Protocol of the Session on July 12, 2017

"Es liegt in der Hand der Gesellschaft und nicht allein der Polizei, ob sich Hamburg wiederholt. Die Polizei kann ihr die Arbeit nicht abnehmen. Es liegt an der Gesellschaft, sich klar von Gewalttätern zu distanzieren, deren Taten unmissverständlich zu ächten. Es gab schon einmal eine Zeit in der Nachkriegsgeschichte, als klammheimliche Sympathie für politische Gewalt sich weit ins Bürgertum zog – und damit die Akzeptanz schuf, die auch Desperados für ihre Taten brauchen. Der Terrorismus der RAF trocknete erst aus, als es selbst in radikalsten Zirkeln kaum noch Rückhalt gab. Und genauso wird der autonome Terror auf der Straße erst dann vorbei sein, wenn er seine derzeit viel zu zahlreichen Sympathisanten verliert. In Hamburg ist nicht die Taktik der Polizei gescheitert …"

(Michael Kruse FDP: Sondern der Bürger- meister!)

"… sondern die Taktik einer Gesellschaft im Umgang mit ihren radikalen Rändern."

Ich kann jeden Satz, der da steht, unterschreiben.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Wer sich nicht eindeutig von Gewalttätern und militanten Chaoten distanziert, legt Feuer am gesellschaftlichen Fundament unserer Stadt. Das dürfen wir als Demokraten nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Was können, was müssen wir als Gesellschaft daraus lernen? Wie gehen wir mit linkem Extremismus um? Gibt es endlich auch ein neues Nachdenken über die latente Sympathie bis hinein in bürgerliche Schichten? Woher kommt diese neue Form der Gewalt? Wie können wir die in Zukunft ausschließen? Wie ist der Übergang von linker Gewalt auch zu wohlstandsverwahrlosten Jugendlichen, die wahllos randalieren? Was kann die Stadt, die Politik, aber auch die Stadtgesellschaft tun? Und ganz konkret, das will ich an dieser Stelle auch in Richtung des linken Spektrums sagen, muss sich jeder jetzt fragen und prüfen, wo er steht. Das sage ich auch in Richtung des Flora-Umfelds. Jeder muss sich fragen, wo er steht, ob er diesen verhängnisvollen Weg weitergehen oder auf die andere Seite

der Barrikade wechseln will. Und das ist ein Punkt, an dem ich Herrn Trepoll durchaus recht gebe: Viele Reaktionen, auch in dem Quartier, lassen erahnen, dass der Schrecken über das, was passiert ist, eine heilsame Wirkung haben kann. Diese Chance muss die Stadtgesellschaft jetzt ergreifen. Wann, wenn nicht jetzt?

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP)

Dafür müssen wir viel reden, mitfühlend, aber immer mit klarer Haltung auf Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, hier im Parlament alle miteinander und draußen in der Stadt, wir als Regierungsfraktionen, der Senat, aber auch Sie als Opposition genauso wie die Zivilgesellschaft. Die Tage haben Wunden geschlagen in der Stadt. Wir alle haben es gemeinsam in der Hand, wie sie verheilen. Fangen wir heute damit an. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Als nächster Redner erhält das Wort der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN Bürgerschaftsfraktion, Dr. Anjes Tjarks.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor ich meine eigentliche Rede beginne, möchte ich an dieser Stelle einem Kollegen Genesung wünschen, der nicht nur mein Kollege im Wirtschaftsausschuss ist, sondern den ich auch menschlich sehr schätze, vor allen Dingen weil er ein anständiger Kerl ist: Lieber Michael Westenberger, ich hoffe, es geht dir gut.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hinter Hamburg liegt eine lange und schwere Gipfelwoche. Eine Woche, die Einsatzkräfte und Bürgerinnen und Bürger bis an ihre Grenzen und einige darüber hinaus beansprucht hat. Eine Woche, in der das Leben in Hamburg auf den Kopf gestellt wurde. Eine Woche, die über weite Strecken nur schwer zu ertragen gewesen ist und viele von uns, mich eingeschlossen, sehr betroffen, nachdenklich, aber auch wütend stimmt. Und eine Woche, in der die Politik Vertrauen verloren hat.

Aufgrund der schwierigen Situation, die wir in unserer Stadt erlebt haben, gilt für uns als GRÜNE Fraktion – aber ich glaube, ich spreche für das gesamte Haus – zuallererst der Dank den Einsatzkräften der Polizei auf unseren Straßen. Ihnen wurde unfassbar viel abverlangt, sie haben im Rahmen des Möglichen bis zur vollkommenen Erschöpfung alles gegeben. Hierfür unseren Respekt und auch unseren Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, verein- zelt bei der CDU und der FDP und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Das sehen glücklicherweise sehr viele Menschen in unserer Stadt so. Deswegen ist nicht nur die Spendenbereitschaft der Hamburgerinnen und Hamburger wirklich überwältigend und sehr berührend, es ist auch richtig, dass die Stadt mit Freizeitausgleich und Auszahlung von Überstunden und Sonderurlaub selbst ihren Beitrag dazu leistet.

