Protocol of the Session on December 10, 2015

(Sylvia Wowretzko SPD: Wundert Sie das? Bei den Zahlen!)

Dabei ist die Gesundheitskarte der Schlüssel zum barrierefreien Zugang zur Regelversorgung und hat zudem auch einen hohen Stellenwert, weil sie den Menschen Autonomie, Integrität ihrer Intimsphäre und ein gewisses Maß an Normalität verschafft. Vorrangige Zielsetzung und absolute Priorität müsste die schnelle Integration der Geflüchteten in die Regelversorgung sein,

(Beifall bei der LINKEN)

nicht die Schaffung unübersichtlicher und unzureichender Parallelstrukturen in den Unterkünften.

(Sylvia Wowretzko SPD: Sie reden über Hamburg, ja?)

Deshalb muss der Senat unbedingt dafür sorgen, dass die Gesundheitskarte den Geflüchteten unverzüglich zugestellt wird. Die derzeitige Verspätungspraxis von bis zu sechs Monaten ist inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN – Sylvia Wowretzko SPD: So ein Blödsinn!)

Sie haben zu verantworten, dass Versorgungslücken entstehen, die gesundheitliche Risiken für die Geflüchteten nach sich ziehen.

Die Menschen, die es geschafft haben, die Torturen der Flucht zu überleben und zu uns zu kommen, sind vor Folter, Bomben, Kriegsgräueln und Verfolgung geflohen. Diese Menschen haben Unerträgliches erlebt. Mindestens die Hälfte von ihnen leidet an psychischen Erkrankungen, 40 bis 50 Prozent von ihnen sind traumatisiert. Daher ist es unverantwortlich, diesen Menschen keine angemessene Behandlung zukommen zu lassen. Die EU-Richtlinie stellt für bestimmte Personengruppen, zu denen auch traumatisierte und erkrankte Geflüchtete zählen, einen erhöhten Schutzbedarf fest. Das derzeitige psychotherapeutische Versorgungsangebot ist jedoch mehr als unzureichend. Zudem erfordert beispielsweise die Behandlung von Folteropfern spezifische Kompetenzen. Traumatisierte Menschen benötigen eine umfassende Behandlung unter Miteinbeziehung ihrer Lebensrealitäten. In vielen Bundesländern gibt es therapeutisch bedarfsgerechte Behandlungszentren.

Das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin zum Beispiel

(Sylvia Wowretzko SPD: Berlin ist echt ein Beispiel in diesem Zusammenhang!)

leistet eine vorbildhafte Arbeit, mit einem Konzept, das medizinische, psychotherapeutische und sozialpädagogische Angebote in sich vereint und dem Individuum somit eine ganzheitliche und nachhaltige Behandlung ermöglicht. Hier besteht dringender Handlungsbedarf seitens des Senats. Wir brauchen in Hamburg zwingend eine derartige Einrichtung, wenn wir die Menschen nicht in ihrem gefrorenen Schreck, als der Trauma sich bildlich beschreiben lässt, sich selbst überlassen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die EU verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten mit einer Richtlinie, die besonders schutzbedürftigen Geflüchteten zu identifizieren und angemessen zu versorgen. Ebenfalls in Berlin gibt es das erfolgreiche Modellvorhaben "Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge", das ein mehrstufiges Verfahren zur Ermittlung, Feststellung und Versorgung von besonders Schutzbedürftigen anwendet. Die Mitarbeiter in den Erstaufnahmeeinrichtungen werden durch Schulungen dafür sensibilisiert, dass sie besonders Schutzbedürftige erkennen und an die zuständigen Fachstellen weiterleiten. Im Juni dieses Jahres ist die EU-Umsetzungsfrist mit dem ernüchternden Ergebnis des Vertragsbruchs durch die Bundesrepublik Deutschland abgelaufen. Wir haben nicht nur die ethische Verantwortung, sondern auch die vertragliche Verpflichtung, diesen Menschen eine umfassende Versorgung zukommen zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

