Protocol of the Session on April 10, 2003

Mich würde aber schon interessieren, Herr Rehberg, welche Reformvorschläge die CDU in Mecklenburg-Vorpommern unterstützt. Herrn Stoibers Vorschläge nicht, das haben Sie deutlich gemacht. Aber vielleicht die von Herrn Minister Gillo in Sachsen zum Kündigungsschutz, wonach im Osten für Betriebe mit bis zu 80 Mitarbeitern 10 Jahre lang das Kündigungsschutzgesetz aufgehoben werden soll, oder die von Georg Milbradt, der sich gestern oder vorgestern, glaube ich, geäußert hat und der laut dpa für eine Kürzung der Sozialhilfe plädiert,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

da derzeit die Sozialhilfe, hören Sie weiter zu, über dem Betrag liege, den Unternehmen für Niedriglohnjobs zahlen können.

Für uns ist klar, dass bei den Reformen die besonderen Anforderungen der ostdeutschen Länder berücksichtigt werden müssen. Und dazu sind bei der Umsetzung an einigen Stellen Differenzierungen notwendig. Deutschland kann nur stark sein, wenn auch der Osten stark ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Ich glaube, wir wissen alle, dass in den ostdeutschen Ländern die hohe Arbeitslosigkeit weniger eine Frage der Vermittlung als vielmehr der Schaffung von Arbeitsplätzen ist. Und deshalb ist der zweite Arbeitsmarkt für eine Übergangsfrist von Bedeutung, das hat der Kanzler bestätigt und das ist wichtig für Mecklenburg-Vorpommern. Der Abbau arbeitsmarktentlastender Maßnahmen kann erst fortgesetzt werden, wenn der Arbeitsmarkt wieder in Schwung gekommen ist.

Reformen des Arbeitsmarktes sind nötig, denn in Deutschland liegt das tatsächliche Renteneintrittsalter bei durchschnittlich 59 Jahren und nicht mehr bei 63 oder 65. Sozial ungerecht ist, dass Unternehmen massenhaft Beschäftigte ab Mitte 50 nach Hause schicken. Heute beschäftigen rund 60 Prozent der Unternehmen in Deutschland keinen Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmerin, die älter als 50 Jahre sind. Ich glaube, das können wir uns nicht länger leisten, denn wer 50 ist, der gehört noch lange nicht zum alten Eisen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Große Befürchtungen werden mit der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe verbunden. Vergessen werden sollte dabei nicht, dass dadurch erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger neue Chancen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bekommen und die Kommunen finanziell entlastet werden. Ziel ist es, den finanziellen Spielraum der Kommunen für Investitionen erheblich zu vergrößern. Die Einnahmen der Kommunen würden sich weiter verbessern, wenn die Union im Bundesrat wesentliche Elemente des Steuervergünstigungsabbaugesetzes mittragen würde.

(Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU – Angelika Gramkow, PDS: Das haben sie aber nicht gemacht, das ist genau das Gesetz.)

In einem Punkt wird es ja voraussichtlich, nach dem, was ich heute Morgen gehört habe, so sein,

(Angelika Gramkow, PDS: Es wird nicht für die Kommunen sein, nur für Bund und Länder.)

zum Beispiel die Stabilisierung der Körperschaftssteuer dadurch, dass den großen Konzernen die Möglichkeit genommen wird, in Zukunft weltweit Gewinne mit Verlusten zu verrechnen, was dazu geführt hat, dass große Konzerne zum Teil keine Körperschaftssteuer mehr zahlen.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Das haben Sie vor drei Jahren angehoben.)

Hier ist der Kompromiss nach den Meldungen von heute Morgen wohl sicher, obwohl Herr Stoiber jegliche Zustimmung auch zu Teilen des Steuervergünstigungsabbaugesetzes abgelehnt hatte. Ich freue mich, dass sich wenigstens hier teilweise die Vernunft durchgesetzt hat. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass gerade im Interesse der Kommunen die Union weiter gegangen wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Eckhardt Rehberg, CDU: Das ist völliger Blödsinn!)

Es ist Ihnen doch bekannt, Herr Rehberg, dass das Saarland und Hessen die volle Summe aus dem Steuervergünstigungsabbaugesetz praktisch schon in ihre Haush a lte eingestellt haben, weil sie sonst verfassungswidrig gewesen wären.

Mehreinnahmen würden die Kommunen besser in die Lage versetzen, von dem geplanten 7-Milliarden-Programm zur Verbesserung der kommunalen und sozialen Infrastruktur zu profitieren. Sie hätten es dann leichter, Kredite zu bedienen. Es soll ja zudem sichergestellt werden, dass strukturschwache Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit besonders günstige Bedingungen erhalten.

