„Bürgerschaftliches Engagement“ ist ein Sammelbegriff, der sehr viele Assoziationen weckt und in den ebenso viel gepackt wird. Er ist auch von allen Lagern sehr unterschiedlich besetzt. Wir finden keine Partei, die nicht mit Bürgergesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement als Leitorientierung wirbt. Vom konservativen Spektrum wird das klassische Ehrenamt dazu gezählt: historisch gewachsen in der kommunalen Selbstverwaltung, in der Honoratiorenversammlung, in der preußischen Städtereform als eine Männerveranstaltung von interessierten besitzenden Bürgern mit entsprechendem Einkommen. Der zweite Ursprung ist das Vereinswesen, spätestens seit 1848 des Deutschen Lieblingsort. Wenn man diesen engen Bereich verlässt, wird es schwierig, da fangen dann die Grenzziehungen an, zum Beispiel die Frage: Wie viel bürgerschaftliches Engagement findet sich in den klassischen Großorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, Parteien oder Gewerkschaften wirklich? Diese Frage ist mehr als berechtigt!
Es darf dabei nicht übersehen werden, dass das angebliche Wachstum dieses Bereiches im Wesentlichen im hauptamtlichen Bereich liegt. Wenn man diesen institutionell verfassten Bereich verlässt, kommt man in weitere Bereiche, in denen es immer schwieriger wird, Anerkennung zu finden. Denken Sie an Bürgerinitiativen und Bürgerbewegungen. Wie viele werden tatsächlich beachtet und ernst genommen, wie das in der Wendezeit historisch der Fall war?
Wenn wir die so genannte projektbezogene Politik nehmen, stellen wir fest, dass viele Menschen unterwegs sind und vieles tun. Sehen Sie auf die Friedensbewegung oder den ursprünglich einmal durch soziale Bewegung angestoßenen Bereich von Selbsthilfegruppen im Gesundheitswesen, auf die Initiativen von Frauen gegen Gewalt sowie von Jugendlichen im Bereich der Ökologie. An dieser Stelle möchte ich hervorheben, dass für uns bürgerschaftliches Engagement mehr ist als das Ehrenamt, das einmal im Jahr gelobt wird und wofür Orden verliehen werden. Aktivitätsformen wie die Mitwirkung in Selbsthilfegruppen, die Beteiligung an konventionellen und nicht konventionellen Formen politischer Partizipation, das Stiften oder Spenden von Geld gehören ebenso dazu.
Ohne bürgerschaftliches Engagement kann die Bürgergesellschaft nicht existieren. Bürgergesellschaft ist nicht zu verstehen als bürgerliche Mitte, sondern als Synonym für Einmischung und für Selbstbestimmung, die gegenüber Staat und Markt eine Aufwertung erfahren. Wir stellen das Leitbild der Bürgergesellschaft in einen übergreifenden Rahmen eines Gemeinwesens, in denen sich die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der politischen Demokratie selbst organisieren und auf die Geschicke des Gemeinwesens einwirken können. Es geht um Teilhabe- und Mitgestaltungsmöglichkeiten auch in staatlichen Institutionen, Gewerkschaften und Wirtschaftsunternehmen.
Ich möchte, meine Damen und Herren, Ihre Aufmerksamkeit noch auf den politischen Kern unseres Behandlungsgegenstandes lenken, denn der ist gegenwärtig sehr brisant. Es gibt einen Artikel von Bundeskanzler Schröder mit dem Titel „Zivile Bürgergesellschaft“. Der Untertitel lautet: „Anregungen zu einer Neubestimmung der Aufgaben von Staat und Gesellschaft“. Das heißt, es geht um Grenzverschiebung, um Grenzziehung und um neue Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Staat und Gesellschaft. Wie viel soll Politik tun? Was soll sie tun? Mit welchen Mitteln soll sie eingreifen? Wie weit kann oder soll sich der Staat zurückziehen? Wie weit treten andere Potentiale an deren Stelle? Wie viel kann und sollte man den Bürgerinnen und Bürgern überlassen?
