Protocol of the Session on July 13, 2016

(Beifall bei der AfD)

Ganz wichtig für die Forderung der Volksinitiative war die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle für Integration, an die Senatskanzlei direkt angebunden und mit ausreichendem Budget und Personal ausgestattet. Das ist extrem wichtig, denn der Prozess der Integration oder sein Misslingen wird das bestimmende Thema der nächsten Jahre in dieser Stadt und in diesem Land bleiben.

Der gefundene Kompromiss mag die Lage für besonders schlimm betroffene Hamburger Bürger momentan etwas lindern. Allerdings stehen in dem Papier viel zu viele Absichtserklärungen, als dass man es wirklich ernst nehmen könnte; das ist klar. Eine Lösung für das Gesamtproblem ist das Papier noch lange nicht. Eine Lösung brauchen wir aber.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt Senatorin Dr. Leonhard.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der vorgelegte Kompromiss, der heute als Antrag eingebracht wurde, spiegelt wochenlange Verhandlungen und aus meiner und der Sicht vieler in diesem Hause, selbst derjenigen, die den Antrag an sich kritisch bewerten, vor allen Dingen drei wesentliche Erfolge wider. Zum einen ist es den Fraktionsvorsitzenden von GRÜNEN und SPD gemeinschaftlich mit den Vertretern der Initiativen aus dem Dachverband gelungen, ein gemeinsames Verständnis darüber zu entwickeln, dass wir für all diejenigen, die auf der Flucht von Krieg und Vertreibung, aus Not und Elend nach Hamburg kommen, nach unserem Grundgesetz eine Unterbringungsverpflichtung haben. Wir haben diesen Faktor in dieser Stadt auch schon anders diskutiert, und es ist aus meiner Sicht ein großer Erfolg, dass dies als gemeinsamer Wille niedergeschrieben ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wie bedeutsam dies ist, wird deutlich, wenn man sich die Ursprungsformulierungen des vorgelegten Abstimmungstextes ansieht. Insofern ist das nicht kleinzureden und auch nicht ins Lächerliche zu ziehen; es hat eine hohe Bedeutung. Darüber hinaus ist es gemeinschaftlich gelungen, einen echten Beitrag dazu zu leisten, Flüchtlingsunterbringung und all die Herausforderungen, die mit der Integra

(Dr. Bernd Baumann)

tion der Menschen, die zu uns gekommen sind, in Verbindung stehen, einen entscheidenden Schritt in allen Stadtteilen dieser Stadt voranzubringen. Das ist auch ein Verdienst der Verhandler auf beiden Seiten. Deswegen finde ich dieses Papier unterstützenswert.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte auf einen Widerspruch eingehen, der in vielen Redebeiträgen deutlich geworden ist, nämlich auf die Frage, warum nicht gleich so entschieden wurde oder in welcher Weise jetzt allein der Kompromiss die Unterbringung vorantreibe und wieso wir denn noch prekäre Unterbringungsverhältnisse haben, obwohl das gar nicht nötig sei. Dieser Kompromiss versetzt uns an einigen Stellen in der Stadt in die Lage, Folgeunterbringung in einem wirklich erheblichen Maße zu schaffen, die wir jetzt noch nicht schaffen konnten, wo wir zum Teil auch in Rechtstreite zu laufen drohten, wo wir möglicherweise als Stadt am Ende recht bekommen hätten, was aber möglicherweise jahrelange Verfahren nach sich gezogen hätte. Hier haben die Bürger sehr verantwortlich den Weg freigemacht, es der Stadt zu ermöglichen, Menschen aus der Erstaufnahme herauszuholen und sie in einer Folgeunterbringung unterzubringen. Auch deswegen ist dies ein wertvolles Papier.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Insofern leistet es sehr wohl einen Beitrag und brauchte es diese langen Verhandlungen und diesen Kompromiss, um einen entscheidenden Schritt voranzukommen.

Es ist häufig gesagt worden – das möchte ich unbedingt unterstreichen –, dass uns einiges abverlangt wird; das ist ohne Frage wahr. Denn wie wir wissen, haben wir noch, wie hier mehrfach genannt wurde, an die 10 000 Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen, die dort als sogenannte Überresidenten leben und bereits ein Anrecht auf einen Platz auf Folgeunterbringung haben und diesen dringend brauchen, damit es für sie in dieser Gesellschaft mit Integration in Bildung, mit Integration in den Arbeitsmarkt, mit Ankommen in neuen Nachbarschaften und vielem mehr weitergehen kann. Aber der Kompromiss lässt anders, als es das Ergebnis eines Volksentscheids womöglich produziert hätte, die Luft zum Atmen, sollte sich die Situation wieder verändern. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es stimmt, dass die momentane Zugangssituation auf zahlreiche internationale Vorgänge zurückgeht, auf deren Erfolg wir nicht in erster Linie Einfluss haben werden. Das betrifft das Abkommen mit der Türkei auf der einen Seite, aber auch viele andere Dinge, an denen massiv gearbeitet wird, unter anderem auch die Fluchtursachen, wobei wir nicht wissen, ob diese Arbeit erfolgreich sein wird. Deswegen müssen wir als Stadt gemeinschaftlich darauf eingestellt sein, an der einen oder anderen Stelle möglicherweise

