Protocol of the Session on November 12, 2003

Es geht nicht darum, einen Niedriglohnsektor zu fördern, sondern Menschen in einen geförderten Niedriglohnsektor hineinzubringen. Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, es ist doch viel wichtiger, dass man Menschen anreizt, nicht einfach für ein passives Nichtstun Geld zu beziehen, sondern dass sie sagen: Ich bemühe mich auch um Arbeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie solche Anreize geben – und das ist ein offenes Geheimnis in dieser Republik, denn Sozialhilfeempfänger verrichten in hoher Art und Weise Schwarzarbeit –, dann verhindert das auch Schwarzarbeit in dieser Republik, wenn man Sozialhilfeempfängern Anreize zur Beschäftigung gibt, damit es sich auch lohnt zu arbeiten.

(Beifall Kerstin Fiedler, CDU – Torsten Koplin, PDS: Wir stabilisieren die Sozialhilfeempfänger, Herr Rehberg.)

Herr Kollege Koplin, gucken Sie sich einmal draußen um, was da arbeitet!

(Torsten Koplin, PDS: Wir stehen mit bei- den Beinen im Leben, genauso wie Sie.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über Beschäftigungsabbau reden, dann ist es ja natürlich in den neuen Bundesländern deutlich gravierender gewesen als in den alten Bundesländern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist nicht nur ein Gebot der Vernunft, sondern dient auch zur Verbesserung der Eingliederung der Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Um einmal die Zahlen deutlich zu machen: Im vergangenen Jahr sind in der Bundesrepublik etwa 16 Milliarden Euro für Arbeitslosenhilfe ausgegeben worden und 10,4 Milliarden Euro für Sozialhilfeempfänger. Wir leisten uns damit – denn die Hilfebedürftigen sind bei der Arbeitslosenhilfe im Schnitt 26 Monate im System, bei Sozialhilfe im Schnitt 28 Monate – das ineffektivste und teuerste Arbeitsmarktsystem in der ganzen Welt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind Gelder, die steuerfinanziert sind. Das sind Gelder, die aus den Beiträgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stammen, und darum ist die Qualität der Betreuung ein ganz wesentlicher Anhaltspunkt.

Und deswegen, das unterscheidet uns offenkundig auch von der SPD, haben wir nicht eins zu eins gesagt, dass wir alles aus dem Hessen-Modell übernehmen. Wir haben ein Stück nachgedacht, was ist das Scharnier zwischen der jetzigen Kompetenz der Bundesanstalt für Arbeit und der Kompetenz der Sozialämter im kommunalen Bereich. Uns ist eine integrierte Betreuung vom Arbeitsamt

und der Kommune gleichzeitig wichtig, denn beide vorgeschlagenen polarisierenden Extremlösungen sowohl bei Hartz IV als auch beim EGG scheiden nach unserer menschlichen und sachlichen Überlegung insbesondere aus zwei Gründen aus. Wenn sogar Florian Gerster, der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, konstatiert, dass die Bundesagentur oder die Bundesanstalt, wie sie heute noch heißt, für sozialpolitische Aufgaben ein schlechter Dienstleister ist, ich glaube, dann ist das mehr als nachdenkenswert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist denn der Ansatz bei Hartz IV? Wir haben heute mit 4,3 Millionen Hilfeempfängern der neuen Leistung inklusive 2,2 Millionen Menschen, die als Familienmitglieder der Bedarfsgemeinschaft angehören, zu rechnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesanstalt für Arbeit hat sich in den letzten Jahren nicht gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie als effizient, vermittlungsstark und kompetent gilt, denn da waren genug Krisen, Skandälchen und so weiter und so fort. Deswegen ist es doch ein politischer Irrsinn, dass man, um dieses Konzept durchzudrücken, plant, 12.000 neue Bedienstete bei der zukünftigen Bundesagentur für Arbeit einzustellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Finanzen sind das umgerechnet etwa 750 Millionen Euro.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Das kann doch nicht Ziel von Politik sein. Ziel von Politik muss es doch sein, beide Ressourcen zusammenzuführen. Und deswegen unser Vorschlag für so genannte Job-Agenturen, die die Vermittlungstätigkeit mit der Betreuung der Sozialämter der Kommunen vor Ort verbinden. Dazu bedarf es einer Grundgesetzänderung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Klaus Mohr, SPD: Wer finanziert das? Wer finanziert das? Sagen Sie das mal!)

Passen Sie mal auf, Herr Kollege Mohr, wenn wir uns darin einig sind, dass das Hartz-IV-Modell nicht geht und das Hessen-Modell auch nicht – dass die Kommunen vermitteln, das mag in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg gehen, die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern haben bisher nicht vermittelt, sie müssen heute deutschlandweit, wenn nicht europaweit vermitteln, das können sie nicht übertragen bekommen –, dann müssen Sie erstens über die Struktur nachdenken und fragen: Was ist die beste Lösung für die Menschen? Das ist der Ansatz und nicht zuerst nach dem Geld schreien! Und die Finanzierung...