Das ist keine abstrakte Debatte. Sie resultiert unter anderem daraus, dass die Gestaltungsfähigkeit wie die Gestaltungskompetenzen von Nationalstaaten im Zuge der Globalisierung und der Umbrüche in der Ökonomie in Frage gestellt worden sind. Das hat auch damit zu tun, dass vielfältige Formen des Ausschlusses von Menschen, darunter der soziale Ausschluss, zugenommen haben. Der Staat will oder kann die Notwendigkeit der hohen sozialen Integration nicht mehr gewährleisten. Wir haben die Situation des so genannten overworked, dass Leute immer mehr arbeiten und keine Zeit mehr für etwas anderes haben, weder für ihre Familie noch für Gemeinschaftsaktivitäten. Eine Frage der Wirtschaftsordnung, eine Frage dieses – sarkastisch gesagt – wunderbaren flexiblen Arbeitsmarktes!
Die Chancen von Bürgerinnen und Bürgern, an ihrem Gemeinwesen aktiv teilzunehmen, wachsen nicht, sondern schwinden. Das trifft aufgrund psychischer Auswirkungen auf Arbeitslose zu. Die Frage stellt sich so: Will man eine Bürgergesellschaft als billigen Ersatz für abgebaute Staatlichkeit? Ich denke, nein! Oder ist anzustreben, die Bürgerinnen und Bürger auf der sozialen Ebene mit erweiterten Bürgerrechten auszustatten? Wir beantworten die zweite Frage positiv!
Die Einwohnerinnen und Einwohner müssen in ihrem Engagement so gestärkt werden, dass sie in den Bereichen, in denen sie sich engagieren, bestimmen können. Das läuft natürlich einem elitären Verständnis von Demokratie entgegen. Man muss, wenn man eine Debatte ernsthaft führen will, eine Öffnung schaffen für Gestaltungsräume derer, die man gewinnen will. Die Institutionen, die bisher diese Bereiche verwalten, müssen Macht abgeben. Das betrifft sowohl die Politik wie die Wohlfahrtsverbände und andere. Institutionellem Beharrungsvermögen und Widerständen wird entgegenzuwirken sein, denn wir haben eine Staatsorganisation, die stark bundeslastig ist und vom Zentralstaat her denkt, und hinzu kommt noch der EU-Überbau. Wir haben diesen Aufbau von oben nach unten, sowohl in finanzieller als auch in rechtlicher Hinsicht. Jeder, der in der Kommune tätig ist, müsste eigentlich Verwaltungswissenschaftler sein, damit er weiß, was er darf und was er nicht darf.
Die Frage, die bezogen auf den PDS/SPD-Antrag zu beantworten und praktisch zu untersetzen ist, ist die: Was muss im institutionellen politischen Gefüge geschehen, um wirkungsvolle, das heißt nachhaltige Beteiligung im Sinne des Bürgerengagements zu ermutigen oder eben nicht zu ermutigen? Und auch darum geht es in diesem Antrag. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne damit die Aussprache.
Als Erster erhält das Wort der Abgeordnete Herr Renz von der Fraktion der CDU. Bitte schön, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Antrag der PDS/SPD-Fraktion möchte ich hier im Namen der CDU-Fraktion eine Stellungnahme abgeben. Es ist, denke ich, hier nicht der Ort, wo wir minutenlang über die so genannte Rolle der Bedeutung debattieren sollten, dass ich mich hier hinstelle und noch einmal die Bedeutung des Ehrenamtes in aller Ausführlichkeit nachvollziehe. Ich denke, in diesem Punkt sind wir uns einig, so dass wir hier mehr auf Inhalte zu sprechen kommen sollten.
Es wird sicherlich so sein, dass wir bei der Umsetzung der Thematik des Ehrenamtes noch gewisse Unterschiede haben. Wir sagen eindeutig: Ein zentrales orientiertes Staatsverständnis in diesem Bereich entspricht nicht unserer Sichtweise. Es kann nicht sein, dass der Staat den Inhalt und vielleicht auch die Organisationsweise oder die Organisationsform des bürgerschaftlichen Engagements vorgibt, da sollte er sich in dem Sinne heraushalten. Der Staat kann nicht immer nur alle Aufgaben überneh
men. Wenn in der Gesellschaft etwas nicht funktioniert, gleich immer nach dem Staat zu rufen, ist sicherlich ein einfacher Weg. Das sollte aber nicht unsere Zielsetzung sein.
Wir müssen aber deutlich sagen, dass die Politik auf das Ehrenamt angewiesen ist. Deswegen hat die Politik auch die Pflicht, die Voraussetzungen für die Rahmenbedingungen zu schaffen, und deshalb muss der Staat in diesem Punkt nicht nur fordern, sondern er muss auch fördern.