Unsere Solidarität gilt aber insbesondere denjenigen, die im Dienst für unsere Stadt verletzt worden sind. Ihnen allen wünschen wir, dass sie rasch genesen und keine bleibenden Schäden davontragen, und es ist klar, das wünschen wir auch allen anderen, die sich im Rahmen von G20 verletzt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und ver- einzelt bei der CDU und der FDP)

Ich möchte mich aber auch bedanken bei den Juristen, den Einsatzkräften von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk, den Sanitätern, dem Krankenhauspersonal und dem Orange Block von der Stadtreinigung. Sie haben alle über das gewöhnliche Maß hinaus ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit gute Arbeit für unsere Stadt geleistet.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Hamburger Polizei war auf den Gipfel mit dem größten Einsatz ihrer Geschichte gründlich vorbereitet. In Hamburg war mit über 20 000 Polizeikräften und einer Vielzahl von Material so ziemlich alles vor Ort, was in Deutschland verfügbar ist.

(Dirk Nockemann AfD: Armes Deutschland, wenn das alles ist!)

Es ist bedrückend, dass dieses immense Aufgebot nicht in der Lage war, die Hamburgerinnen und Hamburger zu jeder Zeit und in ganz Hamburg ausreichend zu schützen. Hierfür tragen auch wir die politische Verantwortung und dafür bitte ich im Namen meiner Fraktion um Entschuldigung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es gab verstörende Gewaltakte an der Elbchaussee, in der Osterstraße und auf der Veddel sowie insbesondere im Schanzenviertel, wo rücksichtslose Randalierer tobten. Diese Situationen machen nicht nur fassungslos ob der Wahllosigkeit und der Brutalität. Die Hamburgerinnen und Hamburger verlangen von uns als Parlament, dass wir diese und weitere Situationen intensiv aufarbeiten. RotGrün hat hierzu mit einem Sonderausschuss einen klugen Vorschlag gemacht und wird gemeinsam, gern mit diesem Haus zusammen, vorangehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es ist dabei unsere Pflicht, die Einzelheiten in dieser Woche sorgfältig zu betrachten und sie mit Be

(Dr. Andreas Dressel)

dacht und nicht mit Schnellschüssen aufzuarbeiten. Dies gilt für die Tat- und Täterstrukturen sowie für das mit der Bundesregierung abgestimmte Sicherheitskonzept, die Vorfälle auf Demonstrationen und die Frage, warum es uns nicht gelungen ist, die Gewaltspirale zu durchbrechen. Das funktioniert aber nur, wenn wir es mit Ruhe, Respekt, aber auch mit Ehrlichkeit angehen, denn wir wissen, verlorenes Vertrauen kann man nur mit viel Fleiß wiedererlangen.

Überrascht, Herr Trepoll, bin ich allerdings von dem wenig selbstkritischen Umgang der Hamburger CDU mit dem Thema G20-Gipfel.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt!)

Der Gipfel war eine Veranstaltung der Kanzlerin und das Sicherheitskonzept war mit der Bundesregierung abgestimmt. Angela Merkel selbst hat am Montag nach dem Gipfel verlauten lassen, sie stehe zu der Entscheidung, Hamburg als Gipfelort gewählt zu haben, und sie sei auf Olaf Scholz zugegangen. Dagegen widerspricht die Bundesregierung durch Peter Altmaier der Hamburger CDU und kann selbst keine Begründung für eine Rücktrittsforderung ausmachen. Es sagt in dieser Situation etwas über den Charakter des Bürgermeisters, dass er nicht mit dem Finger nach Berlin zeigt,

(André Trepoll CDU: Das überlässt er Ih- nen!)

es sagt aber auch etwas über den Charakter der Hamburger CDU, dass Sie mit dem Finger auf den Bürgermeister zeigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Sie, lieber Herr Trepoll, haben das Sicherheitskonzept selbst noch am 27. Juni, also vor 14 Tagen, im "Hamburger Abendblatt" folgendermaßen gelobt:

"Alles in allem sei die Stadt jedoch gut vorbereitet, den Gipfel auszurichten."

Sie sagten:

"Ich bin sehr zufrieden mit der Vorbereitung der Polizei."

Und weiter:

"Ich glaube, dass die Hamburger den Gipfel mit Anstand und Würde erleben werden und am Ende vielleicht sogar mit etwas Stolz."

Mehr Lametta, Herr Trepoll, geht eigentlich im Vorwege nicht. Sie fanden im Vorfeld alles gut und haben bis heute keine Antwort darauf gegeben, wie die massiven Ausschreitungen hätten besser unterbunden werden können. Auf die Nachfragen der "Zeit" sind Sie da vor allem – ich zitiere –

"unkonkret geblieben".

Vom Cheerleader zum Chefankläger in 48 Stunden, das ist selbst für die Opposition Rekord. So viel zum Thema Wendehals, Herr Trepoll.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Da würde ich mal ganz leise sein! Das sagt ein GRÜNER!)

Wenn man schon einen Sündenbock suchen möchte, dann möchte ich dazu eines deutlich sagen: Die Schuld an den Gewalttaten haben nicht diejenigen, die dachten, dass 20 000 Polizisten genug seien, sondern diejenigen, die die Gewalttaten ausgeübt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich denke, dass sich alle Demokratinnen und Demokraten hier im Haus anschließen, wenn ich sage, dass wir uns nicht von rücksichtslosen Gewalttätern und Kriminellen diktieren lassen dürfen, wo wir eine Veranstaltung stattfinden lassen. Das wäre das Ende der Demokratie und vor dieser Verantwortung sollte sich niemand drücken.