Protocol of the Session on June 27, 2001

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 62. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der 62., 63. und 64. Sitzung liegt Ihnen vor.

Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, den Tagesordnungspunkt 20 nach dem Tagesordnungspunkt 22 und den Tagesordnungspunkt 23 nach dem Tagesordnungspunkt 19 aufzurufen sowie den Tagesordnungspunkt 17 von der Tagesordnung abzusetzen, damit sich die Ausschüsse erneut mit der Beschlussempfehlung befassen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Gibt es Ergänzungen zur Tagesordnung? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich unserer Kollegin Frau Dr. Bunge – sie ist noch nicht hier, aber sie kommt – nachträglich zum 50. Geburtstag und unserem Kollegen Herrn Dr. Armin Jäger zum 60. Geburtstag herzlich gratulieren und alles Gute wünschen.

(Beifall bei den Abgeordneten)

Nach Paragraph 5 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die 62., 63. und 64. Sitzung den Abgeordneten Grams zum Schriftführer.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der PDS hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Die Entwicklung der Arzneimittelkosten in MecklenburgVorpommern“ beantragt.

Aktuelle Stunde Die Entwicklung der Arzneimittelkosten in Mecklenburg-Vorpommern

Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende der PDS-Fraktion Frau Gramkow. Bitte sehr, Frau Gramkow.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schlagzeilen sind an der Tagesordnung: „Arzneimittelkosten in Mecklenburg-Vorpommern klar über dem Bundesdurchschnitt“, „Tausende Schlaftabletten im Quartal“, „Verschreibungspraxis wird überprüft“, „Mediziner befürchten Mangelversorgung für Patienten“ und so weiter und so fort. Diese Schlagzeilen führen zu einer breiten öffentlichen Diskussion und erheblichen Verunsicherungen bei den Betroffenen. Insbesondere ältere Menschen und chronisch Kranke sind in großer Sorge, ob sie weiterhin die für sie lebensnotwendigen, schmerzlindernden und unentbehrlichen Arzneimittel erhalten. Ärztinnen und Ärzte sehen sich einem harten und undifferenzierten Kostendruck ausgesetzt. Krankenkassen signalisieren steigende Ausgaben, Rückgang der Beitragseinnahmen und drohen mit Beitragserhöhungen.

In diesem Spannungsfeld ist Politik gefragt, muss Politik handeln, letztendlich muss Politik entscheiden. Tatsache ist, die Ausgaben für Arzneimittel sind in der Gesetzlichen Krankenversicherung im ersten Quartal dieses Jahres bundesweit um 9,7 Prozent, in Westdeutschland um 9,2 Prozent, in Ostdeutschland insgesamt um 11,8 Prozent gestiegen, in Mecklenburg-Vorpommern um 10,2 Prozent. Diese Steigerungsrate wurde im April bundesweit sogar mit 15,2 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern mit 18 Prozent überstiegen.

Dabei, und das will ich unbedingt voranstellen, geht es uns nicht um Schuldzuweisungen, um das Suchen eines Schwarzen Peters. Nein, im Gegenteil, es geht in erster Linie um das Recht der Patientinnen und Patienten auf eine am Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung orientierte umfassende notwendige medizinische Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern, und das, meine Damen und Herren, und da sind wir uns hoffentlich einig, unabhängig vom individuellen Geldbeutel.

Ich weiß, von dieser Grundmaxime wurde sich unter der Kohl-Regierung mit den Seehofer’schen Gesundheitsreformvorhaben erheblich entfernt.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Noch haben wir im Gesundheitssystem eine solidarische – und darüber sind wir ganz froh, noch haben wir sie –,

(Harry Glawe, CDU: Sie haben das doch eingeführt!)

eine solidarische und paritätische Finanzierung,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Herr Glawe, ich habe Sie ganz schön vermisst. Guten Morgen! – Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU, und Harry Glawe, CDU)

das Sachleistungsprinzip sowie einen für alle gleichen, nicht gekürzten, Herr Glawe, Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung. Aber wir müssen auch konstatieren, entscheidende Strukturmängel wurden gar nicht angepackt.

