Protocol of the Session on February 2, 2000

Sie haben aber öfter mal Herrn Kanther zitiert.

(Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

Herr Kanther ist persönlich gescheitert und diese Politik ist gescheitert. Der Schaden, der durch solche Leute in der Wertediskussion – denn wir haben hier auch ein Werteproblem – entsteht, dass jemand, der sich so entschieden für solche Dinge einsetzt, dann letztlich derjenige ist, der diese geforderten Dinge am meisten mit Füßen tritt, ist natürlich ein riesiger Schaden. Ich habe hier keine Häme, ich wollte es nur einmal erwähnen,

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

dass wir alle hören müssen. Die Leute, die am meistens nach Repression schreien, sind oftmals diejenigen, die sie am wenigsten für sich selbst in Anspruch nehmen. Wir sind uns also einig, dass wir die gesellschaftlichen Ursachen bekämpfen müssen.

Ich sage auch – und das zeigen die Erfahrungen –, ich kann nicht aufrechnen und sagen, ich stecke so viel Initiative, Engagement und Geld in die Prävention und ein Jahr später zeigt sich das im Rückgang der Straftaten. Deshalb weiß ich auch noch nicht so richtig, ob die Fahrraddiebstähle allein dadurch zurückgehen.

(Reinhardt Thomas, CDU: Das ist sehr relativ.)

Ich habe nur die Erfahrung gemacht, dass in Schleswig-Holstein, wo man jahrelang schon gute Präventionsarbeit macht, automatisch die Straftaten zurückgehen. Das kann man nur über einen ganz langen und kontinuierlichen Zeitraum verfolgen. Insofern möchte ich an dieser Stelle auch sagen – schade, der Justizminister ist im Moment nicht im Raum –, der Justizminister soll sich mal nicht allzu viel davon versprechen, allein den Eierdieberlass wieder abgeschafft zu haben und dafür hohe Strafen für Ladendiebstähle eingeführt zu haben. Die Ladendiebstähle werden damit automatisch nicht zurückgehen. Das ist auch eine Frage der langfristigen Präventionsarbeit, der langfristigen Beschäftigung mit Kindern und Jugendlichen, wenn es um Diebe im Kinder- und Jugendbereich geht. Ich glaube, so einfach kann man sich das nicht machen. Ich hege da erhebliche Zweifel.

Meine Damen und Herren! Was wir für wichtig halten, ist, dass die Präventionsmaßnahmen dieser Landesregierung ressortübergreifend angelegt werden. Die IMAGPrävention, wo Innenministerium, Justizministerium, Sozialministerium, Wirtschaftsministerium, Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung und die Frauenund Gleichstellungsbeauftragte zusammenarbeiten, wird uns ein entsprechendes Konzept vorstellen. Es darf eben nicht nur Aufgabe des Innenministeriums sein, sondern Präventionsarbeit muss ressortübergreifend sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns auch einig darüber, dass wir in diesem Bericht eine Vielzahl von ganz hervorragenden Beispielen der Präventionsarbeit im Lande haben. Der Minister hat einige Projekte genannt. Ich sehe das auch so. Aber jetzt muss es darum gehen, diese Leuchttürme, diese guten Beispiele flächendeckend im Land zum Tragen zu bringen, denn es reicht nicht, wenn wir hier ein Projekt und da ein Projekt haben, was hervorragend läuft, weil es auch vom Land finanziert und unterstützt wird.

An dieser Stelle möchte ich auf ein Problem aufmerksam machen, was ich auch in meinem Wahlkreis, in meiner Stadt erlebe. Wir tun insgesamt mehr für die Prävention, auch auf Landesebene. Das drückt sich auch in den finanziellen Mitteln aus. Aber in vielen Gemeinden, in vielen Kommunen werden angesichts der kommunalen Haushaltslage natürlich genau die Mittel im freiwilligen Bereich gestrichen, wo es um Kinder, Jugend, Kultur, Sozialarbeit geht. Wir sollten diesen Prozess sehr aufmerksam verfolgen, denn uns nützt es ja nichts, wenn wir irgendwo Landesprojekte haben, aber im Lande insgesamt diese ganzen Projekte wegbrechen. Ich weiß nur, dass wir in Schwerin zum Beispiel jahrelang darum gekämpft haben, einen Verkehrsgarten zu errichten. Da waren wir uns alle einig. Und in der jetzigen Haushaltsdiskussion haben wir natürlich große Mühe, die Zuschüsse für diesen präventiven Verkehrsgarten, wo Kinder und Jugendliche den Umgang im Straßenverkehr üben können, aufrecht zu erhalten. Da nützt uns auch der Verweis auf gute Projekte woanders überhaupt nichts. Es muss vor Ort mehr Geld und Engagement zur

Verfügung stehen. Ich will nicht falsch verstanden werden, denn nicht alle Präventionsarbeit kostet Geld und muss Geld kosten. Es ist oftmals Engagement von Bürgerinnen und Bürgern.

