Protocol of the Session on December 13, 2001

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

Doch Ganztagsschulen, Stundenerhöhungen und Verbesserungen von quantitativen Faktoren in den Rahmenbedingungen werden auch zukünftig Geld kosten. Und darüber müssen wir hier reden und streiten.

(Beifall Dr. Gerhard Bartels, PDS)

Und die von mir genannten Maßnahmen sind eben nicht die Wünsche eines weltfremden Bildungspolitikers, sondern – und da treffe ich mich dann wieder mit Frau Schnoor – die Notwendigkeiten, wollen wir denn im internationalen Vergleich wirklich standhalten. Im Moment sind wir im ungemütlichen Keller und nicht in der warmen

Wohnung mit der schönen Aussicht, wenn ich mal dieses Bild in Bezug auf das Bildungsniveau in Deutschland wählen kann.

Klar sollte auch sein, dass wir bei einer wirklichen Bildungsreform vor Problemen stehen, die ganz Deutschland betreffen und nicht von Mecklenburg-Vorpommern alleine zu bewältigen sind. Insofern geht meine Aufforderung auch an die Bundesregierung, sich an einer Bildungsoffensive für ganz Deutschland angemessen zu beteiligen, sowohl inhaltlich als auch finanziell.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Und ich sage es ganz deutlich: Für den Einsatz der Bundeswehr im Golfkrieg und andere sind Milliarden D-Mark bereitgestellt worden. Diese Mittel waren nicht vorhersehbar und sind trotzdem bereitgestellt worden. Und wenn man die Bildungsergebnisse von PISA ernst nimmt, dann muss man jetzt auch hier Geld in die Hand nehmen und Dinge einleiten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wird jetzt in das parlamentarische Anhörungs- und Beratungsverfahren gehen. Es wird eine kritische Bewertung geben, neue Forderungen und neue Wünsche werden uns übergeben werden. Das ist normal. Eines steht jedenfalls fest: Die Umsetzung der geplanten Maßnahmen wird ohne die aktive Beteiligung der Lehrerinnen und Lehrer, der Schulleiterinnen und Schulleiter, der Eltern, der Schülerinnen und Schüler, der in diesem Bereich agierenden Verbände und Vereine nicht möglich sein.

Ja, wir beschreiten teilweise Neuland, brechen mit alten überholten und vor allem gewohnten Verfahrensweisen. Und das ist wohl in keinem Bereich so problematisch wie gerade im Bildungsbereich. Es wird Skepsis geben und auch Widerstand. Das schon deshalb, weil natürlich gewohnte Pfade und eingeschliffene Wege verlassen werden müssen. Es wird vor allem auf die Pädagogen in diesem Land ankommen. Sie müssen das Konzept mit ihrer Kreativität, ihrem Engagement und ihrer Flexibilität im Endeffekt umsetzen. Nicht nur deswegen, aber auch deswegen brauchen wir eine breite öffentliche Debatte um den Lehrerberuf. Machen wir uns gemeinsam bewusst: Die Lehrerinnen und Lehrer sind die Experten für Bildung und Erziehung.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

Sie initiieren, moderieren, begleiten, verstehen und analysieren Lernprozesse. Ihr pädagogisches, didaktisches und lernpsychologisches Fachwissen löst Bildungs- und Erziehungsprozesse aus und gestaltet sie. Sie sind fähig, unterschiedliche, den Lernanlässen und Lernvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen entsprechende Methoden zu entwickeln und anzuwenden. Sie kennen die Persönlichkeitsentwicklungsprozesse von den Kindern und können Eltern und ihre Kinder über geeignete Lernstrategien, Entwicklungsbesonderheiten und daraus resultierende Bildungswege sachkundig beraten. Wir brauchen auch – auch im Zusammenhang mit PISA, aber nicht nur wegen PISA – generell eine Diskussion über das Berufsbild und das Berufsethos unserer Lehrerinnen und Lehrer hier in diesem Lande.

(Zuruf von Heike Polzin, SPD)

Eine Schule ohne Schüler ist genauso wenig vorstellbar wie eine Schule ohne Lehrer. Darum wende ich mich entschieden gegen die gegenwärtig zunehmende Diskussion, wir hätten zu viele Lehrkräfte. Das Bild ist sehr viel differenzierter, als in dieser Pauschalkritik zum Ausdruck kommt. Einerseits haben wir einen nicht befriedigten Bedarf in Mangelfächern, andererseits wird durch die vorhandene Altersstruktur mittelfristig ein großer Teil der Lehrerinnen und Lehrer aus dem Schuldienst ausscheiden. Dieser Teil wird so groß sein, dass er ohne schon jetzt einzuleitende Maßnahmen zu einem akuten Lehrermangel führen kann.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

In den alten Bundesländern hat dieser Prozess bereits eingesetzt. Deshalb werden aus unserem Land verstärkt Lehrer abgeworben, auch junge.

