Protocol of the Session on January 30, 2002

Erst am 28. Januar meldete die „Ostsee-Zeitung“, dass ein 14-Jähriger mit körperlicher Gewalt am Freitag gegen 17.20 Uhr in der Parkstraße einem 13-Jährigen das Handy abnahm. Das ist strafrechtlich betrachtet Raub. Es ist erschreckend, dass 63 Prozent aller wegen Raubdelikten in Mecklenburg-Vorpommern ermittelten Tatverdächtigen unter 21 Jahren sind. Offensichtlich herrscht bei dieser Altersgruppe die Einstellung vor, dass man sich nehmen muss, was man nicht bekommt, und sei es mit Gewalt. Und dieser Einstellung ist nicht allein durch Reden beizukommen. Hier muss der Gesetzgeber auch deutliche Zeichen setzen.

Die polizeiliche Kriminalstatistik des Landes weist zwar einen leichten Rückgang der unter 21-jährigen Tatverdächtigen um 7,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus, gleichwohl verdeutlicht die Zahl von 23.494 Tatverdächtigen dieser Altersgruppe den Ernst im Gesamtkomplex der Jugendkriminalität. Insgesamt wurden in MecklenburgVorpommern im Jahre 2000 59.802 Tatverdächtige ermittelt. Der Anteil der Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden an allen ermittelten Tatverdächtigen betrug 39,3 Prozent. Das heißt, jede dritte Straftat, jeder dritte Straftäter ist unter 21 Jahre alt. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt beträgt der Anteil der unter 21-Jährigen an allen ermittelten Tatverdächtigen nur 30,1 Prozent. Und der Anteil der 14- bis 21-jährigen Tatverdächtigen ist dreimal so hoch wie der Anteil an der Bevölkerung in unserem Land.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aber das ist schon immer so. Das ist nichts Neues, Herr Thomas.)

Diese Zahlen sind besorgniserregend und kein Grund, sich zufrieden zurückzulehnen, auch mit dem Hinweis darauf, dass es schon immer so ist und dass die von der Landespolizei auf den Weg gebrachten Maßnahmen allmählich zu greifen beginnen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Und das war auch schon so, als es Mecklenburg-Vorpommern noch gar nicht gab. – Dr. Ulrich Born, CDU: Was? – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ja, das war schon zu DDR-Zeiten so.)

Diese Zahlen erfordern aus unserer Sicht ein unmissverständliches, möglichst gemeinsames politisches Signal. Das Phänomen hoher Quoten von straffälligen Minderjährigen setzt sich aus unserer Sicht aus verschiedenen Ursachen zusammen: die allgemeine Tolerierung von Gewalt, Alkoholmissbrauch, negative Medieneinflüsse, Arbeitslosigkeit, Zukunftsangst, aber auch materielles Anspruchsdenken. Neben diesen äußerlichen Faktoren sind jedoch auch ein allgemeiner Werteverlust, die Schwächung traditioneller Autorität und Institutionen in ihrer Vorbildfunktion sowie falsch verstandene Toleranz und Liberalität für diese Entwicklung mit ursächlich, Letzteres aus meiner Sicht nicht ganz unentscheidend.

Diesen vielfältigen Ursachen und Erscheinungsformen der Kinder- und Jugendkriminalität muss durch ein wirksames und umfangreiches Maßnahmebündel begegnet werden. Sicher gehören hierzu auch präventive Maßnahmen wie die Aktion „Sport statt Gewalt“ oder „Kunst statt

Gewalt“ und die neue so genannte Streitschlichtung durch Mediation an Schulen, quasi runde Tische. Aber damit allein ist es natürlich nicht getan. Gerade im Bereich der Kinder- und Jugendkriminalität muss das Strafrecht wieder mehr seine Präventions- und Erziehungsfunktion übernehmen. Die CDU-Fraktion unterstützt ganz ausdrücklich die in der Presse nachzulesende Erklärung des Justizministers Sellering, der da sagte, die Palette zur Bestrafung jugendlicher Straftäter müsse so breit wie möglich sein, um auch unter präventiven Gesichtspunkten eine Abschreckungswirkung zu erzielen.

Aber den Worten müssen auch Taten folgen, denn Prävention und Repression sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Gerade weil die Einwirkungsmöglichkeit auf die Straftätergruppe der unter 21-Jährigen noch am ehesten möglich ist, müssen hier alle – und wir meinen alle – Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Und dazu gehört auch die Einführung neuer Sanktionen, die einerseits den Richtern sachgerechte und auf die Besonderheiten des jeweiligen Falles zugeschnittene Reaktionen ermöglichen. Andererseits müssen die Sanktionen die minderjährigen und heranwachsenden Straftäter aber auch genügend abschrecken und da weist unser Sanktionssystem im Jugendstrafrecht, wie wir alle wissen, einige Defizite auf. Wir haben uns in unserem Antrag im Augenblick allerdings darauf beschränkt, die Maßnahmen aufzulisten, von denen wir annehmen, dass sie trotz allen Streites in diesem Parlament konsensfähig sind. Das wären:

Erstens. Vorgeschlagen wird die Einführung eines so genannten Einstiegarrestes. Danach kann der Richter neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe oder neben einer Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe Jugendarrest anordnen, um den Jugendlichen auf diese Weise nachdrücklich den Ernst seiner Situation und die Notwendigkeit der Verhaltensänderung vor Augen zu führen. Diesen so genannten Warnschussarrest hat Justizminister Sellering laut Presseveröffentlichungen bereits nachdrücklich begrüßt. Das finden wir gut.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das macht er immer, aber Taten müssen eben folgen. Viel Zeit hat er nicht mehr.)

