Protocol of the Session on December 1, 2016

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jahrelang haben wir Schulpolitik gemacht, aber ein wenig doch Schulpolitik im Blindflug. Wir haben engagiert über Methoden gestritten, über Schulstrukturen und didaktische Konzepte, über Noten oder nicht, Diktate oder nicht, Frontalunterricht oder nicht, Kompetenzorientierung oder nicht, Frau von Treuenfels-Frowein, Gymnasium, Realschule, Gesamtschule oder gar nicht, aber wir haben eine entscheidende Frage jahrelang nicht gestellt: Werden die Schülerinnen und Schüler eigentlich am Ende dieser Veränderungen, die wir da alle auf den Weg bringen, klüger oder nicht?

Darauf kommt es an. Das ist die Nagelprobe jeder Schule und jeder Schulpolitik. Und für diese alles entscheidende Frage steht dieser Senat. Wir sagen: In der Tat, keine sinnlosen Streitereien. Es kommt auf das Ergebnis an, und das werden wir genau ansehen. Das ist unser Weg.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Ergebnis wird seit der sogenannten empirischen Wende der Schulpolitik genau untersucht. Ausgangsmotor und Ausgangspunkt dieser Entwicklung war Hamburg. Es war die damalige Bildungssenatorin Rosemarie Raab, die die empirische Wende, nämlich das Schauen auf das Ergebnis, eingeleitet hat. Ich will aber deutlich machen, dass es auch meine Vorgängerinnen und Vorgänger Ute Pape, Rudolf Lange, Reinhard Soltau, Alexandra Dinges-Dierig, Christa Goetsch und Dietrich Wersich waren, die daran weitergearbeitet

(Dora Heyenn)

haben. Und dieser Senat hat deshalb diesen Ball aufgenommen und weitergeführt.

Wir haben als einziges Bundesland mittlerweile ein System mit jährlichen Lerntests für alle 180 000 Hamburger Schülerinnen und Schüler entwickelt, das uns erstmals präzise zeigt, wo etwas zu verbessern ist und wo etwas gut läuft. Das kostet schon ein bisschen Mut, denn die Ergebnisse sind manchmal unbequem und in der seltsam aufgeregten Diskussionslage der Schulpolitik allemal. Gerade bezüglich der Diskussionen ist es deshalb wichtig, dass dieser genaue Blick auf das Ergebnis dann auch mit einer redlichen Diskussion geführt wird.

Ich nenne ein Beispiel. Vor wenigen Wochen hatte Frau von Treuenfels-Frowein in den Medien platziert, dass wir mit 50 Prozent, die den Regelstandard in Mathematik nicht erreichen, ein katastrophales Ergebnis hätten. Zwei Tage Schlagzeilen. Heute lesen wir – und es wäre gut, wenn Sie das erwähnt hätten –, dass in der IQB-Studie bewiesen wird, dass in Englisch beispielsweise im bundesdeutschen Durchschnitt nur 45 Prozent der Schüler den Regelstandard erreichen, in Deutsch 55 und 60 Prozent. Es war ein normaler Wert, über den Sie tagelang Hamburg erzählt haben, dass wir vor einer Bildungskatastrophe ständen. Das verstehe ich unter redlicher Diskussion, und die brauchen wir, wenn wir sorgfältig aus diesen Ergebnissen lernen wollen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen sage ich: Klar, auch wenn solche Diskussionen bei 500 Seiten immer Zitate bieten, um Katastrophen abzubilden, werden wir diesen Diskussionen nicht ausweichen und diese Berichte deshalb nach wie vor erheben und auch die Diskussionen führen.

Dieser Bericht, um den es jetzt geht, ist ein bundesweiter Bericht. Er hat alle Bundesländer verglichen in den fünf Bereichen Deutsch lesen, Rechtschreibung, Deutsch verstehen, Englisch verstehen und Englisch lesen. Fünf Bereiche sind verglichen worden, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Erstmals ist hier etwas Besonderes passiert. Hamburg hat sich deutlich verbessert, in der Regel um drei, vier Plätze. Wir sind mittlerweile im Mittelfeld. Das ist etwas sehr Neues. Und ich hatte bei den vielen Diskussionsbeiträgen nicht den Eindruck, dass diese zentrale Erkenntnis, die die meisten Wissenschaftler sehr überrascht und aufgewühlt hat und durchaus mit wohlwollendem Blick nach Hamburg blicken lässt, hier im Hause richtig angekommen ist.

