Protocol of the Session on April 13, 2000

Ich schließe die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, und unterbreche die Sitzung für zwei Minuten.

Unterbrechung: 15.03 Uhr __________

Wiederbeginn: 15.05 Uhr

Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung.

An der Abstimmung haben insgesamt 61 Abgeordnete teilgenommen. Mit „ja“ stimmten 21 Abgeordnete, mit „nein“ stimmten 40 Abgeordnete, es enthielt sich kein Abgeordneter. Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1216 abgelehnt.

Die Abgeordnete Frau Lorenz von der Fraktion der PDS hat entsprechend der Vorgabe des Rechtsausschusses zu Paragraph 51 Absatz 2 der Geschäftsordnung erklärt, dass sie sich der Abstimmung enthalten hat. Ich erteile der Abgeordneten Frau Lorenz von daher das Wort zur Abgabe einer Erklärung gemäß Paragraph 51 Absatz 2 der Geschäftsordnung. Bitte, Frau Lorenz.

Ich möchte erklären, warum ich mich an dieser Abstimmung nicht beteiligen konnte.

Der Antrag der CDU-Fraktion hat nach meiner Auffassung unzulässig zwei verschiedene Dinge miteinander in einer Weise verknüpft, die es mir unmöglich gemacht haben, mich hier zu beteiligen, nämlich erstens das Bekenntnis zur Bundeswehr, das man mir nicht abringen kann, und zweitens das Bekenntnis zu den Beschäftigten in Neubrandenburg.

(Beifall Peter Ritter, PDS)

Wir sind für den Erhalt der Arbeitsplätze, ich bin für den Erhalt der Arbeitsplätze in Neubrandenburg, aber der Weg ist nicht die Befürwortung der Bundeswehr auf ewig und ist nicht die Befürwortung von Rüstungsproduktion in Mecklenburg-Vorpommern, sondern der Weg ist nach meiner Auffassung, Alternativen für die Beschäftigen durch ein Konversionsprogramm zu eröffnen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das wurde von der CDU acht Jahre lang leichtfertig versäumt und deswegen ist dieser Antrag in meinen Augen nichts anderes als eine Geiselnahme des Parlaments.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Jürgen Seidel, CDU: Das stimmt doch nicht. – Zuruf von Erhard Bräunig, SPD)

Von der PDSFraktion wurde die Einberufung des Ältestenrates beantragt.

Ich unterbreche die Landtagssitzung für fünf Minuten und berufe den Ältestenrat ein.

Unterbrechung: 15.08 Uhr __________

Wiederbeginn: 15.25 Uhr

Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 21: Beratung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD – Anerkennung der Gebärdensprache, Drucksache 3/1220.

Antrag der Fraktionen der PDS und SPD: Anerkennung der Gebärdensprache – Drucksache 3/1220 –

Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort zur Begründung erteile, möchte ich Ihnen mitteilen, dass entsprechend einer Vereinbarung im Ältestenrat während der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt ein Gebärdensprachendolmetscher neben dem Rednerpult stehen und übersetzen wird.

(Beifall bei den Abgeordneten)

Ich denke, es tut unserem Landtag gut, dass wir nicht nur die Sprache, sondern die Gebärde hier auch mal erleben.

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Müller von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Frau Müller.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste!

Herr Marquardt, Frau Bornhöft, die beiden Menschen, die heute hier in Gebärdensprache übersetzen werden, möchte ich extra begrüßen. Und ich möchte wirklich die Augen der Abgeordneten auf diese beiden Menschen richten. Sie brauchen nicht zu versuchen, die Gebärden für sich zu übersetzen. Das ist die Sprache unserer Gehörlosen. Aber versuchen Sie bitte zu erfassen, wie schön, wie tänzerisch es eigentlich aussieht, wenn Gehörlose oder ihre Dolmetscher mit den Gehörlosen reden. Auch das, denke ich mir, ist schon ein Stückchen Akzeptanz.

Aber nun zur Einbringung.

Meine Damen und Herren, Menschen mit Sinnesbehinderung sind nun mal gezwungen, ihre Sinnesbehinderung

dadurch zu kompensieren, dass sie auf Dinge zurückgreifen, die für Menschen ohne Sinnesbehinderung nicht notwendig sind, die es ihnen aber ermöglichen, im täglichen Leben, in der Schule, in der Freizeit, im Beruf diese Dinge fast so zu tun wie Sie alle auch.

Sinnesbehinderungen gibt es zwei, wie Sie wissen: einmal die Hörbehinderung und einmal die Sehbehinderung. Die Hörbehinderten sind diejenigen, denen wir uns heute widmen wollen. Und es dürfte sich hier heute vielleicht als logisch ergeben, dass natürlich, wenn das Gehör ausfällt, auf andere Art und Weise miteinander kommuniziert werden muss und wir das auch akzeptieren sollten. Dazu heute unser Antrag.

