Ich möchte als Zweites auf das Problem der so genannten Grauzone, so, wie ich das mal genannt habe, zurückkommen, vielleicht sollte man es sachlicher darstellen als Ermessensspielräume. Überall, in allen Gesetzen – beim Grundgesetz beginnend bis hin zu diversen Rechtsordnungen – gibt es diese gewollten, manchmal auch ungewollten Ermessensspielräume beziehungsweise auch nicht endgültig Ausdefiniertes. Um aber zu einer Strafverfolgung praktisch einer gesamten Fraktion zu kommen, bedurfte es schon einer ganz für sich persönlich restriktiven Auslegung dieser Ermessensspielräume, erstens des Ermessensspielraumes: Was ist Öffentlichkeitsarbeit? Darf sie nach außen in die Öffentlichkeit gehen oder darf die Öffentlichkeit nur nach innen getan werden? Herr Dr. Schoenenburg hatte das bereits gesagt. Eine restriktive Definition dazu: Wann stellt sich eine Fraktion im Rahmen dieser Öffentlichkeitsarbeit dar? Wann wird damit eine unzulässige Darstellung der Partei als Ganzes vorgenommen? Und drittens eine ganz restriktive Festlegung des – nun sage ich – heiligen Prinzips der Indemnität. Ich weiß, dass es darüber Diskussionen gibt, wie weit Indemnität überhaupt gehen soll.
Aber indem man sagt, für diesen Fall gilt sie eben nicht, war erst die Voraussetzung geschaffen, dass man überhaupt eine Fraktion, möglicherweise den Landtag als Ganzes strafverfolgungsfähig hinbekommt. Und da sage ich, der Zweck heiligt die Mittel. Und auch, man merkt die Absicht und ist verstimmt, weil über diese Art und Weise der restriktiven Definitionen Gesetzesverstöße letztlich nicht mehr festgestellt, sondern per Definition festgelegt werden. Das ist höchst gefährlich und geht weit, weit – und ist auch etwas ganz anderes – über das im bürgerlichen Justizwesen anerkannte Prinzip des Richterrechtes hinaus. Und ich sage hier auch ausdrücklich, es kann nicht sein und es darf nicht sein, dass eine solche bewusste und gewollte Einengung gewollter Ermessensspielräume über Strafverfolgung stattfinden soll.
Konnte man am Anfang dieses Verfahrens, als sich der Vorwurf zunächst mal nur gegen zwei leitende Mitglieder der SPD-Fraktion richtete, davon ausgehen, dass hier geprüft wird eine mögliche Fehlhandlung oder ein Fehlverhalten im parlamentarischen Amt, und das würde sich dann schon klären lassen, das heißt mit einer Einstellung enden, war es ja im ersten Quartal dieses Jahres dann doch so, dass sich diese Hoffnung nicht nur nicht erfüllt hatte, sondern dass dann die Entscheidung erging, aus dieser möglichen Einzelprüfung eine kollektive Prüfung kollektiven Vorgehens einer Fraktion durchzuführen. Und da sage ich, hier waren die Kriterien, die an die Schuldfähigkeit Einzelner anzulegen sind, nicht mehr voll gültig,
sondern hier war als Kriterium dann anzusetzen: Ist der Beschuldigte die Fraktion? Ist der Beschuldigte das Parlament als Ganzes? Ist der Beschuldigte – sagen wir mal ganz weit gefasst – der Parlamentarismus?
Demzufolge gelten eben nach meiner Auffassung alle diese Argumente, das könnt ihr doch überprüfen lassen, in dem Sinne nicht mehr, sondern hier sind ganz andere Zulassungskriterien für die Strafverfolgung, nämlich die Lauterkeit und die Grundgesetzlichkeit der Arbeit der Parlamente, anzusetzen. Und spätestens an dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätte tatsächlich das Stopp kommen müssen dieses Verfahrens, wo es um die Fehlhandlung Einzelner geht.
Insofern wäre es, meine sehr verehrten Damen und Herren, mir auch lieber gewesen, bis heute ein Signal zu erhalten, dass dann von den handelnden Personen gesagt wird, da haben wir uns vertan, das Ding ist zu groß geworden, jetzt sind wir auf dem falschen Spielfeld, wir ziehen uns wieder zurück, so dass wir diese nützliche Debatte sicherlich führen müssen, aber nicht aus diesem unsäglichen Anlass heraus.
Das wäre mir viel lieber gewesen. Das war meine Erwartung. Die habe ich auch öffentlich geäußert. Dieser Erwartung ist leider nicht entsprochen worden. Ganz im Gegenteil, ich denke sogar, die handelnden Staatsanwälte und Oberstaatsanwälte sind durch das ständige Signal der Generalstaatsanwaltschaft und des Justizministeriums „Weitermachen!“ erst gestärkt worden eigentlich in dem Tun, das uns bis hierher geführt hat. Ich halte das nicht für gut.