Bei der Modernisierung des Gesundheitswesens steht die Verbesserung der Qualität bei der medizinischen Versorgung für alle im Mittelpunkt, unabhängig vom Einkommen. Die Einführung der Selbstbeteiligung ist notwendig, aber sozial Schwache und chronisch Kranke müssen davon ausgenommen werden. Eine Privatisierung von Krankheitsrisiken darf es jedoch nicht geben. Alles, was medizinisch notwendig und geboten ist, muss auch künftig solidarisch finanziert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer muss beibehalten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Es geht um mehr Effizienz und Transparenz. Da muss auch ein System mit 350 verschiedenen Krankenkassen auf den Prüfstand, denn so viele werden es nicht bleiben können. Wir brauchen Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen. Die Lohnnebenkosten müssen sinken, damit Arbeit in Deutschland wieder wettbewerbsfähiger wird. Nur dann entstehen neue Arbeitsplätze. Zeitgemäß und sinnvoll ist die geplante Modernisierung der Handwerksordnung ebenso wie die geplante Aufhebung des Kündigungsschutzes bei Existenzgründern in den ersten vier Jahren. Das alles sind Schritte, die zusammen mit der großen Mittelstandsoffensive von Wolfgang Clement ein Ziel haben: Die Wachstumskräfte der Wirtschaft in

Deutschland wieder in Schwung zu bringen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und den Sozialstaat zu erhalten.

Im Übrigen – Herr Rehberg, Sie können ruhig zuhören, weil Sie ja von Steuergesetzgebung gesprochen haben – werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Personengesellschaften durch die weiteren Stufen der Steuerreform 2004/2005 weiter entlastet. Damit wird am Ende dieses Prozesses der Eingangssteuersatz bei 15 Prozent und der Spitzensteuersatz bei 42 Prozent, gegenüber 25,9 Prozent und 53 Prozent am Ende Ihrer Regierungszeit im Bund liegen, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Und dadurch wird sich das Nettoeinkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land weiter verbessern. Vielleicht ist das auch ganz wichtig, dass man mal darauf hinweist, weil Sie ja dort immer so kräftig und so lautstark agieren. Das durchschnittliche Nettorealeinkommen je Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin im Jahr ist in Deutschland von 1998 bis 2001 um 530 Euro gestiegen, während es von 1994 bis 1998 um 920 Euro zurückging.

(Volker Schlotmann, SPD: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, ein starker wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort Deutschland, davon profitiert auch Mecklenburg-Vorpommern. Moderne Sozialsysteme, leistungsfähig und bezahlbar, davon profitieren auch wir in Mecklenburg-Vorpommern. Aber das allein reicht nicht, denn wenn es um die Zukunft von MecklenburgVorpommern geht, dann geht es nicht nur um Reformen in Berlin, sondern auch um den weiteren Aufbau unseres Landes. Und dafür arbeiten wir hier in Schwerin. Das gilt für die Verbesserung der Verkehrsanbindungen, wir haben gestern darüber debattiert, denn die A 14 Magdeburg-Schwerin kommt. Genauso sind 28 Straßen- und 4 Schienenprojekte für Mecklenburg-Vorpommern im neuen Bundesverkehrswegeplan im vordringlichen Bedarf. Mecklenburg-Vorpommern hat hier viel erreicht, darüber haben wir ja gestern ausführlich diskutiert.

Meine Damen und Herren, um voranzukommen brauchen wir aber auch eine schlanke und moderne Verwaltung. Wir wollen mit der Funktional- und der Verwaltungsreform eine der modernsten Verwaltungen in Deutschland schaffen und dabei stehen drei Punkte im Mittelpunkt:

Erstens. Wir verlagern Aufgaben von oben nach unten.

Zweitens. Wir reduzieren die Zahl der Landkreise.

Drittens. Wir prüfen konsequent, welche Gesetze, Verordnungen und andere Vorschriften abgeschafft werden können.

Durch diese umfassende Deregulierung werden Verwaltungsabläufe vereinfacht und beschleunigt und so machen wir den Standort Mecklenburg-Vorpommern für bestehende und ansiedlungsinteressierte Firmen attraktiver.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Wir investieren weiter in die Verbesserung von Schulen und Hochschulen. Für die Landesregierung hat die Bildung höchste Priorität. Mit dem Schulgesetz, der berufsvorbereitenden regionalen Schule, der Wiedereinführung des Abiturs nach zwölf Jahren und dem neuen Landeshochschulgesetz sind hier auf diesem Gebiet die Weichen für die Zukunft gestellt.

Unser Ziel ist es, den Wissenschaftsstandort Mecklenburg-Vorpommern noch stärker auf innovative Branchen und unternehmerisches Potential auszurichten. Fast 12.000 junge Männer und Frauen studieren zurzeit an der Universität Rostock. Das ist gegenüber 1991 ein Zuwachs von 56 Prozent. Viele dieser jungen Menschen, wenngleich auch immer noch zu wenige, bleiben im Land und einige gründen Unternehmen. 613 innovative Unternehmensgründungen sind in den vergangenen Jahren allein aus der Universität Rostock hervorgegangen. Solche Unternehmen schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze. Wer gebraucht wird, egal ob an einer Hochschule oder im Betrieb, der bleibt eher im Land. Damit binden wir junge Menschen und geben auch ein positives Signal für Zuwanderung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Um die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern voranzubringen, brauchen wir noch mehr Unternehmen, die in unserem Land investieren. Das sollen Existenzgründer sein und da ist für Beratung und Hilfe inzwischen umfassend gesorgt. Wir werden die Beratung noch weiter konzentrieren und bündeln. Dazu, ich habe das gestern schon auf der Jubiläumsfeier der Industrie- und Handelskammern gesagt, brauchen wir aber auch Investoren, die von außen kommen. Und deshalb werden wir die Standortoffensive Mecklenburg-Vorpommern fortsetzen und intensivieren. Dabei konzentrieren wir uns auf Schwerpunktbranchen und werben mit den Alleinstellungsmerkmalen unseres Landes, wie günstigen und erschlossenen Großflächen, Hafenstandorten und hoher Förderung, denn das sind Standortfaktoren, die andere Regionen in dieser Kombination nicht bieten können.

