In dem letzteren Fall wird häufig der Begriff der relativen Armut bemüht. Dieser hat mit tatsächlicher Armut aber herzlich wenig zu tun. Nach dieser Definition gilt jemand schon als arm, wenn er 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient. So werden unterdurchschnittlich verdienende Mitbürger als armutsgefährdet hingestellt. Wer aber die Symptome nicht mit dem Geld anderer Leute zuschütten will, sondern an einer effizienteren Armutsbekämpfung interessiert ist, setzt auf marktwirtschaftliche Alternativen.
So konnten Volkswirtschaften, die weniger auf Umverteilung, sondern mehr auf wirtschaftlichen Aufschwung gesetzt haben, die Wohlfahrt in ihren Ländern in einem solchen Maße erhöhen, dass die Armut bereits nach wenigen Jahren halbiert werden konnte.
Klar, auch in diesen Ländern gibt es nach wie vor arme Menschen, aber eben nicht mehr so viele und nicht mehr auf einem so niedrigen Niveau.
Aber lassen Sie uns nun einige der Forderungen aus dem Forderungskatalog dieses Profilierungsantrags kurz vor den Wahlen im Einzelnen betrachten. So wird hier ein Landesmindestlohn von 13 Euro mit jährlichen Anpassungen gefordert. Das klingt erst mal toll, bedeutet aber den Ausschluss weiterer größerer Gruppen Geringqualifizierter vom Arbeitsmarkt.
Diesen wird die Chance, einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden, weiterhin massiv erschwert, und man verdammt sie zu einem Dauerbezug von Transferleistungen. Wissen Sie, ich komme aus einem sozialdemokratisch geführten Land,
und selbst dort wird mehr auf Eigenverantwortung gesetzt. Sogar die Sozis im Norden wenden sich zum Teil von ihrer eigenen Ideologie der letzten Jahrzehnte ab, vielleicht nicht, weil sie das wollen, sondern weil der Staat sich das nicht mehr leisten kann.
Der Staat ist nicht dazu da, Tarife und Bezahlungen festzulegen, Transferleistungen nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen; das sind keine Aufgaben des Staates. Aktive Hilfe zur Selbsthilfe ist das Stichwort, jetzt und auch in der Zukunft, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Des Weiteren wird eine Quote von mindestens 50 Prozent für den öffentlich geförderten Wohnungsbau bei den jährlichen Neubauwohnungen gefordert, also eine deutliche Abkehr vom Drittelmix. Von einer guten Durchmischung in den Quartieren kann dann keine Rede mehr sein. Eine solche Übersubventionierung zugunsten einiger Auserwählter ist nicht die Aufgabe des Staates oder Hamburgs. Auf Kosten der Allgemeinheit werden dem Wohnungsmarkt frei verfügbare Wohnungen entzogen. Dadurch wird zusätzlich eine künstliche Verknappung bewirkt, was die allgemeinen Mieten weiter nach oben treibt. Mit Verlaub, aber das können Sie doch nicht ernst meinen.
In den weiteren Punkten werden noch viele teure Wahlgeschenke gefordert, die den Zielgruppen dann kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollen – Stichwort Kultur, Gesundheit, Mobilität, Bildung, Grundsicherung im Alter, Pflege und so weiter. Bei allem bleibt, wer hätte es gedacht, die Finanzierungsfrage weiterhin ungeklärt.
Aus den genannten und vielen weiteren Gründen werden wir dem Antrag folglich nicht zustimmen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der LINKEN ist ein bunter Strauß von Möglichkeiten, die zu lesen teilweise sehr interessant, teilweise schon obsolet und teilweise irgendwie utopisch sind. Es wurde schon viel von den Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt; ich will mich auf das Eigentliche konzentrieren. Wir als Fraktion glauben nicht, dass Armut sich nachhaltig beheben lässt, indem der Staat nach dem Gießkannenprinzip vermehrt Sozialleistungen ausschüttet oder immer wieder den Mindestlohn anhebt, abgesehen davon, dass nicht der Niedriglohnsektor Ursache von Armut ist, sondern mangelnde Chancen, der Armut zu entfliehen. Pure Sozialtransfers wirken oft nur wie Schmerzmittel. Der Patient ist zwar kurzzeitig geheilt, aber die Probleme und Schwierigkeiten sind immer noch da.
