Protocol of the Session on September 21, 2000

Das Programm, was wir vorschlagen, beziehungsweise der „Dreiklang“ der CDU muss gründlich überlegt werden,

denn es geht um konkrete Maßnahmen und gemeinsames Handeln. Auch wenn ich den „Dreiklang“, wie ihn die CDU gern möchte, akzeptiere, geht es mir, geht es der PDSFraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, was die Reaktion auf Extremismus und Ausländerfeindlichkeit betrifft, geht es uns um Einklang. Landtag und Regierung, Vertreter von SPD, PDS und CDU müssen mit einer Stimme sprechen.

(Beifall bei der PDS und Abgeordneten der SPD)

Das Wort zur Begründung des Antrages der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1492 hat der Fraktionsvorsitzende der CDU Herr Rehberg. Bitte sehr, Herr Rehberg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! In diesem Sommer wurde uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass Gewalt in unserer Gesellschaft, rechtsextreme Gewalt, ein Ausmaß angenommen hat, das zum Handeln zwingt. Rechtsextremismus und Gewalt sind Probleme, die schon länger akut sind und immer schlimmere Formen annehmen. Wenn ich an die grausame Tötung von Obdachlosen oder an die brutale Ermordung des 15-jährigen Jungen in Neubrandenburg denke, dann bin ich, dann kann man nur fassungslos sein, genauso fassungslos wie bei rechtsextremistischen Gewalttaten, Aufmärschen von Rechtsradikalen, Hetzjagden auf Ausländer, Naziparolen und Hakenkreuzen an Häuserwänden, Schändungen jüdischer Friedhöfe und wenn ich höre, dass Touristen auf Campingplätzen von prügelnden und randalierenden Jugendlichen überfallen werden. Solche Nachrichten machen mich nicht nur fassungslos, sondern vor allem auch wütend, wütend darüber, dass so etwas hier in Deutschland, hier in meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern passiert. Aber nicht allein die Tatsache, dass so etwas passiert, ärgert mich, es ist auch die Art und Weise, wie mit diesem Problem umgegangen und wie solchen Erscheinungen entgegengetreten wird.

Richtig ist, dass über Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund natürlich berichtet werden muss. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass das Thema zerredet wird und nichts passiert. Wir müssen endlich mit Nachdruck etwas unternehmen gegen diese extremistischen Gewalttäter, gegen die sich grundsätzlich ausbreitende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen und vor allem gegen die wachsende Gleichgültigkeit unter jungen Menschen. Wenn ich sage wir, dann meine ich natürlich zunächst uns als Politiker. Wir müssen und können die notwendigen Weichenstellungen vornehmen, aber das setzt voraus, dass wir das auch wollen und uns nicht von fatalen politischen Erwägungen leiten lassen.

(Heike Lorenz, PDS: Eben.)

Da solche und ähnliche Willensbekundungen immer wieder von allen Seiten zu hören sind, will ich einmal etwas deutlicher werden. Die CDU-Fraktion hatte bereits auf der Landtagssitzung vom 24. Mai 2000 einen Antrag zur Bekämpfung rechtsextremistischer Gewaltstraftaten eingebracht. Dieser ist, wie Sie sicherlich noch alle wissen, von Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und PDS, abgelehnt worden. Ich hätte ehrlich gesagt erwartet, dass Sie, wenn Ihnen die Bekämpfung des Rechtsradikalismus am Herzen gelegen hätte, zumindest für eine Überweisung des Antrages gestimmt hätten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Sie müssen ja gar nicht alle Einzelheiten genauso betrachten wie wir. Nur, darüber reden sollte man doch auch können, dafür ist die Bewältigung des Problems einfach zu dringend. Wir als CDU sehen die Dringlichkeit der Problembewältigung stärker denn je und werden nicht müde, für die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Bekämpfung von Fremdenhass, Gewaltbereitschaft und rechtsextremistischem Gedankengut zu werben. Dabei lassen wir uns von niemandem, von niemandem in eine Ecke drängen. Und schon gar nicht lassen wir uns unterstellen, wir seien gegen eine entschlossene Bekämpfung des Rechtsextremismus!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Nein, wir sind dafür, dass dieses gesamtgesellschaftliche Problem auch gesamtgesellschaftlich gelöst wird, und da beziehe ich alle demokratischen Kräfte und Organisationen ein. Die Definition dieser Aufgabe als „gesamtgesellschaftlich“ darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gewalt, Ausländerfeindlichkeit und Extremismus in jeder Form nur mit konkreten Maßnahmen und nicht mit allgemein gehaltenen Appellen und Aufrufen bekämpft werden können.

