Protocol of the Session on October 18, 2000

(Annegrit Koburger, PDS: Gehlsdorf ist nicht der kinderreichste. Erzählen Sie nicht so einen Blödsinn!)

Sicherheit hat ihren Preis. Sicherheit gibt es, wie wir wissen, nicht zum Nulltarif. Ich glaube, dafür muss man sich engagieren, und in diesem Jahr kann man das von der Landesregierung und von ihrer Sozialministerin und Herrn Professor Azzola eben nicht behaupten. Es ist gut – und das ist das einzig Positive –, dass die Verantwortung für den Maßregelvollzug jetzt beim Justizministerium liegt.

Ich kann Sie, meine Damen und Herren, nur auffordern, nach all den Skandalen, der Gefährdung von Leib und Leben – und das muss man deutlich sagen –, für die die Sozialministerin und ihr Staatssekretär die volle persönliche und politische Verantwortung tragen, jetzt endlich den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form mit zu unterstützen. Wir bitten Sie deshalb um die Überweisung in die Fachausschüsse, federführend in den Rechtsausschuss. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Wenn es dazu keinen Widerspruch gibt, dann werden wir so verfahren.

Die Aussprache ist damit eröffnet.

Das Wort hat der Justizminister. Bitte sehr, Herr Sellering, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Erlauben Sie mir, dass ich der Versuchung widerstehe, zu der Rede von Herrn Thomas Stellung zu nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Siegfried Friese, SPD: Das können wir sehr gut verstehen. – Dr. Margret Seemann, SPD: Das ist sehr weise, Herr Sellering. – Volker Schlotmann, SPD: Herzlichen Dank.)

Ich möchte mich darauf beschränken, zu dem Gesetzentwurf und zu den Sachfragen zu sprechen.

Das Justizministerium wird zuständig im Maßregelvollzug. So lautet die politische Grundsatzentscheidung der Regierungskoalition zur Halbzeit der Legislaturperiode und dies wird ganz offensichtlich mitgetragen von der Opposition – wir wollen nicht immer nur das Trennende betonen, sondern vielleicht auch das, was uns verbindet –, die jetzt nachträglich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt hat. Allein diese Einigkeit in der Sache lässt schon vermuten, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber es zählt vor allem das Sachargument. Indem wir das Justizministerium zuständig machen für die Sicherheit im Maßregelvollzug, führen wir in diesem sehr schwierigen Vollzugsbereich die Kompetenzen des Sozialministeriums in Therapie und Betreuung zusammen mit den Kompetenzen des Justizministeriums im Bereich Sicherheit.

(Beifall Annegrit Koburger, PDS)

Dabei muss die Aufgabenverteilung gewährleisten, dass das Justizministerium mit allen sicherheitsrelevanten Fragen befasst wird, nicht nur, was die äußeren Haftbedingungen angeht – Außenwände, Gitter, Mauern und dergleichen –, sondern auch soweit der innere Ablauf allgemeine Sicherheitsfragen aufwirft. Das betrifft zum Beispiel die Hausordnung, aber in den sicherheitsrelevanten Teilen ebenso das allgemeine Konzept, das die Einrichtung für die im Einzelfall zu gewährenden Lockerungen festlegt. Wohlgemerkt, ich betone, Mitsprache bei dem allgemeinen Lockerungskonzept. Die konkret gewährte Lockerung im Einzelfall ist immer eine fachlich therapeutische Entscheidung des behandelnden Arztes, das kann nicht anders sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Dessen Entscheidung steht allerdings nicht im luftleeren Raum. Sie muss sich orientieren an dem vom Justizministerium mitgeprüften allgemeinen Lockerungskonzept und vor allem unterliegt sie als Einzelfallentscheidung der Überprüfung durch die zuständige Vollstreckungskammer des Gerichts. Das ist so.

Im Maßregelvollzug, das wollen wir über allem nicht vergessen, geht es um den richtigen Umgang mit potentiell gefährlichen, rückfallgefährdeten Straftätern, die psychisch krank und deshalb schuldunfähig sind. Ich meine, wir sollten uns bei diesem wichtigen Thema nicht auseinander dividieren lassen und einen künstlichen Gegensatz herstellen zwischen der notwendigen Therapie und der Frage Sicherheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Es geht nicht um die Frage, welches Ziel wichtiger ist, sondern es geht darum, das Hauptziel im Maßregelvollzug ist selbstverständlich die Therapie und selbstverständlich kann diese Therapie nur stattfinden, wenn die Einrichtung als solche sicher ist. Die Sicherheit ist die Voraussetzung dafür.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD, und Angelika Gramkow, PDS)

Und vielleicht doch ein Wort zu Ihnen, Herr Thomas. Ich glaube, dass es völlig falsch ist, wenn gerade Sie verkennen, dass der Ministerpräsident derjenige war, der immer in den Vordergrund gestellt hat, dass selbstverständlich für alle Therapiebemühungen, die stattfinden müssen, ein sicherer Rahmen erforderlich ist.

Ich will noch etwas zur Therapie sagen. Diese Arbeit, die nötig ist im Bereich mit diesen schuldunfähigen Straftätern, verlangt Therapie und Betreuung auf sehr hohem professionellen Niveau.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig!)

