Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD – Resolution – Krieg im Irak verhindern, Drucksache 4/257.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Januar vor zwölf Jahren brach ein Wüstensturm los – Wüstensturm, so nannte sich der Angriff der USA und ihrer Verbündeten gegen den I r a k –, der zweite Golfkrieg. Der erste Golfkrieg fand elf Jahre davor statt. Der Irak griff den Iran an, unterstützt und aufgerüstet von den USA, von Frankreich, der Sowjetunion und den Golfstaaten. Und nun stehen wir vor der Gefahr eines dritten Golfkrieges. Der Verbündete des Jahres 1980 ist heute wie 1991 der Feind. Doch bei einem Krieg gegen den Irak geht es heute wie 1991 nicht vordergründig darum, Saddam Hussein zu entwaffnen. Im „Spiegel“ vom 13. Januar diesen Jahres wird PulitzerPreisträger und „New York Times“-Kolumnist Thomas Friedman zitiert. Er sagt: „Hören wir auf, der Welt Blödsinn zu erzählen. Ja, es geht ums Öl. Das Verhalten von Bushs Team ist nicht anders zu erklären.“ Erdöl, die weitere Durchsetzung der neuen Weltordnung, Kontrolle des Nahen und Mittleren Ostens, das sind die strategischen Ziele.
Keine Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren, Saddam Hussein muss die ihm auferlegten Pflichten erfüllen. Massenvernichtungswaffen müssen abgerüstet werden. Daran besteht kein Zweifel, aber auf friedliche Weise. Die Arbeit der UN-Inspektoren muss zu Ende geführt werden. Die Ablehnung eines Krieges gegen den Irak bedeutet nicht, die Notwendigkeit eines Regimewechsels in Frage zu stellen. Wir lehnen die Diktatur Husseins ab.
Das seit 1979 unter der Ägide von Saddam Hussein etablierte politische Herrschaftssystem hat sich wegen seiner extremen Demokratiefeindlichkeit und der verübten Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Giftgaseinsätzen gegen die eigene kurdische Bevölkerung national wie international selbst ins Abseits gestellt. Der notwendige Regierungswechsel und eine damit verbundene tragfähige demokratische Alternative sind die nicht unproblematischen Aufgaben des irakischen Volkes und dessen demokratischer Oppositionskräfte. Krieg löst diese Probleme nicht. Krieg ist das Problem!
Krieg beseitigt keine Diktaturen. Der Krieg gegen den Irak ist eine Fackel, die in das Pulverfass Naher und Mittlerer Osten geschleudert wird. Die Explosion wird auch Europa treffen. An die Stelle der Stärke des Rechts tritt das Recht des Stärkeren.
Auch in Auseinandersetzung mit meiner eigenen Vergangenheit weiß ich heute, dass die Lehre von den gerechten und von den ungerechten Kriegen falsch ist. Krieg gehört nicht in die Politik, denn er ist ihr Versagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Menschen fürchten sich vor einem Irakkrieg, aber nur wenige Menschen werden entscheiden, ob der Krieg geführt wird. Millionen Menschen lehnen weltweit diesen weiteren Krieg ab. Aus dieser Ablehnung muss noch mehr als bisher Widerstand werden, nur so könnte ein neuer Krieg vielleicht noch verhindert werden.
Die Bundesregierung sagt zu diesem Krieg Nein. Dafür gebührt ihr ausdrücklich Anerkennung und Unterstützung, damit sie beim Nein bleibt.
Sie braucht aber keine Aschermittwochschelte für ihre Bemühungen um eine friedliche Lösung dieses Konfliktes, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nutzen wir weiter jede Gelegenheit, um zu zeigen: Wir wollen diesen Krieg nicht! Der Europäische Gewerkschaftsbund ruft auf, am kommenden Freitag zehn Minuten gegen den Krieg zu protestieren. Auch wir sollten am Freitag zehn Minuten vor 12.00 Uhr vor den Landtag, vor die Ministerien, vor unsere Wahlkreisbüros treten, um diese Aktion zu unterstützen, um gemeinsam zu zeigen: Wir wollen diesen Krieg nicht! Wir sollten Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer ermuntern dürfen, für diese zehn Minuten den regulären Unterricht zu unterbrechen, damit auch sie zeigen können: Wir wollen diesen Krieg nicht!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, leider müssen wir uns aber auch damit auseinander setzen, dass es zum Krieg, dass es zum Tag X kommen kann. Auch an diesem Tag müssen wir klar Position beziehen. Vielerorts, zum Beispiel in Rostock oder hier in Schwerin, bereiten die Friedensbündnisse Protestveranstaltungen für den Tag X vor. Ich rufe Sie auf, sich in diese Bündnisse einzubringen, am Tag X mit auf der Straße zu sein. Ich meine aber auch, dass der Landtag selbst nach außen deutlich sichtbar machen sollte: Wir wollen diesen Krieg nicht! Weiße Tücher als Zeichen des Protestes an unseren Fenstern, Transparente gegen den Krieg als deutliche politische Willensbekundung, das sollte möglich sein, ohne dass erst lange über die Würde des Hohen Hauses debattiert wird. Krieg beschädigt die Würde des Menschen. Dagegen zu protestieren muss legitim sein, auch hier im Landtag.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Entscheidung, ob Krieg oder Frieden, kann man also nicht nur
einer Regierung allein überlassen. Tausende Menschen, auch in unserem Land, haben sich gegen den Krieg, haben sich für den Frieden engagiert. Würdigen und unterstützen wir dieses Engagement! Ich bitte Sie, ich fordere Sie auf: Stimmen Sie der vorliegenden Resolution zu! Nutzen wir jede Chance und jedes Mittel, einen neuen Krieg zu verhindern! – Danke schön.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Irakkrise bewegt die Menschen weltweit. Sie haben Angst, Angst vor einem Krieg und Angst vor allen Dingen auch vor seinen Folgen.