auch noch mehr Plätze zu schaffen. Diese Luft und diese Bereitschaft hat die Initiative deutlich eingeräumt und in diesem Vertrag manifestiert. Dafür sind wir dankbar, denn das ermöglicht uns vieles.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich fühle mich heute ein bisschen an die Debatten im letzten Herbst erinnert, als wir unter dem Eindruck von Zuwanderung von zum Teil mehr als 1 000 Menschen an einem Wochenende oder mehreren Hundert an einem Tag mit dem Innensenator die Debatte darüber geführt haben, als es im Wesentlichen um Erstaufnahmekapazitäten ging, wie es gelingen könne, in der nächsten Woche oder in den nächsten Tagen massenhafte Obdachlosigkeit abzuwenden. Das war die Situation, in der die Entscheidung gewachsen ist, dass wir kapazitär noch mehr öffentlich-rechtliche Unterbringung brauchen werden, als wir uns das bisher vorstellen konnten, an einem einzelnen Ort zu schaffen. Daran möchte ich gern diejenigen erinnern, die jetzt fragen, warum nicht gleich so entschieden wurde. So zu entscheiden, vor allen Dingen mit festen Regelungen, was Abstände et cetera betrifft, wäre in der Planung seinerzeit und zu Anfang dieses Jahres unverantwortlich gewesen. Das hätten Sie uns dann zu Recht vorgeworfen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Insofern sind – da möchte ich allen recht geben, die das betont haben – mit diesem Kompromiss dreierlei Dinge gelungen. Erstens ist es gelungen, einen Volksentscheid abzuwenden, der diese Stadt über Monate in einen wahrscheinlich überaus zerreißenden Wahlkampf getrieben hätte bezüglich der Frage, wie wir mit Zuwanderung umgehen wollen. Die Unterbringung stand in dem Text im Fokus.

Zweitens ermöglicht er uns, einen Beitrag zum Thema stadtgerechte Verteilung von Herausforderung von Zuwanderung zu leisten, und drittens ermöglicht er uns, gemeinschaftlich mit der Bürgerinitiative dafür Sorge zu tragen, denn darin stehen auch weitreichende Beiträge der Initiativen, was die Themen Klageverzicht und so weiter betrifft. Sie erklären das für sich für verbindlich; insofern erklären wir unseren Teil selbstverständlich für verbindlich. Insofern hat dieses Dokument sehr wohl Rechtskraft und wird uns vor Ort in vielen Einzelfällen helfen, etwas hinzubekommen, was bisher nicht ging; das ist positiv.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Insofern kann man sich als Hamburgerin oder Hamburger nur wünschen, dass all diejenigen, die sagen, es sei ein guter Kompromiss und die Initiative habe viel erreicht – damit haben Sie recht, es ist sehr viel mit diesen Papieren und diesem Kompromiss erreicht worden –, diesem Papier jetzt mit ihrem Beschluss zum Leben verhelfen. Das wäre sehr wichtig, um eine weitere Hängepartie zu ver

(Senatorin Dr. Melanie Leonhard)

meiden, und vor allen Dingen, um jetzt mit all denjenigen ins Gespräch zu gehen, bei denen es konkret um die Frage geht, wie wir es vor Ort gestalten wollen, damit es auch klappt. Das ist jetzt nötig, das sollte nicht einen Tag länger warten. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn all diejenigen, die gesagt haben, sie wollten das aktiv unterstützen, dann auch vor Ort dabei sind.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nun bekommt Frau Prien von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Vertreter der Bürgerinitiative, Herr Schomacker, Frau Peter, Herr Lipkert, Herr Neumeier, stellvertretend für die vielen anderen: Ich werde mir, bevor wir jetzt weiter in den politischen Grabenkampf einsteigen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Muss gar nicht!)

erst einmal erlauben, ein paar persönliche Worte an Sie zu richten. Wir sind in den letzten acht Monaten eine ziemlich lange Wegstrecke gemeinsam gegangen, haben gemeinsame Ziele verfolgt und sie auch an vielen Stellen gemeinsam erreicht – allerdings nicht überall. Dass in der Hummelsbüttler Feldmark gebaut wird, ist kein Erfolg der Initiative; das muss man nach wie vor bedauern. Auch andere Teilerfolge, etwa am Mittleren Landweg, können einen nicht glücklich machen. Wenn Sie, Herr Tjarks, uns vorgehalten haben, uns nicht hinreichend in sozial belasteten Stadtteilen zu engagieren, dann will ich auf meinen Kollegen Herrn Erkalp verweisen,

(Kazim Abaci SPD: Ach so! Sehr gutes Bei- spiel!)

der täglich dafür kämpft, dass die Situation, die Sie in Billstedt und in Billbrook zu verantworten haben, im Rahmen dieser Vereinbarung leider nicht gemildert oder beendet werden konnte.

