Protocol of the Session on November 18, 2004

Verlustes der deutschen Souveränität gesehen. Der 8. Mai war für viele Westdeutsche auch deshalb kein Tag der Befreiung, weil das Land an diesem Tag vollständig von fremden Truppen besetzt war. Im Osten standen die Sowjets, vor denen man Angst hatte und über die allerlei Berichte über tatsächliche oder vermeintliche Gräuel umgingen. Im Westen standen die Engländer und USAmerikaner, die zwar als zivilisiert galten, aber dennoch eher Besatzer als Befreier waren. Als Befreier galten auch nicht die Franzosen, die zwar weniger als die Sowjets gefürchtet waren, aber deshalb noch lange nicht geschätzt wurden.

An den 8. Mai wollte man in Zeiten des Wirtschaftswunders nur noch ungern erinnert werden. Wer dieses Tages gedachte, tat dies mit dem Gefühl der Trauer und des Unwohlseins, nicht aber in dem Bewusstsein, damals die Freiheit gewonnen zu haben. Die 68er sprengten diese Betrachtungsweise und fragten schonungslos nach der Schuld der Väter und den Versäumnissen staatlicher Aufarbeitung faschistischer Zeit.

Im Unterschied zu dieser breit gefächerten Empfindungsweise des 8. Mai in Westdeutschland war der Tag der Befreiung, wie er offiziell hieß, in der DDR in seiner politischen Bedeutung vom Staat klar und eng definiert und wurde in pathetischen Ritualen gefeiert. Die Sowjetunion war Befreier, die Rote Armee die Heldenarmee. Den Alliierten kam bestenfalls eine Statistenrolle zu, aber – auch das muss man sehen – Verursacher der Verbrechen waren nicht zuerst die Deutschen, sondern war der Hitlerfaschismus. Und die DDR in ihrem Selbstverständnis als antifaschistischer Staat gehörte bald mit zu den Bezwingern des Faschismus. Der enge Kreis war geschlossen und man konnte in der DDR den Tag der Befreiung mitfeiern. Einige Verfolgte zu Recht, aber die Mehrheit des Volkes in der DDR gehörte nicht dazu.

Ein Vertriebenenproblem gab es in der DDR nicht. Die Mütter und Frauen der Gefallenen deutschen Soldaten hatten keinen Ort der Trauer. Das Ausblenden der menschlichen Dimension aus dem Ereignis des 8. Mai, seiner Vorgeschichte und seinen Folgen führte zu einer weiteren Entfremdung der Staatsführung der DDR zum Empfinden des Volkes, dessen Menschen in seiner Mehrheit eben nicht Antifaschisten waren.

Zu den unbewältigten Kapiteln dieser deutschen Geschichte gehört auch die Frage nach dem Anteil der Parteien der Weimarer Republik am Scheitern der ersten deutschen Demokratie. Natürlich trugen auch die Kommunisten zum Untergang Weimars bei. Darüber wurde in der DDR am 8. Mai nie gesprochen. Diese Auseinandersetzung mit der Schuld, die die KPD wie andere demokratische Parteien und natürlich auch die SPD auf sich geladen haben, gehört zur angemessenen Weise der Würdigung des 8. Mai, wie wir sie uns vorgenommen haben.

In Aufmärschen und festlichen Staatsakten feierte die Staatsführung der DDR mit Vertretern der Roten Armee diesen Sieg, während wir als das Volk entweder daneben standen oder diesen arbeitsfreien Tag auf unserer Datsche verbrachten. Nach Aufhebung der Arbeitsfreiheit des 8. Mai Anfang der 80er Jahre blieben die Rituale und ideologischen Prämissen unverändert. Das Volk aber fragte angesichts zunehmender wirtschaftlicher Probleme nach dem Sinn des Wortes „Befreiung“ und warum Befreiung Ausgangspunkt neuer Unfreiheit war und als solche nicht enden wollte.

