Protocol of the Session on June 29, 2016

mal fragen, ob diese wirklich noch Ausdruck der Subsidiarität sind oder ob man Europa nicht auch in Bezug auf das große Ganze stärken sollte. Das führt aber meines Erachtens – und da freue ich mich, dass ich mich von der AfD erheblich abgrenzen kann – auch dazu, dass wir das Europaparlament in der Zukunft stärken müssen, wenn wir es wirklich als ein Parlament sehen wollen.

Es kann nicht sein, dass die Leute x-beliebige Figuren in das Europaparlament wählen. In den Achtzigerjahren hat auch einmal ein Filmsternchen aus Italien im Europaparlament gesessen. Ich weiß überhaupt nicht, ob sie jemals anwesend war, das ist auch nicht wirklich wichtig. Aber wenn die Leute merken, dass es ihr Parlament ist, dann wählen sie keine Politclowns à la Farage mehr oder irgendwelche Abgeordnete der AfD, von denen wir hören, dass sie zum Teil überhaupt nicht zu den Sitzungen gehen.

Gleichzeitig muss Europa sich nach außen stärken. Wir sind 5 Prozent minus 55 Millionen innerhalb der Weltgemeinschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Handelsverträge mit Kanada, mit den USA, aber auch mit vielen anderen Wirtschaftsräumen gemeinsam auf den Weg bekommen und unsere Ideale von Freiheit, von Wettbewerb, aber auch von Verbraucherschutz zum Status machen. Ansonsten dreht sich die Welt in eine vollkommen andere Richtung weiter und Europa wird nicht mehr das sein, was wir in der Zukunft haben. Wir müssen also gemeinschaftlich als Kerneuropa die Aufgaben aufnehmen, die in der Vergangenheit hin und wieder liegengeblieben sind. Wir müssen das Europaparlament stärken und dafür sorgen, dass wir als Kerneuropa, als Big Player auf Englisch, innerhalb der Welt wahrgenommen werden. Diesen Herausforderungen müssen wir uns in der Zukunft stellen. Ich glaube, wir schaffen es. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE und Jens Meyer FDP)

Herr Gözay von der GRÜNEN Fraktion bekommt nun das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste! Um es vorwegzunehmen, die GRÜNE Bürgerschaftsfraktion bedauert es zutiefst, dass sich die Briten durch ein Referendum zum Austritt aus der Europäischen Union entschlossen haben, wir respektieren aber das Ergebnis des Referendums.

Wer in den letzten Tagen die Berichterstattung in Print, Funk und Fernsehen zum Thema Brexit verfolgt hat, dem ist sicher aufgefallen, dass fast ausschließlich über die wirtschaftlichen Folgen des Austritts berichtet wurde. Auch ich hätte in der letzten Bürgerschaftssitzung so argumentiert, wenn

(Michael Westenberger)

nicht aus zeitlichen Gründen das Thema Brexit gecancelt worden wäre. Dann hätten Sie vernommen, dass mir selten ein Ja zu einem Thema so leichtgefallen wäre wie mein Ja zum Verbleib Großbritanniens in der EU. Sie hätten vernommen, dass meines Ermessens nach ein Austritt Großbritanniens aus der EU wirtschaftlich nicht nur ein Beben auslösen wird, das wir alle bemerken werden, sondern das vor allem Großbritannien in den nächsten Jahren erschüttern wird. Also hätte auch ich, wie die meisten Journalisten aus Print, Funk und Fernsehen und natürlich aus mittlerweile unverzichtbaren World Wide Web, wirtschaftliche Gründe genannt, einfach so, weil es fast alle einfach so sagen oder schreiben. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Briten wirtschaftlich Schaden nehmen. Gründe dafür könnte ich genug aufzählen. Tatsächlich wissen wir es aber nicht.