Wird die Welt nach einem Krieg ein sicherer Ort sein? Das glauben nur wenige. Krieg löst keine Probleme, sondern Krieg schafft neue. Das glauben dagegen viele. Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen lehnt daher einen Krieg gegen den Irak ab, auch bei uns in MecklenburgVorpommern. Die Menschen verkennen dabei nicht die Gefahr, die von Saddam Hussein ausgeht. Sie wissen, der Diktator hätte sich weit weniger bewegt ohne den massiven Druck der Vereinten Nationen. Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen will aber, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Entwaffnung des Diktators auf friedlichem Wege zu vollziehen. Eine Zustimmung Deutschlands zu einer neuen UN-Resolution, mit der ein militärisches Vorgehen gegen den Irak legitimiert werden soll, wird von lediglich 15 Prozent der Deutschen befürwortet. Ich glaube, das ist deutlich.
Meine Damen und Herren, gemeinsam mit Frankreich, Russland und mit anderen Staaten unternimmt die Bundesregierung alle Anstrengungen, um den Konflikt im Irak auf friedlichem Wege zu lösen. Darum kämpfen wir und dabei haben wir die Menschen hinter uns. Ich stelle die Frage: Gilt das auch für die Union? Es ist nicht klar erkennbar, was sie eigentlich will. In Fragen von Krieg und Frieden, glaube ich, darf man nicht lavieren nach dem Motto: „Augen zu und in der Mitte durch!“.
In Fragen von Krieg und Frieden muss Klartext gesprochen werden, deshalb bin ich froh, dass Gerhard Schröder Bundeskanzler ist und nicht Edmund Stoiber.
Wo stehen Sie, meine Damen und Herren von der Union, wenn die USA ohne UN-Mandat in den Irak einmarschieren? Und was sagen Sie den Menschen bei uns in Mecklenburg-Vorpommern, wo eine große Mehrheit gegen eine militärische Intervention ist? Edmund Stoiber hat dazu erklärt, die Frage stelle sich noch nicht. Aber, meine Damen und Herren, die Frage wird sich bald stellen und spätestens dann – oder endlich dann – sollte auch die Union eine Meinung dazu haben.
Ich glaube, die Arbeit der UN-Inspekteure zeigt, dass eine friedliche Entwaffnung des Irak möglich ist. Sie ist
aufwendig und mühsam, aber sie ist möglich. Bagdad hätte viele der getroffenen Maßnahmen früher und bereitwilliger ergreifen können, das ist wahr, aber man darf doch nicht übersehen: In den letzten Wochen hat sich die Kooperation spürbar verbessert und das ist eine positive Entwicklung und diese Entwicklung muss weitergehen.
Außenminister Fischer hat in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 7. März 2003 in New York darauf aufmerksam gemacht, dass die Inspektionen aber nicht endlos fortgesetzt werden können. Das Ziel der Abrüstung des Irak muss energisch und konsequent verfolgt werden. Er hat aber auch deutlich gemacht, dass angesichts der aktuellen Lage und der laufenden Fortschritte Deutschland keinerlei Notwendigkeit für eine zweite Resolution sieht. Und er hat zu Recht gefragt, warum man den eingeschlagenen Weg gerade jetzt verlassen will, wo die Inspektionen auf Grundlage der Resolution 1441 tragfähige Ergebnisse zeigen.
Meine Damen und Herren, bis zur Herausbildung eines internationalen Völkerrechts war es ein langer Weg, es war vor allem ein blutiger Weg. Und wer heute militärische Gewalt anordnet, der kann das nur auf Grundlage ganz bestimmter Prinzipien und Möglichkeiten tun, die in der Charta der Vereinten Nationen festgehalten sind. Auch als letztes Mittel der Konfliktlösung unterliegt die Anwendung militärischer Gewalt strengsten Beschränkungen. Eine Ausnahme bildet die Selbstverteidigung gegen einen unmittelbar bevorstehenden bewaffneten Angriff. Eine weitere ist die vom Sicherheitsrat legitimierte Abwehr einer unmittelbar schweren Gefahr für den internationalen Frieden. Die Stärke des Rechts rückt an die Stelle des Rechts des Stärkeren, das ist das Prinzip.
