Protocol of the Session on October 19, 2000

Jedoch will ich in Bezug auf die Intention des CDUAntrages die Funktion des LPK noch einmal kurz erläutern, um nachzuweisen, dass wir kein neues Programm brauchen, sondern mit dem vorhandenen Instrumentarium nur situationsangemessen und flexibel umgehen müssen. Die ständige Begleitgruppe, zusammengesetzt aus den Tarifpartnern, wird weiterhin dafür sorgen, dass die Interessen beider Seiten Gehör finden.

Die dramatische demographische Entwicklung für die Lehrkräfte sozialverträglich abzufangen ist neben der Sicherung der Bildungsqualität primäre Aufgabenstellung des LPK. Das zweite bereits existierende Programm hat unter anderem zum Inhalt, Lehrkräfte in ihrer pädagogischen Arbeit umfassend zu beraten und zu unterstützen. Ich spreche vom Konzept zur Qualitätssicherung an Schulen. Wer sich mit diesem Konzept befasst hat, weiß, dass die Personalentwicklung einen entscheidenden Anteil am Konzept einnimmt. Auch hier muss das Rad keinesfalls neu erfunden werden. Wir brauchen also kein neues Programm – dies war auch der Grund, weshalb im Bildungsausschuss mehrheitlich die Ablehnung des CDUAntrages beschlossen wurde –, sondern haben mit den existierenden Rahmenbedingungen praktikable Instrumente, um auf aktuelle Anforderungen zu reagieren.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Ich bitte, der Rednerin Ruhe im Saal zu gönnen, damit sie ihre Rede gut halten kann.

Herr Glawe hat immer Probleme, mit seinem Bass etwas leiser zu werden.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Dies heißt aber keinesfalls, dass es generell keinen Handlungsbedarf gibt. Was die viel beschworene Motivation der Lehrkräfte anbelangt, nehme ich eine besorgniserregende Tendenz wahr, die aber nur zum Teil durch die anstehende Teilzeit begründet ist. Den Konsens kühn vorausgesetzt, dass eine gute Schule motivierte Lehrkräfte braucht, wird es hohe Zeit für Politik nachzuforschen, worin die Ursachen für Demotivation, ja teilweise Resignation in dieser Berufsgruppe liegen. Dies nur mit finanziellen Faktoren zu begründen trifft den Kern der Sache nicht.

Ich meine, das Hauptproblem besteht darin, dass der Forderungskatalog gegenüber Schule immer größer wird, jedoch im Gegensatz dazu die Mittel und Möglichkeiten – damit meine ich ausdrücklich nicht die finanziellen – der Lehrkräfte, diese Forderung zu erfüllen, praktisch immer weiter reduziert werden. Dieser Widerspruch muss zu Frust, Verunsicherung und zum Burn-out-Syndrom führen.

Wir stellen fest, das Niveau der Allgemeinbildung wird allenthalben beklagt, internationale Leistungsvergleiche sind seit längerem kein Ruhmeskapitel für deutsche Schulen, steigende Zahlen von Schulabbrechern, Schulverweigerern, Zunahme von Gewalt und Extremismus, Drogenkonsum, Kriminalität, politisches Desinteresse.

In den Medien spiegeln sich Einzelbeispiele in zahlloser Reihe wider. Hat aber jemand den Mut zu sagen, wir müssen grundsätzlich überdenken, was wir mit der Bildung und Erziehung falsch machen? Oder kann man sich wie immer damit beruhigen, dass es sich ja nur um bedau

ernswerte Minderheiten handelt, grundsätzlich ist alles im Lot? Wer die wachsenden Probleme immer noch verniedlicht und nicht in den gesamtgesellschaftlichen Kontext stellt, doktert nur an den Symptomen herum, ohne die grundlegenden, auch selbstkritischen Fragen zu stellen, die da wären:

1. Welche moralisch-ethischen Werte prägt unsere Gesellschaft und lebt sie auch vor?

Zur Veranschaulichung dieser Frage verweise ich auf den Einfluss von Medien. Rücksichtslosigkeit, Gewalt, Egoismus, Extremismus, Menschenverachtung stürzen ungefiltert und häufig auch unkontrolliert auf die Kinder und Jugendlichen ein. Wen wundert’s, wenn dies nachhaltig prägt? Die Schule allein kann hier nicht gegensteuern. Wer aber tut es dann?

