Protocol of the Session on May 24, 2000

Zum 31. Juli dieses Jahres werden allein im Grundschulbereich fast 1.000 Stellen vakant, weitere 120 müssen für den Einstellungskorridor bei den allgemein bildenden Schulen freigehalten werden, also zusammen fast 1.100 Stellen. Von daher ist jetzt die Einführung der Teilzeitregelung 50 plus x zum 1. August nicht mehr zu umgehen. Aber das Ende der Fahnenstange ist in zweierlei Hinsicht noch nicht erreicht:

Erstens. Das Schülertal ist noch nicht durchschritten.

Zweitens. Die Teilzeitregelungen werden nach der Grundschule die weiterführenden Schulen erfassen.

Bis 2010 sind zu den jetzt wegfallenden Stellen noch insgesamt 8.119 Stellen abzubauen. Was das bedeutet, macht der Vergleich mit der Stellenausstattung nach dem Haushaltsplan 2000 deutlich. Dort sind zurzeit 16.298 Stellen an den allgemein bildenden Schulen und 2.388 Stellen an den beruflichen Schulen ausgewiesen.

Obwohl das eigentlich jedem in diesem Land bekannt ist, ist der Gedanke daran, was da noch vor uns liegt, erschreckend. Klar muss sein, dass die Verbesserungen von Rahmenbedingungen zwar eine Entlastung bringen können, das Problem als solches aber nicht beseitigen.

Trotzdem, diese Entwicklung kann als gottgegeben angesehen werden, der man sich einfach zu ergeben hat. Sie kann aber gleichzeitig auch als Chance begriffen werden, mit grundlegenden Reformen und Verbesserungen im Bildungswesen zu beginnen.

Wenn wir die Zeitung aufschlagen, Rundfunk hören oder fernsehen – allgegenwärtig ist die Diskussion um die Bildung:

Bildung als entscheidender Zukunftsfaktor

Bildung als Standortfaktor

Bildung als Zukunftsvorsorge

Bildung und ihre Qualität mit ihren Ergebnissen

Bildung und lebensbegleitendes Lernen

Bildung und die Sparzwänge öffentlicher Haushalte

Das sind nur einige Stichworte. Sie machen deutlich, dass ein Diskussionsprozess in Gang gekommen ist, der die gesellschaftliche Bedeutung der Bildung nach vielen Jahren des Stillstands und der Stagnation bis hin zur Ignoranz in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückgerückt hat. Und auch der letzte OECD-Bericht wirft ja nun ein beredtes Bild auf die Situation von Bildung in Deutschland. Bildung ist wieder ein gesellschaftliches Thema und das ist gut so. Der Streit darum kann uns nur helfen, auch dann, wenn wir häufig der Adressat der Kritik sind, liebe Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen dieses Hauses. Darum möchte ich Sie parteiübergreifend dafür gewinnen, diese Aufgabe anzupacken, über die Ziele, Wege und Konzepte zu diskutieren und zu streiten. Es geht nicht um uns, es geht um die Zukunft der Kinder dieses Landes.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und so pathetisch sich das anhört, genau da liegt der Punkt.

Wenn wir heute ausländische Spezialisten anwerben müssen oder, wie kürzlich im Max-Planck-Institut, beklagt wird, dass Hochschulabsolventen im Fach Physik Mangelware sind, und Betriebe über fehlende Ingenieure klagen, dann ist wohl doch etwas falsch gelaufen. Es ist aber auch ein Beweis für die langfristigen Wirkungen, die schnelle, häufig finanziell oder betriebs- und volkswirtschaftlich determinierte Entscheidungen in der Ausstattung der Bildung mit Finanzmitteln und Stellen nach sich ziehen. Wir dürfen nicht länger bei der Bildung ausschließlich in konjunkturellen Zyklen oder mittelfristigen Angebotsformen denken. Bildung muss Grundlage und Basis für eine Zukunft liefern, von der wir ja noch nicht einmal wissen, wie sie genau aussehen wird. Dabei kann man nur dem Grundsatz folgen: Zu viel Bildung kann nicht schaden, zu wenig schadet immer.

