Protocol of the Session on March 31, 2004

Wie sind wir vorbereitet bei der Infrastruktur? Eisenbahnverlängerung nach Swinemünde – dazu habe ich heute nichts gehört vom Ministerpräsidenten. Karniner Brücke – dazu kommt nachher noch ein Schaufensterantrag der Koalitionsfraktionen, der unzureichend ist, weil er nicht deutlich genug macht, wann wir sie haben wollen.

(Angelika Gramkow, PDS: Oh Mann! Das glaubst du wohl selbst nicht mehr, was du hier erzählst!)

Umgehungsstraßen Anklam, Wolgast – Knoten, Redoute, nichts davon ist vorbereitet.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Was?)

Ich sage Ihnen, mit der Öffnung der Grenzen wird es mehr Verkehr geben auf Usedom und in meinem Landkreis. Und mit der Öffnung der Grenzen sind wir von der Strukturpolitik, von der Infrastruktur her nicht vorbereitet. Wir haben nachher noch einen Antrag „Strukturpolitik nach 2006“. Auch das ist unklar. Und bei der Durchsetzungskraft unserer Landesregierung habe ich erhebliche Zweifel, dass die EU-Förderung so weitergeht, wie wir sie gerne wünschen. Da können wir Anträge stellen, so oft wir noch wollen.

Wie sind wir vorbereitet bei Freizügigkeit, Verkehr, Grenzöffnung? Nichts davon haben wir heute gehört. Welche Grenze wird für welchen Verkehr geöffnet? Wie sind wir vorbereitet? Herr Ministerpräsident führte aus, sieben Jahre sollen die Arbeitskräfte nicht aus Polen kommen für die Übergangszeit. Sie sind doch schon längst da, meine Damen und Herren!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Sie sind da im touristischen Bereich, auf der Insel Usedom. Sie sind da – und das begrüße ich außerordentlich –, wo Hotels sagen, wir wollen, weil die Sprachbarriere eben da ist, für unsere polnischen Gäste einen Ansprechpartner haben, der diese Sprache perfekt spricht. Nur die Bürokratie natürlich macht es so schwierig, dass diese

Ansprechpartner hier auch mit der Sprache tätig werden können.

(Zurufe von Karsten Neumann, PDS, und Peter Ritter, PDS)

Wir sind nicht vorbereitet für Stausituationen und der Abbruch der Butterschifffahrt, der ab 1. Mai deutlich wird, vernichtet 40 Arbeitsplätze. Auch dazu habe ich heute hier nichts gehört. Und den Ministerpräsidenten, der ja anscheinend nur für das große Ganze zuständig ist, aber nicht für dieses Land, den interessiert dieses auch nicht. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Riemann.

Das Wort hat jetzt noch einmal der Abgeordnete Herr Neumann von der PDS-Fraktion.

Kollege Riemann, ich will aus dem „Focus“-Beitrag einen Punkt herausstreichen, den Sie jetzt nicht genannt haben,

(Wolfgang Riemann, CDU: Zeitfragen.)

nämlich die ganz klare Benennung dessen, wie Deutschland bereits heute Gewinner dieses Beitrittes ist, und zwar im Umfang von, Herr Kollege Müller nannte die Zahl, 0,8 Prozent des BIP, man kann es aber auch umrechnen auf 77.000 deutsche Arbeitsplätze. Schon heute sind 77.000 deutsche Arbeitsplätze dadurch gesichert, dass die Handelsbilanz zwischen Deutschland, Polen, Ungarn und anderen Beitrittsländern eben nicht ausgeglichen ist, sondern ein Defizit herrscht. Und dieses Defizit macht 77.000 deutsche Arbeitsplätze aus. Im Umkehrschluss: Rund 150.000 polnische sowie ungarische Arbeitslose gehen auf unsere Kosten. Auch das muss man ganz klar mal benennen. Und dieses Außenhandelsdefizit steigt, es steigt von 1996 mit 10 Milliard e n Euro bis 2000 auf 18 Milliarden Euro und es steigt weiter. Wir müssen also auch, denke ich, wenn wir in Partnerschaft denken, uns der Probleme des Partners annehmen. Die Europäische Kommission hat berechnet, dass selbst, wenn das Wirtschaftswachstum weiterhin in diesem Maße bestehen bleibt und weiterhin zwei Prozent über dem EU-Durchschnitt jedes Jahr – Jahr für Jahr – liegt, Polen 59 Jahre braucht, bis der Durchschnitt der Europäischen Union erreicht ist. Das heißt, wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass unser Nachbar Probleme hat, die wir ihm, denke ich, überhaupt nicht neiden.

