Protocol of the Session on April 12, 2000

Ich meine, man muss aufpassen, wir sollten sehr wohl aufpassen, dass wir die Jugend nicht schlecht reden, sondern wir sollten sie motivieren, sich einzubringen in die Gesellschaft und Leistungsfähigkeit zu entwickeln.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Über den Weg, glaube ich, können wir sie auf ihre Lebensperspektive vorbereiten. Und sie sind dann weder verängstigt noch leichtsinnig und unbekümmert, sondern die Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern – davon bin ich zutiefst überzeugt – sind entschlossen, die Herausforderungen anzunehmen, die sie realistisch vor sich sehen. Sie wollen diese Herausforderungen meistern.

Auffällig ist allerdings, meine Damen und Herren, dass in fast allen von der Shell-Studie untersuchten Themenbereichen der Unterschied zwischen Ost und West größer geworden ist. Das ist bedenklich und da muss man sich also fragen, auch ich als Minister muss mich fragen, ob wir alles dafür tun, dass die Jugendlichen in MecklenburgVorpommern, dass die Jugend tatsächlich die Chancen ergreifen kann, um an beruflicher Ausbildung, Arbeit und Wohnung teilzuhaben. Fragen müssen wir uns also, was wir dafür tun, die Jugend auf die Zukunft vorzubereiten. Die Schwierigkeiten der Lebens- und Zukunftsgestaltung, die von vielen Jugendlichen in östlichen Landesteilen erkannt werden, ergeben sich nach der Shell-Studie nicht aus einer mangelnden Bereitschaft zur Anstrengung und Leistung und die Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern leben nicht überwiegend spaßbetont oder frustriert, wie manche Erwachsene oder Lehrer glauben mögen. Ihre Ängste vor der Zukunft stammen aus den objektiv unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Aufs Ganze betrachtet, auch das bestätigt die Shell-Studie, sind unsere jungen Menschen nämlich einsatzbereiter, höher motiviert und leistungsorientierter im Vergleich zu den westdeutschen Jugendlichen.

Jugendliche ahnen offensichtlich sehr genau, dass sich die Arbeitsgesellschaft deutlich ändert und sich die Lebenskonzepte ihrer Eltern nicht mehr auf ihre Generation verlängern lassen. Und im Übrigen, wie auch wir als Jugendliche will die heutige junge Generation anders leben und anders arbeiten als die ältere Generation. Auch das muss man akzeptieren.

(Beifall Heike Lorenz, PDS)

Aber gerade in dem Wandel der Arbeitsgesellschaft, in dem Wandel aller Lebensbereiche haben sie eine größere

Chance, ihren Wunsch und ihren Willen nach einem anderen Leben, nach einem anderen Arbeitsverständnis tatsächlich auch zu realisieren. Und dazu gehört eben, dass Erwerbsbiographien anders sein werden als in der Vergangenheit. Es wird nicht immer die glatte Straße von der Ausbildung über den Einstieg in den Beruf bis zur Rente sein, sondern es wird Unterbrechungen geben und es wird immer wieder permanente Neuanfänge geben müssen. Und Jugendliche stellen sich darauf ein und wir müssen sie dabei unterstützen.

Natürlich – und das ist ja nicht unbekannt – ist die Jugendarbeitslosigkeit in unserem Land trotz finanzieller Verstärkung aus dem Jugendsonderprogramm des Bundes noch viel zu hoch. Besonders in der Altersgruppe der 20- bis 25-Jährigen ist jeder vierte bis fünfte junge Mensch bis zu drei Monaten nach Ausbildungsende ohne Arbeit. Von dieser Arbeitslosigkeit sind vor allem Jugendliche betroffen, die eine abgeschlossene Ausbildung haben und nun als junge Fachkräfte keine Erstbeschäftigung finden. Das ist, meine Damen und Herren, der eigentliche Skandal. Und wir müssen uns fragen, was ist hier zu tun.

Auf der einen Seite – das ist jedem klar, der sich damit beschäftigt – geht es, wenn es keinen Anschluss gibt nach der Berufsausbildung, um einen Wissensverlust, Fähigkeiten werden nicht weiterentwickelt. Die Halbwertszeit einer modernen Ausbildung beträgt heute keine drei Jahre mehr. Andererseits ist die Persönlichkeitsentwicklung gestört, auch das muss man berücksichtigen. Wer als junger Mensch nach Ausbildungsende keine Arbeit findet, droht aus unserer Gesellschaft herauszufallen. Und über Kriminalitätsentwicklung und andere Exzesse in unserer Gesellschaft ist ja schon ausreichend diskutiert und berichtet worden.

