Protocol of the Session on April 10, 2003

Bewiesen ist, dass durch die Senkung der Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt etwa 100.000 Arbeitsplätze entstehen. Da viele Punkte der Agenda 2010 erst gesetzlich umgesetzt werden müssen – Herr Rehberg, Sie haben ja deutlich darauf hingewiesen – und auch der Bundesrat mit Unionsmehrheit noch mitspielen wird, ist eine fundierte Folgeabschätzung für Mecklenburg-Vorpommern zurzeit noch nicht möglich. Aber ich sage deutlich, Reformen sind auch im Interesse unseres Landes Mecklenburg-Vorpommern nötig. Um Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern für die Zukunft fit zu machen, brauchen wir die Unterstützung aller gesellschaftlichen Kräfte. Und dafür stehen wir hier in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam in der Verantwortung. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDUFraktion Herr Rehberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Je schneller Deutschland an Fahrt gewinnt! Herr Ministerpräsident, ich kann in den letzten fünf Jahren aber nicht erkennen, dass Deutschland an Fahrt gewonnen hat,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

ich kann Ihnen nur sagen – und das scheint eine Wahrnehmungsfrage zu sein –, wenn Sie der Union bis 1998 jahrelangen Stillstand im Reformbereich vorgeworfen

haben, dann kann ich konstatieren, dass zu diesem Zeitpunkt Deutschland die Nummer eins in Europa war.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Heute ist Deutschland auf dem letzten Platz. Das ist die Wahrheit, Herr Ministerpräsident! Und wenn Sie die Steuerreform ab dem 1. Januar 2005 so lobpreisen, auch hier scheinen Sie Wahrnehmungsdefizite oder ein Kurzzeitgedächtnis zu haben. Wenn Lafontaine nicht 1996/1997 die Steuerreform blockiert hätte, dann hätten wir ab dem 1. Januar 1998 denselben Eingangssteuersatz und denselben Höchststeuersatz, wie er ab dem 1. Januar 2005 sein sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Acht Jahre sind vertan, das sind die Tatsachen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, ich habe heute hier nicht erwartet, dass Sie die Teile der Rede von gestern Abend oder Nachmittag wiederholen, sondern dass Sie wirklich darauf eingehen: Was bedeuten die Reformpläne, die Schröder am 14. März 2003 für unser Bundesland Mecklenburg-Vorpommern vorgestellt hat? Es kann doch nicht so sein, dass Sie sich damit herausreden, dass fundierte Folgeabschätzungen noch nicht möglich sind. Natürlich sind diese möglich! Wer sich einigermaßen mit den Plänen befasst, insbesondere mit dem Thema nicht mehr vermittelbare Sozialhilfeempfänger, Belastung für die Kommunen, der wird doch wenigstens sagen können, in welche Richtung geht das für Mecklenburg-Vorpommern, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und, Herr Ministerpräsident, Sie sollten auch insoweit bei der Wahrheit bleiben. Wir haben – und Edmund Stoiber hat das immer gesagt – und wir werden alle Punkte des Steuervergünstigungsabbaugesetzes bis auf einen ablehnen – den Murks, dem Sie im Juni 2000 mit der Körperschaftssteuer zugestimmt haben!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Gesine Skrzepski, CDU: So ist es!)

Und wenn Sie sich heute hinstellen und davon reden, dass diese kleine Korrektur bei der Körperschaftssteuer zur Stabilisierung der Körperschaftssteuer führt, auch da scheinen Sie ein Kurzzeitgedächtnis zu haben. Die Körperschaftssteuer in Deutschland hat im Schnitt der letzten Jahre zwischen 23 und 24 Milliarden Euro betragen. Und wenn wir jetzt auf 4,4 Milliarden Euro kommen – und das ist doch noch gar nicht sicher, dass das im nächsten Jahr passiert, weil erhebliche Verzögerungseffekte dabei sind –, dann ist das gerade mal ein Fünftel oder ein Sechstel dessen, was vorher dabei war. Das heißt, die Großkonzerne haben Sie, SPD und PDS, immer noch gut genug bei der Steuerreform entlastet, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Aber womit eigentlich?

