Protocol of the Session on November 12, 2003

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mohr, wenn Sie es nicht haben, ich stelle es Ihnen gerne zur Verfügung, das ist das Kapitel 18 des Existenzgrundlagengesetzes. Hier können Sie die länderspezifischen Erstattungssätze auf Ausgleich für strukturschwache Regionen und Regionen mit momentan mehr Arbeitslosenhilfe- als Sozialhilfeempfängern zur Kenntnis nehmen. Übrigens würde Mecklenburg-Vorpommern nach der aktuellen Lage einen Erstattungssatz von 90 Prozent bekommen. Ich gehe aber davon aus, dass dadurch die Zahl der Langzeitarbeitslosen noch deutlich ansteigt und dass wir hier noch günstiger fahren. Ich will noch einmal deutlich unterstreichen, dass eine Neuverteilung der Umsatzsteuer keinesfalls einen ursachengerechten Belastungsausgleich darstellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der geförderte Niedriglohnsektor. Wenn Sie die Zahlen nehmen, ich habe das einmal kurz nachgerechnet, dann würde eine Familie mit zwei Kindern 1.093 Euro plus Heizung, plus Unterkunft und noch ein paar andere Mehrbedarfe erhalten. Darauf will ich aber nicht eingehen. Ich will noch einmal darum werben: Ist es nicht sinnvoll, dass, wenn einer 400 bis 1.100 Euro Bruttoeinkommen mehr hat, er berechtigt ist, 50 Prozent davon zu behalten, damit er einen Anreiz hat zu arbeiten?

Ich möchte Ihnen einmal nicht aus den neuen Ländern, sondern aus den alten Ländern ein paar Bruttostundensätze/Tarifsätze vorlesen: Hilfsarbeiten für leichte Arbeiten in der Landwirtschaft Rheinland 4,57 Euro, Verkäuferinnen im Bäckerhandwerk im Saarland 5,72 Euro und so weiter und so fort. Viele von denen stecken übrigens heute in der ergänzenden Sozialhilfe drin und auch

für die sollte es ein Anreiz sein, einer Beschäftigung nachgehen zu können. Man sollte nicht einfach geförderte Niedriglohnsektoren verteufeln, nur um des verteufelns Willen, denn die Kombination von Einkommen aus Erwerbstätigkeit plus Hilfe zur Selbsthilfe aus der Förderung des Niedriglohnsektors ist allemal besser als Stütze plus Schwarzarbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Überweisung ist keine Zeit mehr. Die Entscheidungen stehen an.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Ich kann Sie nur bitten, dass Sie Ihren Antrag zurückziehen, denn er berücksichtigt nicht einmal ansatzweise – Herr Mohr, jetzt können Sie für die SPD erzählen, was Sie wollen, schwarz auf weiß,

(Klaus Mohr, SPD: Warten Sie doch erst einmal ab.)

der Antragstext ist das Entscheidende – die besondere spezifische Situation der neuen Bundesländer und des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben unseren Antrag natürlich gegenchecken lassen und er ist auf sehr viel Akzeptanz in den neuen Bundesländern gestoßen. Deswegen ist es meine Bitte an Sie: Springen Sie über Ihren Schatten, ziehen Sie Ihren Antrag zurück und stimmen Sie unserem zu! Das wäre eine Basis, um aus beiden Gesetzentwürfen, Hartz IV und das Hessen-Modell, ich sage es einmal verkürzt, eine Alternative zu machen und nicht in Extrempositionen zu verfallen, sondern die vernünftige Mitte zum Wohle unseres Landes zu suchen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Rehberg.

Es hat jetzt Herr Caffier das Wort zur Geschäftsordnung.

Herr Präsident, die CDU-Fraktion beantragt eine Auszeit von 15 Minuten.

Ich unterbreche die Sitzung für 15 Minuten. Sie wird wieder eröffnet um 16.05 Uhr.

Unterbrechung: 15.49 Uhr

(Die Dauer der Unterbrechung wird zwischenzeitlich verlängert. – Der Ältestenrat wird einberufen.)

Wiederbeginn: 17.05 Uhr

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.