Der Dramatiker Heiner Müller hat den Antifaschismus der DDR-Führung und das ihr eigene Zeremoniell der Befreiung, die von einer neuen Generation als Perversion empfunden wurde, in die Worte gefasst: Der „verordnete Antifaschismus“ der DDR „war ein Totenkult. Eine ganze Bevölkerung wurde zu Gefangenen der Toten. Durch den nachträglichen Gehorsam der überlebenden Besiegten gegenüber den siegreichen Toten der Gegenpartei“ – nach dem Modell Friedrich des Zweiten, der nach seiner Zähmung ein wirklicher Soldatenkönig wurde – „verloren die Toten des Antifaschismus ihre Aura.“

Nein, die DDR und wir Bürgerinnen und Bürger haben den 8. Mai 1945 in seiner vielschichtigen Bedeutung nicht verarbeitet beziehungsweise verarbeiten können. Wie oft in unserer deutschen Geschichte liegen in der Würdigung des 8. Mai aber positive Ansätze und historisch weniger richtig Gelungenes dicht nebeneinander. Der staatlich verordnete Antifaschismus der DDR mag als eben verordnet und als Element der Diktatur des Proletariats empfunden werden. Faktisch trug er dazu bei, dass Antifaschismus Staatsdoktrin war, Nationalsozialisten des Dritten Reiches aus öffentlichen Ämtern entfernt und soweit mit Schuld beladen von Gerichten verurteilt wurden. Politisch Verfolgte wurden materiell entschädigt.

Der Wahrheit ins Auge des gesamten Deutschlands schauen heißt auch, nicht zu vergessen, dass – und ich zitiere – „nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 die Opfer der Nazidiktatur und ihre Angehörigen noch jahrelang von Sozialhilfe lebten, als Naziwitwen bereits hohe Renten bezogen“. So Hildegard HammBrücher 1995 in der Evangelischen Akademie Weimar.

Meine Damen und Herren, zur angemessenen Würdigung des 8. Mai im nächsten Jahr gehört auch die Kenntnisnahme aktuell anwachsender Erinnerungsflut von Medienprodukten zum Dritten Reich. In immer größer werdender Vielzahl bringen Fernsehanstalten, Verlage und auch das Kino historische Bruchstücke der Nazizeit und ihrer Figuren und Vorgänge ins öffentliche Bewusstsein. Das ist zunächst begrüßenswert, aber auch problematisch, wenn zum Beispiel von den Filmbildern eines Diktators, der liebevoll seinen Schäferhund tätschelt und nach dem Essen dezent die Lippen mit der Serviette abtupft, eine Intimität ausgeht, die den Mythos des teuflischen Ungeheuers gefährlich ins Wanken bringt. Und machen wir uns nichts vor, die gekonnten Filmaufnahmen von Massenauftritten und Paraden der Nazis, die Leni Riefenstahl drehte, haben nicht nur in der Nazizeit ihre Faszination gehabt. Sie wirken auch heute und oft heroisierend.

Meine Damen und Herren, zum Vorhaben der PDS und SPD, den 8. Mai angemessen zu würdigen, gehört auch die Frage, warum auf die Befreiung von der Nazidiktatur in Deutschland eine erneute Diktatur folgen musste, die von heute betrachtet eben nicht die richtigen Lehren aus dem Kapitel Deutschland 1933 bis 1945 zog. Mit dem 8. Mai 1945 begann für deutsche Sozialdemokraten zuerst durchaus noch freiwillig, dann aber repressiv und gewaltsam von Seiten der KPD die dritte Verfolgung in der über hundertjährigen Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. Wir Sozialdemokraten wollen deshalb am Tag der Befreiung nicht ausblenden, dass an diesem Tag politisch Andersdenkende in der sowjetischen Besatzungszone und ab 1945 in der DDR von eben diesem DDR-Machtapparat verfolgt wurden.