Und wir müssen uns auch die Frage stellen lassen, inwieweit denn Europa auf den Beitritt vorbereitet ist. Die Präsidentin sprach es kurz an. In der Diskussion um die Verfassung und im Verfassungsentwurf hat sich gezeigt, wie angesichts des historischen Beitrittes dann doch der kleinliche Kampf, das gegenseitige Augenaushacken beginnt, wenn es eben um die Neuverteilung von finanziellen Ressourcen geht. Und davor dürfen wir auch nicht die Augen verschließen. Ja, Kollege Riemann, das wird passieren. Und dann wird die Frage auch an uns hier in Mecklenburg-Vorpommern gestellt sein, inwieweit wir bereit sind, hier unseren Beitrag zu leisten.

Europa ist auch nicht friedlich. Ich bin schon erstaunt, dass es viele Diskussionen auslöst, inwieweit denn Grenzlandförderprogramme finanziell gefördert werden können, aber der Beitritt zur NATO ist voll finanziert. Schon heute

gibt die Republik Polen mehr Geld aus für die Aufrüstung und für Militär als zu Zeiten des Warschauer Vertrages.

Wir müssen auch sagen, dass Europa sozial nicht vorbereitet ist, genauso wenig wie sein Nachbarland. Und wir müssen ein Interesse daran haben – da gebe ich der Präsidentin völlig Recht –, dass es in Polen eben nicht zu sozialen Verwerfungen in Größenordnungen kommt. Wenn wir heute eine Arbeitslosigkeit von 20 Prozent haben, wissen die meisten von uns, die in Polen waren, dass das wirklich eine geschönte Zahl ist.

Wenn wir uns ansehen, was im Landwirtschaftssektor passieren wird, wissen wir doch auch aus unseren Erfahrungen hier in Ostdeutschland, was das heißt für den Arbeitsmarkt, welche gewaltigen Herausforderungen da auf unseren Nachbarn zukommen. Und da wird, so sehr sich das ähnelt mit dem Beitritt der ehemaligen DDR zu Europa – die letzte Erweiterung übrigens, ein bisschen kleiner als die heutige –, genau dasselbe im wirtschaftlichen Bereich passieren, nur immer minus alle westdeutschen Transferleistungen, minus Sozialsystem, minus Arbeitsamt, ABM, SAM et cetera.

Und das ist die Situation, vor der unsere Nachbarn stehen. Europa ist immer noch nicht demokratisch. Das Europäische Parlament kämpft immer noch um seine Rechte, um die demokratische Legitimation. Und die Bürgerinnen und Bürger, gerade in den jungen Demokratien, die jetzt beitreten, empfinden das wesentlich schmerzlicher als die alten Mitgliedsländer. Und wenn am 1. Mai Polen beigetreten ist, müssen wir uns eben auch die Frage stellen, warum am 2. Mai Leszek Miller als Regierungschef abtritt. Eine ganze politische Partei in unserem Nachbarland ist zerstört worden in diesem Prozess

(Eckhardt Rehberg, CDU: Aber nicht wegen dem Beitritt, Herr Neumann, aber nicht wegen dem Beitritt! Es hat auch noch ein paar andere Probleme gegeben.)

und hat nämlich diese sozialen Schwierigkeiten, die auf das Land zukommen, nicht bewältigt, auch nicht mit Hilfe der Europäischen Union.