In Bezug auf die Versorgungsprobleme stellen die Sprachbarrieren ein massives Problem dar. Insbesondere in der Psychotherapie macht der Einsatz von Sprachmittlern eine Behandlung überhaupt erst möglich. Die therapeutische Arbeit stellt besondere Anforderungen an die Dolmetscher. Aus diesem Grund ist es erforderlich, Dolmetscher für den Einsatz in der Psychotherapie entsprechend zu schulen und mit Supervision zu begleiten. Die Forderung nach entsprechenden Dolmetschern teilen wir im Übrigen mit der Bundespsychotherapeuten- und der Bundesärztekammer. Deshalb fordern wir den Senat auf, einen Dolmetscherpool mit kultursensiblen und besonders geschulten Dolmetschern einzurichten, damit die Geflüchteten ihr Grundrecht auf gesundheitliche Versorgung auch tatsächlich in Anspruch nehmen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Heute ist der Internationale Tag der Menschenrechte, und auch Gesundheit ist ein Menschenrecht. Wir sollten daher alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, damit alle Menschen unabhän

gig von Geschlecht, Sexualität, Aufenthaltsstatus, Religion oder Herkunft die bestmögliche Gesundheitsversorgung erhalten.

(Sylvia Wowretzko SPD: Das machen wir doch schon!)

Die Zustimmung zu unserem Antrag würde einen Beitrag dazu leisten, dass wir in Hamburg diesem Ziel einen Schritt näher kommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr Celik. – Als Nächster bekommt nun das Wort Uwe Giffei von der SPD-Fraktion.

Vielen Dank. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Links-Fraktion, Sie wissen, dass ich Sie schätze, und niemand leugnet, dass es im Bereich der Flüchtlingsaufnahme Probleme gibt – wie sollte es auch anders sein angesichts der Zahlen, denen wir uns gegenübersehen –, aber ich persönlich bin es leid, dass Sie in Ihren Beiträgen immer wieder suggerieren, die Flüchtlinge würden in Deutschland und in erster Linie in Hamburg unmenschlich behandelt.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Ludwig Flocken AfD)

Das genaue Gegenteil ist richtig. Die Bundesrepublik wird in diesem Jahr vielleicht bis zu einer Million Flüchtlinge aufnehmen. Sie bietet Menschen Schutz vor Krieg und Verfolgung und hat durch ihr Handeln auch eine humanitäre Katastrophe auf der Balkanroute, also mitten in Europa, verhindert.

(Beifall bei der SPD und bei Karin Prien CDU)

Das ist zunächst einmal eine großartige humanitäre Leistung, die mit riesigen Herausforderungen verbunden ist. Was ehrenamtliche Hilfsorganisationen, aber auch Verwaltungen und Regierungen zu deren Bewältigung leisten, ist das genaue Gegenteil von Unmenschlichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Zu diesen großen Herausforderungen zählt auch die Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Sie ist in doppelter Hinsicht von besonderer Bedeutung: Es geht zum einen um den Schutz des Grundrechts der einzelnen auf körperliche Unversehrtheit, und es geht gleichermaßen darum, die öffentliche Gesundheit vor Ansteckungen und Infektionen zu schützen.

Uns als SPD-Fraktion ist es zunächst einmal wichtig herauszustellen, dass Hamburg im Vergleich zu anderen Bundesländern auf diesem Gebiet Erstaunliches leistet und in vielen Bereichen Vorbildcharakter entwickelt hat.

(Beifall bei der SPD – Vizepräsidentin Antje Möller übernimmt den Vorsitz.)

Das verdankt Hamburg sowohl dem Engagement der beteiligten Behörden – insbesondere dem Engagement des Gesundheitsamts Altona – und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch dem Engagement der Ärzteschaft, des medizinischen Personals und den Krankenhäusern in unserer Stadt. Dafür möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich allen Beteiligten unseren Dank und unseren Respekt aussprechen.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Blö- meke GRÜNE)

Hamburg hat sich mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte bereits 2012 eine Vorreiterrollte in diesem Bereich erarbeitet. Dieses System hat Modellcharakter und wir werden daran festhalten. Die Entwicklungen dieses Jahres haben aber auf allen Gebieten zu erheblichen Problemen geführt. Das bestehende Aufnahmesystem war auf die gegenwärtige Zahl von Asylsuchenden nicht ausgelegt. Dies betraf auch die medizinische Versorgung – das war auch in Hamburg so. Hier war und ist pragmatisches Handeln gefragt, und der Senat hat entschlossen gehandelt. Die Gesundheitssenatorin hat das Anfang der Woche dargestellt. Ich möchte nur drei Beispiele nennen: Der Senat hat die Kapazitäten im Bereich der Eingangsuntersuchungen deutlich erhöht. Das Gleiche gilt für die obligatorischen Röntgenuntersuchungen, die Bestandteil dieser Maßnahme sind. Er hat auch diese Eingangsuntersuchung auf alle Flüchtlinge ausgeweitet, unabhängig davon, ob sie vielleicht später noch einmal in andere Bundesländer verteilt werden. Auch hier ist Hamburg Vorreiter. Gleichzeitig, und das als zweites Beispiel, hat Hamburg allen Flüchtlingen im Rahmen dieser Eingangsuntersuchung das Angebot gemacht, bestehende Impflücken zu schließen und zusätzlich eine Grippeschutzimpfung vornehmen zu lassen. Damit setzt Hamburg die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts um. Drittens, darauf haben Sie hingewiesen, bietet Hamburg jetzt in allen Erstaufnahmeeinrichtungen hausärztliche Sprechstunden in einem Umfang von bis zu 40 Wochenstunden an. Damit hat Hamburg, da haben Sie recht, eine zusätzliche Struktur geschaffen. Das ist aber auch geboten, denn oberstes Ziel muss sein, die gesundheitliche Grundversorgung der Flüchtlinge und den einfachen Zugang dorthin sicherzustellen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Im Bedarfsfall erfolgt aus diesen First-Line-Angeboten die Weiterleitung an niedergelassene Fachärzte und Krankenhäuser, also in das Regelsystem.

