Protocol of the Session on March 16, 2000

Erstens. Für Leitbilder ist letztlich jede Partei selbst verantwortlich. Ich gehe davon aus, dass Sie welche haben, Herr Markhoff, ich spreche Sie mal als CDU im Ganzen an. Insofern bin ich auch daran interessiert, welche Leitbilder Sie denn für sich nennen wollen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Es geht nicht um Parteien, es geht um Ihr Amt. Sie müssen was sagen. – Reinhardt Thomas, CDU: Sie sind Innenminister der Koalition, ne?!)

Ich als Innenminister – Herr Dr. Jäger, nun kommen wir zu mir und zu meinem Amt, Herr Markhoff hat ja schon darauf abgehoben – habe den Entwurf für eine Rechtsverordnung zu den Zusammenschlüssen von Gemeinden und Ämtern vorgelegt,

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

und zwar auf der Basis des Finanzausgleichsgesetzes. Das Finanzausgleichsgesetz bestimmt, dass für diese Zusammenlegung jährlich 10 Millionen DM – 5 Millionen DM

aus dem FAG und 5 Millionen DM aus dem Landeshaushalt – zur Verfügung gestellt werden. Ich will Ihnen diese Rechtsverordnung jetzt im Einzelnen nicht vortragen. Sie wissen ja, dass ich sie Ihnen schon dargestellt habe.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sehr selektiv.)

Ich will Ihnen nur sagen, dass zu dieser Rechtsverordnung natürlich auch die Stellungnahmen der Verbände eingeholt werden. Ich lese Ihnen mal vor, was der nicht immer unkritische Landkreistag sagt: „Der Vorstand des Landkreistages Mecklenburg-Vorpommern hat die im Entwurf konkretisierten Überlegungen über die Gewährung von Zuweisungen bei der Auflösung von Gemeinden und bei der Neubildung von Ämtern und Verwaltungsgemeinschaften im Grundsatz als eine sinnvolle Fortentwicklung zur Förderung von Fusionen zustimmend zur Kenntnis genommen.“ Und genau das, Herr Markhoff, ist gewollt. Wir wollen eine Fortentwicklung mit qualitativen Kriterien, die die Qualität der Verwaltungsmodernisierung auch beurteilen sollen, auf den Weg bringen. Diese qualitativen Kriterien sind letztlich die entscheidenden Punkte in der Debatte über die nächsten Jahre. Wir haben ja ausdrücklich gesagt, in dieser Legislaturperiode geht es freiwillig zu. Aber es spiegelt sich in dieser Rechtsverordnung auch das wider, was Sie meinetwegen mit „das Leitbild des Innenministers“ bezeichnen können.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist alles?)

Es geht darum, Herr Dr. Jäger, zukunftsfähige Gemeinden und Ämter auf freiwilligem Wege, in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist aber nicht genug.)

Und ich bin sehr gespannt auf die Gegenvorschläge der Opposition. Ich nehme sie gerne zur Kenntnis.

Abschließend will ich Ihnen sagen, dass nach meiner Vorstellung die Phase der Freiwilligkeit sehr wichtig ist, um die Einbindung der Gemeindevertreter, auch der Amtsverwaltungen, aber vor allem der Bürger in diesen Prozess zu organisieren.

(Beifall Gabriele Schulz, PDS)

Aber es muss natürlich – und der Zeitpunkt wird wahrscheinlich nach den nächsten Landtagswahlen erreicht sein – über die Frage der Gemeindegebietsstruktur dann intensiv gesprochen werden, wenn der Weg der Freiwilligkeit nicht ausreicht. Und ich nehme an, dass die Enquetekommission sich dieser Aufgabe stellt.

Ich wünsche der Enquetekommission – das sage ich ausdrücklich auch als jemand, der, wie gesagt, in diesem Land die Diskussion verfolgt – eine gute und konstruktive und vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre und natürlich solide Arbeitsergebnisse. Anhand der Bürgermeister, die Sie sich als Experten holen werden, bin ich davon überzeugt, dass Sie eine solide Arbeitsatmosphäre bekommen, denn in den Gemeinden, die Sie hier mit den Bürgermeistern bezeichnen, ist dieser Prozess ja sehr interessant und zum Teil auch sehr gut gelaufen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Herr Innenminister.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Schoenenburg von der PDS-Fraktion. Bitte schön, Herr Dr. Schoenenburg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hat doch wohl schon eine längere Vorgeschichte. Obwohl die heutige kommunale Landschaft weitestgehend mit der Amtsordnung von 1992 geschaffen wurde und noch 1997 von der damaligen CDU/SPD-Landesregierung als bewährt und akzeptiert dargestellt wurde, hat das Leben neue Fragen gestellt.