Wir schauen mal. Wir haben ja noch gute Hoffnung.

Zweitens. Im Jugendstrafrecht soll das Fahrverbot als so genanntes Zuchtmittel verankert werden. Da gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden dem Führen von Fahrzeugen ein erheblicher Prestigewert zukommt und Mobilität eine große Bedeutung hat, verspricht die Verhängung eines Fahrverbotes eine deutliche und nachhaltige erzieherische Wirkung. Auch hier hat es im Ansatz schon Zustimmung von Seiten der Landesregierung gegeben. Der Innenminister Dr. Timm hat sich sogar öffentlich bereits für die Ausweitung der Möglichkeiten des Führerscheinentzuges bei Jugendlichen ausgesprochen. Auch dafür unsere Hochachtung und die Hoffnung, dass er heute noch kommt und unserem Antrag zustimmt.

Drittens. Vorgesehen ist auch die Einführung einer neuen Sanktion, der Meldepflicht, die dem Verurteilten die Pflicht regelmäßiger Meldung bei einer amtlichen Stelle auferlegen soll, um über diese Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit ebenfalls erzieherisch auf ihn einzuwirken. Wir denken da zum Beispiel daran, dass wir ihn damit auch davon abhalten, rechtsextremistische Veranstaltungen zu besuchen oder die Kontakte in dieser Szene weiter frei und ungehindert pflegen zu können.

Im Bereich der Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität muss auch – und ich denke, darüber sind wir uns mittlerweile alle einig – gesetzgeberisch mehr getan werden. Pressemitteilungen mit Absichtserklärungen der Landesminister finden wir gut, aber das muss dann auch nachdrücklich untersetzt werden. Die Landesregierung wird daher aufgefordert, entsprechende Reformen auf Bundesebene zu initiieren und zu unterstützen. Wir meinen, die Zahlen sprechen für sich. Es besteht akuter Handlungsbedarf. Aus diesem Grunde bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Krumbholz von der SPD-Fraktion. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU geht in ihrem Antrag fälschlicherweise von der Tatsache aus, dass unser Land einen besonders hohen Anteil an Kinder- und Jugendkriminalität aufweist. Des Weiteren wird behauptet, dass die schon jetzt existierenden Möglichkeiten zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendkriminalität nicht ausreichend sind. Insbesondere fordert die Opposition, jugendstrafrechtliche Instrumentarien auszubauen. In der Begründung ihres Antrages führt sie weiter aus, die im Jahr 2000 zu verzeichnenden 23.494 Tatverdächtigen einer Straftat unter 21 Jahren würden eine Entwicklung darstellen, der entgegengetreten werden müsse.

Meine Damen und Herren, der CDU ist hier entweder ein Irrtum unterlaufen oder sie versucht vorsätzlich, eine Entwicklung zu suggerieren, die so nicht real ist. Dass Tatverdächtige unter 21 Jahren im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil überrepräsentiert sind, ist ein, wenn auch bedauerliches, bundesweites Phänomen und stellt insoweit keine spezifische Problematik in unserem Bundesland dar. Was jedoch schwieriger ist – und das unterstreicht Ihren laxen Umgang mit dem gesamten Bereich der inneren Sicherheit –, Sie suggerieren, die Anzahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren sei im Laufe der Jahre immer weiter angestiegen. Das ist aber so nicht der Fall. Entgegen dem von der CDU geschürten Eindruck ist die Entwicklung der Kinder- und Jugendkriminalität in Mecklenburg-Vorpommern rückläufig, und zwar deutlich rückläufig.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das haben wir doch gesagt.)

So ist die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren allein im Jahr 2000, worauf sich die CDU in ihrem Antrag bezieht, um 7,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Der Anteil der unter 21-jährigen Tatverdächtigen an allen ermittelten Tatverdächtigen stellt den niedrigsten Anteil in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten fünf Jahren dar, und das vor dem Hintergrund, dass im Jahr 2000 sogar 5,9 Prozent weniger Tatverdächtige als im Vorjahr zu verzeichnen waren. Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch, dass insbesondere die Altersgruppen Kinder, also Tatverdächtige unter 14 Jahren, und Jugendliche, also die 14- bis 18-Jährigen, nicht mehr so stark vertreten sind wie im Vorjahr. Herr Kollege Thomas, das scheint Ihnen in Ihrem Übereifer entgangen zu sein.

(Birgit Schwebs, PDS: Er ist nicht da.)

Er ist nicht da.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Er hat’s doch vorgetragen.)