Der Senat hat die richtigen Maßnahmen ergriffen. Die medizinische Grundversorgung der Flüchtlinge ist in Hamburg ebenso gewährleistet wie der

(Deniz Celik)

Schutz der öffentlichen Gesundheit. Durch die Verlagerung der Zentralen Erstaufnahme nach Rahlstedt sind zudem weitere Verbesserungen der Situation zu erwarten, weil insbesondere die Registrierung und Verteilung schneller erfolgen kann.

Angesichts der Herausforderungen, die wir kennen, ist es natürlich richtig, dass man dabei nicht stehenbleiben kann. Es wird auch weiter darum gehen, das vorhandene Angebot kontinuierlich weiterzuentwickeln und an die sich verändernden Bedarfe anzupassen, sicherlich auch an die steigenden Bedarfe. Das gilt auch – und damit möchte ich schließen – im Hinblick auf die Angebote für die psychotherapeutische Versorgung traumatisierter Flüchtlinge. SPD und GRÜNE haben sich bereits im Koalitionsvertrag auf die Einrichtung eines Zentrums für Beratung und Behandlung von Folteropfern und traumatisierten Flüchtlingen verständigt. Darüber und auch über Ihre zahlreichen Vorschläge und diejenigen im Zusatzantrag der CDU können wir uns im Rahmen der Ausschussberatungen im Detail austauschen. Ich hoffe auf eine konstruktive Diskussion mit Ihnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Wort bekommt nun Frau Prien von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In gewisser Weise war das bisher eine symptomatische Debatte für das, was wir in Fragen der Flüchtlingspolitik in Hamburg immer wieder erleben. Die Wahrheit liegt nämlich in der Mitte. Auf der einen Seite ist es natürlich völlig richtig und ich bin Ihnen auch sehr dankbar, sehr geehrte Damen und Herren von den LINKEN, dass Sie das Thema auf die Tagesordnung gebracht haben. Es ist nicht das erste Mal; wir haben häufig gemeinsam die besorgniserregenden und nicht akzeptablen Zustände in der Gesundheitsversorgung in den Zentralen Erstaufnahmen kritisiert. Das tun Sie zu Recht. Ich finde, dass Sie im Ton manchmal ein bisschen über das Ziel hinausschießen.

(Ksenija Bekeris SPD: Sie ja nicht!)

Dem Kollegen Giffei kann ich insofern zustimmen, als zunächst einmal positiv hervorzuheben ist, dass eine humanitäre Katastrophe durch die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, so viele Flüchtlinge aufzunehmen, verhindert wird. Dennoch entlastet das Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün und sehr geehrte Frau Gesundheitssenatorin, nicht, Ihre Verantwortung im Bereich der Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge auch wahrzunehmen. Allein dadurch, dass man sie aufnimmt, hat man seine Aufgabe noch nicht erfüllt. Aber darüber sind wir uns auch einig.

(Dr. Monika Schaal SPD: Sie tun alle so, als ob nichts passiert!)

Genau, Frau Schaal, bei Ihnen passiert ja immer so viel.

Sie stellen sich nicht hin und sagen: Es ist eine große Herausforderung, die wir anzunehmen haben, und es läuft bei uns keinesfalls alles von Anfang an nur großartig.

(Sylvia Wowretzko SPD: Das hat der Kolle- ge gerade gesagt!)

Denn das hören wir ständig von Ihnen, es läuft immer alles großartig. Es läuft eben leider nicht großartig.