Tatsächlich wissen wir nur eines, dass wir und die Belgier, Franzosen, Luxemburger, Italiener und die Niederländer etwas geschaffen haben, das einmalig ist, nämlich, nach dem Zweiten Weltkrieg eine Europäische Union aufzubauen. So einmalig, dass es durch den Austritt eines Mitglieds, eines unserer wichtigsten Handelspartner, nicht in Gefahr geraten darf. Sämtliche verbleibenden Mitgliedstaaten müssen sich künftig doppelt anstrengen, den Grundgedanken der EU hervorheben, endlich zu einer wirklichen Einheit werden und endlich eine Sprache sprechen, nämlich Europäisch.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir müssen die jungen Menschen an die Hand nehmen, ihnen nahebringen, dass nur ein einheitliches Europa den Frieden zumindest in Europa sichert. Wir müssen uns stärker für eine reformierte Europäische Union engagieren und wir brauchen Bildung, Aufklärung und Jobs. Denn wenn künftig immer öfter alle Bürgerinnen und Bürger über die fundamentalen Zukunftsfragen abstimmen, müssen sie möglichst alle ausreichend informiert sein, damit sie rational handeln können.

Emotionales Handeln ist selten kluges Handeln, schon gar nicht in der Politik, auch wenn Emotionen in Bezug auf die EU durchaus angebracht sind. Denn nach wie vor ist das Projekt EU ein Experiment, und ein Experiment wird so lange nicht beendet, solange nicht 100 Prozent klar ist, dass es gescheitert ist. Mit anderen Worten, eine Gemeinschaft, die unsere Werte gegenüber autoritären Minderheiten verteidigt, verlässt man nicht, man unterstützt sie.

Hamburg ist das Tor zur Welt, also auch das Tor zu Europa. Aber Hamburg ist auch Heimat vieler berühmter Briten. Ich erinnere nur an die Beatles, die hier ihre Karriere begonnen haben. Für alle Fußballfans erinnere ich an Kevin Keegan, den ge

nialen englischen Fußballer, der in den Siebzigerjahren zum damaligen Erfolg des HSV beigetragen hat.

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der SPD und bei Jörg Hamann CDU)

Da klatschen die Fußballfans.

Fish and Chips gehören mittlerweile zu Hamburg wie Currywurst und Döner. Zudem wird hier Polo, Rugby und Cricket gespielt. Dass Englisch Weltsprache ist, muss nicht erwähnt werden. Wir dürfen jetzt nicht einfach sagen, dass dieses Tor für die Briten – und wenn wir genau hinschauen, sind es im Grunde nur die Engländer – ab sofort verschlossen ist. Das wollen wir GRÜNE nicht. Die Briten, auch wenn sie künftig nicht mehr der EU angehören, sind und werden weiter mit Hamburg stark verbunden bleiben. Also lassen Sie uns alle mit Verstand aktiv werden und für ein gemeinsames Europa kämpfen, mit mehr Jobs und mehr Freiheit. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und bei Jörg Hamann und Karin Prien, beide CDU)

Das Wort bekommt nun Herr Dolzer von der Fraktion DIE LINKE.

Liebe Hamburgerinnen, liebe Hamburger, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Die EU ist in einer Krise, das ist klar, und das ist sie schon länger, und durch den Brexit ist diese Krise noch deutlicher geworden. Und Krisen sind eigentlich immer dazu da, auch zu lernen. Krisen sind immer eine Chance, und ich denke, wir sollten diesen Brexit als eine Chance nehmen. Dafür müssen wir analysieren, was passiert ist. Umfragen zufolge war der Hauptgrund für den Brexit die Angst der Menschen in Großbritannien, eine soziale Angst vor einem nicht funktionierenden Gesundheitswesen, vor mangelndem Wohnraum, vor niedrigen Löhnen.

(Dr. Bernd Baumann AfD: Überhaupt nicht!)

Wir sollten lernen, dass die neoliberale Austeritätspolitik, die zunehmende soziale Spaltung, der Abbau von Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten, die Militarisierung und die aggressive Außenpolitik der EU ein Ende haben müssen, weil ansonsten immer mehr Menschen ihr Vertrauen in die EU verlieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erinnere nur erneut an die Erpressungspolitik gegenüber Griechenland. Eine Mehrheit der Bevölkerung hatte sich in einem Referendum gegen Maßnahmen der Troika ausgesprochen, sie wurden trotzdem peu à peu mit weiterem Druck umgesetzt.

(Murat Gözay)

(Michael Kruse FDP: Was hat denn das mit UK zu tun?)