(Beifall Thomas Nitz, CDU)

Deshalb haben wir unseren Antrag vom Mai 2000 im Wesentlichen unverändert gelassen und vielmehr um einige Punkte ergänzt. Diese Ergänzungen, das will ich hier ganz offen sagen, sind in einem intensiven Meinungsbildungsprozess innerhalb unserer Fraktion entstanden. Es ist nicht so, dass wir unsere Maßnahmen, die wir schon im Mai und zum Teil auch schon weitaus früher gefordert haben, als Allheilmittel sehen. Es leitet uns die Erkenntnis, dass der Ansatz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft ein vielseitiger sein muss, der zuallererst im Bereich der Erziehung und Bildung beginnen muss.

Da wir als Staat und Gesellschaft nicht die Erziehung in den Familien bestimmen, müssen wir uns darauf konzentrieren, Möglichkeiten zur Vermittlung von Grundwerten und zur kritischen Auseinandersetzung mit rechtsextremistischem Gedankengut vor allem in den Schulen zu organisieren. Der von uns zu leistende Beitrag wird dort konkret, wo wir mit Kindern und Jugendlichen am engsten in Kontakt kommen, und das ist und bleibt in erster Linie die Schule. Hier können und hier müssen wir Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen nehmen. Hier ist eine möglichst frühzeitige und anschauliche Auseinandersetzung mit der Geschichte erforderlich. Deshalb unser Vorschlag, Gedenkstättenbesuche obligatorisch zu machen. In diesem Zusammenhang muss allerdings klar sein, dass Geschichte nicht teilbar ist. Wir hatten bisher wenig Gelegenheit, über Ursachen der aktuellen Entwicklung zu diskutieren. Ich meine aber, zumindest ein Aspekt liegt im verordneten Antifaschismus der DDR, der aufgrund seiner einseitigen Ausrichtung schon Glaubwürdigkeitsprobleme aufwies.

Frau Kollegin Gramkow, die DDR war sicher keine Puppenstube,

(Peter Ritter, PDS: Bei den heute 16-Jährigen.)

Herr Ritter, ich sage Ihnen noch etwas dazu.

(Peter Ritter, PDS: Ich auch.)

In der DDR gab es keine Versammlungsfreiheit, es gab keine Meinungsfreiheit, es gab keine Pressefreiheit – die

wesentlichen Merkmale eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates – und deswegen können Sie dieses überhaupt nicht miteinander vergleichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Heike Lorenz, PDS)

Sie können es nicht miteinander vergleichen.

Und, Herr Ritter, wie ging es einem 15- bis 16-Jährigen, der in der neunten Klasse DDR-Geschichts- und -Staatsbürgerkundeunterricht hatte, wenn sein Vater von seiner Flucht aus Ostpreußen erzählt und die Mutter von der Vertreibung aus dem Sudetenland?

(Peter Ritter, PDS: Die sind aber zehn Jahre hier zur Schule gegangen.)

Herr Ritter, wie geht es so einem, und das war ich, der dann diese DDR-Geschichte und diesen Staatsbürgerkundeunterricht vermittelt bekommt?! Und so wie mir ist es vielen gegangen.

