Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 50. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich unserem Kollegen Herrn Dr. Arthur König herzlich nachträglich zum Geburtstag gratulieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit Schreiben vom 8. Dezember 2000 hat mir der Landeswahlleiter mitgeteilt, dass die Abgeordnete Heike Lorenz aufgrund des Verzichts die Mitgliedschaft im Landtag MecklenburgVorpommern verloren hat. Als Listennachfolger der PDSLandesliste hat der Landeswahlleiter Herrn Karsten Neumann festgestellt. Am 8. Dezember 2000 hat Herr Neumann gegenüber dem Landeswahlleiter die schriftliche Annahme der Wahl erklärt. Herr Neumann, ich begrüße Sie in unserer Mitte und wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Sitzung am 15. November dieses Jahres haben wir leidenschaftliche Debatten geführt. In einzelnen Redebeiträgen und Zwischenrufen haben Kollegen aber die Grenzen der sachlichen Auseinandersetzung überschritten und andere Mitglieder des Hauses persönlich angegriffen sowie pauschal schwerwiegende Vorwürfe gegenüber anderen Parlamenten und Personengruppen erhoben. Ich bin gemeinsam mit meinen Kolleginnen Frau Vizepräsidentin Holznagel und Frau Vizepräsidentin Kassner der Auffassung, dass wir derartige Ausführungen eines Redners ebenso wie entsprechende Zwischenrufe künftig nicht tolerieren werden. Wir haben verabredet, dass wir in solchen Fällen, in denen die Ordnung und die Würde des Hauses in eklatanter Weise verletzt werden, von unseren geschäftsordnungsrechtlichen Ordnungsrechten Gebrauch machen werden. Ich hoffe, dass wir in dieser vorweihnachtlichen Sitzungswoche sachliche politische Auseinandersetzungen im Plenum führen und der Wettstreit um die besseren Argumente zur Geltung kommt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Maßnahmen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor BSE und Konsequenzen für die Land- und Ernährungswirtschaft“ beantragt.
Aktuelle Stunde Maßnahmen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor BSE und Konsequenzen für die Land- und Ernährungswirtschaft
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleichgewichte der Natur stellen sich stets neu ein. Die Einflussfaktoren auf diese Gleichgewichte sind so vielfältig, dass wir Menschen der Erkennt
nis von Zusammenhängen immer hinterherlaufen. Prognostisch etwas sicher vorauszusagen ist in Einzelfällen möglich, aber es bleibt die Ausnahme.
Erst vor vier Wochen haben wir an dieser Stelle über BSE und die Kosten von Schutzfaktoren debattiert. Auch ich tat es aus der Sicht, dass Deutschland ungerecht behandelt und von der EU als BSE-gefährdet eingeordnet wurde. Wie schnell sind wir korrigiert worden! Eine schwarze Gewitterwolke hat sich mit der BSE-Krise über ganz Europa entladen. Nur allzu lange wähnte man sich im Glauben und hoffte inständig, dass Deutschland davon ausgenommen ist.
Jetzt ist die Politik, jetzt sind wir alle zum Handeln gezwungen. Das Gespenst BSE hat Gestalt angenommen, drohend und heimtückisch. Auch Deutschland hat seinen BSE-Fall. Musste es erst so weit kommen? Musste es erst zum Zusammenbruch des Rindfleischmarktes kommen, weil die Verbraucher nach einer in dieser Form noch nie da gewesenen hysterischen Medienoffensive total verunsichert sind und in jedem Stück Rindfleisch den BSE-Überträger sehen?
Die Rufe nach der gläsernen Produktion blieben europaweit ungehört. Die EU hat ihrem 1994 angeordneten Tiermehlfütterungsverbot an Wiederkäuer keine weitergehenden Verordnungen für Kontrollen und kein Verbot von Knochen- und Blutmehl folgen lassen.
Ein länderübergreifendes Forschungsprogramm zur Aufklärung der BSE-Ursachen gibt es nicht. Fragen über Fragen, die zornig machen.
