Antrag der Fraktion der CDU: Qualitätssicherung und -entwicklung an allgemein bildenden Schulen in Mecklenburg-Vorpommern – Drucksache 3/1140 –
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir leben derzeit in einer Situation, an deren Weggabelung sich nicht weniger als die Zukunft dieses Landes entscheiden kann. Deutlich wird dies an drei aktuellen Themen der politischen Diskussion: Trotz hoher Arbeitslosigkeit wird die Anwerbung ausländischer Spezialisten für die IT-Branche eingeleitet. Bei der Besetzung hoher internationaler Posten zeigt sich eine relativ dünne Decke höchstqualifizierten deutschen Personals. Telekom und AOL bieten an, alle deutschen Schulen ans Internet zu bringen.
Ich meine, in allen Fällen wird deutlich, dass wir nicht mehr über potentielle künftige Bildungsprobleme spekulieren müssen, sondern dass wir ein aktuelles Bildungs
problem haben. Wenn keine IT-Spezialisten da sind, dann auch, weil wir einen Ausbildungszug verpasst haben müssen. Wenn nicht viele Deutsche in internationalen Positionen wirken, dann vielleicht auch deshalb, weil bei uns im Gegensatz zu Frankreich Elitenbildung lange ein Schimpfwort war, bei einigen bis heute ist. Wenn Telekom und AOL morgen unsere Schulen ausstatten, dann auch darum, weil der Staat gestern darauf verzichtet hat und am falschen Ende sparte.
Meine Damen und Herren, wie sieht die Wirklichkeit aus? Trotz der Ankündigung einer Verdopplung des Bundesforschungshaushaltes im Wahlkampf 1998 haben wir eine Herabsetzung um 340 Millionen DM erlebt. Andere Länder wie Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg legen dagegen Zukunftsprogramme auf.
Meine Damen und Herren, es ist deshalb viel zu tun an der sogenannten Bildungsfront. Schulen müssen optimal ausgestattet werden, Lehrpläne modernisiert, Ausbildungszeiten verkürzt, die Bildungslandschaft erweitert, Lehrerbildung forciert und der Leistungsgedanke als Grundlage der Bildungspolitik akzeptiert werden, wobei Leistung heißt, jeden nach seinen Fähigkeiten zu fördern und zu fordern.
Doch was erleben wir in Mecklenburg-Vorpommern? Der Stundenausfall ist nur theoretisch begrenzt, de facto jedoch durch schlichte Beschäftigung der Kinder an der Tagesordnung. Schulsanierungsförderung ist unter RotRot zum Sparstrumpf der Finanzministerin geworden. Privatschulförderung wird gekürzt, Lehrerweiterbildung nach GEW-Angaben halbiert, Schulleitung soll halbtags erfolgen, die Lehrkörper sind überaltert.
(Angelika Gramkow, PDS: Sie haben erst den Grundstein für das Schlimmste gelegt. Das erzählen wir Ihnen nachher.)
Denn solch ein Theater um ein Goldenes Kalb, wie wir es in Sachen Orientierungsstufe erleben, hätte ich mir angesichts der wichtigen Aufgaben im Bildungsbereich nicht träumen lassen. Es ist doch schon erstaunlich, in welch kurzer Zeit eine Regierung, die doch selbst kaum entscheidet, sondern einen Beraterkreis nach dem anderen ins Leben ruft, es geschafft hat, von Lehrern über Eltern, Schulträgern bis zur Wirtschaft alle am Bildungswesen Beteiligten gegen sich aufzubringen oder zumindest so stark zu verunsichern, dass niemand weiß, was Sache ist.
Meine Damen und Herren, wenn es so weit kommt wie in der „Ostsee-Zeitung“ am 29. Februar 2000, dass Eltern schon darum bitten, dass sich Lehrer melden, um Vertretungsstunden zu übernehmen – Herr Minister Kauffold, das ist mehr als starker Tobak! Ich kann Ihnen diese Artikel wirklich gerne zur Verfügung stellen. Ich möchte zitieren: „Die Elternvertreter der Klasse 5 der Verbundenen Hauptund Realschule mit Grundschule des Amtes Ahrenshagen verweisen darauf, dass es auf Grund fehlender Lehrkräfte in der Schule bereits zu einem erheblichen Stundenausfall gekommen sei. Seitens des Schulamtes wurden in den zurückliegenden Monaten zwar erhebliche Bemühungen unternommen, um dieses brennende Problem zu lösen. Sie blieben allerdings leider ohne Erfolg.... Dringend gesucht werden“, so weiter, „ein Grundschullehrer oder ein Mathematiklehrer für den Haupt- und Realschulbereich.“
Herr Minister Kauffold, wo leben wir überhaupt? Und Sie behaupten, die Unterrichtsversorgung sei gesichert! Sie ist ja offenbar nicht einmal statistisch gesichert, wenn Sie dieses Beispiel nehmen. Übrigens, 14 Tage später hatte dieser Aufruf Erfolg. Es haben sich Lehrer zur Verfügung gestellt, die die Vertretung übernehmen. Muss es erst so weit kommen, dass Eltern sich über die Öffentlichkeit an in Vorruhestand oder Pension befindliche Lehrer wenden müssen, damit diese Probleme gelöst werden?