Und dann will ich noch etwas sagen: Der Schutz des Parlamentes als Ganzes ist keine Bunker- oder Festungsmentalität, ist kein Verhalten, dass wir nicht eine Strafverfolgung wollen, dass wir uns dieser nicht stellen wollen. Wir wissen selbstverständlich, dass ein Parlament nicht oberhalb von Recht und Gesetz sowie Moral und Kritik stehen kann, es ist aber auch kein Objekt oder Subjekt diverser Begehrlichkeiten und Beliebigkeiten, sondern wir sind hier das oberste demokratisch gewählte Organ im Lande Mecklenburg-Vorpommern. Sinngemäß gilt das selbstverständlich für den Bundestag auch. Diese repräsentative Demokratie der Bundesrepublik Deutschland kennt nichts Ähnliches und demzufolge haben wir auch den Selbstschutz des Parlamentes als gesellschaftlichen Schutz dieser Demokratie zu wahren. Und es ist demzufolge keine persönliche Entscheidung mehr, ob wir eine Strafverfolgung gegen eine ganze Fraktion, möglicherweise zwei Fraktionen vielleicht nach dem Prinzip „So funktioniert es gegen den gesamten Landtag und darüber hinaus“ zulassen, sondern es ist tatsächlich auch ein Schutz dieser Art bürgerlicher Demokratie. Das möchte ich hier ganz unumwunden sagen.
Und daraus ergibt sich dann auch wieder, ich wäre dagegen, wenn es Beanstandungen, vielleicht grundsätzliche Beanstandungen an dieser Art Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland gibt, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern auf diese Art und Weise möglicherweise das Pilotprojekt wird.
Und da sage ich ganz, ganz bescheiden: Wir sind vor zwölf Jahren in die Bundesrepublik eingetreten – ich lasse jetzt mal vor, mit welcher Begeisterung
oder mit welcher kritischen Erwartung – und damit sind wir auch in diesen bürgerlichen und bundesrepublikanischen Parlamentarismus eingetreten. Was wir uns hier angeeignet haben, haben wir im Wesentlichen übernommen, ein paar persönliche oder ein paar regionale Elemente mit eingebaut, aber ansonsten sind wir nur eine ganz regionalarteigene Stelle des bürgerlichen Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn man schon eine strafrechtliche Kritik oder strafrechtliche Verfolgung dieses bürgerlichen Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland vornimmt, dann bitte nicht beim Kleinsten, beim Neuesten, beim Unbedarftesten, der mehr oder weniger offen in diese Art und Weise des Parlamentarismus auch eingetreten ist, dann bitte, und zwar in einer ernsthaften Auseinandersetzung, in einer ernsthaften Diskussion, in einer parlamentarischen, meinetwegen auch verfassungsgerichtlichen Diskussion, an den Stellen, an denen sich dieser Parlamentarismus in der Art und Weise, wie wir ihn hier auch übernommen haben und praktizieren, herausgebildet hat. Das möchte ich doch auch festgestellt wissen.
Zum Schluss kann ich mir natürlich folgende Bemerkung auch nicht verkneifen: Wir stellen fest, nach allem, was Recht und Gesetz ist, es gibt keine Opfer, es gibt keine Geschädigten, es gibt kein Tatmotiv. Es gibt nur eine ganze Menge von Beschuldigten. Das ist der Stoff, aus dem die unglücklichsten Krimis gemacht werden. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der PDS, Abgeordneten der SPD und Lorenz Caffier, CDU – Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt ein altes Sprichwort: Hättest du geschwiegen, wärst du ein Philosoph geblieben.
(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU – Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)
Zunächst zum Fall Pofalla: Das ist etwas völlig anderes. Es ging um die Ermittlung in Straftaten, die auch jeder andere Bürger machen kann. Es ging nicht um Ermittlungen über Fragen, die nur Abgeordnete betreffen können.
Und dann wurde so unzureichend zitiert und so unzureichend erörtert, als gäbe dieser Fall für Ihre Auffassung irgendetwas her. Sie hätten darstellen müssen, dass gerade dieser Fall für den Minister und für die Staatsanwaltschaft ein Skandal ersten Ranges war.
Der Minister konnte seinen Kopf nur retten, indem der Generalstaatsanwalt gehen musste. Wir können in diesem Fall noch einige Male hier reden. Dann kommt es darauf an, wer hier seinen Kopf verliert oder noch retten kann.
Ich habe mich in meiner Rede aufs Äußerste zurückgehalten. Ich habe nicht ein scharfes Wort genommen, aber Sie zwingen mich dazu.
(Eckhardt Rehberg, CDU: Vorsichtig, vorsich- tig, ganz vorsichtig, Herr Ebnet! Das können wir auf jeden Fall auch anders diskutieren, das können wir auch anders diskutieren.)
Herr Minister, Sie begrüßen unseren Beschluss, Sie begrüßen unseren Beschluss, den wir hier beschließen wollen, den wir beabsichtigen zu beschließen zur Abwehr dessen, was die Staatsanwaltschaft tut, und reden über die Zukunft, wie dieser Beschluss wirken könnte. Und Sie sagen, wir wollen uns, die Staatsanwaltschaften wollen sich aus dem Geleitzug der anderen Länder nicht ausklinken. Das ist doch bereits geschehen!
