Protocol of the Session on September 20, 2001

Ich zitiere auf Seite 13 Punkt 2.4 „Bevölkerungsentwicklung“: „Das Land hat mit 23,8 v. H. den höchsten Anteil an Bürgern unter 21 Jahren im Vergleich zu allen anderen Bundesländern. Für die Attraktivität des Landes spricht die Tatsache, dass bei der Zahl der Zuzüge je 1000 Einwohner Mecklenburg-Vorpommern hinter Brandenburg an zweiter Stelle unter den ostdeutschen Ländern liegt.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! Wer freut sich eigentlich außer Ihnen über diesen zweiten Platz, der zu einem Einwohnerverlust auf 1,736 Millionen Menschen bis zum Jahr 2005 führen wird? Haben Sie sich einmal die Mühe gemacht, sich zu fragen, wie die Altersstruktur der jungen Menschen ist, die in diesem Jahr das Land verlassen? Dreiviertel unter 30. Und da hilft uns Zuwanderung für die Zukunft überhaupt nichts. Sie haben als Landesregierung die völlig falschen Signale gesetzt: Erziehungsgeld gestrichen, Eigenheimförderung für junge Leute gegen null tendierend. Und, Frau Keler, Sie stellen sich dann in der Ausfallstraße des Landes hin und sagen den Menschen: Sucht euer Glück lieber außerhalb des Landes!

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Meine Damen und Herren! Ich gebe eines zu, es mag sein, dass ich persönlich besonders betroffen bin, weil ich zwei Kinder im Alter zwischen 20 und 25 Jahren habe. Nur ich sage Ihnen eins voraus: Die Zeichen, die Sie setzen, mit diesem Haushalt und auch mit Ihrer Schönrederei, mit Ihrer Schönfärberei, dass Sie nicht einmal ansatzweise dieses Problem angehen, werden dazu führen, dass Sie für die strukturellen Probleme in der Zukunft, was Bevölkerungsentwicklung, demographische Entwicklung für Mecklenburg-Vorpommern betrifft, in hohem Maße eine Mitverantwortung tragen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Minister Till Backhaus: Was will er denn nun? Sagen Sie doch mal, was Sie wollen! Ich kann’s nicht mehr hören!)

Was ich dabei will, Herr Minister Backhaus, auch wenn Sie von der Regierungsbank dazwischen rufen, ich will, dass man sich dieses...

(Dr. Ulrich Born, CDU: Sie haben da oben überhaupt nichts zu sagen! – Minister Till Backhaus: Sie seien mal leise da hinten! – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Herr Minister Backhaus, Sie haben wirklich nicht die Möglichkeit, hier vom Podium aus zu reden.

Also wenn Sie dazwischenrufen wollen, dann setzen Sie sich auf Ihren Abgeordnetenplatz, dann können wir gern einen Dialog führen!

Meine Damen und Herren! Wer dieses Thema so verniedlicht, so beschönigt, der muss sich fragen lassen, wie groß sein Realitätsverlust ist. Herr Ministerpräsident, mancher Politiker ist schon am Realitätsverlust gescheitert.

(Götz Kreuzer, PDS: Ja, das ist wahr.)

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung vom 2. Dezember 1998 gesagt: „Die Hauptaufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.... Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gibt es weder einfache Antworten, noch gibt es schnelle Lösungen.... Jedes Programm, jede einzelne Maßnahme der neuen Landesregierung hat sich deshalb zwei Fragen zu stellen: Erstens. Wieviel Arbeitsplätze schaffen wir mit dieser Maßnahme? Und zweitens. Ist das Geld der Steuerzahler effektiv eingesetzt?“

Herr Ministerpräsident, wenn ich mir diese wohlfeilen Worte noch einmal zu Gemüte führe, dann entgegne ich Ihnen: Wenn das jemals Maßstab Ihrer Politik gewesen sein sollte, ich habe das an vielen Beispielen jetzt deutlich gemacht, dann müssten Sie vor Schamesröte so klein werden, dass Sie unter dem Teppich Fallschirm springen können.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Sprachbilder sind Glückssache.)

Herr Ministerpräsident! Hören Sie auch endlich auf, die Arbeitslosenzahlen, die Beschäftigtenzahlen in diesem Land schönzureden. Die Wahrheit, die nackte Tatsache ist eine andere. Seit Regierungsantritt haben wir 25.000 Beschäftigte weniger in diesem Land. Und wenn Sie dann noch die kosmetischen Korrekturen, die zweimal gemacht worden sind – einmal Eurostatistik angleichen und einmal 630-DM-Gesetz –, raus- oder reinrechnen, verdoppelt sich in etwa diese Zahl.

(Dr. Ulrich Born, CDU: So ist es.)