Sichtbar wird es im Vergleich der 16 Bundesländer. Wir sind hier mittlerweile im Mittelfeld gelandet. Das muss man an den Anfang aller Diskussionen stellen. Das ist ein großartiger Erfolg, ein Erfolg der Hamburger Schulen, ein Erfolg vieler tüch

tiger Pädagoginnen und Pädagogen, aber auch ein Erfolg des Schulfriedens und der Konzentration der Schulpolitik auf guten Unterricht und gute Schule.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Diese ordentlichen Ergebnisse machen Mut und spornen an. Sie zeigen, dass es vorangeht, aber sie zeigen auch – da haben Sie recht –, dass noch einiges zu tun ist. So fällt das mit Englisch auf. Da sind wir richtig gut, ja, aber warum, fragt man sich. Zu Recht wurde angemahnt, dass diese Studien wenig Antwort auf das Warum geben, aber ich will einmal daran erinnern, was wir in Englisch getan haben. Wir haben den Unterricht in der Grundschule zum ersten Mal implementiert. Wir haben die Stundenzahl vergrößert. Und wir haben auf den Weg gebracht, dass Englisch von Fachlehrern unterrichtet wird. Heute können wir zumindest feststellen, dass es bestimmt nicht geschadet hat. Im Gegenteil, es zeigt offensichtlich, dass es etwas nützt.

Auch ein anderer Punkt wurde angesprochen: die Rechtschreibung. In der Tat, ein absoluter Schwachpunkt. Hamburg liegt an drittletzter Stelle, sagt die Studie. Das ist nicht akzeptabel. Und ich sage einfach einmal, dass wir hier den alten Geist in einigen Schulen wohl noch nicht so richtig überwunden haben. Wir haben vor zwei Jahren ein neues Rechtschreibkonzept gestartet. Wir wissen, dass es Zeit braucht. Wir wissen aber auch – und die Studie zeigt es –, dass das dringend notwendig war. Rechtschreibung entscheidet über die Chancen in Beruf und Studium, über Chancengleichheit im späteren Leben. Und wir werden nicht müde, energisch daran weiterzuarbeiten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir sehen auch – und DIE LINKE hat es völlig zu Recht angesprochen –, dass für alle Bundesländer gilt, dass es Kinder aus bildungsfernen Familien schwer haben. Lernrückstände von zwei Jahren sind keine Seltenheit. Auch Hamburg macht da keine Ausnahme. Das müssen wir ernst nehmen. Wir haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen wie die Ganztagsschulen, die mehr Zeit in der Schule ermöglichen. Wir haben kostenlose Nachhilfe auf den Weg gebracht. Wir haben mit unserem Unterstützungsprogramm für 23 Schulen in sozial schwieriger Lage zum ersten Mal ein besonderes Programm aufgelegt, als erstes Bundesland überhaupt. Doch wir stehen – das räume ich ein – erst am Anfang. Aber ich sage auch sehr klar, dass wir energisch daran arbeiten werden. Unser Ziel ist und muss bleiben: Chancengleichheit und bestmögliche Förderung aller Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Da gibt es in der Tat auch eine Schwäche der entsprechenden Studien. Viele Ergebnisse haben we

(Senator Ties Rabe)

niger mit guter Schule zu tun, sondern sie bilden schlicht die soziale Lage des jeweiligen Bundeslandes ab. Länder, in denen sehr viele Schülerinnen und Schüler aus schwierigen Milieus kommen – und dazu zählen besonders die Stadtstaaten –, erreichen selten Spitzenwerte.

Und so überrascht es auch wenig, dass die Rechtschreibung bei Kindern mit Migrationshintergrund nicht so stark ist wie bei jenen ohne Migrationshintergrund. Ich nehme einmal an, dass die meisten von uns in Farsi oder Arabisch auch Probleme mit der Rechtschreibung hätten. Das ist nichts Ungewöhnliches.

(Zuruf)

Die meisten, habe ich extra gesagt.

Die Stadtstaaten haben aber als einzige Bundesländer mehr als 40 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund in ihren Schulen, einige Flächenländer dagegen unter 10 Prozent. Ich sage aber auch sehr klar, dass das keine Entschuldigung ist. Hamburg hat als Stadtstaat besonders viele junge Menschen aus allen Milieus, auch aus bildungsfernen Familien. Um ihre Benachteiligung zu überwinden, muss Hamburgs Schulsystem deutlich engagierter und besser sein als der Bundesdurchschnitt. Die Förderung aller Kinder und Jugendlichen bleibt deshalb eine unserer wichtigsten Aufgaben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Glocke)

(unterbrechend) : Herr Senator Rabe, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Heyenn?

Gern.

Herr Senator, woher wissen Sie, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund schlechter in Orthografie sind? Das würde mich einmal interessieren.

Das kann ich Ihnen leider sagen. Diese Studie, anders als die Studien, die wir selbst machen, Frau Heyenn – und da war in Ihrer Rede deshalb auch eine Unschärfe –, hat das genau erfragt. Bei jedem getesteten Schüler wurde gefragt: Bist du selbst im Ausland geboren? Ist ein Elternteil im Ausland geboren, zwei Elternteile? Dadurch entsteht zwar ein irrsinniger Datenwust – Frau Prien hat auf die vielen Daten hingewiesen –, aber diese Studie hat es tatsächlich gezeigt, dass wir in unseren Studien, die wir selbst machen, erkannt haben, dass eigentlich der Migrationshintergrund nicht das Entscheidende ist. Entscheidend ist das soziale Milieu, die soziale Benachteiligung. Deswegen machen wir es nicht.