Und Sie sind die Aufsichtsperson und nichts sonst! Das ist durch Ihr Ministerium gelaufen. Ich habe sämtliche Papiere, jedenfalls den Schriftwechsel mit dem Präsidenten verlangt. Da ist der Sichtvermerk des Ministeriums drauf. Und das, was wir meinen, steht in unserem Beschluss. Und das begrüßen Sie. Das ist nichts anderes als derzeitige Rechtslage. Und hätten Sie sich das zu Herzen genommen, was in unserem Beschluss steht, dann hätten Sie über die Ermittlungen stolpern müssen – ich sage noch nichts von Weisung erteilen, auf die Schiene möchten Sie mich gerne haben –, Sie hätten stolpern müssen, Sie hätten in der Behörde Erörterungen führen müssen, was den Beschluss der SPD-Fraktion anbetrifft, Sie hätten die Indemnität erörtern müssen. Und wenn Sie wollen, werden wir die Akten einsehen. Und jedes jetzige Gutachten und jede jetzige Prüfung zur Indemnität, das lässt sich identifizieren, ob das vor einem Jahr im Herbst geschehen ist. Das kann nicht geschehen sein, sonst hätte man diese Ermittlungen nicht führen können und wollen.
Sie sprechen über die Zukunft und begrüßen, dass der Landtag natürlich seine Öffentlichkeitsarbeit haben muss, sprechen über Abgrenzungsprobleme. Wo sind denn die Prüfungen über die Abgrenzungsprobleme?
Und ich sage noch einmal und ich verletzte damit kein Amtsgeheimnis, die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, dass sie gegen 16 Abgeordnete der SPD-Fraktion ermitteln will wegen vorsätzlicher Untreue, steht auf anderthalb Seiten, davon steht auf einer Seite Gesetzestext und der Rest ist ein bisschen Schilderung. Nichts von Begründung! Hierfür hatten wir Gesprächsbedarf und Sie haben dieses Gespräch verhindert.
Ich habe nicht zu Unrecht in meiner Rede ganz vorsichtig gesagt, man müsse überlegen, ob der Minister hiermit seine Pflicht verletzt hat. Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und dazu nichts sagen, über die Vergangenheit und das, was geschehen ist, und über die Tatsache, dass dies ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik ist und des
halb dieses Land, die Staatsanwaltschaft mit ihrem Minister aus der Phalanx der übrigen 16 Länder bereits ausgeschieden ist, wenn Sie darüber kein Wort sagen, sondern für die Zukunft den Beschluss des Landtages begrüßen, dann weichen Sie aus. Sie stellen sich nicht dem, was Sie in den letzten zwölf Monaten in der Sache getan haben.
Und wenn Sie das nicht tun, wird der Landtag überlegen müssen, ob er Akteneinsicht nimmt und Ihnen nachweist, was Sie getan haben oder was Sie unterlassen haben. Sie haben rechtzeitig davon gewusst, Sie haben offensichtlich die notwendigen Überlegungen in der Staatsanwaltschaft nicht veranlasst und ich bin sicher, ein zweiter derartiger Fall würde sich hier in Schwerin nicht wiederholen. So lernfähig sind Sie, glaube ich, mit der Ihnen nachgeordneten Behörde.
Und noch eins zum Eingreifen: Herr Minister, ich verstehe ja, dass Sie Richter waren und dass Sie als Richter jetzt Minister sind und dass von daher die Denke des Richters: „Ich bin unabhängige Justiz“, in Ihrem Kopf so fest ist, dass Sie mir selbst gegenüber mal gesagt haben, in diesem Fall müssen Sie für die Unabhängigkeit der Justiz sorgen. Das ist schierer Unsinn. Die Staatsanwaltschaft ist nicht Justiz. Die Staatsanwaltschaft geht zu Gericht und stellt dort Anträge. Die Staatsanwaltschaft ist die Ihnen nachgeordnete Behörde, der gegenüber Sie Aufsichtspflichten haben. Und die haben Sie vernachlässigt
Oder Sie kommen noch einmal ans Podium und sagen uns, wie die Staatsanwaltschaft und Sie und diese Regierung – Sie haben es heute noch in der Hand – uns in den Geleitzug der anderen Länder wieder einordnen wollen. Sie haben es heute noch in der Hand, dass uns dieses einmalige Verfahren in der Bundesrepublik nicht zum Gespött macht, was bei anderen leider Gottes schon geschehen ist.
Der Zuruf eben, Herr Minister, treten Sie zurück, den will ich nicht wiederholen. Den will ich nicht wiederholen.
Dieses Lachen des Ministers, er kann lachen, er kann strahlen, er kann sich als Strahlemännchen fühlen, die Bilder sind alle festgehalten, das kann er später nicht abstreiten. So was nennt man schlicht und ergreifend arrogant.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Dieser Minister ist nicht arrogant.)
(Hermann Bollinger, CDU: Mit dieser Arroganz sind wir immer belästigt worden. – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Glocke der Vizepräsidentin – Volker Schlotmann, SPD: Jetzt kehren wir mal wieder zurück zur Sachlichkeit hier!)