Herr Minister Kauffold, erzählen Sie in diesem Land nicht weiter, dass die Unterrichtsversorgung gesichert sei! Sie ist weder statistisch und schon gar nicht de facto gesichert. Denn eins können wir nicht prüfen: Was läuft in den sogenannten Vertretungsstunden wirklich ab? Wird da an Computern gespielt,
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beschäftigen Sie sich, von SPD und PDS, mit diesen Problemen und hören Sie auf, sich monatelang um die Orientierungsstufe zu zanken!
Da geht es doch gar nicht mehr um Schule, da geht es doch um ganz was anderes. Sie müssen ja gar nicht mal uns zuhören oder unseren Rat annehmen, aber nehmen Sie doch zumindest den Rat der Experten an, so wie auf der Veranstaltung in Güstrow! Meine Damen und Herren, wenn Sie beim Güstrower Bildungskongress ein wenig aufgepasst hätten, dann wären Sie in der Lage gewesen, in Sachen Orientierungsstufe eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Sie haben sie nicht getroffen und damit ist die Aussage meines Kollegen Jörg Vierkant in Güstrow zur bitteren Realität für 260.000 Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern und zur bitteren Realität für mehr als 15.000 engagierte Lehrkräfte in diesem Land geworden.
Entgegen aller Beteuerungen des Bildungsministers Kauffold – der kann mir in diesem Machtgerangel ja manchmal leid tun, weil er ganz vernünftige Ansichten hat, aber sich offenbar nicht durchsetzen kann –
werden die Entscheidungen über die Struktur des Bildungswesens in unserem Land doch in der vierten Etage
dieses Schlosses in einem Hinterzimmer zwischen dem Ministerpräsidenten und seinem Stellvertreter gefällt oder eben auch nicht. Das ist Realität von Bildungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern.
(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Dann sind Sie der Dritte gewesen, oder was? – Zuruf von Andreas Bluhm, PDS)
Sie haben auf Ihrem Parteitag in Grimmen die wahren Hintergründe dieses Streites doch offenbart. Es geht nicht um Schule, es geht nicht darum, den Schülern, der Schule etwas Gutes zu tun, nein, es geht einfach nur um die Macht – um nicht mehr und nicht weniger!
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Das muss Herr Glawe aber genau anders gehört haben. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Johann Scheringer, PDS)
(Heiterkeit bei Dr. Margret Seemann, SPD – Harry Glawe, CDU: Dazu habe ich mich gar nicht geäußert.)
Und die Frage ist noch nicht beantwortet. Das Turnier geht in die nächste quälende Runde, so dass weitere wertvolle Zeit verschenkt werden wird,
Zeit, die wir nutzen müssten, um über die Inhalte und Zielsetzungen der Arbeit an unseren Schulen zu diskutieren und zu entscheiden. Wie ist das optimale Verhältnis zwischen sozialem und inhaltlichem Lernen? Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule, aber auch Hochschulen und Ausbildungsbetrieben optimierbar? Wie funktioniert eine leistungsgerechte und faire Differenzierung? Gibt es eine festlegbare Quote für Haupt-, Real- und Gymnasialschüler? Brauchen wir mehr Spezialschulen, die naturwissenschaftliche, sprachliche, sportliche und musische Talente frühzeitig erkennen und ausbilden? Diesen Fragen sollte man sich zumindest widmen.
Es werden Politshows zwischen Holter und Ringstorff veranstaltet, die bereits heute erkennbar darauf hinauslaufen, wieder keine Entscheidung zu treffen, sondern das Thema zu vertagen und wieder am Prima-Klima-Bild der Koalition feilen zu können, wo doch das Prima-Lernklima an den Schulen die eigentliche Aufgabe ist. Doch dort wird das Klima beinahe vorsätzlich verhagelt. Was sollen die Lehrer denn beispielsweise sagen, wenn ihr Dienstherr vor seine Angestellten tritt und verkündet, die Hauptschule sei tot, obwohl Hunderte Kollegen tagtäglich in der totgesagten Schule junge Menschen in gutem Glauben bilden und erziehen, dass eines Tages nach der 9. oder 10. Klasse ein bestmöglich ausgebildeter Mensch diese Schule verlässt.
Herr Minister Kauffold, ich lade Sie ganz herzlich ein, einmal eine reine Hauptschule zu besuchen, und zwar die in Dettmannsdorf/Kölzow, wo seit Jahren fast jeder Hauptschüler einen betrieblichen Ausbildungsplatz erhält. Besuchen Sie diese reine Hauptschule, dann werden Sie sehen, dort werden Kinder nach ihrer Begabung und Befähigung in der Hauptschule gefördert und sie haben eine Chance im Berufs- und Arbeitsleben! Das sollte unsere Zielstellung sein und nicht, die Hauptschule totzureden, wie Sie es als Dienstherr in Güstrow getan haben.
Meine Damen und Herren! Sie machen noch eins – und, Herr Ministerpräsident Ringstorff, dazu müssen wir als Opposition gar nichts beitragen –, Sie machen dieses Land lächerlich mit diesem Streit um die Orientierungsstufe, und dies bundesweit. Ob es nun „Die Welt“, die „Frankfurter Allgemeine“ oder der „Rheinische Merkur“ ist, überall wird kopfschüttelnd verfolgt, wie die Linkssozialisten in Mecklenburg-Vorpommern dabei sind, entgegen aller Erfahrungswerte in den alten Bundesländern,
entgegen aller Erfahrungen vieler Jahrzehnte misslungener Bildungspolitik, Herr Bluhm, in SPD-geführten Bundesländern hier nun überlebte Strukturen