Protocol of the Session on March 14, 2002

Auch ich sage, die einseitige Schuldzuweisung des Bundesfinanzministers an Länder und Kommunen ist so nicht richtig.

(Zuruf von Georg Nolte, CDU)

Aber ich habe zum Beispiel keinerlei Verständnis dafür, dass wir den Blauen Brief nicht bekommen haben, weil im Vertrag 104 der Europäischen Union – damals noch der Europäischen Gemeinschaft – klar formuliert ist, dass es ein Frühwarnsystem gibt, und das ist eben dieser Blaue Brief. Und der weist darauf hin, dass, wenn nichts passiert, das mittelfristige Ziel gefährdet ist. Wenn wir nämlich drei Prozent erreicht hätten, hätten wir nicht den Blauen Brief gekriegt, sondern wir hätten einen Bußgeldbescheid in Höhe von 0,2 bis 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bekommen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Und da titeln Zeitungen wie die „Süddeutsche Zeitung“: „Eichel hat den Blauen Brief abgewehrt, doch Europa ist der Verlierer“ oder eine österreichische Zeitung vom 12. Februar: „Mit dem Blauen Brief hätte der EU-Ministerrat klargestellt, dass kein Mitgliedsstaat, sei er auch noch so groß und mächtig, sich den Spielregeln entziehen kann.“

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig. – Georg Nolte, CDU: Genau so.)

Und insofern bin ich über die Intervention nicht gerade glücklich, denn Portugal – nach meinem Wissen – bekommt den Blauen Brief. Wir waren es, es war Deutschland, die gefordert hatten, harte Grenzwerte bei den Stabilitätskriterien einzuziehen und harte Anforderungen und Sanktionen festzuschreiben. Und jetzt, wo es uns vielleicht getroffen hätte, darf das nicht sein? Ich finde, auch das muss mal klar ausgesprochen werden.

Ich halte die einseitige Schuldzuweisung an Länder und Kommunen für nicht gerechtfertigt, aber ich halte sie insbesondere für die ostdeutschen Länder für nicht gerechtfertigt, denn es ist eines klar: Schaut man sich die Defizite an, wird deutlich, dass die ostdeutschen Flächenländer ihre Ausgaben in 2001 im Vergleich zu 2000 um 1,4 Prozent zurückgeführt haben, im Vergleich dazu die westdeutschen Flächenländer plus 3,1 Prozent dazugepackt haben, die Stadtstaaten gar 5,7 Prozent. Wie halten wir es

denn mit den 2 Prozent, die im Planungsrat festgelegt worden sind? Welche Antwort haben die westdeutschen Flächenländer und Stadtstaaten auf die zukünftigen 1 Prozent, die Frau Finanzministerin eben angekündigt hat?

Und ich will, um das ein bisschen zu verdeutlichen, mal ein paar Länder zitieren, die an der Defizitproduktion mitverantwortlich zeichnen: So hat Baden-Württemberg bei einem Einnahmeausfall von 201 Millionen Euro für den Doppelhaushalt 2002/2003 die Neuverschuldung um 130 Millionen Mark überzogen. Der Finanzminister Stratthaus sagte, Einsparungen bei dieser Größenordnung sind nicht mehr möglich. Ich füge hinzu, Baden-Württemberg hat einen Gesamthaushalt von 30 Milliarden Euro. Sollte da vielleicht mutwillig das Defizit nach oben gefahren werden?

(Wolfgang Riemann, CDU: Na, das macht wohl kein Finanzminister. Das macht wohl kein Finanzminister, Frau Gramkow.)

Ich kann Ihnen auch gerne, Herr Riemann, Hessen nennen. Hessen hat geplant im Jahre 2000 und 2001 eine Neuverschuldung von 1,3 Milliarden. Ausgegeben wurden 1,8 – glatte 510 Millionen DM mehr. Wo kommt also die Defizitproduktion her?

(Wolfgang Riemann, CDU: Die haben zusätz- liche Lehrer eingestellt, Frau Gramkow. – Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

Ich will daran nur deutlich machen, dass man angesichts der Situation, die Sigrid Keler hier genannt hat für unser Land, sehr wohl sagen muss, dass auch CDUgeführte Länder unverantwortlich mit ihrer Haushaltspolitik in der Bundesrepublik Deutschland umgehen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Heidemarie Beyer, SPD: Das haben wir ja schon immer gewusst.)

Und, auch das will ich nicht ungesagt lassen: Ja, ich finde auch, dass man sich in Deutschland entscheiden muss. Und da muss man sich fragen lassen, warum Geld bei Krieg keine Rolle spielt,

(Minister Dr. Wolfgang Methling: Richtig.)

warum Geld für Flugzeuge nicht wichtig ist

(Minister Dr. Wolfgang Methling: Richtig.)

bei der Produktion von staatlichem Defizit?

(Beifall Torsten Koplin, PDS)

Und da muss man sich fragen lassen, warum die UMTS-Lizenzen einseitig zur Schuldenminimierung des Bundes herangezogen werden

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Georg Nolte, CDU: Genau das sagen wir auch.)

und die Steuerausfälle insbesondere bei den Kommunen – in meiner Heimatstadt betragen sie 9 Millionen DM – letztendlich greifen.

(Georg Nolte, CDU: Das gleiche Argument wie von uns.)

Ja, und ich sage auch, dass die Steuerreform, zu der auch die PDS steht, weil es unter CDU-Einflussnahme noch viel schlimmer gekommen wäre,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeord- neten der CDU – Georg Nolte, CDU: Wir hätten keine Ökosteuer eingeführt.)

dass diese Steuerreform für mich unangekündigt einen drastischen Rückgang der Körperschaftssteuer mit sich gebracht hat.