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Gerade junge!)

Die Ursache ist relativ einfach zu erklären, wenn auch die Wirkungen ungleich größer sind. Viele Jahre wurde in den alten Bundesländern von einem Lehrerüberhang geredet, so wie jetzt bei uns. Die Folge ist, dass es kaum noch Bewerber für ein Lehrerstudium gibt. Bei den Gymnasiallehrern geht es noch, aber für den Grund-, Hauptund Realschullehrerbereich sowie für die Berufsschulen sieht es da schon ganz, ganz bitter aus. Bedenkt man die Länge des Studiums, ist der Mangel praktisch vorprogrammiert. Wir müssen also jetzt für das Pädagogikstudium unter unseren Abiturienten werben und wir müssen die Rahmenbedingungen für junge Lehrerinnen und Lehrer verbessern.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Wir müssen das alles so gestalten, dass der Beruf des Lehrers so attraktiv wird, dass er für die Abgänger des Gymnasiums eine echte Alternative ist.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Heidemarie Beyer, SPD)

Und wenn wir das ernst nehmen, dass ein Lehrer eine besondere Rolle im Persönlichkeits- und Bildungsprozess spielt, dann bräuchten wir doch eigentlich die besten im Lehramtsstudium

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

und nicht zuerst in der Wirtschaft. Es geht doch um das Arbeiten mit Kindern und wir müssen sehen, dass wir wirklich unter den Abiturienten unseren Lehrernachwuchs gewinnen. Gegenwärtig zieht doch die Frage: „Willst du nicht Lehrer werden?“, viel zu oft die Antwort nach: „Alles, bloß das nicht!“. Die Ursachen liegen dafür nicht zuerst bei der Bezahlung, das auch, aber vor allem liegen sie in der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung, in den Arbeitsbedingungen, bei uns noch in der drohenden Teilzeit. Aber deutlich wollen wir sagen: Wer jetzt mit dem Lehramtsstudium beginnt, wird nach dem Abschluss nicht mehr in Teilzeit arbeiten müssen.

Und es kann auch nicht darum gehen, dass das Studium eines Lehramtes eine Ausweichlösung ist. Der Lehrerberuf ist nicht zuerst ein Beruf, sondern eine Berufung, er ist kein Job, sondern ein gesellschaftlicher Auftrag mit hoher Verantwortung. Das muss die Gesellschaft ideell und materiell angemessen honorieren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und ich möchte mich an dieser Stelle bei den Lehrerinnen und Lehrern dieses Landes für das, was sie unter den gegenwärtigen Bedingungen hier in diesem Lande bei unseren Mädchen und Jungen leisten, bedanken.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Meine Damen und Herren, die rote Lampe hat geleuchtet. Eines möchte ich in einem letzten Satz dann doch noch sagen: Dazu gehören auch die Eltern.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Torsten Koplin, PDS)

Wir müssen auch das Gespräch mit den Eltern in diesem Lande darüber führen, was sie tun können, damit die Bildungsmöglichkeiten ihrer Mädchen und Jungen besser werden. Wir müssen die Eltern mit in die Verantwortung nehmen, denn das, was gegenwärtig oft zu sehen ist, reicht nicht aus.

(Rainer Prachtl, CDU: Sie müssen auf die Eltern hören, Kollege Bluhm!)

Wir müssen also das Gespräch mit den Vätern und Müttern suchen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Jetzt hat das Wort die Abgeordnete Frau Polzin von der SPD-Fraktion. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Schnoor – ist sie noch vorhanden? –,

(Steffie Schnoor, CDU: Aber immer! – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Fast immer.)

ich glaube nicht, dass ich mir hier den Ruf eines Polarisierers erarbeitet habe, aber ich muss gestehen, Sie haben mich schon ein bisschen in Rage gebracht. Und im Grunde zeigt mir das nur wieder ganz deutlich: Dies ist eine der Hauptursachen, dass wir in dieser Bildungsmisere stecken. Es gibt nur ein ideologisches Aufeinandergehacke und Schuldzuweisungen, wir haben das richtig gemacht und die anderen nicht. Und wir kommen keinen Schritt weiter.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Zweiter Punkt: Worüber wir hier reden, auch in meiner Rede, das ist nicht nur Schulpolitik, das greift im Grunde viel weiter. Und wenn wir diesen Horizont nicht endlich mal erweitern, dann haben wir auch nichts gekonnt. Aber mir ist ja aufgrund Ihrer Redeanmeldung jede Menge Redezeit zugewachsen. Ich werde dann also am Ende meiner Rede auf Einzelnes auch noch mal eingehen. Zunächst mal würde ich ganz gerne meinen integrativen Ansatz verfolgen, weil ich denke, diesen Problemen kann man sich nicht mehr mit dem alten Instrumentarium stellen. Man muss neu anfangen zu denken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Schulgesetzänderungsentwurf der Landesregierung liegt uns ein Maßnahmepaket vor, das richtige Weichen stellt. Dieses möchte ich im Einzelnen im Kontext zum brandaktuellen Bildungsthema PISA-Studie darstellen. Deshalb sei mir ein etwas umfangreicherer Exkurs gestattet.