An dieser Stelle möchte ich alles unterstreichen, was vorhin in der Ordensdiskussion gesagt worden ist, was sozusagen die ehrenamtliche Arbeit angeht und die Anerkennung dieser ehrenamtlichen Arbeit. Also mit 100 Orden im Land werden wir das Problem nicht lösen. Wir haben ein Riesendefizit an vielfältigen Maßnahmen der Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit. Ich habe zu diesen Orden ein etwas anderes Verhältnis. Ich sage, es gibt Wichtigeres. Ich wäre allerdings froh, wenn wir in nächster Zeit einmal darüber reden, wie wir Möglichkeiten finden können, dass wir die ehrenamtliche Arbeit noch besser honorieren können, und zwar nicht über den Orden. Ich sage aber auch, manch einer freut sich über ein Dankeschön, manch einer nimmt ganz gerne eine ideelle Auszeichnung entgegen. Es ist nicht so, dass sie alle sagen, ich will das nicht mehr haben. Ich kenne auch viele Bürger, die sich das wünschten.

Ein letztes Problem aus meiner Sicht: Ich glaube, die ganze Präventionsarbeit ist noch zu sehr polizeilastig. Das mache ich übrigens der Polizei nicht zum Vorwurf,

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

sondern der Innenminister schreibt in dem Bericht, die Landesregierung gilt sozusagen als Sensor. Das sehe ich auch so, weil sie natürlich sehr nahe dran ist an den Problemen der Kriminalität vor Ort. Es kann aber nicht sein, dass wir, wenn wir über Prävention reden, immer nur alle auf die Polizei gucken und sagen, macht mal irgendetwas. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir die Diskussion in den letzten Jahren auch dahin geführt haben, dass wir gesagt haben, kommunale Präventionsräte müssen Chefsache sein. Landräte, Oberbürgermeister, Beigeordnete müssen sich an die Spitze stellen. Wenn wir es nur der Polizei überlassen, dann wird es nicht funktionieren. Die Polizei muss dort ordentlich mitarbeiten.

Wir haben gerade in Schwerin – Herr Dr. Jäger und der Innenminister werden es wissen – eine Reihe von ganz hervorragenden örtlichen Präventionsräten. Wenn ich bloß an den Präventionsrat in Krebsförden denke, da treffen sich eben Bürgerinnen und Bürger, Schuldirektoren, Vertreter der Verwaltung und natürlich die Vertreter der Polizei. Und die reden nicht nur,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Die machen.)

sondern sie machen Begehungen, sie gucken sich das an. Die haben zum Beispiel durchgesetzt, dass ein Bolzplatz für Kinder und Jugendliche dort entsteht. Sie gucken sich an, was in der Verkehrsführung nicht in Ordnung ist. So stelle ich mir das vor. Deshalb sage ich, wir brauchen die Initiativen der Landesregierung, die sich in diesem Bericht wiederspiegeln und meiner Meinung nach als Leuchttürme in die völlig richtige Richtung gehen. Aber wir brauchen die Erfahrung, die wir hier ableiten, für das ganze Land, sonst haben wir nicht viel gekonnt.

Meine Damen und Herren! Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir sind noch lange, lange nicht am Ziel.

(Beifall Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Es bedarf noch vieler Anstrengungen, um ordentliche und vernünftige Präventionsarbeit im ganzen Land zu leisten. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Dr. Armin Jäger, CDU)

Danke schön, Herr Böttger.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Körner von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Beklommen war mir zumute, wenn ich in den letzten Tagen an meinen heutigen Redebeitrag dachte, beklommen, weil mir immer wieder vor Augen stand, vor welcher aktuell-politischen Diskussionskulisse die heutige Debatte stattfindet. Manche demokratietragenden Strukturen scheinen ins Rutschen zu geraten, Kriminalitätsprävention jedoch verlangt klare Orientierung, klare Werte, Konsens darüber, was ist gut, was ist schlecht.

(Harry Glawe, CDU: Der muss aufpassen, dass er nicht ausrutscht da vorne.)

Die Ausführungen, die der Minister gemacht hat, zeugen davon, dass es eine Fülle von Dingen gibt, über die berichtet werden kann, aber sie scheinen mir in ein eigenartiges Zwielicht zu kommen, kostbar und zerbrechlich. Kostbar, weil sie von den vielfältigen, beeindruckenden, beispielgebenden und engagierten Aktivitäten und Unternehmungen berichten, und zerbrechlich, weil es womöglich schwieriger werden wird, Engagement und Orientierung in der Prävention weiterhin glaubhaft zu vertreten.

Der Bericht als solcher hat eine Fülle von sehr engagierten Einzelprojekten, von sehr engagierten Einzelbereichen, die ich nun nicht im einzelnen aufführen will. Der Minister hat sie genannt. Nachlesen können Sie sie auch. Erwähnen möchte ich bloß MAEX, Mobile Aufklärung zum Extremismus, und den Bäderdienst – nicht zu verwechseln mit der Bäderregelung. Bäderdienst ist etwas, wo wir allgemein Konsens haben, nämlich dass dort Polizei sein muss im Sommer, wo auch schwerpunktmäßig Menschen sind.