(Zuruf von Volker Schlotmann, SPD)

Herr Kollege Schlotmann, wissen Sie, ich verstehe Ihren Gedankenansatz wirklich nicht mehr.

(Volker Schlotmann, SPD: Sie kennen meine Gedanken doch gar nicht. Wenn das so wäre, dann wäre das schlimm!)

Jaja, wenn Sie hier sagen, die CDU als Kämpferin für die Großkonzerne. Wir, und das nehmen wir für uns in

Anspruch, sind die Partei, die soziale Marktwirtschaft in Deutschland etabliert hat, dafür steht Ludwig Erhard zum Beispiel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Volker Schlotmann, SPD: Das ist doch unbe- stritten! – Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Und ein Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft ist,...

(Volker Schlotmann, SPD: Und wenn Ludwig Erhard Ihre Rede hören würde, der würde sich im Grab umdrehen. – Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Mit massivem Widerstand der SPD damals, kucken Sie mal ganz genau rein, mit massivstem Widerstand. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer eine Steuerreform praktiziert, wie Sie vor drei Jahren – und das ist Grundursache mit des Übels heute, wo der Mittelstand ständig weiter belastet wird, sich die Deutsche Bank die Hände reibt und ihre Verluste von Amerika nach Deutschland transferiert und der deutsche Steuerzahler bezahlt das –, wenn das Ihre Politik ist, unsere ist es nicht!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Das ist aber etwas ganz Neues!)

Herr Ministerpräsident, wenn Sie...

(Volker Schlotmann, SPD: Kommen Sie doch zum Thema!)

Ich bin schon beim Thema!

(Zuruf von Regine Lück, PDS)

... hier sagen, nur der etwas tut, der erreicht was,

(Zurufe von Rudolf Borchert, SPD, und Dr. Margret Seemann, SPD)

dann können Sie doch einmal den Bürgern in Mecklenburg-Vorpommern erklären, warum Sie nach fast einem Jahr für die Bewerbungsunterlagen des Förderverbandes ITER – die liegen nämlich seit Juni 2002 und haben dort Staub ansetzen lassen – nicht einmal dem Förderverein eine Eingangsbestätigung zugeschickt haben. Ist das politischer Stil in diesem Land? Ich hätte erwartet, dass Sie denjenigen, die sich engagieren für eines der wichtigsten Technologie- und Investitionsprojekte in Europa und in der Welt, zumindest eine Antwort zukommen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und, Herr Metelmann, die direkte Bewerbung ist nicht angenommen worden, es ist ja gar keine gestellt. Sie haben doch hier um den heißen Brei herumgeredet. Es gibt doch einen Punkt: Die Grünen wollen die Kernfusion nicht. Das ist doch der entscheidende Punkt. Wenn Sie sich ständig auf Herrn Rüttgers beziehen, ich habe das Schreiben bei mir im Büro liegen. Zum Standort Greifswald haben Herr Rüttgers und sein französischer Kollege Ja gesagt. Sie haben gesagt, das ist der Beste. Was sie in Frage gestellt haben, ist die damalige Finanzierung gewesen, die damaligen Kosten.

(Dr. Armin Jäger, CDU: So ist es!)

Wir haben heute eine ganz andere Basis der Finanzierung und eine ganz andere Kostensituation. Die Kosten sind um etwa 40 Prozent abgespeckt worden und einige Länder haben Interesse bekundet, bis zu 10 Prozent der