2. Wer stellt sich offensiv der Verantwortung für die Heranwachsenden?

Die drei Säulen der Erziehung – Eltern, Schule, Gesellschaft – weisen eklatante Disproportionen auf. Obwohl gegenseitige Schuldzuweisung mittlerweile zum Modeargument mutiert ist, leider oft auch zum einzigen, wird doch sehr deutlich, dass der Erwartungsdruck auf die Schulen, also die Lehrkräfte zunimmt, während sich die beiden anderen teilweise in Unverbindlichkeiten und Allgemeinplätze flüchten. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass Einflussnahme durch Politik nur durch die Verbesserung materieller Rahmenbedingungen geschehen sollte. Um es noch volkstümlicher zu sagen: Ein neu eröffneter Jugendklub verhindert allein noch lange nicht, dass Jugendliche durch die Stadt randalieren oder Bürger anpöbeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

3. Wer setzt sinnvolle Normen und Regeln im sozialen Umgang? Wer setzt auch Grenzen, bevor Jugendliche ein Fall für Gerichte werden?

Das vom Schulgesetz aufgezeigte Instrumentarium von Erziehungsmitteln sieht theoretisch zwar recht stattlich aus, hilft in der Praxis jedoch weder bei bewusstem Stören, mutwilliger Sachbeschädigung, ständiger Arbeitsverweigerung oder hartnäckiger Schulschwänzerei, weil Elterngespräche, Aussprachen, Verweise oder Schulversetzung keine adäquaten Konsequenzen für Schulaversive sind.

4. Wann wird die Definition von Schule an der Wirklichkeit kritisch überprüft?

Neue Unterrichtsmethoden, Öffnung von Schule, projektbezogener Unterricht, neue Medien, fachübergreifender Unterricht, früh einsetzende Fremdsprachen – hiermit seien nur einige Schlagworte genannt, mit denen Anforderungen an eine moderne Schule gekennzeichnet werden, zweifellos richtige Anforderungen. Wiederum bleibt unbeleuchtet, woran Schule teilweise in der Wurzel krankt, der erfolgreichen Vermittlung von Elementarwissen, von Fähigkeiten, die erst die Voraussetzung für oben genannte Änderungen sind. Weshalb können Schüler nach vier Jahren Unterricht zu großen Teilen weder sinnerfassend fließend lesen oder normgerecht schreiben und beherrschen nicht sicher die Grundrechenarten?

Darauf gibt es viele Antworten, die von unterschiedlichen Grundvoraussetzungen über fehlende Festigungsphasen reichen. Aber die entscheidende Ursache ist auch die heutige Beliebigkeit von Schule. Wissen ist nicht

mühelos zu erreichen. Hartnäckigkeit, Fleiß, Ausdauer und Anstrengungsbereitschaft sind aber Tugenden, ohne die Bildung nicht funktioniert. Mit dem gegenwärtigen ausschließlichen Anspruch, Schule soll Spaß machen und der Lehrer funktioniert als Moderator, wird fatalerweise impliziert, dass alles ohne Anstrengung und Mühe zu leisten wäre. Das Resultat sind jahrelange Unterforderungen, weil kaum jemand arbeiten lernt. Und mit zunehmendem Schulalter schlägt diese Unter- in Überforderung um, denn zu einem gewissen Zeitpunkt ist Wissenserwerb nicht mehr spielerisch zu leisten, selbst für Begabte nicht. Genau zu diesem Zeitpunkt setzt dann der Schulfrust ein und das übliche Schwarze-Peter-Spiel.

Ein kluger Pädagoge hat mal gesagt: Wer seine Schüler achtet, der muss sie fordern. In diesem Sinne achten wir unsere Kinder besonders in den ersten Schuljahren einfach zu wenig. Erst nach Sicherstellung der schulischen Grundvoraussetzungen machen die eingangs erwähnten inhaltlichen Neuerungen Sinn.

5. Wie können Lehrkräfte in ihrer immer komplizierter werdenden Aufgabe motiviert werden?

Nur stichwortartig sollen einige mögliche Antworten aufgezählt werden. Da wäre gesellschaftliche Anerkennung der pädagogischen Arbeit. Da wäre die Übernahme von Mitverantwortung durch gesellschaftliches Engagement aller. Da wäre die tatsächliche Wahrnehmung der Probleme vor Ort durch diejenigen, die Entscheidungen über Bildung treffen.