Schon 1988, nämlich am 17.06., hat die EU sich mit diesem Thema beschäftigt und für die europäischen Staaten eine Empfehlung ausgesprochen, in der es heißt, dass die Zeichensprache gehörloser Menschen als formelle Sprache anerkannt werden sollte und dass dazu in europäischen Ländern Entscheidungen getroffen werden sollten, um Diskriminierungen jeder Art, für Gehörlose in diesem ganz besonderen Punkte, nicht mehr zuzulassen. 1988, also vor zwölf Jahren!

1998, im Juno, also kurz vor den Bundestags- und in manchen Ländern Landtagswahlen – ein Schelm, der Böses dabei glaubt –, setzte man sich in der Bundesregierung zusammen und akzeptierte ebenfalls, dass die Gebärdensprache als Kommunikationsform für Gehörlose anerkannt und akzeptiert werden sollte. Man hat also den Punkt unterstrichen, dass sehr wohl den Menschen vom Tier unter anderem die Sprache unterscheidet, aber die Sprache eben nicht bei allen Menschen gleich aussieht. Es wurde festgestellt – im Bundestag 1998 wie gesagt –, dass der Gehörlose gegenüber seiner hörenden Umwelt sehr wohl schlechter gestellt ist, wenn er nicht in der Lage ist, seine Gebärdensprache leben zu dürfen, durch sie kommunizieren zu dürfen, also eingeschränkt wird.

Weitere Festlegungen, gesetzliche Festlegungen vom Bund, wie denn das nun hier in unserer Bundesrepublik geschehen sollte, wurden leider nicht getroffen. Das wurde den Ländern überlassen. Und ich denke mir, dass es schon ein bisschen gewagt ist, wenn man als Hinweis an die Länder gibt, dass fachliche und finanzielle Möglichkeiten der Länder ausschlaggebend sein sollten für ihre Maßnahmen zur Anerkennung der Gebärdensprache.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es stand ja wohl Fachliches als Erstes und Finanzielles als Zweites. Aber überprüfen wir uns doch selbst, jeder einzelne Abgeordnete hier im Raum, jede einzelne Abgeordnete hier im Raum, was wohl für ein Bild auf ein politisches Feld geworfen wird, wenn immer gleich das Finanzielle als die Totschlagskeule angemahnt wird. Man verbaut damit ganz einfach im Vorfeld schon den Blick auf Dinge, die dazugehören, die vielleicht gar keine finanziellen Auswirkungen haben, die insgesamt aber in das Bild hineingehören, kuckt nur darauf, was so etwas kosten könnte, und damit ist die Sache abgetan.

Meine Damen und Herren! Ich möchte heute hier etliche Begründungen anbringen, warum man die Sachen im Ganzen betrachten muss, die Gebärdensprache, und sich nicht als allererstes hinstellen und fragen darf: Oh Himmel, Himmel, was kostet das bloß alles?! Da sind ja dann „bloß“ die Personalkosten der Gebärdendolmetscher im Visier. Meine Damen und Herren! Das ist es ganz gewiss auch, aber ganz gewiss nicht allein. Und ganz gewiss sind

von uns als Politikerinnen und Politiker hier Voraussetzungen zu schaffen, dass die Gebärdensprache in der Bevölkerung akzeptiert wird und respektiert wird.

Meine Damen und Herren, für Sie mag es hier vielleicht ganz normal sein, dass es wird. Aber dass es nicht wird, das werde ich noch an einigen Beispielen sagen und zeigen. Und ich hoffe, dass Sie daraufhin wissen, warum dieser Antrag so eingebracht wird.

Was bedeutet Anerkennung der Gebärdensprache? Schon gehörlose Kinder haben ein Recht darauf, in ihrer Art und Weise der Kommunikation die Welt erleben und begreifen zu lernen. Es ist für sie doch viel einfacher, wenn sie durch Gebärden darauf hingewiesen werden, was wo ist, als wenn sie erst einmal versuchen müssen und angemahnt werden, sich in der hörenden Umwelt praktisch so zurechtfinden zu müssen, wie es die Hörenden tun. Das ist ein Mehraufwand an Konzentration, an Lernen, den wir diesen Kindern nicht zumuten sollten.

Es geht weiter in der Schule. Natürlich ist Wissensvermittlung für Gehörlose – wie für jeden anderen Menschen auch und es ist ja ein Mensch – genauso wichtig wie für alle, Wissensvermittlung für Menschen, für Kinder ohne Gehör oder nur mit Resthören, wobei ich fragen muss, was ist darunter zu verstehen. Was ist eigentlich hörbehindert? Heißt es eigentlich „nicht hören“ oder heißt es „nicht verstehen“? Fragen Sie unsere hörbehinderten Gäste. Es ist ein Nichtverstehen. Dass sie gar nichts hören, ist unter Umständen gar nicht so, aber das Gehörte kann nicht umgesetzt werden. Sie verstehen also unsere Sprache nicht und unsere Geräusche nicht. Also: Warum muten wir den jungen Leuten in der Schule zu, dass sie ohne ihre ureigenste Kommunikation, die Gebärdensprache, in vielen Unterrichtsstunden auskommen müssen?