Wir haben die Chancen des Beitrittes definiert, wenn 8 0 Prozent des deutschen Außenhandels mit den Beitrittsländern auf Polen, die Tschechische Republik und Ungarn entfallen. Platz 10 hat Polen errungen hier im Außenhandel mit Deutschland. Diese Chancen zu nutzen ist aber vor allen Dingen auch eine Herausforderung an uns und an unsere Partnerschaft mit unseren polnischen Kolleginnen und Kollegen.

Wir werden sicher nicht die große Politik bewegen. Wir machen mehr das, was wichtig ist im Kleinen, das gegenseitige Verständnis tatsächlich zu fördern. Und da bin ich, Herr Ministerpräsident, gern bereit, auf Ihr Angebot einzugehen, darüber nachzudenken, wie können wir angesichts dieser Situation oder wie müssen wir unsere bisherige Zusammenarbeit umsteuern. Bisher ist mir leider bei diesem Umsteuern nur klar geworden, wo wir wegsteuern, aber wohin wir dann umsteuern, das ist noch offen und wird, denke ich, eine wichtige Debatte auch in diesem Landtag sein müssen. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Herr Neumann.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Fiedler-Wilhelm von der CDU-Fraktion.

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir bleiben jetzt nur noch vier Minuten. Ich will mich deshalb auf einige Schwerpunkte beschränken.

Herr Walther, das freut Sie, das sehe ich. Danke.

Ich denke, es ist keine Frage, dass die Erweiterung der EU ein richtig großer politischer Kraftakt ist und vor allem ein ökonomischer Kraftakt von epochaler Bedeutung. Die Sinnhaftigkeit, glaube ich, stellt hier in diesem Parlament auch keiner mehr in Frage. Dennoch, je näher der Termin rückt, desto größer wird die Skepsis bei den Menschen, Ängste kommen auf, wir haben es vorhin gehört, Ängste um die eigene wirtschaftliche Zukunft, aber auch Ängste um die künftigen Möglichkeiten der persönlichen Identifikation mit der Heimatregion, und zwar auf beiden Seiten der Grenze.

(Wolfgang Riemann, CDU: So ist es.)

Ich nehme die Aktuelle Stunde, die von der SPD beantragt wurde, mal zum Anlass, nicht zur Selbstbeweihräucherung, so, wie wir das vorhin vom Ministerpräsidenten erlebt haben, sondern auch, um mal die Fragen zu stellen: Wie gut sind wir eigentlich vorbereitet? Was haben wir gemacht in den letzten Jahren? Welche Aufgaben stehen eigentlich noch vor uns? Sind die Menschen, ohne die die Einheit Europas nämlich nicht mit Leben erfüllt werden kann, ausreichend vorbereitet? Hat man sie mitgenommen auf den europäischen Weg? Verlangen sie nicht zu Recht mehr Transparenz und bessere Erklärungen? Haben sie nicht zu Recht den Eindruck, dass Europa noch bürokratischer und vielleicht sogar ungerechter gegenüber einzelnen Mitgliedern wird? Ich denke, es ist eine Aufgabe der Politik, Europa für die Menschen nachvollziehbarer und auch ein Stück begreifbarer zu machen. Und das geht natürlich am besten, indem man das in überschaubaren Regionen macht. Deshalb wird der Regionalgedanke in Europa auch so sehr gepflegt. Wir sprechen nicht umsonst vom Wettbewerb der Regionen, meine Damen und Herren. Und deshalb, weil wir diesen Wettbewerb der Regionen haben, der gut und richtig ist, muss es darum gehen, Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände auch ein Stück weit mehr zu stärken. Ihre Bedeutung ist eine sehr hohe bei diesem Wettbewerb der Regionen.

(Beifall Karsten Neumann, PDS)

Ich selber komme aus der Region Uecker-Randow, in der der polnische Nachbar nicht mehr nur als neues europäisches Familienmitglied an die Haustür klopft, sondern sich schon dort fast wie zu Hause fühlt und gewohnt ist, dass die Tür für ihn offen steht. Das merkt man in verschiedensten Veranstaltungen – bei Grenzfesten, in Veranstaltungen von Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport und so weiter. Mittlerweile gibt es über 80 regionale und kommunale Partnerschaften. Seit 1990 haben eine Dreiviertelmillion deutsche und polnische Jugendliche an dem Programm des deutsch-polnischen Jugendwerkes teilgenommen und 80.000 davon sogar in unserer Region. Regionalismus plus Einheit muss die Devise heißen, wenn die Dynamik der Einigung von unten nicht an Kraft verlieren soll. Wir können es nicht oktroyieren, wir müssen zusehen, dass Einheit und Einheitsgefühl von den Menschen von unten gelebt wird.