(Wolfgang Riemann, CDU: Sie haben dem doch zugestimmt, der Steuerre- form. Für drei Umgehungsstraßen!)

Wir zahlen mehr aus, als jemals an Körperschaftssteuer durch die Unternehmen eingezahlt worden ist.

Und diese negativen Tendenzen will ich nicht leugnen, sie sind es auch nicht, aber genauso sind in die Waagschale zu werfen die positiven Entscheidungen bei der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, die positiven Entscheidungen beim Kindergeld, die positiven Entscheidungen beim Länderfinanzausgleich bis 2020. Und trotzdem würde ich mir wünschen, dass wir im Land und in der Bundesrepublik Deutschland wegkommen von der einseitigen Ausgabendiskussion. Wir brauchen eine Diskussion für den Einnahmebereich.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Da reden wir schon seit Jahren drüber.)

Wir müssen uns anschauen, wie in diesem Zusammenhang auch Stabilität bei Steuereinnahmen und Abgaben wiederhergestellt werden kann, wie durch eine Gemeindefinanzreform die strukturellen Schwächen der kommunalen Ebene ausgeglichen werden können, denn sie sind doch diejenigen, die von den wirtschaftsabhängigsten Steuern abhängen – den Gewerbesteuern. Ihnen drücken wir es doch auf. Und wir sind als Landesregierung, als Landesparlament doch gar nicht in der Lage, die Defizite dann ernsthaft gemeinsam bundesrepublikweit auszugleichen. Deshalb sage ich: Lassen Sie uns über die Wiedereinführung, Wiedererhebung der Vermögenssteuer reden!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Zurufe von Nils Albrecht, CDU, und Wolfgang Riemann, CDU)

Lassen Sie uns darüber reden, Herr Riemann, nicht wie bei Ihnen, eine Steuerreform vorzuziehen, die diesem Land und seinen Kommunen weitere Milliarden an Steuerausfällen präsentiert! Warum ist denn der Spitzensteuersatz und seine Senkung für Sie in diesem Land so wichtig, wo kaum ein Unternehmen diesen Spitzensteuersatz überhaupt bezahlt?

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Georg Nolte, CDU)

Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie wir im kleinen und mittelständischen Bereich helfend unterstützen können angesichts einer Situation, die dazu führt, dass der Zugang zu Wagnis oder auch Kredit oder sonst was für kleine und mittelständische Unternehmen kaum noch möglich ist! Sie kriegen doch heute einen Kredit für 500.000 Euro und 1 Million in fünf Minuten, einen für 30.000 Euro kriegen sie gar nicht mehr im wirtschaftlichen Bereich.

(Beifall Torsten Koplin, PDS: So ist es. – Wolfgang Riemann, CDU: Den für 100.000 Euro kriegen Sie auch nur, wenn Sie 500.000 Euro mitbringen.)

Und deshalb sage ich, wenn es uns nicht gelingt, über den Einnahmebereich zu reden und gleichzeitig prioritär

zu konsolidieren – und da stehe ich an der Seite unserer Finanzministerin –, dann werden wir für diese strukturellen Fragen keine Antworten haben und dann werden wir 2004 das angekündigte Defizit von 13,5 Milliarden nicht halten. Ich frage mich heute allen Ernstes, wer daran glaubt angesichts der wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Situation unseres Landes. Ich denke, hier ist es an der Zeit, dass Kommunen, Länder und Bundesregierung zur Umsetzung unserer vertraglichen Verpflichtung in der Europäischen Union vertraglich übereinkommen, wie alle gemeinsam die Stabilitätskriterien einhalten unter der Möglichkeit, für die Bürgerinnen und Bürger noch Politik gestalten zu können. Ich denke, mindestens ein Staatsvertrag gehört auf den Tisch.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Frau Gramkow.

Als Nächstes hat das Wort der Abgeordnete Riemann für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich Ihnen die Argumente der CDU-Fraktion noch einmal nahe bringen möchte, beantrage ich namens meiner Fraktion eine punkteweise Abstimmung unseres Antrages.

Sehr geehrte Damen und Herren, dass dieses Thema die Koalition auch bewegt, zeigt uns, dass die Finanzministerin schon erklärt hat und der Ministerpräsident – zumindest nach Rednerliste – uns noch erklären wird, dass die Bundesregierung, dass Schröder und Eichel alles richtig gemacht haben, dass die Bundesregierung die Wirtschaft ankurbelt und dass es in Mecklenburg-Vorpommern vor- und aufwärts geht dank Ringstorff, Keler & Co.

Sehr geehrte Frau Finanzministerin, Sie und Ihre Koalition haben jegliche Strukturänderungen, selbst Prüfaufträge zu Strukturänderungen in den Ministerien und nachgeordneten Einrichtungen in den Haushaltsdiskussionen der letzten zwei Jahre abgelehnt. Sie haben ein zusätzliches Ministerium geschaffen, Sie schützen die Häuptlinge und schicken Forstarbeiter und Laborantinnen in diesem Land mit einem Hungerlohn nach Hause. Das haben Sie zu verantworten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Das ist eine Frechheit.)

Und, Frau Finanzministerin, so verbiegt sich kein Landesfinanzminister in ganz Deutschland, so ordnet kein Landesfinanzminister Landesinteressen gegenüber dem Bund unter. Und wir werden dieses nach der Wahl nicht fortsetzen.

Wir hatten ja gestern hier schon die Wahlkampf-Solidaritätsdebatte und wir könnten heute anhand der Zahlen beleuchten, inwieweit die Bundesregierung solidarisch ist mit den Ländern und Gemeinden, wie weit Versprechen vor der Wahl 1998 heute eingehalten wurden.

Frau Gramkow, in Schwerin sinken die Gewerbesteuereinnahmen um 27 Prozent.

(Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)