Zur Begründung ist Folgendes festzustellen: Wir halten die derzeitige Rechtslage für ausreichend und angemessen.
Die staatliche Fürsorge ist dem eigenen Leistungsvermögen nachrangig. Vorrangig sind Einkommen und Vermögen der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen.
Die durch Hartz IV forcierte Familienversicherungspraxis, meine Damen und Herren, führte bereits zur Kostensteigerung der Krankenversicherung. Das haben Sie ja wahrscheinlich zur Kenntnis genommen. Es bleibt also festzustellen, dass eine Erweiterung der gesetzlichen Krankenversicherungsmöglichkeiten um weitere Personenkreise entweder zu Beitrags- oder Steuererhöhungen führen würde.
Dieser Antrag zur Bundesratsinitiative ist weiterhin nicht abschließend definiert beziehungsweise ausformuliert. Er beinhaltet lediglich eine Problembeschreibung ohne konkrete Lösungsansätze. Das greift zu kurz. So fehlt eine konkrete fallzahlenbewährte Beschreibung des Personenkreises ebenso wie eine genaue Übersicht über mögliche Einkommens- und Vermögensgrenzen, die festzulegen wären. Auch eine Kostenfolgeabschätzung und ein konkreter Finanzierungsvorschlag sind nicht aufgeführt.
In sich hat es die Antragsbegründung. Dort heißt es: „Im Rahmen von Hartz IV erhalten nun ca. 500.000 Menschen kein Arbeitslosengeld II“. Und weiter: „Dadurch sind viele Menschen nicht mehr krankenversichert.“ Es wird also suggeriert, dass alle diese Menschen nicht mehr krankenversichert sind,
Schauen wir doch einmal über die Grenzen unseres Landes. Dr. Gitta Trauernicht, SPD, ist Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein – SPD, wohlgemerkt, meine Damen und Herren! Und diese SPD-Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren beantwortet eine Kleine Anfrage wie folgt. Frage: „Wie viele Personen fallen in Schleswig-Holstein durch die Umstellung auf das Arbeitslosengeld II aus dem bisher durch die Arbeitslosenhilfe / (Sozialhilfe) gedeckten Krankenversicherungsschutz heraus?“ Antwort: „Statistische Angaben über die konkrete Anzahl von Personen ohne Krankenversicherungsschutz als Folge der ALG II-Antragsablehnung werden von den SGB II-Leistungsträgern nicht erhoben.“
Noch erstaunlicher ist im Lichte dieses Antrages die Antwort der SPD-Politikerin auf folgende Frage: „Besteht aus Sicht der Landesregierung in diesem Punkt Handlungsbedarf? Wenn ja, was gedenkt sie auf Landes- bzw. Bundesebene zu tun?“ Antwort: „Nein.“
Meine Damen und Herren, abschließend bleibt festzustellen, dass in der Begründung auf den Unterschied
abgestellt wird, dass bei Ehepaaren im Gegensatz zu unverheirateten Lebenspartnern die Möglichkeit einer Familienversicherung greift. Hier muss man das Grundgesetz Artikel 6 bemühen, der die Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt.
Daher halten wir es wie die Schleswig-Holsteiner Kollegen. Es besteht kein Handlungsbedarf. – Danke schön.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der PDS der Abgeordnete Herr Koplin. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Situation ist vom Kollegen D r. Nieszery hier deutlich beschrieben worden. Dem ist nichts hinzuzufügen. Herr Dr. Nieszery hat darüber hinaus auch die Position der SPD-Abgeordneten dargelegt. In diesem Punkt unterscheiden wir uns, auch wenn wir die Situation gleichermaßen und Handlungsbedarf sehen. Wir unterscheiden uns aber in der Bewertung der Grundsätze. Letztlich geht es nicht nur allein darum, an den Symptomen herumzudoktern, sondern auch grundsätzlich die Fragen aufzuwerfen. Insofern knüpfe ich an die Debatte an, die wir gestern in der Aktuellen Stunde gehabt haben, und sage für die PDS noch einmal, dass wir Hartz IV ablehnen und es als ein untaugliches Instrument sehen. Dieses Gesetz führt in Armut, statt sie zu beseitigen, es verstärkt den Druck auf Arbeitslose, statt Arbeitsplätze zu schaffen, und es erhöht die Zahl der nicht krankenversicherten Arbeitslosen, statt sie zu senken.