Meine Damen und Herren, nach allen Unterschieden in der Sicht auf den 8. Mai in Ost und West wird aber auch

dieses deutlich: Die Auseinandersetzung und der verantwortliche Umgang mit unserer Geschichte, die Annahme der historischen und politischen Verantwortung ist gewachsen, so dass wir heute sagen können, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, das Bekenntnis zu unveräußerlichen, unverletzlichen Menschenrechten, zu Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft sind Grundlage der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Artikel 1 unseres Grundgesetzes wird heute angenommen. Das ist die Botschaft, die es zu verteidigen gilt. Der politische Auftrag, den wir mit dem 8. Mai verbinden, ist mit dem Artikel 1 unseres Grundgesetzes hinlänglich formuliert. Wir müssen uns diesem Auftrag alle Tage wieder stellen. Das Wiederaufstellen bereits einmal abgeräumter Heldendenkmäler der Roten Armee mag demgegenüber zurücktreten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Dr. Martina Bunge, PDS)

Danke schön, Herr Friese.

Es hat jetzt noch einmal das Wort für die Fraktion der PDS der Abgeordnete Herr Ritter. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Werter Herr Rehberg, sicherlich hat jeder von uns hier im Raum über seine Familie Beziehungen zu dem, was 1945 und später stattgefunden hat. Mein Vater wurde in Danzig geboren, musste als 18-Jähriger an die Ostfront und kam erst 1949 aus der Gefangenschaft wieder zurück. Ich bin froh, dass mir ein solches Schicksal erspart geblieben ist, und ich will, dass auch meinem Sohn ein solches Schicksal erspart bleibt. Insofern haben Sie Recht, wenn Sie eine ehrliche Auseinandersetzung fordern. Das, was Sie hier aber getan haben, war nicht mehr als eine Schwarz-Weiß-Malerei, die dem Anliegen nicht gerecht wird.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte mir in Ihrem Redebeitrag, Herr Rehberg, schon gewünscht, auch etwas darüber zu hören, wie Sie sich angesichts der aktuellen Wahlerfolge von NPD und DVU stärker mit dem Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern auseinander setzen wollen. Leider habe ich davon nichts gehört.

(Gesine Skrzepski, CDU: Aber auch mit dem Linksextremismus! – Wolfgang Riemann, CDU: Davon reden wir nicht.)

Das war nun wieder weit unter der Gürtellinie.

Eine Bemerkung zu den Demonstrationen, zu den angesprochenen Montagsdemonstrationen, Herr Ministerpräsident.

(Wolfgang Riemann, CDU: Darüber reden wir nicht.)

Ich habe mich gefreut, in Neubrandenburg miterleben zu können, wie sich die Jugendorganisationen von SPD und PDS gemeinsam auf dem Marktplatz positioniert haben, und zwar so, dass von den Nazis in Neubrandenburg bei den Anti-Hartz-Demonstrationen nichts zu sehen und zu hören war.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS, und Torsten Koplin, PDS)

Das war Zivilcourage und die erwarte ich von uns allen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Tagen wurde aus Anlass des 10. Jahrestages des InKraft-Tretens unserer Landesverfassung viel über die Verfassung und Verfassungsänderungen geredet. Das hauptsächliche Interesse findet dabei offenbar die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre. So habe man mehr Zeit, sich hier im Landtag mit Politik zu befassen. Abgesehen davon, dass ich bisher immer davon ausgegangen bin, dass wir alle vom ersten Tag an hier intensiv Politik betreiben, reicht mir nur eine solche Verfassungsänderung bei weitem nicht aus.

Mein Kollege Andreas Bluhm hat in seiner Festrede am Montag aus Sicht der PDS erneut vorgeschlagen, eine antifaschistische Klausel in die Landesverfassung aufzunehmen. Demnach sollten Handlungen, die in der Absicht vorgenommen werden, rechtsextremes oder neofaschistisches Gedankengut zu verherrlichen oder zu verbreiten, als verfassungswidrig erklärt werden.

(Dr. Armin Jäger, CDU, und Eckhardt Rehberg, CDU: Das ist verfassungswidrig.)