Ein Beispiel wäre die Euroregion Pomerania. Sie kennen das alles. Wir haben dort deutsche und polnische Teilregionen in dieser Euroregion Pomerania vereint. Auch die südschwedische Region Schonen gehört dazu. Wir haben diese Region als Territorium begriffen, aber auch als abgestecktes Handlungsfeld, und zwar nach geschichtlichem Vorbild von Handels-, Kultur- und politischen Beziehungen in Ostseeanrainerstaaten.

Meine Damen und Herren, was ist passiert in den letzten Jahren? Ich habe mal Zitate herausgesucht, die sich über die Jahre verteilen. Das erste Zitat, das ich Ihnen vorlesen möchte, stammt aus einer Pressemitteilung vom 02.10.2010

(Karsten Neumann, PDS: 2010?!)

als Zusammenfassung einer parteiübergreifenden Strategierunde „Fit für die EU-Osterweiterung – transeuropäische Netze“. Dort wird gefordert, ich zitiere: „Während die EU-Osterweiterung näher rückt, muss die Region soweit wie möglich gestärkt und in vielen Punkten auf diesen Schritt vorbereitet werden. Wir fordern einen kurzfristigen Ausbau des Verkehrswegenetzes, wie zum Beispiel durch die Anbindung des Nordkreises an die A 20 und eine konsequente Stärkung unserer heimischen Wirtschaft.“

Ein zweites Zitat vom 18.11.2003 stammt – ich bin gleich fertig – von der IHK Neubrandenburg zu einer Expertendiskussion. Hier wird gefordert: „Die Chancen der grenznahen Regionen können im wesentlichen nur vor Ort genutzt und entwickelt werden, also von den Unternehmen, den Kommunen und den Arbeitsmarktakteuren. … Initiative vor Ort erfordert auch ein stützendes und förderndes politisches Umfeld. Hier besteht weiterer Handlungsbedarf: Landes-, Bundes- und europäische Politik brauchen eine sensiblere Abstimmung, auch zwischen den verschiedenen Fachressorts.“

Ich könnte jetzt noch weiter zitieren. Genau das wird nämlich vermisst, meine Damen und Herren. Was ist mit den Infrastrukturmaßnahmen? Was ist mit Grenzöffnungen? Mein Kollege Riemann hatte das vorhin ausreichend beleuchtet.

Und eine letzte Bemerkung gestatten Sie mir, bevor ich zum Ende komme: Frau Landtagspräsidentin hatte vorhin das Thema Bildung angesprochen. Ich frage mich schon, wie wir die Einheit nutzen wollen, wenn wir vor Ort solche guten Projekte wie Polnisch in der Grundschule von landespolitischer Seite auch ein Stück weit verhindern. Laut einer Umfrage haben 15 Schulen im Landkreis UeckerRandow sich diesem Projekt genähert und wollten Polnisch in der Grundschule anbieten.

Frau Fiedler-Wilhelm, auch wenn das Thema mich natürlich fasziniert, muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit doch schon erheblich überschritten ist.

(Beifall Karsten Neumann, PDS: Bevor sie fertig ist, ist Polen beigetreten.)

Darf ich den Satz noch zu Ende bringen?

Neun Stunden stehen zur Verfügung. Damit können nur drei Schulen überhaupt an diesem Projekt teilnehmen. Die Frage ist natürlich schon, warum können wir solche Initiativen bei 40- bis 60-prozentiger Zustimmung der Schüler und der Lehrer im Landkreis Uecker-Randow zu Polnisch

unterricht in der Grundschule da nicht mehr stärken? Ich hätte noch mehr Beispiele und schließe jetzt aber trotzdem.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)