Wohlgemerkt: Wir, die PDS, haben 1992 und in den Jahren danach immer dafür gestritten, dass die vielen kleinen Gemeinden, die unser Land hat, erhalten bleiben, weil wir meinen, dass natürlich in den vor allen Dingen ländlichen, dörflichen Gemeinschaften sehr viel Identität gestiftet werden kann. Aber man muss auch die Zukunft sehen und man muss sehen, dass neue Fragen herangereift sind. Nach fast acht Jahren Amtsordnung stehen die Ergebnisse dieser Amtsordnung einfach auf der Prüfscheibe. Da muss man sich entscheiden, wie man hier im Land mit den Kommunen, mit den Gemeinden umgehen will.

Ich will auch gleich noch sagen, der Titel, der beabsichtigt ist für die Enquetekommission, ist ja nicht die Gemeindestruktur. An erster Stelle stehen hier zukunftsfähige Gemeinden. Demzufolge, und das wird eine wichtige Aufgabe der Enquetekommission sein, müssen wir uns über den Inhalt verständigen. Was haben die Kommunen in Zukunft zu leisten

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist unser Antrag. Genau so!)

und was können sie leisten? Das ist sozusagen der Knackpunkt. Wenn man sich darüber einig wird, kann man anschließend auch über Strukturen reden, wobei jeder weiß, dass man das gleiche Ziel – sozusagen ein Axiom der Kybernetik – mit unterschiedlichen Strukturen erreichen kann. Dort gibt es keine Eineindeutigkeit.

Um welche Fragen wird es gehen?

1. Ist eine grundlegende Erörterung über die Zukunft der Kommunen unseres Landes, eingeschlossen auch Fragen einer möglichen Gebietsreform, nötig und aktuell?

2. Steht die jetzige Ämterstruktur generell zur Disposition?

3. Lassen die besonderen Bedingungen unseres Landes –

wir haben ja bekanntlich die absolut niedrigste Besiedlungsdichte in der ganzen Bundesrepublik und weite ländliche Räume – eine unkritische Übernahme von Modellen von anderswoher zu?

4. In welchem Verhältnis stehen bestimmte Verwaltungseffekte und eine höhere Leistungsfähigkeit bei zusammengeschlossenen Gemeinden mit dem möglichen – ich betone, möglichen – Abbau von Demokratie und mit einem vielleicht eintretenden Verlust von gemeindlicher Identität?

5. Was ist mit den größten Gemeinden des Landes, den kreisfreien Städten? Haben Sie in der jetzigen Weise Bestand und Zukunft?

6. Schließlich müssen wir uns fragen – und das ist auch Aufgabe der Enquetekommission –, wer hat den Hut auf in der Diskussion und bei der Entscheidung der Probleme?

Wir sind der Meinung – und deswegen sind wir auch in den letzten Monaten immer wieder dafür eingetreten, dass es eine Enquetekommission sein soll –, dass hin

sichtlich der Zukunft der Kommunen eine gründliche Diskussion im Land insgesamt unter Einbeziehung der vielen Interessenvertreter und der Menschen selbst und unter Verantwortung des Parlaments zu führen ist. Das ist unser Ansatz. Diese Frage strittig in dem üblichen Ritual zwischen Koalition und Opposition ausschließlich im Landtag zu führen oder in der Verwaltung, das würde höchstens zu einem Fiasko beitragen.

Der Antrag bestätigt, dass sich die Auffassung weitestgehend durchgesetzt hat, dass weder Schnellschüsse noch allein finanzielle Hebel zu durchdachten Lösungen führen. Wir brauchen eine gründliche Bestandsaufnahme und auf dieser Grundlage die Ausarbeitung von Vorschlägen und Lösungsansätzen.

Dabei sage ich deutlich, dass wir gut beraten sind, die Realitäten in unserem Land, bezogen auf die kommunale Selbstverwaltung, unverfälscht wahrzunehmen. Bei diesen Realitäten kann man natürlich trefflich darüber streiten, ob wir bei Gemeindefusionen Demokratieverlust zum Beispiel vor allem über die Verringerung der Zahl der Mandate und Verlust an Bürgernähe der Verwaltung vor allem über die Reduzierung der Zahl ehrenamtlicher Bürgermeister zulassen dürfen. Auch Argumente, die die historische und kulturelle Geschichte von Gemeinden betreffen, und Fragen der Identität besonders der vielen kleinen historisch gewachsenen ländlichen Gemeinschaften lassen sich jederzeit begründen. Ich glaube aber, dass das entscheidende Argument für eine Enquetekommission ein Weg ins wirkliche Leben sein muss.

Dabei ist festzustellen, dass immer mehr kleine Gemeinden nur noch über Einnahmen aus dem kommunalen Finanzausgleich verfügen, die gerade ausreichen, um die Kreis- und Amtsumlage sowie die Aufwandsentschädigung für den ehrenamtlichen Bürgermeister sowie die Sitzungsgelder der Vertreter zu bezahlen. Es ist festzustellen, dass Investitionen zum Teil faktisch unmöglich sind, weil die dafür notwendige Inanspruchnahme von Fördermitteln – egal ob vom Land, vom Bund oder von der EU – wegen der fehlenden Komplementärmittel kaum möglich ist.