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Klaus Mohr, SPD)

Ja, Herr Kollege Mohr, Sie haben doch bisher auch nicht gefragt, wo die 750 Millionen Euro für die 12.000 neuen Stellen herkommen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Wo nehmen wir die denn her, Herr Mohr?)

Dies kann man schon als äquivalent nehmen. Sie haben heute eine Fallzahl bei den Sozialämtern von 1:30 bis 1:40 und zukünftig soll ein Fallmanager 1:75 in der Bundesagentur betreuen. Ich bin davon überzeugt, wenn Sie beides verbinden, brauchen Sie gar keine zusätzlichen Personen. Wenn Sie das zusammenführen, und zwar soziale Betreuung und Vermittlungstätigkeit, dann ist es über

haupt nicht notwendig, in den Größenordnungen neues Personal einzustellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muss also erstens eine rechtsverbindliche Zusammenarbeit von Arbeitsämtern, Kommunen und anderen Sozialträgern in gemeinsamen Job-Agenturen vor Ort geben. Das ist unser Vorschlag in Punkt 1. Und die Erfolge sind doch da. Denken Sie an das Kölner Job-Center-Modell. Die Erfolgsquote nach meiner Kenntnis ist, dass jeder zweite hier betreute Sozialhilfeempfänger mit Hilfe des Centers einen Job fand und die Sozialämter sich nur noch um die Nichterwerbsfähigen kümmern. Gucken wir mal nach Stralsund, da kann die Quote nicht so hoch sein. Aber zeigen Sie mir einen Bereich im Land, wo etwa 1.500 hilfebedürftige Personen gemeinsam betreut werden. Hier haben Arbeits- und Sozialamt zusammengearbeitet, denn die hilfebedürftigen Personen wurden integrativ betreut und über 100 Personen fanden einen Job im ersten Arbeitsmarkt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das mag nicht die große Leistung sein, wenn ich die Prozentrate sehe, aber es ist ein erster Anfang, der zeigt, dass hier eine Kooperation positiv wirken kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Zweites. Meine Damen und Herren der SPD, können Sie wirklich so unkritisch hinnehmen, dass hier im Hartz-IV-Modell die Bundesagentur ganz alleine entscheidet, und zwar ohne Rechtsverordnung und ohne Verwaltungsakt, wer in welche Kategorie kommt? Ist das wirklich so? Ist der Mensch nur noch einfach ein Subjekt, das hin und her geschoben werden kann? Oder ist es nicht zwingend geboten so, wie wir es in unserem Antrag sagen, dass dieses ein Verwaltungsakt mit einer Einigungsstelle sein muss, wo ich auch Widersprüche einlegen kann? Denn ich habe folgende Sorgen und das muss ich Ihnen ganz offen sagen. Da macht die Bundesagentur nach der Rechtslage, wie sie sich RotGrün vorstellt, Folgendes: Sie entscheidet, du wirst Sozialgeldempfänger sein, du bist nicht erwerbsfähig.

Ich möchte übrigens noch einen Punkt sagen, der schon seit zwei oder drei Jahren Gültigkeit hat: Nach dem Job-AQTIV-Gesetz gilt als nicht mehr vermittlungsfähig, wer vier Jahre keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nachweist. Das heißt, gerade die Älteren aus Mecklenburg-Vorpommern, die dann vier Jahre nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sind – über ABM brauchen wir nicht zu reden, ein halbes Jahr zählt nicht dazu –, werden dann einfach in die Nichterwerbsfähigkeit abgestuft als Sozialgeldempfänger, sprich Sozialhilfeempfänger, und rübergeschoben zu den Kommunen.

(Zuruf von Klaus Mohr, SPD)

Da meinen Sie, das kann ohne irgendeinen Verwaltungsakt gehen? Da sagen wir als CDU schlichtweg Nein! Es muss hier eine Einigungsstelle vor Ort geben und hier muss nach Kriterien entschieden werden, es muss eine Widerspruchsmöglichkeit geben und gegebenenfalls sogar den Klageweg. Das sind wir diesen Menschen schlichtweg schuldig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, es kommt noch ein Punkt dazu. Das hat jetzt auch was mit dem dritten Punkt bei uns zu tun, und zwar mit dem Hessen-Modell, was ja vermeintlich Charme hat. Wir haben heute eine Sozialhilfeempfängerdichte in Mecklenburg

Vorpommern von 3,2 Prozent. Die Sozialhilfeempfängerdichte in den alten Bundesländern ist im Schnitt dreimal so hoch, circa 9 Prozent. Was wir aber mit steigender Tendenz haben, 2002 36 Prozent Langzeitarbeitslose über ein Jahr, dieses Jahr 45 Prozent. Das heißt, der Punkt 2 bei uns, aber auch der Punkt 3 berücksichtigen folgende Entwicklung, und zwar dass wir im Gegensatz zu den alten Bundesländern leider die Situation in der Entwicklung haben werden, dass wir aufgrund der gesetzlichen Lage, die schon heute herrscht, zunehmend mehr Sozialhilfeempfänger bekommen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dann sagen Sie, Herr Mohr, das Hessen-Modell ist keine brauchbare Alternative? Das Hessen-Modell macht Folgendes: Es sagt beim Status quo Quote/Fallzahl und berücksichtigt die nächsten fünf Jahre. Was ich zugebe, dass gegebenenfalls fünf Jahre mit Blick von heute für die nächsten fünf Jahre nicht ausreichen werden,

(Klaus Mohr, SPD: Genau.)

aber es ist deutlich positiver, als das Hartz-IV-Modell, weil Hartz IV hier überhaupt nichts berücksichtigt.