Gemäß Paragraph 89 unserer Geschäftsordnung erhält jetzt außerhalb der Tagesordnung zu einer persönlichen Erklärung die Abgeordnete Frau Lück das Wort. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

(Siegfried Friese, SPD: Und dann gehen wir wieder zur Arbeit über.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war nicht meine Absicht, mit meinen Ausführungen einen Bezug zur Zwangsarbeit im nationalso

zialistischen Deutschland herzustellen. In der Nachfrage von Herrn Born von der CDU-Fraktion habe ich das bereits deutlich gemacht. Um falsche Auslegungen auszuschließen, ziehe ich das Wort „Zwangsarbeit“ zurück. Es war meine Absicht, Folgendes deutlich zu machen: Grundelement von Hartz ist, dass jede Arbeit als zumutbar gilt. Das ist aus meiner Sicht und der meiner Partei Druckausübung auf Arbeitslose, jede Arbeit anzunehmen, und zwar unabhängig von der Qualifikation und anderen Dingen. – Danke.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Nicht einmal eine Entschuldigung?)

Danke schön, Frau Abgeordnete.

Als Nächster hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Mohr für die Fraktion der SPD. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Rehberg, Sie haben hier eben im Parlament, will ich einmal sagen, das Ballyhoo zu diesem Tagesordnungspunkt inszeniert, was ich von Ihnen ehrlich gesagt auch erwartet habe. Aber lassen Sie sich gesagt sein: Quantität ist nicht immer gleichzusetzen mit Qualität.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Was hat er inszeniert? Was war das für ein Ausdruck?)

Das gilt sowohl für den Antrag der CDU, ich muss das so sagen, ich werde das gleich noch weiter begründen, als auch für Ihre Ausführungen, Herr Rehberg. Und ich denke, wenn Sie hier die einschlägigen Texte genauer gelesen hätten, dann hätte sich vieles von dem, was im Antrag ist, was Sie aber auch hier in Ihrer Rede gesagt haben, erübrigt. Und damit Sie sehen, dass ich mich wirklich sorgfältig und umfassend mit Ihrem Antrag befasst habe, fange ich noch einmal beim ersten Punkt Ihres Antrages an, denn offenkundig haben Sie hier drei Punkte in Ihrem Antrag und zu denen möchte ich kurz Stellung nehmen:

Zum Punkt 1 ist zu sagen, mit Verlaub, der ist sicherlich Schnee von gestern. Zur Drucksache 4/50, Ordnung muss sein, die Punkte 1 und 3 sind zeitlich überholt. Die geforderte Unterrichtung durch die Landesregierung bezog sich lange Zeit auf die seinerzeit aktuellen HartzGesetze I und II, die ja bekanntlich zum 01.01.2003 in Kraft getreten sind. Der Beschluss ist darüber hinaus unseres Erachtens auch nicht als Vorratsbeschluss auszulegen, wonach die Landesregierung aufgefordert worden wäre, sozusagen fortlaufend über die weiteren HartzGesetze und weitere Gesetze am Arbeitsmarkt hier immer regelmäßig Bericht zu erstatten.

Zur Drucksache 4/98 sei zum Punkt 4 a) gesagt, dass dieser konkrete Punkt in den neuen Hartz-Gesetzen ganz explizit in Hartz III abgeschafft wurde. Das heißt, es wird diesen aktuell noch vorgesehenen 20-prozentigen Qualifikationsanteil bei ABM hier nicht mehr geben.

Hinsichtlich der Punkte 4 b), 5, 6 und 7 ist zu sagen, dass diese Aspekte zunächst offen geblieben und nicht berücksichtigt worden sind und heute, das muss man so konstatieren, durch Zeitablauf und sicherlich auch durch die aktuelle Entwicklung überholt worden sind.

Zur Nummer 2 des Antrages. Die Landesregierung macht durch ihre Politik wohl hinreichend deutlich, denke ich, welchen Weg sie im Hinblick auf die Entwicklung von Beschäftigung im Land verfolgt und wer diesen Aktivitäten und der regelmäßigen Information der Landesregierung über ihre Arbeit Aufmerksamkeit schenkt. Sie ist gut unterrichtet und kann diese Politik selbstverständlich für sich beurteilen.