Spätestens 1997, als die neue Form der CreutzfeldtJakob-Krankheit auf den Verzehr prionenhaltigen Rindfleisches zurückgeführt wurde, hätten von der Kommission die entsprechenden Maßnahmen und vor allem deren Kontrollen eingeleitet werden müssen. Was in dieser Richtung passierte, war zögerlich. Die EU-Kommission hat meiner Auffassung nach in Sachen BSE nur scheibchenweise und inkonsequent gehandelt. Sie hat viel zu wenig kontrolliert, viel zu wenig durchgegriffen. Seit 1994 ist Tiermehl für Wiederkäuer von der EU verboten worden. Ausgeschlossen, dass Tiermehl trotzdem in die Mischfutterwerke kam, war es nicht.
Wo bleiben die Vorleistungen der Wissenschaft? Man kennt lediglich die Folgen, bei den Ursachen gibt es nur Hypothesen. Schlimmer noch – es gibt keine Testmöglichkeiten für lebende Individuen. Wir wissen nicht, wie ausgebreitet die Krankheit in Europa wirklich ist. Diese Wissenslücke muss schnellstens geschlossen werden. Die Grundlagenforschung ist also gefordert.
Die Bundesländer haben Geschlossenheit demonstriert. Die Frage des Verbraucherschutzes wurde an die vorderste Stelle gerückt. Per Gesetz wurden ein dauerhaftes Tiermehlverbot und per Eilverordnung ein BSESchnelltest auf den Weg gebracht. Die Landesregierung hat keine Minute gezögert, um alle denkbar erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. Die Voraussetzungen durch landeseigene Laborausstattungen wurden beziehungsweise werden noch umgehend geschaffen. Kontrollen zur Einhaltung des Tiermehleinsatzes wurden erhöht. Obligatorisch müssen bundesweit alle Rinder über 30 Monate getestet werden, da nach wissenschaftlichem Ermessen davon auszugehen ist, dass bei Tieren, wenn sie eine BSE-Erkrankung in sich tragen, in diesem Alter ein Ergeb
nis nachweisbar ist. Wir wissen, dass in unserem Land alle geschlachteten Tiere dem Test unterworfen werden. Das gibt ein großes Maß an Sicherheit. Es ist gut zu wissen, dass alle sofort eingeleiteten Tests negativ ausgefallen sind.
In einem gemeinsamen erfolgreichen Antrag von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt forderte Mecklenburg-Vorpommern die Bundesregierung auf, sich an den Kosten aller Testverfahren sowie an den durch das Verfütterungsverbot von Tiermehlen entstandenen Kosten in wesentlichem Umfang zu beteiligen und dabei auch die Möglichkeiten von EU-Mitteln auszuschöpfen. Diesem Antrag haben sich schließlich alle Bundesländer angeschlossen.
Angesichts der krisenhaften BSE-Situation der letzten Wochen hat es sich als vorteilhaft bewährt, dass der Veterinärgesundheitsdienst, die Futtermittel- und Lebensmittelüberwachung in der Hand des Ministeriums für Ernährung, Forsten und Fischerei liegen. Das ist in Mecklenburg-Vorpommern der Fall, nicht aber in allen anderen Bundesländern. Ich werde im nächsten Beitrag auf den Verbraucherschutz und die Veränderungen in der landwirtschaftlichen Produktion eingehen. – Danke.
Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ein Gespenst geht um in Europa, aber keiner weiß Bescheid, doch alle machen mit. BSE und ihr Infektionsmechanismus machen Forscher verlegen und geben Politikern einen breiten Spielraum für symbolische Aktionen.
Agrarpolitik macht momentan krank. Der Ruf nach Umkehr erklingt, an der Spitze der Bundeskanzler, der für eine Politik weg von den Agrarfabriken plädiert.
Die mit Preisstützung und Ausgleichszahlungen operierende Agrarpolitik mag aus gesamtwirtschaftlichen Gründen kritisiert werden. Ihr Gesundheitsgefährdung vorzuwerfen ist aber falsch. Das Schlagwort von den „Agrarfabriken“ trägt nichts, aber auch gar nichts zur Aufhellung der BSE-Krise bei. Dass Massentierhaltung – wie immer auch definiert und ob überhaupt existent – nicht der entscheidende Faktor ist, geht schon daraus hervor, dass das erste in Deutschland in einem Landwirtschaftsbetrieb gefundene BSE-Rind gewiss nicht aus der Massentierhaltung stammt. Die gesamte Landwirtschaft an den Pranger zu stellen ist nicht nur unfair, es verhindert auch, Schuld an der richtigen Stelle zu suchen.
