Meine Damen und Herren, hier kann auf das Verfassungsgericht in Zukunft viel Arbeit zukommen. Um diese Rechtsunsicherheit zu vermeiden, wird man im Zweifel bei allen irgendwie bedeutsamen Änderungen eine neue Grundsatzdebatte initiieren müssen. Dazu bedarf es dann eines neuen Gesetzentwurfs. Bei den meisten Gesetzen ist dies möglich, allerdings verbunden mit Verzögerungen und Verfahrenserschwernissen. Bei Haushaltsänderungen ist dabei ein zusätzliches Problem zu beachten. Wenn das Parlament den Haushaltsentwurf der Regierung wesentlich ändern möchte, muss es in Zukunft die Regierung auffordern, einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen. Nach Artikel 61 Absatz 3 der Verfassung darf nämlich nur die Landesregierung Gesetzentwürfe zum Haushalt einbringen, die so genannte Budgetinitiative.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Leider.)

Was ist aber, wenn die Regierung diesen neuen Gesetzentwurf nicht einbringen will?

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Tja, ja.)

Dann ist das Parlament endgültig daran gehindert, seine Vorstellungen zum Haushalt durchzusetzen.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Dann müssen wir ihn leider ablehnen.)

Aus meiner Sicht ist dies eine unbeabsichtigte, aber sehr einschneidende Einschränkung der Rechte des Parlaments im Haushaltsverfahren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Linkspartei.PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Da muss man um viele Ecken rum denken. – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Meine Damen und Herren, so weit zu der Rechtsbeugung, die die CDU uns vorwirft.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist sehr weit von der Logik entfernt.)