Und diejenigen, die hier in den letzten Jahren in den psychiatrischen Einrichtungen, in den Gesundheitsämtern, im Sozialministerium sehr gute Arbeit geleistet haben, die müssen mit ihrem ganzen Engagement und ihrer ganzen Professionalität diese Aufgabe weiter wahrnehmen. Aber diese Gruppe – und jetzt komme ich vielleicht auf die Probleme im Maßregelvollzug – wird sich ja, wenn sie ihre Arbeit gut und erfolgreich machen will, selbstverständlich immer auch ein wenig als Anwalt des

Patienten begreifen, als seinen helfenden Betreuer, vielleicht sogar von der Art der Arbeit her ein wenig Partei ergreifen für den Kranken. Und weil das so ist, muss zu dieser Gruppe im Maßregelvollzug eine weitere Gruppe hinzutreten, nämlich die der Sicherheitsspezialisten des Strafvollzuges aus dem Justizministerium.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und diese weitere Gruppe wird und darf sich dann auch ausschließlich für die Sicherheit im Maßregelvollzug zuständig fühlen und das, denke ich, kann nur gut sein. Das ist die Grundentscheidung, die von der Koalition getroffen worden ist, und ich denke, dass sie die richtige Struktur herstellt.

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass wir in der Sache mit Ihnen von der Opposition über die grundsätzlichen Entscheidungen bei der Aufgabenverteilung zwischen Justizministerium und Sozialministerium eigentlich kaum auseinander sind oder jedenfalls leicht einig werden können. Auseinander sind wir, wenn ich Ihren Entwurf richtig lese, allein bei der Frage, wie die Abgrenzung dieser Aufgaben gesetzestechnisch am besten vorgenommen wird, ob wir die geänderten Regelungen zum Maßregelvollzug im PsychKG belassen oder in einem eigenen Maßregelvollzugsgesetz niederlegen, wie Sie das vorschlagen.

(Harry Glawe, CDU: Richtig!)

Dazu sage ich ganz klar, wir brauchen kein neues Gesetz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Wir haben weiß Gott genug Gesetze. Wir haben eine wahre Gesetzesflut. Ich sage, bitte nicht noch mehr, wenn es nicht unbedingt nötig ist, und hier ist es nicht nötig. Es reicht die Änderung einiger weniger Paragraphen im PsychKG. Justizministerium und Sozialministerium haben sich bereits auf einen Text verständigt. Es zeigt sich, dass man mit den Änderungen von acht oder neun Paragraphen auskommt. Dieser Text ist heute in der Staatssekretärsrunde erörtert worden. Auf diese wenigen, aber inhaltlich entscheidenden Änderungen des PsychKG sollten wir uns verständigen.

Meine Damen und Herren von der CDU, ich bitte Sie, prüfen Sie, ob Sie da mitgehen können. Ein eigenes Maßregelvollzugsgesetz bedeutet inhaltlich für sich allein überhaupt nichts. Das sehen Sie zum Beispiel daran, dass auch die Länder, die ein eigenes Maßregelvollzugsgesetz haben, nicht den von uns gemeinsam für richtig empfundenen Schritt gehen, Zuständigkeiten des Justizministeriums zu verankern. Das gibt es in den Ländern nicht, auch nicht im Land Nordrhein-Westfalen, an das Sie sich ja im Wesentlichen anlehnen mit Ihrem Entwurf.

Es kommt also darauf an, dass wir den Maßregelvollzug durch die Verankerung der Zuständigkeit des Justizministeriums sicherer machen. Da dies genauso gut und mit weniger Aufwand durch die Änderung des PsychKG geht, sollten wir diesen Weg gehen. Mein Appell ist, lassen wir uns heute in der Sache bitte nicht auseinander dividieren, verzichten Sie darauf, die Gesetzesflut weiter anschwellen zu lassen, sondern verständigen Sie sich mit uns über die inhaltlich richtigen Änderungen des PsychKG. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Harry Glawe, CDU: Können Sie uns den Entwurf mal zustellen?)

Vielen Dank, Herr Minister.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Schoenenburg von der PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Herr Thomas, wir kennen uns ja nun schon eine ganze Weile und ich werde das Gefühl nicht los, Sie haben auch ein gewisses Sicherheitsproblem,

(Annegrit Koburger, PDS: Er ist eins.)

um nicht zu sagen, Sicherheitssyndrom.

(Reinhardt Thomas, CDU: Wenn Sie das nach einem Jahr hier behaupten, dann ist das schon starker Tobak.)

Nicht nach einem Jahr, sondern das behaupte ich, nachdem ich Sie fast zehn Jahre lang kenne.

(Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

Ansonsten muss ich sagen, dass ich im Unterschied zum neu ernannten Justizminister Ihnen nicht durchgehen lassen kann, was Sie heute hier dargestellt haben. Die Konstruktion des PsychKG und seine Formulierung ist das Kind der CDU. Das wissen wir alle, die wir hier ein bisschen länger in diesem Haus sind. Und jetzt tun Sie so, als ob es sozusagen die Schuld der SPD/PDS-Regierung sei, dass ein solches Gesetz existiert.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD – Wolfgang Riemann, CDU: Das tun wir nicht.)

Sie tun überhaupt so, als ob dieses Gesetz untauglich und unbrauchbar wäre, und das ist es eben nicht. Und das sage ich selbst, obwohl Sie die Erfinder dieses Gesetzes sind.

(Unruhe bei der CDU – Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Anngrit Koburger, PDS – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Und dann will ich Ihnen noch eines sagen: Ausgebrochen aus der Psychiatrie sind Patienten auch zu CDU-Zeiten,

(Harry Glawe, CDU: Na, na!)

nur hat die damalige Opposition darauf verzichtet, daraus ein medienträchtiges Spektakel zu machen.

(Dr. Ulrich Born, CDU, und Harry Glawe, CDU: Na, na, na! – Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)