Protocol of the Session on April 1, 2004

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Angelika Gramkow, PDS)

Die jetzige Bundesregierung schickt Millionen Menschen in eine unsichere Zukunft. Im Rentenalter angekommen werden sie auf ergänzende Unterstützung angewiesen sein.

Ich lade Herrn Schröder und auch Herrn Clement gern zu uns ein: Kommen Sie und erleben Sie, wie sich Ihre jetzige Politik auswirkt bei uns im Land! Man muss natürlich sagen, dass sich das ja nicht nur bei uns so auswirkt, sondern auch schon in bestimmten Regionen im Westen. Die jungen Leute verlassen unser Land, weil es hier keine ausreichende Zahl von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für sie gibt, und die, die es gibt,

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Die werden wegrationalisiert.)

werden deutlich schlechter bezahlt als im Westen, und das im 14. Jahr der Wiedervereinigung. Und nicht genug damit, seit Jahren werden die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik für unser Land zurückgefahren und das versprochene kommunale Investitionsprogramm des Bundes ist immer noch nicht aufgelegt.

Was die Arbeitsmarktpolitik anbelangt, so muss man kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass es dort weiter abwärts gehen wird. Ist das, die Frage stelle ich, verant

wortungsvolles Regierungshandeln? Leistung, Qualifikation und Motivation können nur durch angemessene Löhne gesichert werden. Nur so kann man Zukunft und Sicherheit schaffen

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Angelika Gramkow, PDS – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Es muss erarbeitet werden, Frau Lück! Geld muss erarbeitet werden. Geld fällt nicht vom Him- mel, man muss es erarbeiten! Meine Güte!)

und das hat im Übrigen selbst Herr Rehberg eingestehen müssen, als er vor zwei Jahren die Gastronomiebranche in Mecklenburg-Vorpommern aufgefordert hat, ihre Lohnpolitik zu überdenken,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

um die hiesigen Fachkräfte nicht aus dem Land zu treiben.

(Karin Strenz, CDU: Ich habe von Geringqualifizierten geredet.)

Hören Sie richtig zu, Frau Strenz! Ich habe gar nicht Sie gemeint.

Dass Deutschland auch im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig ist, zeigen die Exportzahlen und vor allem die Exportüberschüsse.

(Zuruf von Martin Brick, CDU)

Und nun zur aktuellen Landespolitik. Natürlich tut es weh, wenn wir hier im Land bei Beamten, Arbeitern und Angestellten im öffentlichen Dienst Kürzungen im Lohn, im Gehalt oder bei den Zulagen vornehmen

(Heiterkeit bei Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bitten müssen, ihren Teil zur Zukunftsgestaltung des Landes auch in Form von Verzicht beizutragen. Wir meinen als PDS-Fraktion, das kann nur eine zeitlich befristete Regelung sein.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Das Ziel der Angleichung der Löhne und Gehälter Ost und West bleibt nach wie vor bestehen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass der Bund und auch die Länder nicht einseitig nur auf die Ausgabenseite schielen, nein, auch die Einnahmeseite muss endlich genau betrachtet werden. Große Gewinne und große Vermögen müssen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden. Steuerflucht und Schwarzarbeit müssen stärker bekämpft,

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

die Binnenkaufkraft und die Binnennachfrage müssen gestärkt werden. Die Landes-SPD muss sich in Berlin dafür stark machen, dass der Aufbau Ost die Bezeichnung „Chefsache“ wieder verdient, denn mit dem Osten kippt auch der Westen.

(Beifall Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Und wer das nicht glauben will, der muss nur noch wenige Jahre so weitermachen wie bisher.

Während im Westen die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei 9 Prozent liegt,

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

liegt sie im Osten – ich spreche von der tatsächlichen Arbeitslosigkeit – schon zwischen 28 und 35 Prozent, was

bekanntlich auch Auswirkungen auf unseren Bundeshaushalt und auf die Sozialversicherungssysteme hat. Allein schon daraus ergibt sich, dass aufgrund anderer Bedingungen der Osten damit auch andere Maßnahmen braucht. Genau so verstehen wir den Antrag.

Letztlich noch ein Wort an Sie, Herr Wilken. Vielen Dank für die Literatur, die wir erhalten haben, die ich mit einer persönlichen Widmung sogar erhalten habe.

(Andreas Bluhm, PDS: Das sind personengebundene Exemplare.)

Wir haben Ihnen unsere Literatur ja auch übergeben. Ich hoffe, dass das gegenseitig fruchtet. Und wenn Ihre Literatur sagt „Kompromisse fassen“, das ist ja der Titel, Kompromisse sind natürlich wichtig. Es müssen aber gute Kompromisse sein, ich denke, vor allem Kompromisse im Sinne beider Tarifparteien und vor allen Dingen auch im Interesse unserer ArbeitnehmerInnen des Landes. – Danke.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Danke, Frau Lück.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Schildt von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon mit der Aktuellen Stunde dieser Landtagssitzung haben wir Chancen unseres Bundeslandes im Kanon eines größer werdenden Europas beleuchtet.

(Heiterkeit bei Martin Brick, CDU)

In diesem Zusammenhang sind wir grundsätzlich versucht, unsere Standortvorteile, -nachteile sowie Entwicklungsnotwendigkeiten zu beleuchten und zu gucken, wo wir besser, wo wir schlechter stehen, wo Risiken für uns sind.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Und genau in diesem Prozess meldet sich der Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung in der Zeitung „Die Welt“ am 26.01.2004 mit folgender Aussage in einem Interview zu Wort, ich zitiere: „Die ostdeutschen Länder sind künstlich an das Westniveau heran gehoben worden. Bei den Löhnen jedenfalls. Dieses Lohnniveau lässt sich nicht halten. Es muss sinken und sich mittelfristig irgendwo zwischen dem polnischen und dem westdeutschen Niveau einpendeln.“

(Vizepräsident Andreas Bluhm übernimmt den Vorsitz.)