Wenn ich an dieser Stelle abbreche, ist nur ein Bruchteil der anstehenden Aufgaben benannt, aber sicherlich zwingend nachgewiesen, dass eine derart umfassende Aufgabenstellung nicht durch eine wie auch immer geartete Werbekampagne für den Lehrerberuf zu ersetzen ist. Die beste Motivation für einen Lehrer ist immer noch beruflicher Erfolg, ist ein gutes Schulklima und das Wissen, Kindern auf ihrem Weg in ein sinnvolles Leben ein Stück weitergeholfen zu haben. Darum ist es vorrangig erstrebenswert, für eine bessere Schule zu streiten. Dann müssen wir uns auch keine Sorgen mehr um den Lehrernachwuchs machen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schnoor von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Frau Schnoor.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Also eigentlich war ich ja irritiert, aber ich habe dann noch mal in der Tagesordnung nachgelesen. Wir behandeln jetzt wirklich den Tagesordnungspunkt Lehrerpersonalentwicklungsprogramm. Aber es war schon interessant, hier zu hören, dass Frau Polzin eine völlige Abkehr der Schulpolitik von Frau Marquardt vorgetragen hat, mit vielen Ansätzen, die die CDU voll unterstützt und schon seit langem fordert.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident Harald Ringstorff führte ja gestern in seiner Regierungserklärung das Qualitätssicherungs- und -entwicklungskonzept für allgemein bildende Schulen als einen Schwerpunkt der Bildungspolitik an. Wir haben des Öfteren erklärt, dass wir ein solches Konzept sehr wohl

unterstützen. Aber im Gegensatz zur schulpolitisch fatalen Diskussion zwischen den Regierungsfraktionen zur schulartenunabhängigen Orientierungsstufe ist es nun im Jahr zehn der deutschen Einheit endlich an der Zeit, das gegliederte Schulwesen inhaltlich auszugestalten und qualitativ zu untersetzen.

(Angelika Gramkow, PDS: Es wäre an der Zeit, das abzuschaffen, Frau Schnoor.)

Dabei finden Sie die Unterstützung der Opposition, das ist überhaupt keine Frage. Die Frage ist nur, ob Sie überhaupt bereit sind, sich mit der Opposition in solchen Fragen inhaltlich auseinander zu setzen, oder ob Ihre Bildungspolitiker ideologiebedingt eine solche Diskussion ablehnen, so, wie Sie eine inhaltliche Auseinandersetzung über den heute zur Abstimmung anstehenden Antrag der CDU grundweg ablehnten.

(Angelika Gramkow, PDS: Das kann ich von Herrn Bluhm gar nicht glauben, was Sie da erzählen.)

Die Überweisung des Antrages in den Bildungsausschuss war offensichtlich eine reine Alibiveranstaltung, denn vor allem die SPD verweigerte sich

(Angelika Gramkow, PDS: Oh!)

einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu diesem Thema im Ausschuss. Dass die PDS an dieser Stelle durchaus Diskussionsbedarf sieht, das demonstrierte eindeutig das Stimmverhalten von Andreas Bluhm.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Problem der Personalentwicklung bei den Lehrkräften ist aktueller denn je. Das Lehrerpersonalkonzept wird nur ein Ziel erreichen. Das Ziel ist die Anpassung des Stellenplans an die demographische Entwicklung, nicht mehr und nicht weniger. Dieses Ziel werden Sie erreichen, da habe ich angesichts der rigiden allumfassenden Sparpolitik der Finanzministerin nach dem Motto „Koste es, was es wolle“ überhaupt keinen Zweifel.

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Das macht der Haushaltsentwurf des Jahres 2001 auch ganz deutlich, denn fast 95 Prozent der Stellenkürzungen liegen im Bildungsministerium, liegen bei den Lehrern.