Dass Sie so dazwischenschreien, zeigt mir, dass ich genau am richtigen Punkt ansetze.

(Beifall bei der LINKEN)

Während Sigmar Gabriel und Martin Schulz nach dem Brexit begrüßenswerterweise – zwar nur abstrakt, aber immerhin – von einer notwendigen sozialen Erneuerung der EU sprachen, legten Außenminister Steinmeier und sein französischer Amtskollege Ayrault erneut ein Strategiepapier vor, das man nur als zynisch bezeichnen kann. Denn darin wird ein Weiter so betont. Ein Weiter so in der Austeritätspolitik, ein Weiter so in der Militarisierung der EU, ein Weiter so in der sozialen Spaltung und ein Weiter so in der EU als einem globalen Player, der sich in Konkurrenz zu anderen Playern durchsetzen soll. Das ist genau das, was die Bevölkerung verunsichert.

Wir hatten zum Beispiel einen EU-Kommissar im EU-Ausschuss, der auf die Frage, ob denn das Parlament mehr Initiativ- und Kontrollrechte benötige, antwortete, dass es diese nicht brauche, denn einige Regierungen in den Zentralstaaten Europas wüssten schon genau, was richtig sei. Es könnte zwar sein, dass die griechische Bevölkerung oder die britische Bevölkerung anderer Meinung sei, aber in zehn Jahren würden sie alle einsehen, dass es das Richtige war. Was ist das denn für ein Demokratieverständnis? Da hat eben mein Kollege Herr Westenberger zu Recht gesagt, dass die EU ein gestärktes Parlament brauche mit Initiativ- und Kontrollrechten und nicht ein solches Verständnis von Arroganz der Macht, dass einige wenige Regierende wüssten, was dem Rest der EU gut bekommen würde.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur wenn die EU eine Union der Menschen und nicht der großen Konzerne sowie zweier zentraler Regierungen wird, hat sie eine Chance, sich stabil und positiv weiterzuentwickeln. Dafür muss das Parlament gestärkt werden. Dafür muss aber auch innerhalb der EU Rücksicht genommen werden auf die Interessen der Menschen und insbesondere auf die finanzschwächeren Staaten und deren Bevölkerung. Dafür müssen Ausgleichsmechanismen geschaffen werden. Dafür muss eine vernünftige Steuerpolitik geschaffen werden, die nicht die Menschen, speziell die arme Bevölkerung, belastet, sondern die großen Konzerne und auch diejenigen, die mehr wirtschaftlichen Reichtum haben, in die Verantwortung nimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Staaten der EU müssen zudem gleichermaßen an Entscheidungen beteiligt werden. Soziale Ungleichheit gehört überwunden und eine friedliche Orientierung der EU als ein Partner der anderen

Staaten und Staatengemeinschaften weltweit, zum Beispiel nicht als ein neuer Konkurrent der BRICSStaaten, müsste im Zentrum der Politik stehen. Die von Steinmeier und Ayrault anvisierte EU ist nicht die EU, die die Menschen zufriedenstellen wird. Sie ist nicht das, was ich mir oder auch was meine Fraktion sich vorstellt, wie wir mit so einer Krise umgehen müssen. Wir müssen doch feststellen, was die Menschen bewegt und wo die Kritikpunkte liegen. Warum stehen in Italien, Spanien, Griechenland, in Großbritannien zum Teil, die Menschen diesem Staatenbündnis so kritisch gegenüber? Weil sie sich nicht mehr repräsentiert sehen, und das müssen wir wahrnehmen und das müssen wir ernst nehmen.

Wir stehen als LINKE zur EU, aber zu einer EU der Menschen und zu einer EU, in der die Bedürfnisse aller Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht nur einiger weniger. Deshalb sprechen wir von einer Krise, aber eine Krise eröffnet immer Möglichkeiten und die sollten wir beim Schopfe packen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Kruse von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Professor Kruse, ich glaube, Sie haben Politik immer noch nicht richtig verstanden. Sie liefern uns eine Analyse, warum diese oder jene britischen Wähler so oder so abgestimmt haben, aber darum geht es nicht einmal in Ihrem eigenen Thema, das Sie zur Aktuellen Stunde angemeldet haben. Sie sind Populisten, weil Sie es sich sehr leicht machen, und das ist billig. Sie haben heute gezeigt, dass Sie nicht nur eine eurokritische, sondern eine europafeindliche Partei sind.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der SPD und bei Jörg Hamann CDU, Farid Müller GRÜNE und Nebahat Güçlü fraktionslos – Dr. Jörn Kruse AfD: Haben Sie einmal zuge- hört?)

