Protocol of the Session on September 30, 2015

Der Zustrom von Flüchtlingen lässt natürlich genau das Problem, was eben schon angesprochen wurde, wieder deutlich werden, nämlich den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Es geht nicht nur um die Erstunterkünfte und die Sammelunterkünfte, es geht darum, das weit größere und wichtige Problem zu bearbeiten, was nach der Erstunterkunft folgt. Und auch da hat der Bürgermeister gesagt, Integration sei nicht nebenbei zu machen. Das ist richtig. Das Hauptproblem ist und bleibt der Wohnungsbau, und zwar mehr sozialer Wohnungsbau. Das hat selbst der ehemalige Senator Gedaschko, der jetzt Präsident des Bundesverbandes Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmer ist, gesagt. Er sagte, es müsse jetzt gebaut werden, denn rund die Hälfte der zu uns kommenden Flüchtlinge werde dauerhaft in Deutschland blei

(Dr. Bernd Baumann)

ben. Zu diesem Dauerhaft-in-Deutschland-Bleiben kann ich nur sagen: Weder Grenzkontrollen, noch Zäune und auch nicht die Erweiterung der sicheren Herkunftsländer wird die Menschen daran hindern, hierher zu kommen. Es werden immer mehr kommen, es werden immer mehr flüchten, und es wird sie nichts abhalten.

Noch einmal zu Frau Dutschke. Zu behaupten, dass der Senat nichts mache bei der Flüchtlingspolitik, kann man nun wirklich nicht ernsthaft behaupten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Problem ist, dass sich die Herausforderung täglich ändert, und deshalb müssen auch außerordentliche Anstrengungen unternommen werden, und zwar von uns allen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt bekommt Frau Güçlü das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich kann mich eigentlich dem, was Dora Heyenn gesagt hat, wunderbar anschließen.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, es ist richtig und wahrhaftig, deutlich zu machen, dass wir mehr Ehrlichkeit in dieser Debatte brauchen. Es geht nicht darum, den Senat zu verteidigen oder an anderer Stelle andere schlechtzureden, sondern wir haben eine gigantische Aufgabe, vor der wir in dieser Republik stehen, nicht nur in Hamburg. Im Grunde hat niemand ein Patentrezept. Man kann auch kein Patentrezept haben, wenn einen die Entwicklung von einem Tag auf den anderen oder von einer Woche auf die nächste überholt und alle Überlegungen zum Teil obsolet werden. Insofern muss ich hier den Senat in Schutz nehmen. Ich denke, er ist aktiv.

Es stellt sich die Frage, ob es reicht, dass daran gearbeitet wird. Reichen die bisherigen Bemühungen? Und ich glaube, da müssen wir tatsächlich sehr genau hinschauen, Frau Prien. Es gibt viele gute einzelne Maßnahmen, aber man gewinnt, Herr Bürgermeister, den Eindruck, dass das Ganze tatsächlich ein bisschen steuerungslos und konzeptlos daherkommt. Man hechelt eigentlich immer hinterher und plant wenig vorausschauend und strukturiert. Das zeigen auch die einzelnen Vorfälle. Der Hungerstreik, das haben Sie alle in den Medien gelesen, ist glücklicherweise beendet, aber ich bin mir nicht so sicher, ob es die letzte Protestaktion war oder ob wir nicht gerade mit dem nahenden Winter mit vielen neuen und eventuell anderen Formen des Protestes rechnen müssen. Dem müssen wir begegnen.

Ein Versuch hierzu war nun der Bund-Länder-Gipfel, der sogenannte Flüchtlingsgipfel auf Bundesebene. Ich hatte viel Hoffnung in diesen Flüchtlingsgipfel gelegt. Sie wissen, ich habe an dieser Stelle auch immer wieder auf Hamburger Ebene einen Gipfel eingefordert. Aber ich persönlich kann mich eigentlich nur der Kritik von Frau Özdemir anschließen. Aus Sicht der Länder ist es gut, dass wir finanziell entlastet werden, auch, wenn die zugesagten Beträge etwas hinter den Erwartungen zurückbleiben. Aber ich denke, der große Erfolg für die Flüchtlinge ist es nicht. Und ich bin nicht die Einzige, die in den Beschlüssen eine ziemlich deutliche Verschärfung des Asylrechts sieht.

Ich finde es falsch, auf die Entwicklung in der Welt mit der Erweiterung der Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu reagieren. Ich glaube, das ist eine konzeptlose Politik. Letztlich liegt dem doch als Ziel zugrunde, dass man die Begrenzung herbeiführen möchte. Und ich finde, das Recht auf Asyl ist ein individuelles Grundrecht, das auf diese Weise ausgehöhlt wird, und deswegen finde ich diese Entscheidung falsch.

(Ksenija Bekeris SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Ich finde es auch sehr enttäuschend, dass sich die GRÜNEN leider für diese Regelung hergegeben haben.