Und genau das, meine Damen und Herren, wird natürlich in jeder möglichen Presse veröffentlicht und ist der Beginn einer Debatte, die wir zwingend notwendig hier führen müssen.

(Beifall Heinz Müller, SPD, und Angelika Gramkow, PDS)

Dieses Zitat und diese Ausführungen beinhalten keine Aussage zur Leistungsfähigkeit, zu Wachstum, zu Chancen, sondern ausschließlich die geographische Stufe zwischen den alten Ländern und Polen. Ich meine, das ist ein sehr schlechtes Argument, um in so eine Debatte einzusteigen.

Am 30.03. veröffentlicht das Statistische Landesamt die Pro-Kopf-Bruttolöhne, die bei uns gelten. Und diese

möchte ich jetzt sehr gern einmal ganz konkret heranziehen, meine Damen und Herren. In Mecklenburg-Vorpommern werden gegenwärtig 78 Prozent des bundesdeutschen Niveaus erreicht. Ich glaube, das ist uns allen so ungefähr vom Gefühl her bekannt. Aber ich möchte mal ins Detail gehen: In der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft des Landes werden pro Kopf 14.884 Euro brutto realisiert, das sind 86,6 Prozent des Bundesdurchschnitts, immer noch 1,4 Prozent weniger als im Schnitt der neuen Länder. Und ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, wir haben eine sehr gut aufgestellte Landwirtschaft, modern, von der Struktur her zukunftsfähig, wettbewerbsfähig, aber 86,6 Prozent des Bundesdurchschnitts. 17.309 Euro werden im Handel, Gastgewerbe und Verkehr im Durchschnitt der Beschäftigten in unserem Land verdient, das sind 78,6 Prozent des Bundesdurchschnitts und wiederum 1,4 Prozent weniger als im Schnitt der neuen Länder.

Wir haben hier häufig diskutiert über die Wachstumsbranche, über Tourismus, über die Erfolge. Wir haben über Qualität im Tourismus gesprochen. Und hier sprechen wir mal über ein Lohnniveau bei solch einer Wachstumsbranche, das sind 21.826 Euro brutto im Durchschnitt des produzierenden Gewerbes, im Vergleich zum Bund 68 Prozent. Ich weiß, dass die Messlatte hier weitaus differenzierter anzulegen ist. Hier gibt es sehr ungleiche Wettbewerbsbedingungen, sehr unterschiedliche Entwicklungsstände. Wir haben gerade auch von Frau Strenz gehört, wie problematisch sich die Situation in einigen Betrieben darstellt, und das sind nicht wenige. Deshalb kann man hier sicherlich keinen generellen Schluss ziehen. Trotzdem, dieser Abstand zum bundesdeutschen Niveau ist enorm.

Meine Damen und Herren, wir leben in der Bundesrepublik Deutschland und hier gilt das Grundgesetz für alle Bürger. In Mecklenburg-Vorpommern leben keine Phantasten, die blühende Landschaften, sprich vergleichbare Lebensverhältnisse sofort erwarten. Wir haben gelernt zu planen, zu gestalten und Zeiträume dafür zu akzeptieren. Aber wir haben ein Ziel: ein vergleichbares Lebensniveau für alle Menschen. Und dieses Ziel dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Die Realität ist, dass Arbeit auch unter dem Sozialhilfeniveau für viele Menschen, für immer mehr Menschen nackte Realität wird. Niedrige Löhne sind nicht ausschließlich das Ergebnis schwacher wirtschaftlicher Leistungskraft in den Betrieben. Zunehmend wird die Notlage der Arbeitsuchenden und ihre Bereitschaft, auf unterschwellige Angebote einzugehen, verheerend für das Niveau. Beweis dafür ist das im ohnehin niedrigen Lohnniveau in Mecklenburg-Vorpommern bestehende WestOst-Gefälle, ein Spiegelbild der Arbeitslosigkeit. Aber glauben Sie mir, meine Damen und Herren, ich unterstelle, dass Sie das aus eigenem Erleben bestätigen können. Eine Verstetigung dieser Situation wird die Menschen unseres Landes in eine tiefe Depression führen. Das sind zwei Tendenzen, die wir schon jetzt zu verzeichnen haben:

Erstens. Hochqualifizierte, hoch motivierte, zumeist junge Menschen verlassen das Land.

Zweitens. Die Menschen, die bleiben, die unser angestrebtes Ziel nicht mehr erkennen können, werden demotiviert.

Wo, meine Damen und Herren, bleibt da der Standortvorteil Ansiedlung von Investoren? Das haben wir an anderer Stelle, zum Beispiel gestern, festgestellt, das ist

das Ergebnis der Summe vieler Faktoren. Einer davon, und der ist wesentlich, ist das Vorhandensein hoch qualifizierter und motivierter Menschen und Arbeitnehmer. Herr Sinn, der Präsident der vorhin zitierten Institution, sagt, und jetzt zitiere ich erneut: „In Ostdeutschland sind die Löhne fünfmal so hoch wie in Tschechien und Polen.“ Also wo müssen wir denn hin, um wirtschaftlich wieder interessant zu sein?