Herr Senator Horch hat an dieser Stelle den Nutzen von Handel und Kooperation insbesondere auch für Hamburg erläutert, der Kollege Schumacher ist auf den Aspekt der Wertegemeinschaft eingegangen, und ich möchte für die FDP-Fraktion ausdrücklich erklären, dass wir jedes Wort ihrer Reden unterstützen.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Wir Freien Demokraten sind in der Historie immer Teil der Architekten Europas gewesen. Wir sind immer diejenigen gewesen, die betont haben, dass Europa vor allem auch ein Friedensbündnis ist. Im letzten Jahr haben wir in der Flüchtlingskrise alle eine sehr große Ohnmacht erlebt, wir erleben im

(Martin Dolzer)

mer mehr globale Krisen, immer mehr Krisen mit sehr großer Reichweite. Dies vor Augen möchte ich einige Fragen aufwerfen. Glaubt ernsthaft irgendjemand, dass Europa jetzt ohne Großbritannien, dass Deutschland möglicherweise ohne Europa, dass wir ohne Europa besser dastünden?

(Dr. Bernd Baumann AfD: Es geht um die EU, nicht um Europa!)

Glaubt irgendwer, dass diese Krisen besser gelöst werden könnten, wenn UK jetzt draußen ist und wenn wir noch weitere Staaten rausschmeißen? Nein, ich denke, das glauben nicht einmal die Damen und Herren von der AfD.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Farid Müller GRÜNE)

Denn die Wahrheit ist, Europa hat einen Preis, aber es hat vor allem auch einen Wert. Und wie jede staatliche Organisation muss sich natürlich auch Europa und muss sich gerade auch die EU permanent selbst hinterfragen. Wir müssen eben auch fragen, wie wir diese EU reformieren können, wie wir ihr wieder zu größerer Akzeptanz verhelfen können. Da hilft sicherlich auch, dass wir wieder stärker einfordern, dass sich innerhalb dieses Raums auch an die Regeln gehalten wird. Ich nehme da einmal Maastricht als Beispiel, das zwar im Euroraum liegt – darüber reden wir ja gar nicht, wenn UK ausgetreten ist –, aber das ist sicherlich etwas, was zur Akzeptanz auch wieder beitragen wird. Darüber hinaus sollten wir genau darüber nachdenken, wie wir die Subsidiarität, die einer der Grundwerte Europas ist, wieder stärker berücksichtigen. Denn letztendlich haben wir erlebt, dass es eine Form von Legitimationsproblem gibt, und diese Legitimation erreicht man vor allem dadurch, dass man die Subsidiarität, die wir in Europa eigentlich immer zum Kern unserer politischen Entscheidungen genommen haben, wieder ernst nehmen und uns ernsthaft die Fragen stellen. Gerade im Europaausschuss stellt sich öfter die Frage, welche Sachen wirklich von Europa geregelt werden müssen, und nur diese geben wir nach oben ab. Und dann bekommen die Bürger in dieser Stadt und in Deutschland auch wieder den Eindruck, dass wir selbst es sind, die bestimmen, was Europa macht.

Ich selbst habe in England studiert, ich habe es erlebt, das Erasmus-Programm wird künftig vermutlich ohne England stattfinden. Und diese Stadt ist deshalb so spannend, weil sie Einflüsse hat aus Wales, sie hat Einflüsse aus Irland und sie hat Einflüsse aus Schottland. Und wer einmal sehen möchte, wie die Spaltung nicht nur in Europa weiter voranschreitet, sondern vor allem innerhalb des Vereinigten Königreichs, der sollte einmal nach Belfast fahren. Dort können Sie sehen, wie schwierig es ist, wenn Volksgruppen – und in den Neunzigerjahren war das dauerhaft in den Nachrichten – nicht so sehr auf das Einen, sondern mehr auf das