(Harry Glawe, CDU: Aha!)

Reformvorhaben wie die Stärkung der Hausärzte, die integrierten Versorgungsformen oder die Schaffung einer Positivliste wurden bislang unzureichend angegangen. Das Einzige, was von der Gesundheitsreform 2000 sofort wirksam wurde, ist ein rigoroser und undifferenzierter Kostendruck für die Ärztinnen und Ärzte und andere Leistungsanbieter.

Meine Damen und Herren, für die PDS sind soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der gesundheitlichen Versorgung unerlässlich. Darüber hinaus ist nach Nutznießern und Verlierern im System zu fragen. Die Nutznießer sind eindeutig die Vertreter der Pharmaindustrie. Verlierer sind die sozial Schwachen und all jene, die sich am wenigsten wehren können – ältere Menschen, chronisch Kranke, Menschen mit Behinderungen.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch der Arzneimittelsektor. Die aufgesetzte Budgetdecke bewirkte zunächst nur, dass das Problem der Arzneimittelausgaben allein auf die verschreibenden Ärzte abgewickelt wurde. Ärzte geraten in unzumutbare Gewissenskonflikte und werden noch dazu in Existenzängste gestürzt. Patienten sind zu Recht verärgert und das Arzt-Patienten-Verhältnis ist erheblich gestört.

Selbstverständlich muss die Ärzteschaft als Ganzes für die Verantwortung einer rationellen Arzneitherapie stehen. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, dass dort tatsächlich der nötige Sachverstand konzentriert ist. Dieser Verantwortung stellen sich doch aber auch die Ärztinnen und Ärzte, auch in unserem Land. Und dafür gebührt ihnen doch eigentlich Anerkennung.

(Beifall Karsten Neumann, PDS)

Hinzu kommt jedoch, wie die Pharmaindustrie mittels Klagen und Verfassungsbeschwerden eine Steuerungsmaßnahme nach der anderen außer Kraft setzt. Und schließlich ist auch zu fragen: Was hindert denn die Regierung eigentlich daran, bei Arzneimitteln nur den halben Mehrwertsteuersatz anzusetzen?

(Beifall Karsten Neumann, PDS)

Meine Damen und Herren, aus unserer Sicht müssen die Bürgerinnen und Bürger, müssen die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern auch in Zukunft die Gewissheit haben, dass unabhängig vom jeweiligen Geldbeutel alles medizinisch Notwendige getan wird. Für den sozialen Zusammenhalt wäre es verheerend, wenn eine marktradikale Deregulierung auf diesen sensiblen Bereich der Daseinsvorsorge durchschlagen würde. Wir brauchen eine strukturelle Erneuerung der Gesetzlichen Krankenversicherung und des gesundheitlichen Versorgungssystems, und zwar im Sinne von solidarisch und sozialer Gerechtigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Glawe von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Glawe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie sieht es aus in Mecklenburg-Vorpommern? Wir reden über die Entwicklung der Arzneimittelkosten im Land in diesem Jahr. Darüber hat Frau Gramkow ja einige Ausführungen gemacht, das will ich jetzt nicht noch mal wiederholen. Fakt ist eins, die Arzneimittelkosten werden, wenn es so weitergeht, um 130 Millionen Mark in diesem Jahr steigen. Andererseits – und das finde ich besonders schade, dass Frau Gramkow darauf nicht verwiesen hat – haben wir zurzeit zwei Probleme im Land Mecklenburg-Vorpommern.

(Barbara Borchardt, PDS: Nur zwei?)