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Dr. Gerd Zielenkiewitz, SPD)

Wir setzen die zur Verfügung stehenden Instrumente und Institutionen effizienter ein und bündeln die Wirtschaftsförderung. Dazu gehört zum Beispiel eine zentrale Anlaufstelle im Wirtschaftsministerium als Beratungs- und Lotsenstation oder neudeutsch eine One-Stop-Agency. Dazu gehören ebenso das Investorenportal im Internet, die Verbesserung des Regionalmanagements und die verstärkte Zusammenarbeit mit regionalen Fördereinrichtungen in den Kreisen und kreisfreien Städten bei der Investorenwerbung und Investorenbegleitung. Und dazu gehört nicht zuletzt die Erweiterung der Gewerbeflächendatenbank bei der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung.

Wir gehen aktiv auf Investoren zu und dazu nutzen wir auch externen Sachverstand. Die Gesellschaft für Wirtschaftsförderung hat Ansiedlungsvermittler unter Vertrag genommen, die branchenbezogen eingesetzt werden. Eine Honorierung erfolgt nur im Erfolgsfalle. Zusätzlich hat das Wirtschaftsministerium Vereinbarungen mit vier Wirtschaftsprüfungsgesellschaften abgeschlossen, die das Land branchenspezifisch über ansiedlungswillige Unternehmen informieren. Das gilt insbesondere für Branchen wie Lifecience, Biotechnologie, Holzwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und maritime Industrie, Windkraft, wo wir schon beginnende Clusterbildungen haben.

Meine Damen und Herren, unerlässlich für den Erfolg des Wirtschaftsstandortes Mecklenburg-Vorpommern ist, dass wir unsere Aktivitäten unter einem gemeinsamen Erscheinungsbild modern und verständlich präsentieren. Deshalb werden wir die Standortoffensive unter dem Motto, unter der Dachmarke des Landes „MV tut

gut“ zentral vermarkten. Mecklenburg-Vorpommern muss als Standort für Investitionen, als Absender von Publikationen, bei Veranstaltungen und im Internet auf den ersten Blick erkennbar sein. Das Motto „MV tut gut“ ermöglicht, wenn es konsequent vertreten wird, die positive Vermarktung des Landes. Standortoffensive und die Entwicklung der Dachmarke „MV tut gut“ gehören daher zusammen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, Zukunft hat nur der, der etwas tut, während er auf die Zukunft wartet. Zukunft in Mecklenburg-Vorpommern, das heißt für die Bundespolitik in Berlin, dass die notwendigen Reformen angepackt werden müssen, und das heißt für uns in Schwerin, der Ausbau unseres Landes muss weitergehen. Dafür setzt sich die Landesregierung ein, ob in Brüssel oder in Berlin. Und angesichts der Herausforderungen, vor denen Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern stehen, verlangen die Bürger zu Recht, dass wir unsere Energie nicht in parteipolitischen Streitereien verschleißen,

(Angelika Gramkow, PDS: Sehr richtig!)

sondern dass wir gemeinsam parteien- und verbändeübergreifend den notwendigen Wandel gestalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das, meine Damen und Herren, ist unsere Aufgabe. Das Vertrauen der Bürger in die Politik gewinnen wir nur durch Taten. Wir ringen um den besten Weg. Das ist gut und richtig. Aber wer aus Prinzip oder aus Parteikalkül die notwendigen Reformen kaputtredet, setzt die Zukunft aller aufs Spiel. Das darf nicht passieren!

Bewiesen ist, dass durch die Senkung der Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt etwa 100.000 Arbeitsplätze entstehen. Da viele Punkte der Agenda 2010 erst gesetzlich umgesetzt werden müssen – Herr Rehberg, Sie haben ja deutlich darauf hingewiesen – und auch der Bundesrat mit Unionsmehrheit noch mitspielen wird, ist eine fundierte Folgeabschätzung für Mecklenburg-Vorpommern zurzeit noch nicht möglich. Aber ich sage deutlich, Reformen sind auch im Interesse unseres Landes Mecklenburg-Vorpommern nötig. Um Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern für die Zukunft fit zu machen, brauchen wir die Unterstützung aller gesellschaftlichen Kräfte. Und dafür stehen wir hier in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam in der Verantwortung. – Herzlichen Dank.