Das Lehrerpersonalkonzept hat neben der Zielvorgabe des Stellenabbaus weitere Folgeeffekte nach sich gezogen, die vor vier Jahren so noch nicht gesehen wurden. Sie wurden und werden vor allem von denen nicht gesehen, die heute immer noch das Solidarprinzip des Lehrerpersonalkonzepts wie einen heiligen Gral vor sich hertragen. Und dass keine Lehrer ad hoc aus dem Schuldienst entlassen werden müssen, das ist ein Erfolg des Konzepts, der sicherlich nicht zu bestreiten ist. Aber vier Jahre nach Inkrafttreten dieses Konzepts überwiegen die langfristigen nachteiligen Folgeerscheinungen des Lehrerpersonalkonzepts, als dass die verhinderte Entlassung von Tausenden Lehrern für das Bildungswesen in Mecklenburg-Vorpommern Vorteile gebracht hätte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Qualitätskonzept für die Bildung wird am Lehrerpersonalkonzept scheitern, denn diejenigen, die dieses Konzept umzusetzen haben, resignieren. 67 Kollegen, so musste das Bildungsministerium in der vergangenen Woche eingestehen, 67 Kollegen haben im vergangenen Jahr freiwillig den Lehrerdienst gekündigt. Nicht einer, nicht zwei, nein,

67 junge leistungsfähige kreative Lehrerinnen und Lehrer suchen angesichts sich verschärfender Rahmenbedingungen das Weite.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das ist schlimm.)

Drohende Teilzeit bei Ostgehältern, Klassen mit 30 und mehr Schülern, Pendelunterricht zwischen mehreren Schulen, Aufgabenüberhäufung, Statistiken und vieles andere mehr – die Arbeitsbedingungen der Lehrer verschlechtern sich von Jahr zu Jahr, ohne dass ihr Engagement seitens des Dienstherren eine spürbare Würdigung erfährt.

Aber die freiwillige, vom Lehrerpersonalkonzept losgelöste Kündigung von Lehrkräften ist nur eine Seite. Die andere Seite der sich anbahnenden Katastrophe liegt in der Tatsache begründet, dass wir den Einstellungskorridor aus dem Lehrerpersonalkonzept nicht mehr ausschöpfen können, dass die Referendarstellen nicht mehr besetzt werden können, dass die Lehrerstudiengänge nur noch geringe Immatrikulationen nachweisen können. Wir steuern in ein akutes Nachwuchsproblem, meine Damen und Herren – eine Tatsache, die das Lehrerpersonalkonzept nicht mal ansatzweise berücksichtigt. Länder wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein werben die jungen Lehrkräfte ab und die SPD/PDS-Landesregierung lässt dies geschehen, ohne einen Anflug von Widerstand.

(Sylvia Bretschneider, SPD: Wollen wir es machen wie zu DDR- Zeiten, oder wie hätten Sie es gern?)

Achselzucken des Bildungsministers und der bildungspolitischen Sprecherin der SPD im Bildungsausschuss. Angst vor der eigenen Courage, das Lehrerpersonalkonzept gegen GEW und andere Verbände auf den Prüfstand zu stellen, da es sich mittlerweile als untaugliches Mittel herausgestellt hat. Eine derart peinliche Vorstellung der regierungstragenden Parteien habe ich selbst unter Frau Marquardt nicht erlebt, und das will schon was heißen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Altersstrukturanalyse für Lehrkräfte an allgemein bildenden und beruflichen Schulen war Anlass für die CDU-Fraktion, ein Personalentwicklungsprogramm einzufordern. Wir hätten uns im Bildungsausschuss auf ein Konzept einigen können, das einen anderen Namen trägt. Wir hätten über Schwerpunkte eines solchen Programms reden können. Wir hätten über alles reden können, wenn die SPD nur gewollt hätte. Aber sie wollte nicht. Dann muss ich hören, dass in der Staatskanzlei derzeit geprüft wird, wie ernst die Lage denn wirklich ist und was man denn dagegen tun könne. Ist das nun ein ernsthafter und demokratischer Umgang mit der Opposition? Meine Damen und Herren, ich meine, die Lage ist ernst.

Mit der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung haben Sie eine weitere Chance verpasst. Auch sie wird dazu beitragen, dass Ihr Konzept – noch mal, welches ein durchaus wichtiger Ansatz ist – scheitern wird. Folge dieser Schulentwicklungsplanung werden große Klassen sein. Da, wo kleine Schulen erhalten bleiben, werden Lehrer zwischen mehreren Schulen hin und her pendeln, die Unterrichtsqualität wird massiv darunter leiden, eine hundertprozentige Unterrichtsversorgung – wobei ich sage, eine reale hundertprozentige Unterrichtsversorgung – wird auf lange Zeit Utopie bleiben. Wir haben damit eine Chance vertan, die Klassen zu verkleinern und durch niedrige Eingangsfrequenzen auch auf dem flachen Land eine Zweizügigkeit von Schulen zu sichern.