Ein amerikanischer Präventivkrieg wäre ein Präzedenzfall, der das Gewaltverbot der UN-Charta ein für alle Mal aushebeln würde. Wer sollte dann noch Staaten wie Indien, Pakistan oder Nordkorea daran hindern, unter Berufung auf die USA in ihre Nachbarstaaten einzumarschieren?
Die Stärke des Rechts muss Vorrang haben vor dem Recht des Stärkeren. Ungeachtet aller aktuellen Meinungsverschiedenheiten ist das das gemeinsame Wertefundament, das uns Deutsche mit den Amerikanern verbindet. Uns eint eine Freundschaft, die auf gegenseitigem Respekt und der Verfolgung gemeinsamer Ziele beruht. Freundschaft heißt aber auch, dass man zu unterschiedlichen Meinungen kommen und das trotzdem ertragen kann. Wir Ostdeutschen wissen, was wir den Amerikanern im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung zu verdanken haben. Aber als Ostdeutsche sollten wir auch besonders sensibel sein, wenn es heißt, „Kritik verboten“, denn das gab es schon zu Zeiten der DDR, das ungeschriebene Verbot, Freunde zu kritisieren. Auch Frau Merkel müsste das noch in Erinnerung haben. Heute fährt sie in die USA und kritisiert die deutsche Bundesregierung, ich glaube, ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.
Es gibt ein Zitat von Willy Brandt, es passt vielleicht ein bisschen in diese Zeit. Er hat einmal gesagt: „Den Interessen des Landes wird nicht gerecht, wer schon Amen sagt, während in Washington noch gebetet wird.“
Meine Damen und Herren, der Bundesaußenminister hat im Weltsicherheitsrat darauf hingewiesen, dass während der Inspektionen von 1991 bis 1998 nachweislich mehr Massenvernichtungswaffen des Irak abgerüstet worden sind, als während des gesamten Golfkrieges vernichtet wurden. Es spricht also vieles dafür, dass kontrollierte Abrüstung und wirksame Inspektionen ein taugliches Mittel zur Beseitigung von Gefahr darstellen. Und im Übrigen gibt es keine Beweise für ein angeblich neues Atomprogramm des Irak. Von den USA und Großbritannien vorgelegte Beweise erwiesen sich als Fälschungen. Wer trotzdem heute einer militärischen Option den Vorzug gibt, muss beweisen, dass es keine Alternative zum Krieg gibt.
Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer, ein Kenner der Krisenregion, mutmaßt, dass ein Krieg, ein Angriffskrieg gegen den Irak den Antiamerikanismus in den muslimischen Ländern massiv verstärken und den Terrorismus weiter fördern würde. „Es könnte sein“, schreibt er, ich zitiere: „dass wir 30 Tage Bomben auf den Irak mit 30 Jahren Terrorismus bezahlen. Wenn wir wollen, dass der muslimische Terrorismus von einer Minderheitenbewegung zu einer Massenbewegung und unser junges Jahrhundert zu einem Jahrhundert des Terrorismus wird, müssen wir genau diesen Krieg führen.“ Ich glaube, das können wir alle zusammen nicht wollen.
Wir müssen uns auch vor Augen führen, wie viel Leid und Tod ein Krieg für zahllose Menschen bringen würde. Mütter würden ihre Söhne verlieren, Kinder ihre Väter. Und vor allem dürfen wir nicht vergessen, auch viele Kinder würden sterben. Schon heute sind die Kinder die eigentlichen Leidtragenden der jahrelangen Sanktionen. Es gibt zu wenig Medikamente, vor allem zur Behandlung von Leukämie. Im Krankenhaus von Basra ist infolge der Sanktionen die Sterblichkeitsrate der an Blutkrebs Erkrankten von unter 60 Prozent auf über 85 Prozent gestiegen. Augenzeugen berichten, der Anblick der schwarzgekleideten Mütter, die mit ihren ausgezehrten blassen Kleinen auf den Krankenhausbetten spielen, sei einfach herzzerreißend.
Vieles spricht dafür, meine Damen und Herren, dass die Region durch einen Krieg nicht stabiler, sondern instabiler wird, da sind sich die Kenner der Region einig. Doch unser Ziel muss es sein, auch im Nahen Osten eine dauerhafte und stabile Friedensordnung zu schaffen. Dazu gehört die Sicherheit Israels ebenso wie ein unabhängiger, lebensfähiger und demokratischer Staat der Palästinenser. Wenn die Bundesregierung so leidenschaftlich dafür kämpft, dem Frieden eine Chance zu geben, dann geschieht das auch in Sorge um die Folgen für die Region und aus Sorge um die Folgen für Israel. Eine neue Welle des Terrorismus müssen gerade wir als Deutsche vermeiden helfen. Und darüber hinaus müssen wir auch fragen, welche Mitschuld der Westen daran trägt, dass Diktatoren mit Waffen beliefert werden,