Wir meinen, dass Armut präventiv behandelt werden muss, um sie wirklich längerfristig und langfristig zu minimieren. Armut zu bekämpfen heißt also in erster Linie, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Die eigenen Ressourcen der Betroffenen müssen gestärkt werden, damit arme Menschen finanzielle Eigenständigkeit erreichen und diese dann auch bewahren können. Armutsverringerung bedeutet auch, Anreize dafür zu geben, den beruflichen Aufstieg zu schaffen. Stattdessen drücken die Sozialbeiträge derart auf die Einkommen der Geringverdiener, sodass mancher besser dasteht, wenn er gar nichts tut, wie vielfach gehört in der Arbeit, in der Arbeitsagentur, im Jobcenter: Wenn ich arbeiten gehe, habe ich weniger als Hartz IV. Das kann nicht die Lösung sein.
Unabhängig davon muss Bildung immer wieder neu angeschaut und vorangetrieben werden, denn Weiterbildung und Bildung sind der Schlüssel, um beruflich vorwärtszukommen. Ich bin der Meinung, dass unsere Stadt weiterhin viele sogenannte Sozialfirmen benötigt, unterstützt mit Transferleistungen, um Langzeitarbeitslose und gering qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzustellen, aber auch tatsächlich weiterhin zu fördern und zu qualifizieren.
Gehen wir in die Bildungsausgaben hinein. Immer noch liegen wir in Deutschland bei den Bildungsausgaben im internationalen Vergleich sehr weit unten, im hinteren Drittel der Industrieländer. Anders ist es bei den Sozialausgaben. Ist es nicht außerordentlich negativ, wenn wir uns die Zahlen an
schauen, dass der deutsche Staat noch nie so viel Geld für seine Bürger ausgegeben hat und sie trotzdem oftmals nicht richtig unterstützt? Könnte es daran liegen, dass immer mehr Geld planlos verteilt und falsche Prioritäten gesetzt werden? Genau das wollen die LINKEN wieder neu mit diesem Antrag. Ich bin der Meinung, dass unsere Sozialausgaben endlich einmal auf Ratio und Wirkung hin untersucht werden sollten. Helfen sie tatsächlich, und wem helfen sie? Wo erzeugen sie nur Mitnahmeeffekte für diejenigen, die das Geld gar nicht benötigen? Wo minimieren sie Anreize, sich einen neuen Job suchen zu müssen? Wo werden betroffene Menschen und wo lediglich Klientelgruppen bedient? Das zu evaluieren, ist aber nicht Sache Hamburgs, das ist Sache der Bundesregierung.
Menschen in Armut wollen respektiert und akzeptiert werden und eine Teilhabe am sozialen Leben wie auch am Berufsleben haben. Das werden Sie nicht erreichen, wenn ständig neue Almosen – in Anführungsstrichen – wie mit einer Gießkanne ausgeschüttet werden. Wir werden diesen Antrag ablehnen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde, das ist eine sehr interessante Debatte. Jede Fraktion erklärt aus ihrer ideologischen Sicht, wie Armut angegangen werden muss. Ich bin trotzdem der Auffassung, dass jenseits des Vorwurfs, den hier alle der LINKEN gemacht haben – ich glaube, Frau Rath war das mit Wahlkampf –, Armut ein Thema ist, das uns beschäftigen muss. Ich finde, das sollte ein Selbstgänger sein, denn es ist festzustellen, dass unheimlich viel in Bewegung gesetzt wurde. Das kann keiner in Abrede stellen, erst recht nicht jemand wie ich, der im Sozialausschuss sitzt. Aber wir müssen uns auch ernsthaft fragen, wie effektiv die einzelnen Maßnahmen sind. Das sind Maßnahmen, die vielfach nicht ganz aufeinander abgestimmt sind. Wenn wir seit Jahrzehnten darüber sprechen, welche die richtige Strategie ist, um Armut zu bekämpfen, und uns gegenseitig den Vorwurf machen, dass man nur Symptome bekämpfe und die/der andere sagt, sie/er möchte einen präventiven Ansatz, dann kann ich nur feststellen, dass wir in der Auswirkung nicht wirklich viel weitergekommen sind. Wenn man sich ehrlich anguckt, was sich wie verändert hat, dann kann man immer noch feststellen, dass Armut weiblich ist, dass Armut migrantisch ist. Vorhin wurden die Arbeitslosenzahlen sehr richtig angeführt. Ja, die Arbeitslosigkeit geht zurück. Aber gucken Sie sich einmal spezifische Gruppen an. Da stagniert sie
Armut ist natürlich auch ein Thema des Alters. Wir haben über Alter allgemein gesprochen. Wir haben demografisch eine wachsende Zahl von Menschen mit Migrationsgeschichte der ersten Einwanderergeneration, vielfach mit sehr spezifischen Problemen, die fast keine Fraktion im Blick hat. Sie erkranken zum Beispiel an Demenz und vergessen das Erlernte, sodass sie vielfach gar nicht mehr in der Lage sind, ihre Bedürfnisse und Bedarfe zu formulieren. Gucken wir uns die Versorgungslandschaft für Seniorinnen und Senioren mit Migrationshintergrund an – ich habe das aus eigener Erfahrung mit meiner demenzkranken Mutter schon einmal hier angeführt. Welche Einrichtungen, Tagesstätten und dergleichen gibt es für sie?