Zu den Zahlen, Herr Timm, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es ist in einschlägiger Fachliteratur auch nachlesbar, dass sich in den letzten Jahren von 105.000 nicht krankenversicherten Personen die Zahl in jüngster Zeit immer mehr gesteigert hat auf nunmehr über 300.000. Das würde bedeuten, dass in Mecklenburg-Vorpommern – und davon können wir ausgehen – mehr als 6.000 Personen nicht krankenversichert sind.
Für die PDS würde ich sagen, wir wollen jede Möglichkeit – Herr Timm hat das in Frage gestellt, aber die Antwort interessiert Sie vielleicht auch –, wir wollen jede Möglichkeit nutzen, um die Situation von Hartz-IVOpfern zu erleichtern. Der Antrag ist dazu eine konkrete Tat. Uns geht es um die Beseitigung eines Systembruchs im Sozialrecht. Dieser besteht in der Missachtung der individuellen Bedarfssituation durch das SGB II. Es ist ja so, dass soziale Hilfeleistungen anerkannt und gezahlt werden sollen, wenn es eine individuelle Bedarfssituation gibt. Nunmehr wird über das SGB II die Feststellung der sozialen Hilfebedürftigkeit nicht mehr an den Personen konkret vorgenommen, sondern die Menschen werden in so genannten Bedarfsgemeinschaften zusammengefasst. Aus der Situation dieser Bedarfsgemeinschaften heraus wird dann abgeleitet, ob es einen Arbeitslosengeld-II-Anspruch gibt oder dieser verwehrt wird. Die individuelle Hilfebedürftigkeit wird also aufgehoben. Das SGB V wiederum, also die Krankenversicherung im Sozialrecht, kennt eine Bedarfsgemeinschaft nicht. Die Bedarfsgemeinschaft wird wieder auseinander genommen und diejenigen, die es betrifft, die dann keine Krankenversicherung haben, werden somit sozialrechtlich im Regen stehen gelassen. Hier haben wir eine Regelungslücke.
Die sozialrechtliche Beurteilung der Lebenssituation wird, so unser Fazit aus der Bewertung der Situation, so hingezimmert, wie es sich am besten rechnet, denn letztlich geht es offenbar um die Finanzen. Die PDS steht für mehr Solidarität in der Gesellschaft und auch deshalb ist uns die Verringerung der Zahl nicht krankenversicherter Arbeitsloser wichtig.
Im Übrigen geht es nicht anders, als Hartz IV als Gesetz für eine moderne Dienstleistung zu befinden, denn die Dienstleistung Gesundheit wird Tausenden und Abertausenden verwehrt. Und Hartz IV ist alles andere als modern, denn es folgt, Herr Timm, einem antiquierten Familienmodell, nämlich dem, dass man Haupternährer und Zuverdiener zusammenstellt, und das trifft in nahezu allen Fällen Frauen, die als Zuverdiener dann in Abhängigkeitssituationen kommen, und diese Abhängigkeitsverhältnisse halten wir für unwürdig.
Auch in Bezug auf Krankenversicherung ist Hartz IV volkswirtschaftlicher Unsinn. Das möchte ich an dieser Stelle schon einmal betonen. Es verschmälert nämlich zum einen die Zahl der Beitragszahler und somit sinkt auch die Beitragssumme, die in die gesetzliche Krankenversicherung einfließt. Ich möchte hierzu einen Beitrag aus einer Tageszeitung, der „Wiesbadener Zeitung“ vom 12. Juni, erwähnen. Da wird dargestellt, dass Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte darüber klagen, Herr Dr. Nieszery hat das auch angesprochen, dass mehr und mehr Leistungen erbracht werden müssen – völlig zu Recht –, aber die Zahlung letztlich ausbleibt, weil die Personen nicht krankenversichert sind.