Kosten mit zu übernehmen. Wir haben heute eine gänzlich andere Situation als 1996 und das sind die Tatsachen!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und, wenn wir schon über Energie reden, es gibt Wissenschaftler die sagen zur Kernfusion, das ist regenerative erneuerbare Energie. Unter diesem Aspekt sollten wir Kernfusion auch betrachten. Ich kann uns nur alle und gerade Sie auffordern, noch einmal mit ITER unter neuen Bedingungen einen Anlauf zu nehmen, denn Greifswald ist der exzellenteste Standort. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht hier nicht um 100 oder 250 Arbeitsplätze, es geht um mindestens 1.000 und eher noch mehr. Und über das wichtige technologische Highlight für Mecklenburg-Vorpommern möchte ich hier gar nicht reden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Auswirkungen hat die Regierungserklärung dennoch für die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern? Kommen wir einmal zu den Kommunen. Wir reden nachher noch über die kommunale Finanzsituation. Die Kommunen sind in Deutschland seit 1949 noch nie in einer so schwierigen Situation gewesen. Die kommunale Finanzsituation ist katastrophal. Die Investitionen liegen am Boden, die Kommunen streichen freiwillige Aufgaben und müssen streichen bei der Kultur- und Jugendarbeit. Es können Schulen nicht saniert werden.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie im Ernst meinen, dass ein kommunales Investitionsprogramm in Höhe von 7 Milliarden Euro das Problem löst, dann verschweigen Sie die Hälfte der Wahrheit. Es geht hier um Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wissen Sie eigentlich, wie hoch der Zinssatz ist, Herr Ministerpräsident, im Unterschied zu Krediten, die Sie privat heute bekommen? Das schwankt zwischen 1,2 und 1,5 Prozent. Sie müssen heute im Augenblick bei der KfW etwas über 3 Prozent als Kommune auf den Tisch legen. Das ist doch nicht das Problem der Kommunen. Sie kommen doch gar nicht mehr an Kredite heran. Wer Kredite in Anspruch nimmt, der muss eine Genehmigung haben. Ich hätte von Ihnen erwartet – und damit hätten Sie den Kommunen wirklich geholfen –, wieder runter mit der Gewerbesteuerumlage auf den alten Prozentsatz.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS)

2,3 Milliarden Euro für die Kommunen, das wäre der richtige Ansatz gewesen, übrigens insbesondere für unsere sechs kreisfreien Städte im Land, denn neben dem Problem der Körperschaftssteuer ist die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage eine der Ursachen, dass gerade die Steuereinnahmen bei den kreisfreien Städten massiv eingebrochen sind.

Und, Herr Ministerpräsident, ich hätte schon erwartet, dass Sie sich ein wenig mehr Mühe machen mit dem Thema, was sind arbeitsmarktnahe und was sind arbeitsmarktferne Sozialhilfeempfänger. Wir sind ja dafür, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt werden. Aber haben Sie sich schon mal ansatzweise die Frage gestellt, was mit diesen beiden Kriterien passiert? Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sagt insgesamt für Deutschland, dass 700.000 Personen zusätzliche Arbeitslosenhilfeempfänger dazukommen werden in die Gruppe, die die Kommunen belasten.

(Angelika Gramkow, PDS: In die Sozial- hilfe. Auf das Niveau der Sozialhilfe.)

Herr Ministerpräsident, 700.000! Und wenn Sie sich einmal mit dem Kriterium befasst haben, dass in diese Gruppe auch schon jemand reinkommt, der in vier Jahren nicht sechs Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, dann fragen Sie sich doch mal, was mit unseren Langzeitarbeitslosen über 50 passiert. Davon haben wir nämlich mehr als 60.000. Und dazu haben Sie auch Ja gesagt, zum Job-AQTIV-Gesetz, dass dort drei Jahre Sperrfrist ist zwischen zwei Maßnahmen. Ich sage Ihnen eins voraus: Die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern werden mit dieser Politik nicht entlastet, sondern sie werden massiv belastet, das heißt, in der Zukunft gibt es immer mehr zusätzliche Sozialhilfeempfänger bei den Kommunen. Das ist Ergebnis dieser Politik!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Und haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, wenn heute ein 53-Jähriger arbeitslos werden sollte, 18 Monate Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, dann ist er 55, ob der noch eine Arbeit kriegt? Der wird sofort in die arbeitsmarktferne Gruppe eingestuft, die Last liegt bei der Kommune. Er erwirbt in den nächsten zehn Jahren keine Rentenanwartschaften mehr und dann muss er ergänzende Sozialhilfe beziehen beziehungsweise die Grundsicherung kommt komplett von den Kommunen. Das wird Ergebnis dieser Politik sein und diesen Punkt bekämpfen wir. Es kann doch auch nicht sozial gerecht sein, dass der 25-Jährige genauso lange Arbeitslosengeld bezieht wie der 48-Jährige.