Wo immer man liest, zuhört oder zusieht, man vernimmt nur Worte wie „ist zu vermuten“, „nicht auszuschließen“, „bedarf weiterer Forschung“, „ist nicht sicher“ und anderes. Aber da sind Menschen, die auch ohne Hirn- und Hamburgerkonsum oder als Vegetarier gar von dieser fürchterlichen Krankheit befallen werden, und da ist jener Erreger, der nahezu unsichtbar und nahezu unsterblich die Forscher vor Rätsel stellt. Es ist dieses verhängnisvol
le Nichtwissen, das die immer gleichen Muster der Politik im Umgang mit BSE erklärt. Und Nichtwissen macht nun mal Angst. Damit wird reichlich und besonders durch Nichtfachleute spekuliert, das lässt sich an den Mann bringen. Jetzt ist er da, der angekündigte Wahn.
Wenn man solchen Leuten zuhört, hat man den Eindruck, dass bei diesen diese tausendstel Millimeter großen Eiweißpartikel, genannt Prionen, die in jedem normalen Hirn vorkommen – man weiß nur nicht wozu –, bereits den Zustand der Dreidimensionalität verlassen haben und ihren kannibalischen Kreislauf begonnen haben. Der Amoklauf der Prionen hat, was Reden und Handeln etlicher Wichtigtuer, unterstützt von allen Medien, betrifft, längst begonnen. Jetzt wird spät, aber immerhin in die Wege geleitet, was bei allem Nichtwissen notwendig ist. Aber werden auch die erforderlichen Konsequenzen gezogen? Es geht hier nicht darum, die BSE-Krise unter den Teppich zu kehren, es geht um Verbraucherschutz. Richtig.
Lassen Sie mich darum etwas sagen zum Tiermehl und zur Notschlachtung. Hier handelt es sich um eine extrem teure Prophylaxe auf der Basis von Spekulationen. Die Frage ist nicht geklärt, ob es eben Schlamperei gibt oder Mutation. Bis zum endgültigen Beweis können alle Notschlachtungen, alle Fütterungsverbote und Herkunftszeugnisse zunächst nur als Vorsichtsmaßnahme verstanden werden. Nicht mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren, aber eben auch nicht weniger.
Und das lassen wir uns dann etwas kosten: Allein die 70 Prozent des EU-Anteils machen bei Entsorgung von 625.000 Tonnen nicht verkäuflichen Rindfleisches 1,7 Milliarden DM aus, Mehrbelastung privater Lagerhaltung 215 Millionen DM, Intervention 567 Millionen DM, Vernichtung von 3 Millionen Tonnen Tiermehl 5,87 Milliarden DM, Erlösausfälle für Landwirtschaft und Entsorger 2,93 Milliarden DM – zusammen 10 Milliarden DM jährlich. Dazu kommen Kosten der Mitgliedsstaaten in Höhe von 30 Prozent. Da im Agenda-Papier aber nur 480 Millionen DM enthalten sind und EU-Haushaltskommissarin Schreier die Übertragung nicht genutzter und für BSE-Maßnahmen vorgesehener Mittel in Höhe von 2,1 Milliarden DM kategorisch ablehnt, fehlt jede finanzielle Basis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Deutsches Rindfleisch ist sicher“, so tönte es seit Jahren gebetsmühlenartig aus den Reihen der Bauernverbände, der Landwirtschaftspolitiker, der fleischverarbeitenden Industrie und anderer Lobbyisten der industriellen Fleischproduktion. Mit der Meldung „BSE in Deutschland“, die uns vor einigen Wochen erreichte, ist die von den zuständigen Politikern seit Jahren in verantwortungsloser und letztlich selbstbetrügerischer Weise suggerierte heile deutsche Rinderwelt wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Die Erkenntnis, dass mögli
cherweise bereits seit Jahren eine Zeitbombe tickt, die nicht nur Tiere, sondern die Gesundheit und das Leben von Menschen bedroht, wirkte wie ein Schock.