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Ich will nur darauf hinweisen, dass die Zwiespältigkeit vielfach ist, und ich akzeptiere, dass heute 15- und 16-Jährige zehn Jahre in diese, in unsere Schule gegangen sind.

(Heike Lorenz, PDS: Die sie uns übergestülpt haben, weil sich die Lehrer nicht getraut haben, öffentlich Position zu beziehen.)

Mein Ansatz war, dass wir uns darüber unterhalten müssen, wie vielfältig Ursachen von Rechtsorientierung von Jugendlichen und von Kindern sind. Und da schaden Ihre Zwischenrufe, Herr Ritter, mehr als das. Beide Aspekte und den einen Aspekt, so habe ich den Eindruck, sind Sie überhaupt nicht in der Lage, zur Kenntnis zu nehmen, nämlich den, dass Geschichte nicht teilbar ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch einen Satz, Frau Gramkow, zur offenen Hand. Wir haben im Dezember 1998 einen Antrag eingebracht, der sehr substantiell war. Wir haben es dann noch einmal im Mai 2000 wiederholt. Wenn Sie sich heute hier hinstellen und sagen, wir haben Ihre ausgestreckte Hand ausgeschlagen, das ist schon mehr als komisch. Nehmen Sie sich, wenn Sie ehrlich sind, noch einmal Ihren Antrag zur Hand, Ihren Änderungsantrag, was dann aus diesem Antrag vom Dezember 1998 geworden wäre – nichts Konkretes. Dazu sind wir damals nicht bereit gewesen und dazu sind wir heute auch nicht bereit. Selbstverständlichkeiten, Appelle und Aufrufe, meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht um konkretes Handeln in den Bereichen Bildung, Erziehung, Prävention und Repression.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Heike Lorenz, PDS: Und ein Landesprogramm.)

Ich stimme der GEW-Vorsitzenden Eva-Maria Stange in ihrer Forderung, die Lehrer müssen Position gegen Rechtsextremismus beziehen, ausdrücklich zu und ergänze: aber nicht nur die Lehrer. Weil die Lehrer unbestritten eine enorme Einwirkungsmöglichkeit haben, müssen sie besonders darin geschult werden, diese optimal zu nutzen. Doch, meine Damen und Herren, soeben ist das Heft „L.I.S.A. Aktuell“ mit dem Fortbildungskatalog für das Schuljahr 2000/2001 erschienen. Obwohl im Vorwort ausdrücklich auf die Herausforderung rechtsextremer Gewalt eingegangen wird, findet sich nicht ein einziges

Fortbildungsangebot, das sich konkret mit dieser Problematik befasst.

(Zuruf von Heike Lorenz, PDS)

Hier zeigt sich dramatisch, dass gehandelt werden muss,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

dass allgemeine Appelle dagegen nicht ausreichen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Da sind wir uns doch wohl einig.)

Meine Damen und Herren, das ist eigentlich die konkreteste Maßnahme schlechthin, die Einflussnahme auf die jungen Menschen. Und bei dem Begriff „junge Menschen“ beziehe ich alle Kinder und Jugendlichen, alle Heranwachsenden, die jungen Erwachsenen, die Jugend, die sich innerhalb unserer Rechts- und Werteordnung bewegt, aber auch diejenigen ein, die mit der rechtsextremistischen Szene sympathisieren und die zum Teil auch schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind.

Wir wollen niemanden ausgrenzen. Im Gegenteil, wir wollen, dass alle Jugendlichen und Kinder das Gefühl entwickeln, ein fester Bestandteil unseres demokratischen Gesellschaftssystems zu sein. Aber wir dürfen uns auch nicht der Möglichkeit berauben, junge Menschen zu ordentlichen Mitgliedern unserer Gesellschaft zu erziehen. Und, meine Damen und Herren, dazu gehört auch möglicherweise, dass wir rechtsorientierten Jugendlichen Aufenthaltsmöglichkeiten bereitstellen. Dazu gehört aber auch, dass sie betreut werden. Das kann der Bürgermeister sein. Das kann ein Übungsleiter beim Sport sein. Das müssen aber, wenn es dann pädagogisch sinnvoll gemacht werden soll, nicht ABM und Schulsozialarbeiter sein, sondern das müssen dann Ausgebildete sein.