Herausheben möchte ich auch die Neuorganisation der Kriminalprävention, eine eigene Zeitschrift, dadurch neue Publikationen, die Umstrukturierung der Arbeitsgruppen des Beirates und natürlich auch die Vervierfachung der Mittel gegenüber 1995. Das ist, denke ich, eine gute Entscheidung und eine richtige Schwerpunktsetzung.

Positiv finde ich auch, dass Projekte, die schon mehrere Jahre gelaufen sind – „StrandGut“, „Sport statt Gewalt“ –, weiterhin verlängert werden sollen. Hervorheben möchte ich auch die Integration anderer Ministerien, insbesondere das Sozialministerium in der Integration besonders unterstützungsbedürftiger Gruppen, das Bildungsministeriums besonders im Versuch, Antigewalt- und Antidrogenprojekte zu multiplizieren, Publikationen zu ermöglichen an Universitäten, Handbücher, die besser ein Phänomen erkennen lassen, was uns alle beschäftigt, nämlich Kriminalität, das Justizministerium in seinen Modellprojekten Opferschutz, Täter-Opfer-Ausgleich.

Dennoch scheint mir, dass der Bericht zur Kriminalprävention auch ausbaufähig ist. Ich meine jetzt nicht in erster Linie die Hinzufügung weiterer Kapitel, weiterer Projekte, sondern den Ausbau dessen, was nur vorsichtig im Vorwort angedeutet ist. Ich hielte ein einstimmendes Nachdenken über das für sinnvoll, worauf letztlich Kriminalprävention basiert: Wie sieht unser gesellschaftlicher

Wertekonsens, unser Wertekanon aus? Haben wir überhaupt Konsens in dem, was gut, was gerecht, was anständig ist? Sind wir uns einig über die Verantwortung der an der Erziehung Beteiligten, die Verantwortung aller Vorgesetzten hinsichtlich der Vorbildwirkung ihres eigenen Verhaltens für die Nachfolgegenerationen? Werden sie sich ihrer Verantwortung bewusst? Wie halten wir es mit unserer eigenen Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und übrigens aller öffentlich meinungsbildenden Personen?

Wertekonsens, Vorbildwirkung, Glaubwürdigkeit – das scheinen mir wichtige Voraussetzungen für Kriminalitätsprävention überhaupt zu sein. Und hier in eine Reflexion einzustimmen und nicht nur Modelle und Projekte aneinander zu reihen, scheint mir zumindest überdenkenswert.

(Beifall Volker Schlotmann, SPD)

Ansonsten, denke ich, ist der Bericht interessant zu lesen. Und wir alle wissen, dass es eine Aufgabe bleibt, die immer bestehen wird. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Siegfried Friese, SPD: Bravo! Bravo!)

Danke, Herr Dr. Körner.

Danke, Herr Dr. Körner.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Thomas von der Fraktion der CDU.

(Gerd Böttger, PDS: Nicht mehr Herrn Kanther zitieren. – Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Rede des Herrn Innenminister und für Ihre. Es ist gut, an so einem Tage auch mal sehr viel Übereinstimmung festzustellen. Im übrigen bin ich mit Herrn Kanther voll Ihrer Meinung, damit habe ich gar kein Problem. Ganz im Gegenteil,

(Gerd Böttger, PDS: Gut.)

ich würde auch noch ein bisschen härter durchgreifen.

Über den Bericht zum Stand der Kriminalprävention durch die Landesregierung im Parlament zu reden erscheint uns etwas zu wenig. Für uns ist die Kriminalitätsbekämpfung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nur mit einem ausgewogenen Verhältnis, und hier stimmen wir ja heute voll überein, von Prävention und Repression wird es uns gelingen, die Kriminalität wirkungsvoll und langfristig einzudämmen. Deswegen hat natürlich für uns wie für Sie die Präventionsarbeit den gleichen Stellenwert wie Sanktionen, auch wenn das zukünftig hier und da wieder unterschiedliche Positionen geben sollte. Ich bin sehr froh, dass wir da an einem Strang ziehen.

Allerdings jenen, die gern auf alle repressiven Maßnahmen verzichten, würden wir ganz deutlich sagen: Eine angemessene Strafandrohung und ein angemessener Strafvollzug sind auch Kriminalprävention im besten Sinne des Wortes.

(Gerd Böttger, PDS: Das muss nur schneller gehen.)

Richtig. Potentielle Straftäter müssen wissen, dass vor Gericht ihre Untat gegenüber dem Opfer und nicht ihre viel beschworene schlechte Kindheit den Ausschlag gibt.

Und potentielle Straftäter müssen wissen, dass unser Strafvollzug vor allem der Sühne der Tat und erst danach der Wiedereingliederung

(Heike Lorenz, PDS: Oh! Oh! Das hat mit Prävention aber nichts zu tun.)

in die Gesellschaft dient. Narrenfreiheit für gefährliche Straftäter, ob im Justizvollzug oder im Maßregelvollzug, ermuntert potentielle Straftäter. Ich glaube, da geht die präventive Strafandrohung doch etwas verloren.