Seit einer Woche ist es nun offiziell, was so recht keinen überraschen konnte: Die Schüler in Deutschland sind

nicht mal mehr Mittelmaß. Und wie immer setzt eine öffentliche Wahrnehmung von Problemen erst ein, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Immerhin kritisieren Lehrerverbände, Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter seit Jahren das Absinken des Bildungsniveaus und den Werteverfall. Vielleicht – vielleicht auch nur – ist dieser PISA-Schock ja heilsamer und setzt einen gesellschaftlichen Umdenkungsprozess in Gang, der erfolgreicher ist als punktueller Aktionismus, einseitige Schuldzuweisungen und die ausschließliche Fehlersuche im Bildungsbereich.

Dieses gesellschaftliche Problem kann Schule allein nicht richten. Wie kann es denn angehen, dass bei vergleichsweise üppigen Rahmenbedingungen für deutsche Schülerinnen und Schüler die Bildung nicht nur kostenlos, sondern in Teilen auch umsonst ist? Es gibt auf diese Fragen viele Antworten. Eine umfassende Analyse tut Not und wird uns in den kommenden Monaten beschäftigen. Einige Aspekte jedoch gehören schon vor der Veröffentlichung der Detailergebnisse in den Blickpunkt, weil sie erfahrungsgemäß immer zu kurz kommen.

Erstens. Es ist eine Binsenweisheit, dass ein motivierter Schüler auch aus dem miserabelsten Unterricht noch etwas lernen kann. Kinder in der ganzen Welt treten den Beweis an. In Indien: Mit leerem Magen lernen Kinder bis in die Nacht – Greencard-Experten von morgen? In Nordirland: Unter Polizeischutz werden Erstklässler in ihre Schulen gebracht. In Afrika: 40 bis 50 Kinder in einer einzigen Dorfschule, einziges Unterrichtsmittel eine Tafel. Hoch motivierte Kinder, die wissen, dass nur Bildung ihre Lebenschancen verbessert. Oder denken wir an die eigene Großelterngeneration: 4-Klassen-Dorfschule, ein Lehrer für alle Klassenstufen, sinnerfassendes Lesen, korrektes Schreiben der Muttersprache – na aber, selbstverständlich!

Was also läuft bei uns so schief, obwohl alle Bedingungen so viel besser sind? Ich denke, die schwach bis überhaupt nicht ausgeprägte Lernmotivation ist ein Schlüsselproblem. Warum sollte ein Schüler oder eine Schülerin den Lernwillen aufbringen, wenn er oder sie kein erstrebenswertes Ziel sieht, das nur mittels eigener Anstrengung zu erreichen ist? Wie lohnend ist für unsere Jugend ein durch harte Lernarbeit erreichter Berufsabschluss, der Eigenständigkeit und Selbstverantwortung bedeutet, wenn Hotel Mama doch alles viel bequemer bietet? FunGesellschaft auf allen Kanälen, körperliche Arbeit gerät zur Peinlichkeit. Vorbilder, Leitbilder? – Fehlanzeige! Alles, was auch nur den Anschein von Autorität hatte, wird in der öffentlichen Wahrnehmung systematisch demontiert. Besonders betroffene Berufsgruppen dabei sind Lehrer, Polizisten, Politiker, Wissenschaftler und Künstler.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Und Beamte.)

Wann erleben Kinder die Achtung vor Leistung und menschlicher Größe, inwieweit erscheint gute Bildung für sie erstrebenswert? „Big Brother“ und die Sternschnuppen am Mode- und Musikhimmel machen eher bildungsimmun. Aber davon träumen die Jugendlichen. Immerhin kann man inzwischen ja mit umfänglichem Faktenwissen Millionär werden. Aber genau das Pauken gilt ja in den Schulen als äußerst verpönt.

Da es inzwischen offensichtlich fast unmöglich ist, sich wenigstens auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner eines gesellschaftlichen Wertekanons zu verständigen, bleiben die Zehn Gebote und gegebenenfalls das Strafge