(Heike Lorenz, PDS: Da haben Sie vollkommen Recht.)

Und wer solche Jugendlichen erreichen will, der muss eine Kommunikationsbrücke zu ihnen finden. Der muss, ich sage es, Vertrauen bei ihnen erwerben, denn sonst wird er sie nicht erreichen. Das heißt, nicht Ausgrenzung dieser rechtsorientierten Jugendlichen dürfen wir als Politiker in den Mund nehmen, sondern wir müssen sagen, wir müssen sie in die Gesellschaft zurückholen. Das ist unsere Verantwortung und dazu müssen wir die Mittel und Möglichkeiten auch schaffen. Eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung von Erziehungsmaßnahmen ist die Anpassung des Jugendstrafrechts.

(Zuruf von Heike Lorenz, PDS)

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, damit das Problem verdeutlicht wird. Wenn mein ältester Sohn früher verbotene Sachen gemacht hat, dann hatte ich auch immer zu berücksichtigen, dass mein jüngerer Sohn ganz genau darauf geachtet hat, welche Bestrafung sein älterer Bruder nun bekommen würde. Er hat einfach darauf geachtet, weil er für sich abwog, ob es sich lohnte, es seinem großen Bruder bei Gelegenheit gleichzutun oder nicht. Ich habe also immer gleich mit der Erziehungsmaßnahme gegenüber meinem Ältesten auch ein Stück weit meinen jüngeren Sohn davor abzuschrecken versucht, eben dieses Verbotene zu tun. Ich denke, jeder, der Kinder hat oder sich an seine Kindheit zurückerinnert, weiß, wovon ich spreche.

Warum erzähle ich das? Nun, ganz einfach – dieser Gedanke der Abschreckung nennt sich Generalprävention. Doch die darf nach der geltenden Rechtsprechung im Jugendstrafrecht nicht berücksichtigt werden. Das ist doch geradezu grotesk. Wenn nicht bei Jugendlichen, wo dann kann man mit beispielgebendem Verhalten noch etwas erreichen? Kinder und Jugendliche neigen nun einmal sehr stark dazu, auf das Verhalten anderer zu schauen, in der Gruppe etwas nachzuahmen. Wenn sich aber in der Gruppe nicht herumspricht, dass Kriminalität, ob nun Gewaltkriminalität oder Kriminalität an sich, mit oder ohne rechtsextremistischem Hintergrund, sich nicht lohnt, weil sie konsequent bestraft wird, dann lädt das doch nicht gerade zur Nachahmung ein. Deshalb fordern wir, dass im Jugendstrafrecht bei der Verhängung von Strafen und Erziehungsmaßnahmen auch der Gedanke der Abschreckung anderer berücksichtigt werden kann.

Wir sind uns schon dessen bewusst, dass Jugendstrafrecht Bundesrecht ist. Trotzdem …

(Heike Lorenz, PDS: Vor allem, dass es auch schon Rechtslage ist.)

Wissen Sie, Frau Lorenz, dann sagen Sie bitte im nächsten Satz aber auch, dass 90 Prozent der 19- bis 21-Jährigen in diesem Land nach dem Ausnahmefall abgeurteilt werden und nicht nach dem Regelfall.

(Heike Lorenz, PDS: Richtig.)

Das heißt, 90 Prozent, das hat eine Kleine Anfrage aus dem letzten Jahr unsererseits ergeben, werden nach dem Jugendstrafrecht abgeurteilt und nicht nach dem Erwachsenenstrafrecht. Und ich bin dafür, dass ein 19-Jähriger, der 20 Autos knackt, der gewalttätig wird gegen Personen, nach dem Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt wird.