Drittens. Die Ämter haben sich, was wir übrigens seinerzeit vorausgesagt haben, nämlich 1992 bereits, aus Schreibstuben der Gemeinden vielerorts in Bestimmer der Gemeinden verwandelt. Aber Wohlbefinden der Einwohnerinnen und Einwohner und ihre Verbundenheit mit ihrem Heimatort nehmen auf Dauer Schaden, wenn sich, wie es vielerorts jetzt üblich ist, nichts mehr bewegt, nichts erkennbar Neues entsteht. Wir alle wissen doch, dass allein die hohe Arbeitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit vor allem junger Menschen oft der Grund sind, dass der Heimatort verlassen wird. Eine zunehmende Überalterung tritt in vielen Gemeinden früher oder später ein.

Und schließlich, Vorstellungen über wirklich effektiv arbeitende bürgerfreundliche Kommunen können letztlich nicht am grünen Tisch entstehen. Ich wage schon heute die Prognose, dass es in unserem Land keine völlig einheitliche Struktur bei der Wahrnahme kommunaler Selbstverwaltung geben wird. Allein ausgehend von formalen Betrachtungen und auf der Grundlage von durch den Rechner ausgewiesenen Einsparungen kann das kommunale Leben nicht dirigiert werden. Ich habe deshalb auch größte Bedenken, wenn bereits heute unter Bezugnahme auf Gutachten Zahlen ins Spiel gebracht werden, wonach sich die jetzige Zahl von annährend 1.000 Gemeinden auf unter 200 reduzieren müsse. Den Beweis für ein wesentli

ches Mehr an kommunaler Selbstverwaltung kann eine abstrakte Diskussion über die Zahl der Gemeinden nicht erbringen.

Ich bin deshalb dafür, dass alle Fragen und Vorstellungen zur Zukunft der Kommunen unseres Landes gründlich mit Praktikern, Wissenschaftlern, mit Einwohnerinnen und Einwohnern der Gemeinden selbst diskutiert werden. Neben Vorstellungen von Leitbildern sind auch Fragen der Umsetzbarkeit und der Praktikabilität zu beantworten. Die Grundsätze der Freiwilligkeit und die Beachtung von Vorstellungen der Einwohnerinnen und Einwohner haben für meine Fraktion eine hohe Priorität.

Ich verhehle nicht, dass Überlegungen zur Zukunft der Kommunen und zu möglicherweise veränderten Kommunalstrukturen auch Fragen für die weitere Ausgestaltung der Kommunalverfassung und des Kommunalwahlgesetzes aufwerfen, zum Beispiel zu den Kompetenzen der Vertretungen, zur Größe der Vertretungen, zum Verhältnis der Vertretungen zu den hauptamtlichen Bürgermeistern und Landräten sowie zu den Ortsteilen und ihren Vertretungen. Auch Möglichkeiten der stärkeren Bürgermitwirkung an der Gestaltung des kommunalen Lebens müssen gründlich durchdacht werden.

Meine Damen und Herren, in diesem Sinne bin ich für konzeptionell durchdachte Untersuchungen und Beratungen der Enquetekommission. Es sollte ein gemeinsames Ziel sein, durch die Überweisung des vorliegenden Antrages in die Ausschüsse den Untersuchungsauftrag inhaltlich weiter auszugestalten und auch abzugrenzen und uns über weitere Schwerpunkte wie Arbeitsprinzipien und Ausstattung zu verständigen sowie selbstverständlich auch die notwendigen finanziellen Mittel zu bewilligen, damit diese Enquetekommission vernünftig arbeiten kann. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Herr Kollege.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Jäger von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben den Vortrag des Innenministers gehört und wir haben den Vortrag von Herrn Schoenenburg gehört. Der Innenminister hat mehrfach gesagt: „Ich komme noch zur Sache.“ und „Man muss die Debatte offen und ehrlich führen.“ Ich habe bis zum Schluss gewartet, aber ich habe nicht herausbekommen, welche Vorstellungen der Innenminister hat. Er hat sehr breit darüber gesprochen, was andere gesagt haben. Er hat seinen Kollegen aus Sachsen, Klaus Hardraht, erwähnt und er hat gesagt, dass er sogar mitbekommen hat, was er da gesagt hat. Sie hätten gern dabei sein können. Ich hätte gerne mal Sie beide zusammen auf dem Podium gehabt.

(Minister Dr. Gottfried Timm: Ich war ja nicht eingeladen, Herr Dr. Jäger.)

Der Kollege Hardraht ist natürlich in einer günstigeren Position. Er hat dies schon gemacht. Und er hat von Anfang an gesagt, wo die Landesregierung hin will.

(Gerd Böttger, PDS: Die haben aber auch die absolute Mehrheit.)