Ich hatte Anfang März Gelegenheit, in Wismar anlässlich einer Konferenz zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit abends mit Jugendlichen zu diskutieren. Ein junger Gärtner hat über seine Erfahrungen berichtet. Er sagte, ich bin 25 Jahre alt und will ordentlich arbeiten. In der Regel hat er über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verbunden mit weiterer Qualifizierung dann keine weitere Anstellung gefunden. Jugendliche, junge Menschen erwarten von uns zu Recht einen Platz, in dem sie ihren Beruf ausüben können, Geld verdienen und anerkannt sind. Diese Dinge verbinden sie. Und deswegen habe ich in meinem Ministerium besonderen Wert darauf gelegt, dass die Erstbeschäftigungschancen junger Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt verbessert werden

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

und dass nach abgeschlossener Ausbildung möglichst viele junge Leute, Jungen und Mädchen, eine Chance einer ersten wirklichen Arbeit in ihrem Beruf haben.

Wir haben, weil Herr Seidel nach Taten fragte, das Programm „Jugend baut“ auf den Weg gebracht, übrigens zurückgehend auf eine Forderung der Jugend auf der Job-Parade hier, 1998 war es wohl, in Schwerin.

(Beifall Reinhard Dankert, SPD, und Heike Lorenz, PDS)

Wir haben jetzt diese Richtlinie in Kraft gesetzt und ich kann Ihnen sagen …

(Wolfgang Riemann, CDU: Wie viel haben Sie in diesem Topf, Herr Holter?)

Immer mit der Ruhe!

(Wolfgang Riemann, CDU: Jaja! Jaja! Dann sagen Sie es auch!)

Das Geld …

(Wolfgang Riemann, CDU: Wie viele Leute kön- nen Sie damit in einen Job bringen? Wie viel?)

Herr Riemann, ein bisschen Geduld, ich komme gleich zu der Zahl.

Durch die gemeinsame Förderung mit den Arbeitsämtern haben Jugendliche aufgrund unserer Investitionszuschüsse in gemeinnützige Einrichtungen zum ersten Mal die Chance, Arbeit in einem Wirtschaftsbetrieb aufzunehmen. In Neukloster – ich nenne jetzt mal die Orte, auch für die Wahlkreisarbeit –, Ludwigslust, Torgelow, Rostock und Bützow ist zusätzlich Arbeit im Baubereich von Schulen, Jugendeinrichtungen, Kindergärten und Landschulheimen durch Investitionen möglich geworden, die nunmehr von jungen ausgebildeten Fachkräften in bewährten Betrieben ausgeführt werden. Wir können heute sagen, dass rund 100 junge Facharbeiter

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

über dieses Programm eine Anstellung finden und ihre beruflichen Fähigkeiten entwickeln werden.

Herr Riemann, ich gebe Ihnen ja Recht – und darüber muss man ja mal diskutieren –, ich gebe Ihnen ja Recht, uns allen, glaube ich, reicht das Geld, das in diesem Topf ist, nicht aus. Ich würde da noch viel mehr Geld reinstecken,

(Angelika Gramkow, PDS: Darüber werden wir auch noch reden müssen.)

um hier jungen Leuten eine Anstellung zu geben.

Zweite Sache, das Programm „Duo“. Dieses Programm wird auch noch in diesem Sommer anlaufen. Sie wissen, dass es hier um ein Programm geht, das seitens der Unternehmensverbände gemeinsam mit den Gewerkschaften in den Gesprächen des Bündnisses für Arbeit entstanden ist. Hier geht es darum, dass junge Fachkräfte nach einem halben Jahr branchenspezifischer Tätigkeit in gemeinwohlorientierten Diensten ein weiteres halbes Jahr in Betrieben arbeiten werden. Durchsetzt mit berufsspezifischen Bildungsinhalten wachsen die Jugendlichen so langsam in den Betrieb hinein. Für manch einen ist es wichtig, diese ersten Erfahrungen zu sammeln, und man sollte solch eine Wirkung nicht unterschätzen, zumal hiermit auch eine Zertifizierung verbunden ist. Und das ist ja dann auch für die weitere berufliche Karriere ein Gewinn. Übrigens haben auch die Betriebe einen Gewinn davon. Sie können die jungen Menschen kennen lernen und bilden sozusagen einen Personalpool zukünftiger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Ich möchte Sie darauf orientieren – und Sie finden das auch in den Fächern –, dass in Schwerin am 1. Mai zum dritten Mal die Job-Parade stattfinden wird. „Jugend kann nicht warten“ – das ist ein richtiger Slogan, der hier aufgemacht wird. Es geht jetzt darum, berufliche Bildung und Arbeit zu organisieren, und nicht, die Jugendlichen zu vertrösten. Und ich will hier anmerken: Noch tanzen und singen die Jugendlichen. Ich möchte nicht, dass die Kraft und das Engagement der jungen Menschen in Schwerin sich in etwas anderes, in einer destruktiven Art und Weise entladen.