(Klaus Mohr, SPD: Fragen Sie doch mal die Fachleute in den Kommunen, Herr Rehberg! Fragen Sie die doch mal!)

Die Refinanzierung von Hartz IV erfolgt alleine über die Einwohnerzahlen, über die Umsatzsteuerverteilung.

(Zuruf von Klaus Mohr, SPD)

Und das hat überhaupt nichts mit der besonderen sozialen Situation der neuen Bundesländer und insbesondere Mecklenburg-Vorpommerns zu tun. Nichts, aber auch gar nichts!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn Sie von Ostkomponenten reden, und Herr Backhaus hat ja den Mund heute in der „Schweriner Volkszeitung“ relativ voll genommen, dann kann es doch nicht unser Ernst sein, bei diesem Thema wieder nach dem öffentlichen Beschäftigungssektor zu rufen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema, dass gerade Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen über die Mitte der 90er im Garten- und Landschaftsbau, aber auch in anderen Bereichen in hohem Maße den Mittelstand gefährdet haben, das wollen wir doch nicht wieder neu auflegen,

(Angelika Gramkow, PDS: Das ist ja auch der ÖBS.)

egal in welcher Form auch immer. Ich denke, diesen Punkt sollten wir längst überwunden haben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Harry Glawe, CDU: Wir haben ja auch festgestellt, die PDS versteht unter ÖBS was ganz anderes.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier gibt es nur einen Weg.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Ja, genau. – Harry Glawe, CDU: Richtig.)

Es gibt hier nach meinem Dafürhalten nur einen Weg. Dass ich nicht die ideologischen Scheuklappen aufhabe, Herr Holter, das ist ja ganz offenkundig so. In der Pressemitteilung heute haben Sie sie etwas abgelegt, aber vor

ein paar Tagen – und das macht sich immer schön, wenn niemand widersprechen kann – vor hiesigen Bürgermeistern, Zitat,

(Harry Glawe, CDU: Genau.)

Sie als Arbeitsminister: „Es liegt aber in der Natur der Kompromisssuche mit der Union, dass gegenüber den Gesetzentwürfen von SPD und Grünen eher Verschlechterungen als Verbesserungen zu erwarten sind.“ Und dann weiter Holter, wieder die ideologische Brille auf oder Scheuklappe, Zitat: „Weder die Gesetzesinitiativen von SPD und Grünen noch der Entwurf eines Existenzgrundlagengesetzes aus dem CDU-geführten Hessen berücksichtigen den gespaltenen Arbeitsmarkt in Deutschland.“

(Angelika Gramkow, PDS: Recht hat er.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das HessenModell berücksichtigt die Arbeitsmarktsituation, auch die der strukturschwachen Regionen im Westen Deutschlands. Meine feste Überzeugung ist, wir werden nur dann unsere Interessen ausreichend und hinreichend berücksichtigt wissen, wenn wir uns mit den strukturschwachen Regionen der alten Bundesländer, mit diesen Bundesländern zusammentun.

(Minister Helmut Holter: Richtig.)

Das wird sicher nicht Hessen sein, das wird sicher nicht Bayern sein, das wird sicher nicht Baden-Württemberg sein, aber das kann das Saarland sein oder es kann durchaus auch das Land Niedersachsen sein. Und deswegen, meine ich, sollten wir beide Gesetzentwürfe nehmen und unsere Positionen beschreiben, wie unsere Interessenlagen am günstigsten sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mohr, wenn Sie es nicht haben, ich stelle es Ihnen gerne zur Verfügung, das ist das Kapitel 18 des Existenzgrundlagengesetzes. Hier können Sie die länderspezifischen Erstattungssätze auf Ausgleich für strukturschwache Regionen und Regionen mit momentan mehr Arbeitslosenhilfe- als Sozialhilfeempfängern zur Kenntnis nehmen. Übrigens würde Mecklenburg-Vorpommern nach der aktuellen Lage einen Erstattungssatz von 90 Prozent bekommen. Ich gehe aber davon aus, dass dadurch die Zahl der Langzeitarbeitslosen noch deutlich ansteigt und dass wir hier noch günstiger fahren. Ich will noch einmal deutlich unterstreichen, dass eine Neuverteilung der Umsatzsteuer keinesfalls einen ursachengerechten Belastungsausgleich darstellt.