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Ich habe aufgepasst, Herr Dr. Jäger, ich habe aufgepasst.

(Siegfried Friese, SPD: Das ist das große Interesse des Abgeordneten Thomas. Erst eine Brandrede halten und dann verschwinden. Das ist erstaunlich.)

Ich möchte Sie hier nicht weiter mit Zahlen konfrontieren, die Ihnen eigentlich bekannt sein müssten und in der polizeilichen Kriminalstatistik nachzulesen sind. Abgesehen von dieser positiven Entwicklung ist es nichtsdestotrotz notwendig, der Kinder- und Jugendkriminalität entgegenzutreten. Diesem Anliegen ist der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion jedoch wenig dienlich. Wenn behauptet wird, gerade die Möglichkeiten Führerscheinentzug, Meldepflicht und der so genannte Warnschussarrest würden jugendliche Täter eher abschrecken als d i e herkömmlichen Maßnahmen des Jugendstrafrechts, so scheint man die Augen vor der Realität zu verschließen.

Lassen Sie mich vorwegsagen, dass bereits die gegenwärtig bestehenden Sanktionsmöglichkeiten für jugendliche Straftäter taugliche Mittel darstellen. Wer die Praxis an den Gerichten kennt, weiß, dass der größte Prozentsatz der Angeklagten dieser Altersgruppe einmal vor Gericht erscheint und dann nie wieder. Im Übrigen darf man nicht vergessen, dass man der Meinung ist, von den bestehenden Instrumentarien werde nicht in ausreichendem Maße Gebrauch gemacht und dies hat seine Ursache in der Anwendungspraxis der unabhängigen Justiz. Das soll jedoch nicht heißen, dass man nicht über weitere effiziente Sanktionsmöglichkeiten nachdenken könnte und sollte.

Das scheint lobenswerterweise auch die CDU-Fraktion getan zu haben. Sie hinkt in ihrem Antrag jedoch leider wieder einmal den aktuellen Entwicklungen hinterher. So ist die Einführung eines Fahrverbots als eigenständige Sanktion im Jugendstrafrecht bereits Gegenstand eines Gesetzgebungsantrages des Landes Mecklenburg-Vorpommern aus dem Herbst 2000.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist bekannt.)

(Dr. Armin Jäger, CDU: Aber dann? Aber weiter?)

Obskur ist dagegen der Vorschlag der Einführung einer Meldepflicht. Hier hat die CDU nicht einmal ansatzweise ausgeführt, wie eine solche Meldepflicht im Einzelnen ausgestaltet werden soll. Aber ungeachtet dessen ist es doch höchst zweifelhaft, ob eine Meldepflicht als Sanktionsmöglichkeit den von der CDU verlangten abschreckenden Charakter gegenüber potentiellen jugendlichen Straftätern aufweist. Und schließlich ist die Verhängung eines Dauerarrestes als Zuchtmittel bereits heute möglich. Darüber, ob die Möglichkeit der Verhängung von Jugendarrest bei der Aussetzung einer verhängten Jugendstrafe zur Bewährung sinnvoll ist, liegen noch keine Erkenntnisse vor.

(Herbert Helmrich, CDU: Weil man’s nur nicht gemacht hat. Wenn man’s nicht macht, ist doch klar. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Man sollte dies erst mal in seriöser Weise prüfen, bevor man Schnellschüsse fabriziert.

Meine Damen und Herren, damit bleibt festzustellen, dass die CDU wieder einmal in Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten versucht, ein Phänomen mit Mitteln einzudämmen, die entweder bereits Gegenstand von Gesetzesinitiativen sind beziehungsweise deren Anwendungsmöglichkeit heute bereits gegeben ist oder die man als untauglich bezeichnen muss. Aus diesem Grund wird die Fraktion der SPD diesen Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD, Monty Schädel, PDS, und Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Herr Schädel, jetzt haben Sie das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die CDU klimpert auch heute wieder auf ihrer Klaviatur, auf ihrer sicherheitspolitischen, wie sie es jedes Mal in einer Landtagssitzung nicht versäumen will, auf dieser Klaviatur hin und her zu spielen.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Ach, Herr Thomas ist wieder da. Schön, dass Sie extra für mich reingekommen sind. Früher sind Sie extra rausgegangen.

(Peter Ritter, PDS: So ändern sich die Zeiten, Monty. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Ach so!

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Ach, Herr Jäger, Sie haben ja meine noch gar nicht gehört, dass Sie so lange sitzen bleiben wollen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ach doch, bei Ihnen bleibe ich. Das hat Unterhaltungswert.)

Ist in Ordnung.

Wir sind es gewohnt hier im Landtag, dass die CDU diese sicherheitspolitische Karte jedes Mal wieder zieht. Allerdings ist es aus Sicht der CDU eben auch nur allzu verständlich, denn sie hat ein Problem: Die Wahlen stehen in diesem Jahr an und da besteht natürlich einiger Handlungsbedarf für die CDU, den eigentlichen Spagat zu machen, zwischen der Rasenmäherpartei von Schill auf der einen Seite und auf der anderen Seite