Es geht weiter: Lehre, Bildung, Weiterbildung, Studium. In allen diesen von mir angeführten Beispielen ist die Vermittlung des Wissens durch Lautsprache eigentlich die gängige. Deshalb ist es natürlich ungeheuer wichtig, dass Gehörlose auch in der Schule lernen, vom Mund abzulesen beziehungsweise selber zu sprechen. Das wird nicht immer hundertprozentig gelingen und führt auch dazu, dass Informationen verloren gehen, aber es gehört dazu, um sich in der sehenden und hörenden Umwelt zurechtzufinden.

Warum habe ich hier die sehende Umwelt mit einbezogen? Ganz einfach deshalb, weil es mir eigentlich bisher noch nicht über den Weg gelaufen ist, dass irgendjemand von der sehenden Umwelt unsere Brailleschrift, unsere Punktschrift, als nichtdeutsche Sprache definiert, obwohl er sie natürlich genauso wenig lesen kann wie er die Gebärden eines Gebärdendolmetschers übersetzen kann beziehungsweise sich in ein Gespräch unter Gehörlosen einmischen kann. Trotzdem, es ist eine Sprache. Es ist eine Art der Kommunikation.

Deshalb ist es wichtig, dass Gebärdendolmetscherinnen und -dolmetscher schon zur Verfügung stehen, wenn Bedarf ist, und das betone ich: wenn Bedarf ist. Man möge mir bitte nicht unterstellen, dass ich heute hier beantragt habe, dass jeder Kindergarten ab sofort einen gebärdensprachigen Erzieher hat. Das wäre schön, das gebe ich zu, aber wir sollten auch auf dem Teppich bleiben. Aber wenn in einer Sonderschule für Menschen mit Hörbehinderungen es Pädagogen gibt, die die Gebärdensprache nicht können, weil die gesellschaftliche Akzep

tanz nicht da ist, und sie sich auch nicht genötigt fühlen, sie zu lernen, wenn Pädagogen an Sonderschulen deshalb die Meinung vertreten, gehörlose Kinder müssen die Lautsprache lernen auf Biegen und Brechen und müssen das perfekt vom Mund ablesen lernen, dann, sage ich, ist das ein Ausdruck dessen, dass eben diese Respektierung der Gebärdensprache bei uns noch lange nicht vorhanden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Gebärdendolmetscher sind das eine, aber das Lehren der Gebärdensprache in der Schule oder schon den Kindern in der Kindertagesstätte oder auch den Eltern, die vielleicht ein gehörloses Kind haben, sollte genauso dazugehören.

Wir sind hier heute da als SPD- und PDS-, oder nehmen Sie es anders herum, PDS- und SPD-Fraktion – so ist es mit den Buchstaben, das hörte ich heute schon einmal –, um für diese Akzeptanz und Respektierung der Gebärdensprache nicht nur zu werben, sondern Schritte zu zeigen, wie wir in die richtige Richtung gehen können.

Was sind denn nun eigentlich die Hindernisse und Barrieren, die bisher die Gebärdensprache nicht in den Fluss gebracht haben, wo wir so gern hinwollen? Einmal muss man es noch deutlich sagen: In dem Moment, wo ich nicht akzeptiere und keine gesellschaftliche Grundlage biete, sind bestimmte Menschen einfach nicht bereit, sich mit dem Problem zu beschäftigen, weil es ein Problem ist, ein so genanntes Randproblem, für Randgruppen. Da kann ich nur sagen, meine Damen und Herren: Was wäre die Mitte, wenn der Rand nicht da wäre? – Dann würde sie sang- und klanglos auseinander fallen.

Außerdem haben wir als hörende Umwelt überhaupt nicht das Recht, unseren Gehörlosen irgendwie vorzuschreiben, wie sie bitte ihr tägliches Leben zu bewältigen haben. Das sind Fesseln, die wir anlegen würden, und das steht uns nicht zu. Menschen mit Beeinträchtigungen – ich sage dieses Wort mit Absicht wieder, damit es sich langsam einprägt – haben das Recht, selbstbestimmt ihr Leben zu führen, und sollten dafür aber in der Gesellschaft die Möglichkeit haben. Und diese Möglichkeit wollen wir hier für sie heute mindestens anschieben.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Ich habe schon davon gesprochen, dass das Ablesen vom Mund und das Lernen der Sprache, so es überhaupt möglich ist, natürlich immer eine wichtige Ergänzung bleiben wird. Das wollen die Gehörlosen selbst. Aber bitte, meine Damen und Herren, dass wir uns hinstellen und sagen, wir möchten das nicht, weil wir dann ausgeschlossen sind, das halte ich für unfair.