Ein paar Worte möchte ich gern an Frau Strenz richten. Sie ist ja erfreulicherweise hier. Ich fand es gestern herzerfrischend und unverblümt offen, dass Sie sagten, es ginge bei Hartz IV nicht um Arbeitsplätze. Da gebe ich Ihnen Recht.
(Karin Strenz, CDU: Das hat Frau Lück gesagt! Das hat Frau Lück gesagt! Es geht um die Schaffung von Arbeitsplätzen.)
Aha, aha, dann habe ich das verkannt. Aber was Sie darüber hinaus sagten, war, dass es um die Senkung der Bruttolohnsumme ging.
Ich halte das schon für bemerkenswert. Womit Sie Recht haben, Frau Strenz, ist ganz einfach, dass es um Interessen geht. Es geht um unterschiedliche Interessen, mehr Profit oder mehr Lohn, mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder mehr Ausgrenzung, mehr Solidarität in der Gesellschaft oder mehr Privatisierung der Lebensrisiken.
Ich verstehe das sehr wohl, wir stehen nur auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade, Frau Strenz. Also lassen Sie uns Partei ergreifen und etwas tun für die bedürftigen Menschen in unserem Land! Wenn Sie das verkennen, tut mir das Leid, Frau Strenz.
Es hat um das Wort gebeten die Sozialministerin des Landes Frau Dr. Linke. Bitte schön, Frau Ministerin.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bis zu 300.000 Personen leben in Deutschland schätzungsweise ohne Krankenversicherung. Das berichtete kürzlich die „Leipziger Volkszeitung“ unter Berufung auf Kassenexperten. Tatsächlich gibt es weder für die gesamte Bundesrepublik noch für das Land Mecklenburg-Vorpommern derzeit gesicherte Zahlen, wie viele Menschen ohne Krankenversicherungsschutz leben. Der 108. Deutsche Ärztetag hat in der ersten Maiwoche dieses Jahres vor einem Ansteigen der Zahl der nicht Krankenversicherten gewarnt und die Bundesregierung zu Änderungen in der Sozialgesetzgebung aufgefordert, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Damit befindet sich der Antrag der Fraktionen von SPD und PDS in guter Gesellschaft.
Wir wollen uns einmal daran erinnern, was zum Wegfall des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes führen kann. Betroffen sein können Selbständige und deren Familien, die sich in wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten befinden und ihre Krankenversicherung wegen Zahlungsverzug verlieren. Betroffen sein können junge Menschen, deren Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Vollendung des 23. Lebensjahres endet und die ohne Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis oder aber ohne Studienplatz sind. Betroffen sein können aber auch Ehepartner und Kinder, bei denen nach der Scheidung die Familienversicherung endet und eine Fortsetzung der Versicherung im Wege einer freiwilligen Krankenversicherung in der GKV versäumt wurde. Mit einer neuen Qualität kommen jetzt zu denjenigen Personengruppen, die ich eben nannte, diejenigen hinzu, die aufgrund der Hartz-IV-Regelungen aus der Krankenversicherungspflicht ausscheiden, weil sie keinen Anspruch auf das ALG II haben und versäumen, ihre freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung innerhalb einer Frist von drei Monaten selbständig zu regeln. Sie sind damit Opfer der gewaltigen Verschiebebahnhöfe, die es in den letzten Jahren im Zuge der Hartz-Gesetzgebung zwischen der Sozialhilfe und der Arbeitslosenversicherung gegeben hat.
Im Zuge dieser Neuregelungen ist der bisher bestehende Schutz für den Kreis der ehemaligen Sozialhilfeempfänger und der ehemaligen Arbeitslosenhilfeempfänger brüchig geworden. Bis zum 1. Januar 2004 erhielten Sozialhilfeempfänger, die nicht krankenversichert waren, einen Behandlungsschein vom Sozialamt, mit dem sie bei ihrem Arzt behandelt werden konnten. Dieser konnte dann außerhalb des Budgets diese Behandlung abrechnen. Das Sozialamt hat die Behandlungskosten übernommen.
Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung trat bereits am 1. Januar 2004 in dieser Beziehung eine wichtige Neuregelung in Kraft. Als bisher nicht versicherte Hilfeempfänger wurden sie den übrigen gesetzlich Versicherten damit gleichgestellt. Sie erhielten eine Chipkarte, gelten jedoch nicht mehr als Mitglieder der jeweiligen Krankenkassen. Letztendlich haben
die Krankenkassen in diesem Verfahren die Betreuung von Sozialhilfeempfängern als Auftragsleistung übernommen, die sie anschließend gegenüber den Kommunen abrechnen konnten. Unter dem Strich war das für die Betroffenen nicht nur eine Verfahrenserleichterung, sondern auch eine weiterhin sehr effektive Absicherung des Krankheitsrisikos.
Ebenso eindeutig lag die Regelung des Krankenversicherungsschutzes für Arbeitslosenhilfeempfänger. Sie waren bis zum 31. Dezember 2004 in der Kranken-, in der Pflege- und in der Rentenversicherung pflichtversichert. Mit der nun zum 1. Januar 2005 durch das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt“ vollzogenen Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II gibt es diesen Versicherungsschutz nicht mehr für alle Versicherten. Nur diejenigen, die einen Anspruch auf das Arbeitslosengeld II haben, sind automatisch krankenversichert. Leben sie in einer Ehe oder in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft, dann sind auch ihre Partner und ihre Kinder über die Familienversicherung mit abgesichert. Sofern kein Schutz durch eine Familienversicherung besteht, müssen die Betroffenen sich selbst durch Eintritt in die freiwillige, gesetzliche oder private Krankenversicherung gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit absichern. Sie erhalten dazu von den Agenturen für Arbeit einen Zuschuss zu ihren Aufwendungen zur Kranken- und Pflegeversicherung, das wurde hier schon ausgeführt, in Höhe von maximal 125 Euro beziehungsweise für die Pflegeversicherung in Höhe von 1 5 Euro. Einen Zuschuss erhalten ebenfalls diejenigen Mitglieder einer so genannten Bedarfsgemeinschaft, die als nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige Sozialgeld beziehen und nicht von der Familienversicherung des Arbeitslosengeld-II-Beziehers erfasst werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, durch dieses Raster fallen allerdings all diejenigen langzeitarbeitslosen Frauen und Männer, die noch im Jahr2004 die Arbeitslosenhilfe bekamen, nun aber wegen der schärferen Anrechnung von Einkommen und Vermögen der Lebenspartner für das Arbeitslosengeld II keine Ansprüche mehr geltend machen können. Im Ergebnis heißt das sozialpolitisch zweierlei: Der neue Begriff der Bedarfsgemeinschaft bringt nicht nur bei der Absicherung von Arbeitslosigkeit erhebliche Nachteile mit sich, er führt auch in der Krankenversicherung für viele Menschen zu einer Schlechterstellung. Das ist deshalb ungerecht, weil der Sozialstaat die Bedarfsgemeinschaft bei der Absicherung des Risikos Arbeitslosigkeit einerseits enorm in die Pflicht nimmt, auf der anderen Seite den Betroffenen aber bei der Absicherung des Lebensrisikos Krankheit den Schutz der Familienversicherung vorenthält.
Nicht hingenommen werden kann auch, dass bei einer so komplizierten und zum Teil schlecht vorbereiteten Reform wie der Hartz-IV-Reform den Betroffenen nur drei Monate bleiben sollen, um noch den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung zu bekommen. Trotz der relativ intensiv öffentlich geführten Debatten und der Aufklärungsarbeit zu diesem Thema gerade auch vor Ende des ersten Quartals 2005 werden viele Betroffene es versäumt haben, sich ihren Krankenversicherungsschutz zu organisieren, oder aber, das müssen wir ganz deutlich sagen, aus finanziellen Erwägungen heraus ganz darauf verzichtet haben.