(Beifall bei der CDU)

An die Adresse der Initiative gerichtet möchte ich sagen, dass ich in den letzten Monaten viel gelernt habe. Ich habe zum Beispiel viel darüber gelernt, wie Bürgerinnen und Bürger, die sich erstmals engagieren, auf uns und den Politikprozess, den wir in den Bezirken und in der Bürgerschaft betreiben, schauen, wie unverständlich ihnen manches, was wir tun, ist, wie intransparent viele Vorgänge nach außen wirken. Das hat mich sehr beeindruckt. Noch mehr beeindruckt hat mich – und dafür bin ich, das will ich heute ausdrücklich sagen, stolz und dankbar –, dass so viele Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt sich sachorientiert und besonnen nicht nur für ihr eigenes Anliegen, sondern auch für das Anliegen des Gemeinwohls eingesetzt und gekämpft haben und sich insbesondre

von Populisten nicht haben instrumentalisieren lassen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Von dem, was Populisten in unserer Stadt anzubieten haben, haben Sie zumindest heute wieder eine Kostprobe bekommen.

Lieber Herr Dressel, lieber Herr Tjarks: Ich anerkenne sehr, was Sie in den letzten Wochen geleistet haben, und zwar nicht nur in sportlicher, körperlicher Hinsicht, die Sie sich zugemutet haben. Es war richtig und wichtig, dass Sie auf die Bürger zugegangen sind, um deren Vertrauen zurückzugewinnen. Diese Leistung möchte ich ausdrücklich würdigen.

(Beifall bei Jörg Hamann CDU)

Trotzdem kann ich Ihnen nicht ersparen, auf das zu blicken, was in den letzten Monaten passiert ist und was ich unredlich fand, dass nämlich Sie, Herr Dressler, in Ihrer Betrachtung der Vergangenheit

(Kazim Abaci SPD: Nach vorne gucken!)

mit der Gründung der Volksinitiative begonnen haben. Wir müssen, wenn wir uns diesen Gesamtvorgang anschauen, Anfang Oktober vergangenen Jahres anfangen, als die Senatsdrucksache erlassen worden ist. Das war doch der Zeitpunkt, an dem der Widerstand in der Bevölkerung entstanden ist; entstanden ist er sicherlich nicht erst mit Einreichung der Volksinitiative Anfang März diesen Jahres. Man muss sich einfach einmal vor Augen führen, was nach dem Oktober letzten Jahres passiert ist. Passiert ist doch Folgendes: Tausende von Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt sind massiv frustriert worden, und zwar insbesondere von den Regierungsfraktionen,

(Dirk Kienscherf SPD: Was?)

weil es nicht möglich war, vernünftig über ihre Anliegen in den Stadtteilen zu sprechen, weil es nicht möglich war, ihre Anliegen in den Ausschüssen der Bezirksversammlungen, in den Ausschüssen der Bürgerschaft, vernünftig zu berücksichtigen. Die absolute Krönung dieser Arroganz der Macht waren die beiden Sitzungen im Januar und Februar dieses Jahres im Stadtentwicklungsausschuss, als die Initiativen stundenlang ihre Anliegen vorgetragen haben und die Stadtentwicklungssenatorin nichts anderes zu tun hatte, als eine vorgeschriebene Erklärung abzulesen, bei der man merkte, dass kein einziges Argument der Initiativen bei ihr auch nur im Ansatz angekommen ist. Das ist eine Art, Politik zu machen, die die Menschen frustriert und letztlich zu diesem Volksentscheid geführt hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Im Oktober und November 2015 konnte niemand ahnen, dass sich die Dinge so entwickeln würden. Aber dass Sie im Februar 2016 die Bezirke nicht

(Senatorin Dr. Melanie Leonhard)

beauftragt haben, eine alternative Planung vorzulegen, sondern diesen Verhandlungsprozess mit der Initiative gebraucht haben, um zu einem alternativen Entwurf zu kommen, ist Verweigerung von Regierungshandeln gewesen, Herr Dressel und Herr Tjarks. Das hätte der Senat leisten müssen, hat es aber nicht geleistet. Das ist das Versäumnis Ihrer Regierung in Hamburg gewesen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Leonhard, wenn Sie in den laufenden Prozessen bereit gewesen wären, etwa in Klein Borstel in vernünftige Verhandlungen zu treten, hätten Sie dort die Folgeunterkunft sehr viel früher bauen und fertigstellen können. Das haben Sie ausdrücklich verweigert. Auch das gehört zur Wahrheit und hätte dazu geführt, dass mehr Überresidenten aus prekären Unterkünften früher hätten untergebracht werden können.

(Beifall bei der CDU)