Ich möchte diesen Vorschlag heute hier erneut unterbreiten. Ich bin mir darüber im Klaren, Herr Dr. Jäger, dass auch eine solche Klausel, die das noch einmal in der Landesverfassung verdeutlicht,

(Eckhardt Rehberg, CDU: Nein, das ist verfassungswidrig! Es ist verfassungswidrig, Herr Ritter!)

kein Allheilmittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus ist. Aber sie wäre aus unserer Sicht ein wichtiges und deutliches Zeichen und deshalb bitte ich Sie noch einmal alle, diesen Vorschlag ernsthaft zu prüfen.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS, und Birgit Schwebs, PDS)

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir schon heute wissen, dass Rechtsextreme für den 8. Mai in Rostock und für den 8. Mai in Berlin Demonstrationen und Aufmärsche angemeldet haben,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, richtig.)

dann ist doch dringender Handlungsbedarf geboten. Und deshalb muss ich hier mit Bedauern und Unverständnis zur Kenntnis nehmen, dass Sie den Antrag ablehnen. – Danke schön.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS, und Torsten Koplin, PDS – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Danke schön, Herr Ritter.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf der Drucksache 4/1407. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenprobe. – Danke schön. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 4/1407 bei

Zustimmung durch die Fraktionen der SPD und PDS und des fraktionslosen Abgeordneten Dr. Bartels sowie Gegenstimmen durch die Fraktion der CDU angenommen.

Die beiden Koalitionsfraktionen sind damit einverstanden, an dieser Stelle noch nicht in die Mittagspause einzutreten.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Kinder- und JugendGesundheitsvorsorgeinitiative des Landes MecklenburgVorpommern – Rauchfreie Schule als erster Schritt, auf der Drucksache 4/1410.

Antrag der Fraktion der CDU: Kinder- und Jugend-Gesundheitsvorsorgeinitiative des Landes Mecklenburg-Vorpommern – Rauchfreie Schule als erster Schritt – Drucksache 4/1410 –

Das Wort zur Begründung des Antrages hat der Abgeordnete Herr Schubert von der Fraktion der CDU. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen geht uns alle an, denn sie stellen die Zukunft unseres Landes dar. Aber nicht nur das Land Mecklenburg-Vorpommern ist krank, sondern auch dessen Nachwuchs. Ganz besonders Alkohol und Nikotin, aber auch illegale Partydrogen gefährden die Gesundheit der heranwachsenden Generation. Da können wir, meine Damen und Herren, nicht tatenlos zusehen. Daher fordert die CDU-Fraktion eine Gesundheitsinitiative für Kinder und Jugendliche. Heutzutage greifen bereits Zwölfjährige oder noch jüngere Kinder zur Zigarette oder zu anderen Suchtmitteln. Dieser frühe Einstieg in die Sucht gefährdet die Entwicklung der Heranwachsenden und führt nicht selten zu einer lebenslangen Abhängigkeit.

Nicht wenige von Ihnen, meine Damen und Herren, haben in der letzten Zeit mit dem Rauchen aufgehört – ich eingeschlossen –

(Beifall Gesine Skrzepski, CDU)

und wissen, wie schwer es ist, dies durchzuhalten. Daher müssen wir verhindern, dass so junge Menschen überhaupt erst damit beginnen. Das heißt, man muss nicht nur die Symptome behandeln, sondern deren Ursachen. Und die Ursache hierbei ist nicht, dass Kinder und Jugendliche zur Zigarette oder zu anderen Suchtmitteln greifen, das sind nur die Symptome, sondern wie sie da rankommen und was sie dazu bewegt. Es kann doch nicht sein, dass Zwölfjährige ohne Probleme an Zigaretten und andere Drogen kommen, obwohl es laut Jugendschutzgesetz erst mit 16 möglich sein sollte. Meiner Meinung nach ist hierbei die Vorbildwirkung jedes Einzelnen sehr, sehr wichtig. Da nützen auch keine erhöhten Zigarettenpreise, der Nikotinkonsum steigt dennoch stetig.

Daher fordern wir die Landesregierung auf, unverzüglich eine landesweite Kinder- und Jugendgesundheitsvorsorgeinitiative zu starten. Damit verbunden sein sollen: