Protocol of the Session on December 16, 2004

Wiederbeginn: 12.45 Uhr

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe nunmehr auf den Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD – Festsetzung des Naturschutzgebietes „Neuendorfer Wiek mit Insel Beuchel“, auf der Drucksache 4/1447.

Antrag der Fraktionen der PDS und SPD: Festsetzung des Naturschutzgebietes „Neuendorfer Wiek mit Insel Beuchel“ – Drucksache 4/1447 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Schwebs von der Fraktion der PDS. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle nach der Mittagspause, freue mich, dass Sie da sind, und lobe Sie auch dafür.

(Minister Dr. Till Backhaus: Guten Tag, Frau Schwebs. – Heinz Müller, SPD: Seid ihr alle da?)

Während der letzten Landtagssitzung übergaben Bewohner der Insel Rügen und Kommunalpolitiker sowie der BUND dem Umweltminister, dem Landwirtschaftsminister, dem Wirtschaftsminister und der stellvertretenden Vorsitzenden des Petitionsausschusses 4 mal 1.118 gebündelte Unterschriften.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das ist viel.)

„Wir bitten den Petitionsausschuss, sich mit der zögerlichen Haltung der Landesverwaltung zu befassen. Das Naturschutzgebiet Neuendorfer Wiek ist seit Jahren in der Warteschleife. Unter Hinweis auf eventuelle Schadensersatzforderungen des Kieskonzerns wird ein irreparabler Schaden für die Region Westrügen riskiert.“, erklärte in diesem Zusammenhang Corinna Cwielag, die Landesgeschäftsführerin des BUND.

Und in der Tat, meine Damen und Herren, die Ausweisung der Neuendorfer Wiek und der Insel Beuchel als Naturschutzgebiet ist fast schon als unendliche Geschichte zu bezeichnen. Bereits 1940 wurde die dort gelegene Insel Beuchel als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Die Insel stellte schon damals – und ist es bis heute – ein national und international bedeutsames Vogelschutzgebiet dar. Die dortigen Brutvorkommen von Brandseeschwalbe, Flussseeschwalbe, Lachmöwe, Silbermöwe, Mantelmöwe, Brandgans, Graugans, Mittelsänger und vielen anderen Arten sind absolut schützenswert.

(Torsten Koplin, PDS: Die hast du alle da gesehen?)

Gegenüber der Insel Beuchel ist bis heute ein Rückzugs-, Rast- und Futtergebiet für viele Vogelarten. Auch sechs Seeadlerpaare haben dort ihr Brut- und Jagdrevier.

Bereits 1992 plante die Landesregierung die Unterschutzstellung der Neuendorfer Wiek als Naturschutzgebiet. Allerdings hatte die damalige Treuhandanstalt das Bergrecht für Teile der Neuendorfer Wiek schon ein Jahr

vorher an einen privaten Unternehmer verkauft, ein typischer Vorgang kurz nach der Wende und, wie wir heute wissen, ein Vorgang, der die Lebensverhältnisse der Menschen und die Natur gravierend verändern könnte.

(Angelika Peters, SPD: Für ’nen Appel und ein Ei!)

Dieser Verkauf war es dann auch, der die CDU-geführte Landesregierung dazu brachte, den unterschriftsreifen Entwurf für die Ausweisung des Naturschutzgebietes nicht zu ratifizieren, um die Kiesabbaupläne von Heidelberger Zement nicht zu gefährden, denn inzwischen hatte der private Käufer der Bergrechte dieses Wendeschnäppchen umgehend mit entsprechendem Gewinn an Neuper Beton und heute Heidelberger Baustoffe veräußert.

1995 wurde das beantragte Raumordnungsverfahren für den geplanten Kiesabbau durchgeführt. Alle Träger öffentlicher Belange und auch das Amt für Raumordnung lehnten das Vorhaben ab und damit, meine Damen und Herren, hatten sie die Mehrheit der Bevölkerung und der Touristen auf ihrer Seite. Das ist zum Glück bis heute so geblieben. Das focht die Betreiberfirma aber nicht an, zielstrebig stellte sie einen weiteren Antrag auf einen möglichen Kiesabbau. Um dem absehbaren Ärger zu entgehen, bemühte man dieses Mal nicht das Raumordnungsverfahren, sondern reichte den Antrag beim Bergamt Stralsund, das dem Wirtschaftsministerium untersteht, ein. So wurde trotz des Widerstandes aller Beteiligten einschließlich der Gemeinde Neuenkirchen, vor deren Haustür der Kiesabbau stattfinden sollte, ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet.

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Das Bergamt in Stralsund begründete diese Entscheidung mit der Sicherung einer preisgünstigen Versorgung der Insel Rügen mit Kies, die sich nur mit dem geplanten Abbaugebiet realisieren ließe.

(Torsten Koplin, PDS: Das stimmt.)

Allerdings lag damals nicht einmal eine Bedarfsanalyse, geschweige denn eine gesicherte Bedarfsprognose vor. Alternative Möglichkeiten wurden nur unzureichend oder gar nicht berücksichtigt. Bis heute ist es bei der Planung geblieben, den gesamten Kiesberg über 25 Jahre hinweg aus der Landschaft verschwinden zu lassen.

Auch in der öffentlichen Anhörung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens im Jahr 1997 mit Vertretern von Neuper Beton blieben die Gemeinden Neuenkirchen, der Landkreis Rügen, das Amt für Raumordnung Greifswald, das Amt für Landwirtschaft Stralsund, das Geologische Landesamt Schwerin, das STAUN Stralsund, die Forstdirektion Rügen, der Naturschutzbund, die Grüne Liga, der BUND und der Verein „Insula Rugia“ bei ihrer ablehnenden Haltung zum Kiesabbau.

(Angelika Peters, SPD: Und wo ist jetzt das öffentliche Interesse?)

Auch die Leiterin des Amtes für Raumordnung lehnte den Abbau weiterhin ab. Dennoch arbeitete das Bergamt intensiv darauf hin, die Genehmigung zum Kiesabbau zu erteilen. Der Widerstand in der Region und der Umweltverbände wuchs. Zwischenzeitlich gründete sich eine Bürgerinitiative gegen den Kiesabbau und für den Erhalt der betroffenen Naturlandschaft. Im Oktober 1998 reichte ein Berliner Anwaltsbüro offiziell Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein, mit der ein damals potentielles und heute auch faktisches FFH-Gebiet geschützt werden soll. Bis heute ist die Beschwerde von der EU

nicht abschließend behandelt, denn der Fall ist verzwickt und kompliziert.

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Ein Signal für ein Naturschutzgebiet aus diesem Hohen Hause in Richtung Brüssel würde sicherlich von der EUKommission wahrgenommen werden.

Trotz aller öffentlichen Proteste, trotz ablehnender Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange erging im November 1999 der Planfeststellungsbeschluss durch das Bergamt in Stralsund, welches die Genehmigung zum Kiesabbau erteilte und Heidelberger Baustoffen den Rahmenbetriebsplan genehmigte.

(Angelika Peters, SPD: So lax geht man darüber hinweg.)

Wenige Tage nach dem damaligen Planfeststellungsbeschluss erfolgte postwendend am 16. November 1999 die einstweilige Unterschutzstellung des seit vielen Jahren geplanten Naturschutzgebietes Neuendorfer Wiek und Insel Beuchel durch das Schweriner Umweltministerium. Diese vorläufige Unterschutzstellung hat keine aufschiebende Wirkung auf einen eventuellen Kiesabbau. Sie lief außerdem am 23. November 2003 aus und eine endgültige Festsetzung ist bis heute nicht erfolgt.

(Demonstranten vom BUND erscheinen auf der Besuchertribüne.)

Frau Schwebs, bitte halten Sie inne in der Rede!

Sie wissen ganz genau, dass hier keine Demonstrationen, auch nicht mit spezieller Kleidung, erlaubt sind. Ich bitte die Saaldiener, dieses Problem hier zu lösen. Die Sitzung ist bis auf weiteres unterbrochen.

Unterbrechung: 12.53 Uhr

Wiederbeginn: 12.54 Uhr

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.

Frau Schwebs, bitte, Sie haben das Wort.

Ich wiederhole den letzten Satz: Die vorläufige Unterschutzstellung hat keine aufschiebende Wirkung für einen eventuellen Kiesabbau. Sie lief außerdem am 23. November 2003 aus und eine endgültige Festsetzung ist bis heute nicht erfolgt. Gerade deshalb sind die Koalitionsfraktionen der Meinung – und ich bin mir sicher, die Mehrheit der Rüganer ebenso –, dass es an der Zeit ist, die vorläufige Sicherstellung durch eine endgültige zu ersetzen.

(Beifall Alexa Wien, PDS)

Meine Damen und Herren, Mecklenburg-Vorpommern ist mit einer reichhaltigen Natur beschenkt worden. Eine Perle dabei ist die Insel Rügen. Hört man sich unter Touristen um, so kommen sie gerade wegen der einmaligen und intakten Natur. Die Insel verdankt ihren guten Ruf vor allem der Tatsache, dass sie einmalig naturbelassen ist, und weil man auf alten geheimnisvollen Alleen gemächlich mit dem Fahrrad fahren kann,

(Angelika Peters, SPD: Richtig, Frau Schwebs! Richtig!)

ohne von einem LKW in den Straßengraben gedrängt zu werden.

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in unserem Land geworden. Für die Insel Rügen ist er geradezu die Lebensader, auch in der Gemeinde Neuendorf, in deren Gebiet das künftige Abbaugebiet liegt. Sanfter Tourismus im Einklang mit der Natur ist für viele Rüganer die einzige Chance, ein wirtschaftliches Einkommen zu erzielen.

(Beifall Rudolf Borchert, SPD, und Torsten Koplin, PDS)

Viel Geld – öffentliches und privates – ist in den vergangenen Jahren in die touristische Entwicklung um das geplante Naturschutzgebiet geflossen. Die Erfolge sind nicht zu übersehen.

(Angelika Peters, SPD: Sehr richtig.)

Dagegen stehen die wenigen Arbeitsplätze, die bei einem Kiesabbau entstehen würden. Aber selbst die Firma Heidelberger Baustoffe gibt an, dass sie vorrangig Umsetzungen von Arbeitskräften von anderen bald zu schließenden Kiesgruben auf Rügen vornehmen wollen. Dieser geplante Kiesabbau ist also nicht gerade eine Jobmaschine. Dafür würden in einem touristischen Gebiet schwere kiesbeladene LKW über die vor allem von Radfahrern genutzten engen Alleestraßen im Takt von wenigen Minuten fahren.

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Der Lärm und die Staubbelastung wären erheblich. Neuendorf und Umgebung würden stark an Attraktivität verlieren und vor allem auch Gäste.