Klar, man kann immer eine ganze Menge aufzählen. Aber wir müssen uns viel mehr und viel spezifischer mit dem Thema beschäftigen. Deswegen finde ich es sehr bedauerlich, dass wir uns bei den Themen Armut und Bekämpfung von Armut nicht wirklich ehrlich machen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir darüber im Sozialausschuss differenziert diskutieren. Das wäre wirklich eine sehr ehrliche Herangehensweise gewesen, denn – das möchte ich als Allerletztes auch noch sagen – Armut birgt immer auch die Gefahr, dass sie Menschen radikalisiert. Das sollten wir nicht aus dem Blick verlieren. – Danke.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Volksvertreter! Frau Nicolaysen und Herr Feineis haben einiges gesagt, was aus ökonomischer Sicht vermutlich richtig ist. Noch nicht erwähnt wurde im Zusammenhang mit den Fehlanreizen, die systematisch gesetzt werden, nicht die ökonomische Seite, sondern die persönlichen Tragödien. Dass Biografien, Persönlichkeiten zugrunde gerichtet werden, indem man ihnen über Jahrzehnte hinweg beibringt, sie darauf konditioniert, dass sie, wenn sie Probleme kriegen, immer zuerst nach dem Staat, nach der Hilfe auf Kosten der Helferinnenindustrie suchen müssen. Das bevormundet Leute und macht sie auf Dauer sehr, sehr schwach, und das ist unmenschlich. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nicht erwartet, dass unser Antrag von Ihnen mit großem Hallo angenommen wird. Aber dass Sie, Herr Schwieger und Frau Engels, ihn jetzt mit so einer reflexhaften Abwehrreaktion, mit Unterstellungen, wir würden uns mit Armut nicht strategisch auseinandersetzen und es wäre ein Schaufensterantrag, abbügeln und den Antrag noch nicht einmal an den Ausschuss überweisen, damit wir dort eine fachliche Debatte führen,
Wenn Sie sich Ihrer eigenen Maßnahmen so sicher wären und wenn Sie selbst davon überzeugt wären, dass Sie auf dem richtigen Weg sind, warum haben Sie dann nicht das Selbstbewusstsein, sich mit uns in diese Debatte zu begeben und womöglich auch noch einen Erkenntnisgewinn zu haben? Das frage ich mich wirklich.
Sie haben den Kern unseres Antrags überhaupt nicht verstanden; das haben Sie mit Ihren Abwehrreaktionen bewusst torpediert. Denn wir schreiben in unserem Antrag, dass wir gemeinsam mit Ihnen, mit den Sozialverbänden, mit vielen Akteurinnen und Akteuren in der Stadt eine Strategie entwickeln wollen. Es ist ein Angebot an Sie, an die Stadt, damit wir eben nicht, Frau Engels, sagen, es sei unser Alleinanspruch, über Armut zu diskutieren. Aber Sie bringen uns immer in die Situation, das tun zu müssen,
weil Sie sich immer nur hier hinstellen und solche Debatten nutzen, um sich selbst abzufeiern. Das ist wirklich unredlich.
Sie treffen damit doch nicht uns als Fraktion DIE LINKE, sondern Sie treffen damit die Menschen, die mit uns gemeinsam an diesem Antrag gearbeitet haben, die in die Veranstaltungen gekommen sind, die in unsere Sprechstunden kommen; die nehmen Sie in ihren Anliegen gar nicht ernst. Sie versuchen uns zu bashen und uns zu unterstellen, wir würden die Menschen instrumentalisieren. Aber andersherum wird ein Schuh daraus und wir laden Sie ein.