Besonders bestürzend an der derzeitigen Situation ist die Hilflosigkeit, mit der die Politik reagiert, nämlich mit hektischem Aktionismus, der nicht nach den eigentlichen Ursachen von BSE fragt und sie schon gar nicht beseitigt. So tönte der Bauernpräsident Sonnleitner noch am 24. November in aller Öffentlichkeit: „Es wird nach wie vor geschlampt, geschoben und in anderen Ländern der Gemeinschaft nachlässig kontrolliert, ohne dass die EU eingreift.“
Aber auch die Wissenschaft, die Landwirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger, die Verbraucher nämlich, stehen dieser Situation hilflos gegenüber, zumal die BSE-Folgen in ihrem Ausmaß und in ihrer Komplexität noch gar nicht abschätzbar sind. Wenn der Kunde an der Ladentheke steht und nicht mehr kaufen will, was ihm Landwirte und Lebensmittelindustrie national und international auftischen, hat dieses empfindliche Auswirkungen auf die Handelsketten, auf die Verarbeiter und auf die Landwirtschaft.
Wir Politiker müssen dringend überlegen, wessen Interessen wir letztendlich vertreten und welche Verantwortung wir dabei tragen. Wer das Vorsorgeprinzip verletzt, um den Anschein zu wahren, bekommt vom Verbraucher eines Tages die Quittung für Arroganz, Verschleierung und trügerische Sicherheit. Der Verbraucher, meine Damen und Herren, hat einen Anspruch darauf, dass sein Vertrauen gerechtfertigt wird.
Schon im Jahre 1984 wurde BSE erstmals festgestellt, im Jahre 1990 die Übertragung von Rind zu Rind, bald darauf die von Rind zu Mensch. Im Juli 1994 wurde von der Europäischen Kommission die Verfütterung von Tiermehl in der Rinderproduktion verboten, im Juni 2000 wurde der Erlass für Schnelltestverfahren erhoben und im September 2000 endlich die Rindfleischetikettierung auf den Weg gebracht. Viele Politiker in allen Mitgliedsländern haben sich damit befasst, aber, wie sich nun herausstellt, nicht gründlich genug.
Die Europäische Gemeinschaft ist der größte Importeur und Exporteur von Lebensmitteln. Fleisch wird in der Union auf Teufel komm raus produziert, koste es, was es wolle, obwohl es Länder außerhalb der Gemeinschaft gibt, die Fleisch billiger, artgerechter und in größerer Menge produzieren und in die Gemeinschaft importieren könnten. EU-Kommissar Franz Fischler begründet die gängige Agrarpolitik nach dem Grundsatz „Mehr Masse statt weniger Klasse“ so: „Wir brauchen aus Gründen der Souveränität und der Sicherheit eine Eigenerzeugung.“
Die Lebensmittelproduktion hat bundesweit einen Jahresumsatz von 600 Milliarden Euro und beschäftigt eine Million Menschen. Ich weiß, innerhalb dieser riesigen Marktströme ist die Forderung nach der größtmöglichen Sicherheit in der Lebensmittelproduktion schon ein Risiko an sich. Dennoch scheint sie notwendig zu sein.
Seit 1996 ist die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer in Deutschland verboten. Nun stellte sich auch in Mecklenburg-Vorpommern heraus, dass mindestens einmal verbotenerweise Tiermehl im Mischfutter war und vorsätzlich bestehende Regelungen und Gesetze unterlaufen wurden. Wo waren die Kontrolleure eigentlich im letzten Jahr und im Jahr davor und davor?
Sicher treten jetzt unübersehbare Kosten auf, die niemand übernehmen will. Keiner weiß, wer sie nach dem Verursacherprinzip übernehmen soll, aber die Gesundheit der Bürger und die Sicherheit der Tiere gehen vor. Wenn sich die Wissenschaft nicht einig ist, woher die Krankheit ursächlich kommt, gebietet es das Vorsorgeprinzip, besonders vorsichtig zu sein. Was wir jetzt wieder nur halbherzig machen und aus deutscher und europäischer Geldgier vernachlässigen, wird sich in Zukunft rächen. Wichtig sind jetzt konsequente vertrauensbildende Maßnahmen, zuverlässige Aussagen, sachliche Auseinandersetzungen statt pauschaler Schuldzuweisungen.