Aber diese Studie bietet es. Daher die Differenz, auf die Sie hingewiesen haben.

Aber wenn ich sage, dass wir als Stadtstaat eine besondere Aufgabe haben, dann heißt das auch, dass wir hier nicht weglaufen. Vor diesem Hintergrund unserer besonderen Schülerschaft – und damit komme ich zum Schluss – leuchten die IQB-Ergebnisse für Hamburg aber durchaus hell. Sie machen Mut, denn sie zeigen, dass Verbesserungen möglich sind, wenn wir uns weiter auf das Richtige und das Wichtige konzentrieren, wenn wir an guter Schule und gutem Unterricht arbeiten, wenn wir den Mut behalten, Lernergebnisse wirklich genau zu untersuchen, aber auch die Klarheit, Ehrlichkeit und Redlichkeit, aus diesen vielen Daten nicht nur das herauszuziehen, was einmal eben im politischen Erfolg die Schlagzeile bringt, sondern was wir brauchen, um gute Schulpolitik weiter zu entwickeln. Dafür stehen wir, und so werden wir weitermachen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das Wort bekommt erneut Frau Prien von der CDU-Fraktion.

Lieber Herr Senator, wenn Sie das denn täten, was Sie soeben angekündigt haben, dann hätten Sie uns wirklich auf Ihrer Seite. Ich frage mich nur, was das mit dem Antrag zu tun hat, der hier von der Regierungsfraktion eingebracht worden ist. Wir müssten doch tatsächlich – und das haben Sie immer wieder zu Recht eingefordert – auf die Ursachen schauen. Aber, liebe Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, der Antrag enthält keinen Hinweis auf irgendeine Art von Ursachenforschung. Frau Heyenn hat es völlig richtig dargestellt. Hier sollen die Ergebnisse für Hamburg, die umfänglich bereits beschrieben sind in dem Bericht, noch einmal dargestellt werden.

Ich kann es einmal vorlesen:

"Darzulegen ist, wie Hamburg absolut und im Vergleich zu den anderen Bundesländern dasteht."

Das steht alles in dem Bericht. Was wir wissen müssten, ist, warum das so ist, was die Ursachen dafür sind.

Wir müssten zum Beispiel untersuchen, welche Relevanz Migrationshintergrund hat, vielleicht auch, welcher Migrationshintergrund Relevanz hat. Ich würde einmal die These wagen, dass es bei den Russlanddeutschen zum Beispiel anders aussieht als bei manch anderer Ethnie. Da gibt es nämlich sehr wohl Unterschiede. Das wären Dinge, auf die man den Blick einmal werfen müsste.

Frau von Berg, eigentlich habe ich mich wegen Ihrer Anmerkung zu Wort gemeldet, weil ich das

(Senator Ties Rabe)

schon wirklich erstaunlich finde. Sie haben zwei Dinge gesagt. Zum einen, KERMIT diene doch nur dem internen Gebrauch. Welchem Zweck KERMIT dient, das ist eine politische Entscheidung der jeweiligen Landesregierungen. Und das ist die Entscheidung, die diese Landesregierung getroffen hat.

(Dr. Stefanie von Berg GRÜNE: Dazu ste- hen wir auch!)

Die mögen Sie richtig finden. Ich finde sie falsch. Und es ist keinesfalls zwingend, das möchte ich an dieser Stelle doch einmal festhalten.

Im Übrigen haben Sie sehr deutlich gesagt, dass die Überwindung der großen Unterschiede, die wir in dieser Stadt in den einzelnen Stadtteilen, vor allem auch in Hinblick auf die belasteten Stadtteile, feststellen können, nicht nur eine Frage der Schulpolitik sei, sondern eine Frage der Sozialpolitik, der Integrationspolitik, und dann haben Sie noch drei andere Politikfelder genannt. Was Sie nicht gesagt haben, Frau von Berg, ist, dass es auch eine Sache ist, die die Eltern angeht, dass die Eltern hier auch gefragt sind.

(Kazim Abaci SPD: Das ist eine Frage von Sozialpolitik!)

Nein, das ist eben keine Frage von Sozialpolitik, sondern das ist eine Frage von Verantwortung der Eltern, die sie übernehmen müssen. Und das, finde ich, hätten Sie hier auch betonen müssen.

(Kazim Abaci SPD: Das ist kein Wider- spruch!)

Noch einmal: Sie werden den von Ihnen beschriebenen bildungspolitischen Blindflug, Herr Senator Rabe, den Sie betreiben, nicht beenden können, wenn Sie den Ursachen nicht auf die Spur kommen. Und dieser Antrag und die von Ihnen beabsichtigte Aufarbeitung der Studie werden uns den Ursachen nicht näherbringen. Solange wir das nicht ehrlich tun und uns nicht ehrlich die Karten legen, so lange werden wir da auch nicht wirklich weiterkommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Alexander Wolf AfD)