Tatsache ist, dass die Regierung wirtschaftspolitisch sehr umtriebig ist, das ist eingangs hier unter anderem vom Wirtschaftsminister erläutert worden. Und was die Arbeitsmarktpolitik betrifft, wissen Sie im Übrigen, dass wir im Rahmen unseres ASP äußerst innovativ sind. Dies gilt insbesondere für die Bereiche, wo wir durch unsere ASP-Beiräte Projekte an konkreten regionalen Bedarfen ausgerichtet realisieren. Wir könnten hier natürlich noch mehr machen, das ist klar, wenn hier die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung stünden.

Im Hinblick auf unsere Forderungen gegenüber dem Bund – auch darauf ist ja im Antrag abgestellt worden – wissen Sie, dass sich sowohl die Landesregierung als auch unsere Fraktion seit Beginn des angestoßenen Reformprozesses bis heute bei den Verantwortlichen in Berlin für eine weitergehende Berücksichtigung der ostspezifischen Belange insbesondere in der Arbeitsmarktpolitik eingesetzt hat und sich natürlich auch weiter engagieren wird.

Jetzt kommen wir zum Punkt 3. Sehr geehrter Herr Rehberg, ich denke, das ist der Kern Ihres Antrages. Die Landesregierung wird in Nummer 3 aufgefordert,

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

im Bundesrat bei der Debatte um Hartz IV beziehungsweise beim Hessen-Modell auf einen so genannten Kompromiss hinzuwirken. Dazu hatten Sie Ausführungen gemacht. Sie sagen im ersten Punkt a), dass Sie eine rechtsverbindliche Zusammenarbeit von Arbeitsämtern, Kommunen und anderen fordern. Ich denke, vorzuziehen ist hier gleichwohl unsere Nummer 1 im SPD/PDS-Antrag, denn noch einmal: Es kommt darauf an, dass hier die Betreuung der Arbeitslosen aus einer Hand erfolgt und sichergestellt wird. Und dieses ist eben in Ihrem Antrag, in Ihrer Version so nicht gewährleistet.

Die Betreuung der Arbeitslosen aus einer Hand ist eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen System. Dies funktioniert nur dann wirksam für alle Arbeitslosen, wenn die Trägerschaft für das geplante Leistungssystem Arbeitslosengeld II bei der BfA liegt. Die im Hessen-Modell vorgeschlagene Zuordnung zu den Kommunen würde zu einer Spaltung der Arbeitslosen und zu einer Verschärfung des Ungleichgewichts zwischen Ost und West, aber auch zwischen armen und reichen Regionen führen. Deshalb noch einmal: Nachdrücklich treten wir dafür ein, dass eine gleichmäßige Anwendung des Rechts auf gleiche Sachverhalte bundesweit durch die Bundesanstalt für Arbeit sichergestellt wird. Und das sehe ich zunächst bei Ihnen nicht.

Jetzt haben Sie, Herr Rehberg, Ausführungen gemacht und gesagt, wenn ich das richtig verstanden habe, bei Ihrem Modell ist kein neues Personal notwendig. Ich frage Sie noch einmal, Herr Rehberg – ich denke, die Zahlen sind relativ unstreitig, denn wir sprechen über 1,8 Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger, für Mecklenburg-Vorpommern sind das circa 110.000/115.000 Arbeitslosenhil

feempfänger –, erzählen Sie mir einmal, wie Sie dies mit den normalen Personalbeständen sowohl auf Seiten der Arbeitsämter als auch auf Seiten der Sozialämter in den Kommunen bewerkstelligen wollen, diese 115.000 Menschen intensiv zu betreuen und sie so, wie wir uns das ja alle wünschen, passgenau, schnell und individuell zu vermitteln. Das habe ich nicht nachvollziehen können. Ich denke, es erübrigt sich, das hier weiter zu vertiefen. Offensichtlich ist es doch ganz einfach so, dass hier ein Personalbedarf besteht. Richtig ist, dass hier seitens des Bundeswirtschaftsministers von einer Größenordnung von 12.000 neuen Fallmanagern gesprochen wurde. Ich halte das für realistisch, denn wer die Zahlen derjenigen im Moment kennt, die tatsächlich in den Arbeitsämtern vermitteln,

(Wolfgang Riemann, CDU: Das ist das Einzige, wo diese Bundesregierung für Arbeit sorgt.)

das sind circa 9.000 Mitarbeiter von insgesamt 90.000. Ich sehe hier ganz klar einen Nachholbedarf. Ich sage, Herr Rehberg, wir brauchen hier neues Personal, darum kommen wir nicht herum.