Auf der einen Seite stellen wir fest, dass die Arzneimittelkosten weiterhin steigen. Auf der anderen Seite werden jetzt Richtgrößenprüfungen für Ärzte, also für 850 Ärzte im Land Mecklenburg-Vorpommern herausgeschickt durch die Krankenkassen, und das nennt sich dann datenzusammenführende Stelle der Krankenkassen, Landesverbände der Krankenkassen im Land Mecklenburg-Vorpommern. Nur, dieses Ding hat einen Makel: Die Unterschrift der Kassenärztlichen Vereinigung, die fehlt darunter, meine Damen und Herren.

Das heißt, Sie entwickeln zwei Dinge: Auf der einen Seite sehen Sie, wie bei der AOK, bei den Ersatzkassen die Arzneimittelkosten explodieren. Auf der anderen Seite schieben Sie jetzt einen Riegel vor, verunsichern 850 Ärzte im Land. Damit wird ein Angriff auf die freien Berufe gefahren, meine Damen und Herren. Sie müssen sich auch fragen lassen, ob es richtig ist, ungeprüft alles rauszuschicken, denn es werden ja Ärzte geprüft, die auch nur mit einem Prozent über den Regelsätzen liegen, bis hin zu der höchsten Zahl, und das ist ja das Überschrittene, das sind ja immerhin 3,9 Millionen DM.

Meine Damen und Herren, das ist die Situation im Land Mecklenburg-Vorpommern. Die muss angepackt werden. Und ich hätte mir eigentlich von der PDS gewünscht, dass sie das gesagt hätte. Denn letzten Endes sitzt hier im Haus die Aufsichtsperson, Frau Dr. Bunge, für die AOK. Sie kennt die Dinge.

Meine Damen und Herren, chronisch Kranke und Härtefälle belasten in großer Weise das Arzneimittelbudget, auch die Richtgrößen. Denn was passiert in den Arztpraxen? Viele fragen: Herr Doktor, Frau Doktor, verschreiben Sie mir doch bitte meine grünen und roten Tabletten, Dragees oder Kapseln, ich bin doch befreit. Das ist die Meinung in den Praxen. Der Arzt muss sich entscheiden, er muss wirtschaftlich verordnen und er steht im Spannungsfeld zwischen den notwendigen medizinischen Verordnungen und zwischen den Wirtschaftlichkeitsfragen, die er sich jeden Tag immer wieder aufs Neue stellen muss.

Meine Damen und Herren, wenn es so weitergeht und ich den Ausführungen des Kollegen Koplin folgen darf, dann will er ja zurück zu Polikliniken.

(Beifall Karsten Neumann, PDS – Angelika Gramkow, PDS: Neudeutsch „Ärztehäuser“.)

Meine Damen und Herren von der PDS, wenn Sie das wollen, dann werden Sie die freien Berufe unterlaufen,

(Angelika Gramkow, PDS: Ach! – Unruhe bei Andreas Bluhm, PDS)

dann werden Sie auch die Frage beantworten müssen, wie entschädige ich heute selbständig frei arbeitende Ärzte,

(Angelika Gramkow, PDS: Die wollen wir doch behalten, Herr Glawe!)

und Sie müssen die Frage beantworten, wie soll es weitergehen im Land Mecklenburg-Vorpommern.

Meine Damen und Herren, wir brauchen insgesamt ein neues System. Davon ist die CDU überzeugt. Sie können nicht so weitermachen, Sie haben de facto die Zweiklassenmedizin schon eingeführt.

(Angelika Gramkow, PDS: Oh! Oh! – Kerstin Kassner, PDS: Das ist nicht wahr!)

Das ist so.

(Peter Ritter, PDS: Nur weil Sie das sagen, ist das noch lange nicht so!)

Budgets sind Zweiklassenmedizin, und nicht nur, weil ich es sage,

(Unruhe bei Andreas Bluhm, PDS)

sondern weil es in der gesamten Bundesrepublik Deutschland diese Probleme gibt.

(Barbara Borchardt, PDS: Und daran ist die PDS schuld.)

Jedes Jahr beschäftigen wir uns immer wieder mit explodierenden Kosten,