Ich möchte zum Ende kommen und Sie daran erinnern, was letztes Jahr auf einem der großen Wagen stand. Es klingt wie eine Drohung an uns, aber es ist die Herausforderung, die wir annehmen sollten. Dort stand: „So, wie ihr uns jetzt fördert, werden wir uns morgen um euch kümmern.“ – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Staszak von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Frau Staszak.

(Angelika Gramkow, PDS: Warum bin ich denn jetzt nicht dran? Das verstehe ich nicht, Herr Präsident. Aber gut.)

Sie sind die nächste Rednerin nach dem Plan, der hier erarbeitet worden ist.

(Angelika Gramkow, PDS: Ich weiß, der Minister hat es durcheinander gebracht. Danke schön. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beziehe mich auch auf die Jugendstudie 2000, denn diese versucht, ein möglichst umfassendes repräsentatives Bild der heutigen Jugend zu zeichnen. Dem Thema Jugendliche im Osten und Westen Deutschlands und der Frage nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Jungen und Mädchen wird dabei eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Ich möchte mich in meiner Bewertung der Ergebnisse auf die Erkenntnisse beschränken, die aus gleichstellungspolitischer Sicht zum Nachdenken über die Politik in Mecklenburg-Vorpommern anstoßen.

Der zentrale Zukunftswunsch ist sowohl für die in Ostdeutschland befragten Mädchen als auch für die befragten Jungen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ihre Anstrengungen konzentrieren sich auf diese beiden Bereiche. Ihr Lebenskonzept lautet, Familie und Beruf, und nicht, entweder – oder. Damit bestätigt die Shell-Studie unsere kleine Untersuchung in Mecklenburg-Vorpommern.

Zum Erreichen dieser Ziele zeichnen sich die Mädchen und jungen Frauen in Ostdeutschland vor allen anderen Gruppen in der Studie durch eine sehr hohe Leistungsund Mobilitätsbereitschaft aus. Die ermittelte Leistungsbereitschaft der Mädchen in Ostdeutschland ist um 6,6 Prozent höher als die der Mädchen in Westdeutschland und um 6,4 Prozent höher als die der Jungen in Ostdeutschland. Die als Zeichen individueller Flexibilität zu begrüßende Mobilitätsbereitschaft, das heißt die Bereitschaft, den bisherigen Wohnort gegen einen neuen einzutauschen, liegt bei den jungen Frauen in Ostdeutschland sogar um 8,7 Prozent höher als bei der gleichaltrigen Gruppe in Westdeutschland.

Trotz der hohen persönlichen Einsatzbereitschaft finden speziell die jungen Frauen in Mecklenburg-Vorpommern offenbar nicht die Voraussetzungen, um hier ihre Lebenskonzeption zu realisieren. Der 1998 angestiegene Wanderungsverlust Mecklenburg-Vorpommerns war vor allem auf die Fortzüge junger Menschen im Alter von 15 bis 30 Jahren zurückzuführen. Die Betrachtung nach dem Geschlecht zeigt, dass deutlich mehr junge Frauen als junge Männer das Land verlassen, um ihre beruflichen

Perspektiven umzusetzen. 1998 verlor Mecklenburg-Vorpommern gut doppelt so viele Frauen wie Männer.

Des Weiteren liefert uns die Shell-Studie auch einen Hinweis darauf, dass die jungen Frauen in Ostdeutschland ihre persönliche Zukunft hier als nicht gesichert sehen, denn die Zuversicht hinsichtlich der eigenen Lebenssituation wird von keiner anderen Gruppe so skeptisch beurteilt wie von den Mädchen und jungen Frauen in Ostdeutschland.

Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Die Mädchen und jungen Frauen in Ostdeutschland zeichnen sich im bundesweiten Vergleich durch eine besonders hohe Leistungs- und Einsatzbereitschaft zur Verwirklichung ihrer eigenen Ziele aus.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Die Jugendlichen sehen ihre persönliche Lebensperspektive in einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In Mecklenburg-Vorpommern scheinen die Rahmenbedingungen speziell für junge Frauen zur Verwirklichung ihrer Lebensziele nicht befriedigend zu sein.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Hört, hört!)

Mecklenburg-Vorpommern verliert deshalb viele für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft dringend benötigte junge Menschen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Hört, hört!)

Es ist also ein erheblicher politischer Handlungsbedarf zu erkennen, möchte man den geschilderten Trend stoppen und umkehren. In welche Richtung die Maßnahmen im Einzelnen gehen müssten, möchte ich hier andeuten: Die Arbeitslosenquote von Frauen liegt in MecklenburgVorpommern immer noch über der Quote der Männer. Dieses schreckt leistungsbereite junge Frauen ab.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Trotz SPD und PDS.)

Nee, nee, nee, so einfach ist das nicht. Das wissen Sie ja auch.