Was aber nicht passieren darf, ist, dass wir hier an dieser Stelle so genannte Schaufensterreden halten. Das bringt uns nämlich keinen Schritt weiter, denn wir müssen endlich sagen, es ist die Zeit zum Handeln da. Aus der Sicht unserer Fraktion ist es einfach so, dass sich uns der Eindruck förmlich aufdrängt, dass das mehr oder weniger ein Wischiwaschiantrag ist, der einfach aus der Schublade gezogen wird, um zu diesem Zeitpunkt mal wieder zu dokumentieren: Wir kümmern uns um das Ehrenamt! Das kann einfach nicht sein.
Man muss der Öffentlichkeit auch mal sagen, rein zufällig ist es so, dass das Altenparlament am 4. Juni 2003 genau diese Thematik auf die Tagesordnung gesetzt hat.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie glorreich man sich dann wieder in den Grußworten und in den Ansprachen der Fraktionen darstellt und sagt, wir befassen uns mit dem Ehrenamt, das ist immer aktuell. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, meine Damen und Herren, das ist zu wenig!
Ich möchte Sie ganz einfach auffordern, Sie sollten endlich aufhören zu reden, sondern in diesem Fall konkret handeln. Das bedeutet für uns …
(Karsten Neumann, PDS: Sie haben doch Anteilsrecht, da können Sie doch gucken! – Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)
Ich fordere Sie ganz einfach auf: Legen Sie konkrete Beschlüsse auf den Tisch, über die wir dann diskutieren und über die wir dann befinden können!
Frau Dr. Seemann, veranstalten Sie hier bitte kein Schattenboxen und suggerieren Sie einfach nach draußen, dass hier gehandelt werden soll! Das kann es nicht sein.
Wenn Frau Dr. Seemann sich schon so intensiv in die Diskussion einbringt, dann möchte ich Sie auch gleich konkret fragen, Frau Dr. Seemann.
Dritte Legislaturperiode, 49. Sitzung, 16. November 2000 – Frau Dr. Seemann führt zu einem Antrag der CDU, der kon
„arbeitet gegenwärtig in einer Arbeitsgruppe an der Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Ehrenamt und benötigt also nicht erst die Aufforderung der Opposition, hier tätig zu werden.“
Das war der 16. November 2000. Ich frage mich ernsthaft: Arbeitet diese Arbeitsgruppe noch? Woran hat sie gearbeitet? Hat sie Ergebnisse vorgelegt? Das sollte nämlich Sinn und Zweck einer Arbeitsgruppe sein, dass Ergebnisse auf den Tisch kommen. Unserer Fraktion ist absolut nichts bekannt, was Sie hier so glorreich dargestellt haben, dass es jeweils zu Ergebnissen kommt. Deswegen kann das nicht die Verfahrensweise oder die Arbeitsweise eines Parlamentes sein.
(Dr. Margret Seemann, SPD: Da hätten Sie mal fragen müssen, da gibt es sogar eine Broschüre drüber, Herr Renz.)
Da nehme ich mir auch die Zeit, Frau Dr. Seemann, hier als Opposition das Recht herauszunehmen, Sie erneut anzustoßen und zu sagen:
Legen Sie endlich Fakten auf den Tisch, dass wir uns dann mit diesen Fakten befassen können und dann auch etwas Handfestes auf den Weg bringen können, und nicht einfach wieder Gründungen von neuen Arbeitsgruppen und Bereitstellung von neuen Berichten! Davon haben wir genug.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer mich kennt, weiß, dass ich nicht nur kritisiere und dass ich auch gerne sage, was wir tun, denn wir wollen uns hier nicht vor der Verantwortung drücken. Das ist einfach so, wenn ich den Antrag der Landtagsfraktion der CDU vom November2000 nehme. Die CDU hat einen konkreten Antrag eingebracht, und zwar die „Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit durch Befreiung von der Sozialversicherungs- und Steuerpflicht“. Das sind konkrete Sachen! Die liegen auf dem Tisch.
Es ist doch so schön, dass Sie anwesend sind, wenn ich hier die Ehre habe, im Parlament zu sprechen.
Ich bin gerne bereit, weitere Fakten auf den Tisch zu legen. Das ist eine Gesetzesinitiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag vom Juli 2000: „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit. Im März 2000 wiederum ein Antrag unserer