(Wolfgang Riemann, CDU: Mehr Bürokratie brauchen wir noch.)

Mit Ihrer Verfahrensweise kommen wir hier nicht weiter. Das, denke ich, steht außer Frage.

Kommen wir zum Punkt b), zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit von Hilfebedürftigen durch eine paritätisch besetzte Einigungsstelle vor Ort. So heißt es ja bei Ihnen. Die Bundesregierung hat in den Gesetzentwurf Hartz IV eine Verordnungsermächtigung aufgenommen. In einer Verordnung sollte der Gesetzgeber ermächtigt werden, im Verordnungswege, das heißt hier konkret ohne Beteiligung des Bundesrates, einige Fragen zu regeln. Dazu gehört natürlich auch die Definition der Erwerbsfähigkeit beziehungsweise der Leistungsempfänger. Die Länder haben im Bundesrat die Gefahr gesehen, dass der Kreis der Leistungsempfänger zu Lasten der Kommunen definiert wird. Rot-Grün hat die Kritik der Länder aufgenommen. Die Definition der Erwerbstätigkeit und damit der Personenkreis der Erwerbsfähigen wird direkt, Herr Rehberg, und explizit im Gesetz festgeschrieben. Ich spreche hier ganz konkret vom neuen SGB II Paragraph 8, den ich Ihnen gerne zur Verfügung stellen kann. Dort ist legal vom Gesetzgeber definiert, wer erwerbsfähig ist.

Die Erwerbsfähigkeit jedes Hilfebedürftigen wird vom Arbeitsamt, das heißt neu Agentur für Arbeit, geprüft und bei Streitfällen, so steht es im Gesetz, entscheidet eine gemeinsame Einigungsstelle. Damit können Arbeitslose nicht, wie es in dem CDU-Antrag heißt, zu Lasten der Kommunen in das Sozialgeld abgeschoben werden. Nur zu Ihrer Information, Herr Rehberg, Paragraph 45 SGB II. Die Forderung der CDU ist also von gestern. Heute, meine Damen und Herren, ist sie überflüssig.

Kommen wir zum Punkt c), Finanzierung des Arbeitslosengeldes II durch den Bund entsprechend dem HessenModell. Hier haben Sie, Herr Rehberg, sehr viel Energie darauf verwandt, uns Ihr Modell zu erklären. Die Behauptung der CDU, die Finanzierung entsprechend dem Hessen-Modell sei für die Kommunen eine solidere Alternative, denke ich, ist mehr als fraglich. Dieses Erstattungsverfahren bietet keine dauerhafte – und ich betone, keine dauerhafte – Sicherheit über die Höhe der Erstattungen, sie müssen nämlich immer wieder neu verhandelt werden.

Frühestens 2009, das hatten Sie also selber konzediert, Sie hatten gesagt, wir sprechen hier zunächst einmal über fünf Jahre. Das heißt, wir haben hier überhaupt keine Sicherheit und hier müsste politisch korrigiert werden. Und vor dem Hintergrund weiß ich ehrlich gesagt nicht, ob diese Lösung, die hier bei Herrn Koch vorgesehen war, so überzeugend ist und ob sie besser ist. Zudem könnten die Länder hier auch unter Druck geraten, eigene Programme in Ergänzung sozusagen aufzulegen, weil sie hier mit der normalen Kostenverteilung nicht hinkommen.

Und ein Letztes in diesem Zusammenhang. Herr Rehberg, um eine Pressemitteilung des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern zu zitieren, dort heißt es: „Eine Kommunalisierung des neuen Leistungsrechts, wie von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einigen Ländern gefordert, lehnt der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern entschieden ab.“ Ich denke, dies macht nachhaltig deutlich, Herr Rehberg, dass das von Ihnen verfochtene Modell so klar und so überzeugend nicht ist,