Die Konsequenz, die sich aus den Anforderungen an Bildung ergibt, heißt für das Lehrerpersonalkonzept und die Personalentwicklung im Bereich der Lehrkräfte, dass die Durchsetzung der Qualitätsentwicklung und -sicherung, so, wie es im Konzept niedergeschrieben ist, nach diesen Prämissen neu geprüft und, wie in Ziffer 134 des Koalitionsvertrages festgeschrieben, positiv angepasst werden muss. Unbeschadet der vorhandenen Regelung im Lehrerpersonalkonzept, die besagt, dass ab dem Schuljahr 2001/2002 dem rechnerischen Mindestbedarf im Durchschnitt ein zehnprozentiger höherer Lehrerbedarf

anerkannt wird, müssen wir jetzt über die Einbeziehung von Rahmenparametern in die Qualitätsentwicklung entscheiden. Und dazu, meine Damen und Herren, sind aus unserer Sicht folgende Maßnahmen notwendig:

1. Notwendig ist eine Befristung von Teilzeitregelungen für die einzelnen Schularten, beginnend mit dem Grundschulbereich. Die Lehrerinnen und Lehrer in diesem Lande brauchen die klare Aussage von Politik, ab wann wieder Vollbeschäftigung im Rahmen der entsprechenden geltenden Rahmenverordnungen möglich sein wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

2. Wir brauchen eine weitere Aufstockung der Stundentafel im Fach Deutsch um jeweils eine Stunde zunächst in der Klassenstufe 3 und nachfolgend in der Klassenstufe 4.

(Wolfgang Riemann, CDU: Haben Sie Frau Finanzministerin schon gefragt?)

Herr Riemann, das wird alles nicht möglich sein mit dem Haushalt 2001,

(Harry Glawe, CDU: Was?! Das musste vorher passieren.)

aber Sie wissen doch viel besser als ich, was mit Mittelfristiger Finanzplanung gemeint ist. Wenn wir diese Fragen nicht jetzt entscheiden, dann kriegen wir das nie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Harry Glawe, CDU: So ist es. – Wolfgang Riemann, CDU: Da haben Sie Recht.)

3. Es geht um die Verstärkung des Stundenvolumens für Ganztagsschulen, um die Öffnung von Schule zu fördern und die Qualität zu erhöhen.

(Harry Glawe, CDU: Sehr richtig.)

4. Es geht um die Wiedereinführung von Klassenleiterstunden.

5. Es geht in Umsetzung des Qualitätssicherungskonzeptes um die personelle Stärkung der Schulaufsicht zur Einführung der vorgesehenen Beratungslehrer für Qualitätskontrolle, Evaluation und Profilbildung der Schulen in unserem Land.

6. Und es geht um die personelle Untersetzung, der mit dem Programm „Schulen ans Netz“ verbundenen neuen Aufgaben an Pflege, Wartung und Betrieb der Software und Hardware gemeinsam mit den Trägern von Schule in den Kreisen.

(Harry Glawe, CDU: Sehr gut.)

Mit Blick auf die sich immer weiter verschärfende Haushaltslage wird es heftigen Gegenwind geben, dessen bin ich mir sicher.

Seit Jahren ist der Bildungsminister nicht in der Lage, die von allen – und das parteiübergreifend – geforderten Ansprüche an Bildungsqualität zu erfüllen, weil es dort in dem Haushalt keine Spielräume mehr gibt,

(Beifall Heike Polzin, SPD)

die diesen Ansprüchen gerecht werden können. Anders gesagt, wir müssen den Punkt setzen und sagen: Schluss mit Mangelverwaltung! Hin zu mehr Möglichkeiten zur

Gestaltung progressiver Schule in Mecklenburg-Vorpommern!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und wenn Einigkeit darin besteht, dass die Verbesserung der Qualität und Effektivität von Bildung ein gesamtgesellschaftliches Anliegen ist

(Wolfgang Riemann, CDU: Wo ist denn Frau Keler bei diesem Thema? – Harry Glawe, CDU: Wo ist Frau Keler denn? Müssen wir gleich mal mit ihr diskutieren.)

und eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, dann werden wir sie mit der Strategie der Besitzstandswahrung einzelplanerischer Erbhöfe nicht lösen. Allerorts wird bei knappen Kassen die Schwerpunktsetzung als ein möglicher Weg des effizienten und erfolgsorientierten Ressourceneinsatzes gepriesen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Selbst den Minis- terpräsidenten interessiert das Thema nicht.)

Dass Schwerpunktsetzung bedeutet, dass andere Bereiche eingeschränkt werden müssen, wird häufig verschwiegen.

(Harry Glawe, CDU: Was?)

Aber Schwerpunkt bedeutet im wörtlichen Sinn, es ist ein schwerer Punkt, und damit sind andere Punkte leichter. Alle – teilweise widerstreitenden – Interessen auf ein oder mehrere Schwerpunkte zu verteilen

(Harry Glawe, CDU: Alles nach Vorpommern.)

und trotzdem an einer gemeinsamen Umsetzung zu arbeiten, das ist Aufgabe und Kunst von Politik. Wir sollten gemeinsam versuchen, diese Kunst zu lernen, nicht nur für uns, sondern für die Zukunft unseres Landes,

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

die in der Zukunft kommender Generationen liegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, PDS und Wolfgang Riemann, CDU)