Das ist die Tatsache.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und da können Sie auch nicht die ABM aus dem Jahr 1998

dagegenrechnen. Ich sage Ihnen hier eins ganz klar und deutlich: Man kann zu ABM stehen, wie man will, aber Ihnen fehlt die Antwort darauf, was Sie mit der 47-jährigen allein stehenden, nicht mobilen Frau auf dem flachen Land machen und mit dem 53-jährigen Maurer, der arbeitslos geworden ist.

(Gesine Skrzepski, CDU: Genau.)

Für diese Leute haben Sie keine Antwort, überhaupt keine Antwort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und Sie bemühen sich auch nicht einmal ansatzweise, sich dieses Problems anzunehmen. Das Einzige, was Sie geführt haben, ist eine Drückebergerdebatte.

(Angelika Gramkow, PDS: Oh!)

Und die Quittung haben Sie in der eigenen Partei gekriegt mit einem Wahlergebnis von 62 Prozent am 5. Mai in Stralsund, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und, meine Damen und Herren, allein dieser erwähnte Bevölkerungsverlust – und deswegen muss man sich

auch aus politischen, aus rein rationalen Gründen dieses Themas annehmen – bedeutet im Jahr 2005 90 Millionen Euro weniger für Mecklenburg-Vorpommern. Wenn Sie für diese 90 Millionen Euro in 2005 auch die entsprechende Stellenzahl zusätzlich im Landesdienst abbauen würden, würden Sie es kompensiert kriegen. Aber das wird schwierig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das wollen sie auch gar nicht.)

Und deswegen, Herr Ministerpräsident, wird die CDUFraktion zur nächsten Landtagssitzung einen Antrag einbringen, dass wir uns hier in einer Enquete-, in einer Zukunftskommission mit dem Thema Abwanderung befassen, denn Sie befassen sich nicht damit. Und ich bin gespannt, meine Damen und Herren von SPD und PDS, ob Sie das ablehnen können.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Ich sage Ihnen, wir wollen uns gemeinsam dieses zentralen Themas des Landes annehmen, denn die Regierung tut auf diesem Feld nichts, aber auch gar nichts. Und was sie bisher getan hat, ist nur das Falsche.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! Mit der Schamesröte ist das so eine Sache. Wie sagten Sie doch im Zitat 1998: „Die Bauwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den Stützpfeilern unseres Arbeitsmarktes.... Die neue Landesregierung muß versuchen, ihn“ – den Strukturwandel – „abzufedern. Und aus diesem Grunde werden wir die öffentliche Investitionsquote des Landes auf einem hohen Niveau fortführen“.

(Angelika Gramkow, PDS: Sehr richtig!)

Also ich muss Ihnen sagen, ich leihe Ihnen gern mal meinen Rechenschieber. Ich denke, der weist ein höheres Niveau auf als Ihr Taschenrechner, wenn er die Investitionsquoten...

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: So sind auch Ihre Rechenergebnisse, mit Rechenschieber.)

Nein, wissen Sie, ich meine es so, Herr Bartels.

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Moderne Technik sähe anders aus.)

Nein, nein, das ist nicht der Punkt.

(Angelika Gramkow, PDS: Nehmen wir doch mal den Kopf.)

Hohes Niveau kann ich ganz unterschiedlich definieren, aber ein Minus in dieser Größenordnung in den Jahren, wo Sie hier politische Verantwortung tragen, das führt nicht zu einem hohen Niveau. Und ich habe heute nicht einmal mit der Investitionsquote gearbeitet. Ich werde auch sonst nur mit absoluten Zahlen arbeiten.

(Angelika Gramkow, PDS: Na dann los! – Heiterkeit bei Dr. Gerhard Bartels, PDS: Da haben Sie so Ihre Probleme, das haben wir schon mitgekriegt. 600 Millionen, die 60 sind, und all so was. – Heinz Müller, SPD: Ach, was ist denn ‘ne Null?! – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Absolut nichts.)

Und in den absoluten Zahlen haben Sie dafür gesorgt, Herr Ministerpräsident, dass die Bauwirtschaft in den letz

ten drei Jahren 18.000 Beschäftigte verloren hat. Das sind übrigens 18.000 Familien, Herr Ministerpräsident.

(Gesine Skrzepski, CDU: Das ist traurig.)

Und Sie haben nicht Nein gesagt zu dem unsinnigen Plattenbauprivatisierungsprogramm.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ja. – Angelika Gramkow, PDS: Das gibt es doch wirklich nicht mehr. – Zuruf von Dr. Gerhard Bartels, PDS)

Sie sagen nicht Nein, dass die Städtebauförderung massiv zurückgefahren wird durch Herrn Holter. Und Sie sagen Ja dazu,

(Angelika Gramkow, PDS: Ja.)