Ein letzter Punkt. Die Verlängerung der Verweildauer in der Zentralen Erstaufnahme halte ich für verheerend. Ich bin sehr enttäuscht, dass Hamburg es mittragen wird, dass Menschen für eine Dauer von sechs Monaten von integrationspolitischen Maßnahmen ausgeschlossen sind, dass ein Ausnahmezustand weiterhin anhält. Die Menschen wissen dann im Grunde genommen gar nicht, wie es mit ihnen weitergeht.

Trotzdem glaube ich, dass wir die Anstrengungen jetzt erst recht noch mehr intensivieren müssen, gerade in Hamburg, und dass wir das kompensieren müssen, was vielleicht auf Bundesebene zum Teil falsch gemacht wird. Wir werden nämlich am Ende merken, dass wir gegen eine Wand laufen und dann wieder zurücksteuern und zurückrudern müssen. Ich kann Ihnen an dieser Stelle immer nur wieder meine Hilfe anbieten und auch das Gespräch mit denjenigen, die wirklich arbeiten. Ich bekomme nämlich immer mehr den Eindruck, Herr Senator, dass unser System hier kollabieren würde, wenn die ganzen Ehrenamtlichen nicht wären. Wie mit dem Bereich umgegangen wird, wirkt wirklich sehr, sehr konzeptlos. Ich wünsche mir, dass wir den Menschen gerecht werden, gerade jetzt, wo der Winter naht. Die Sorge, dass nun Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, wächst auch zunehmend in der Bevölkerung, beispielsweise Wohnungslose und Obdachlose gegen Flüchtlinge. Ich möchte diese Zustände nicht durch bestimmte politische Kräfte in der Stadt instrumentalisiert se

(Dora Heyenn)

hen und hoffe, dass Sie da noch aktiver werden. – Danke.

Meine Damen und Herren! Das Wort bekommt Senator Neumann.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Der Verlauf der Debatte hat die verschiedenen Sichtweisen auf die Herausforderungen deutlich werden lassen, nicht nur gestern Abend im Innenausschuss, sondern auch heute hier. Wir werden im Laufe des Tages auch noch weitere Debatten dazu führen. Die Herausforderung, vor der Deutschland steht, die Herausforderung, vor der Hamburg steht, die Herausforderung, vor der wir alle gemeinsam stehen, will ich an zwei Zahlenbeispielen deutlich machen.

Am Anfang des Jahres 2015 hatten wir insgesamt für die Zentrale Erstaufnahme 3 500 Plätze. In der Ihnen vorliegenden Drucksache zur späteren Entscheidung, die knapp zwei Wochen alt ist, steht noch, dass wir innerhalb von neun Monaten von 3 500 Plätzen auf 12 000 Plätze aufgestockt haben. Diese Zahl habe ich bereits gestern im Innenausschuss korrigiert, weil nämlich in den letzten zehn Tagen noch einmal 2 000 Plätze obendrauf gekommen sind. Das allein macht deutlich, was hier seitens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch durch die unglaubliche ehrenamtliche Unterstützung in dieser Stadt bisher geleistet wurde, was aber auch noch in Zukunft zu leisten ist. Und ich finde, das ist ein Anlass, trotz aller Kritik im Einzelfall, stolz darauf zu sein, was Hamburg, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, aber auch die Bürgerinnen und Bürger an dieser Stelle für unsere Stadt, für die Flüchtlinge, aber vor allen Dingen auch für uns selbst, für unser Bild in der Welt, geleistet haben.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dennis Gladiator CDU und Carl-Edgar Jar- chow FDP)

Natürlich, das ist auch richtig zitiert worden, streben wir an, dass wir zum Winter, zum Weihnachtsfest, keinen Menschen in Hamburg vor Obdachlosigkeit in Zelten schützen müssen beziehungsweise niemand in Zelten untergebracht sein muss.

Als ich dieses Ziel formuliert habe, lag das aber deutlich vor der Entscheidung der Frau Bundeskanzlerin, der gesamten Bundesregierung, inklusive übrigens des bayrischen Ministerpräsidenten, den Menschen in Ungarn eine Perspektive durch Zuzug nach Deutschland zu geben. Und diese Entscheidung der Bundesregierung hat zu einem Anstieg der Zuwanderung geführt, die sich natürlich nicht nur dramatisch in Bayern ausgewirkt hat. In Bayern führt das dazu, dass nur durch den Einsatz

der gesamten deutschen Bundespolizei die öffentliche Ordnung und die Aufnahme von Flüchtlingen bewerkstelligt werden kann. Das hat im Übrigen auch dramatische Auswirkungen auf die innere Sicherheit. Es wird keine Begleitung mehr durch Bundespolizeikräfte während der Fußballwochenenden geben, die Risikospiele werden nun unbegleitet öffentlich stattfinden. Das sind große Herausforderungen, das werden wir auch spüren, aber es zeigt, dass selbst ein so stolzes Land wie Bayern, das immer auf den Status des Freistaats Wert legt, bis an die Grenze und darüber hinaus herausgefordert wurde und herausgefordert bleibt. Es hat für unsere gesamte Republik mit dieser Entscheidung der Bundesregierung eine weitere Veränderung beim Zuzug gegeben, den wir uns vielleicht alle gemeinsam so gar nicht vorstellen konnten.

(Zuruf von der AfD: Sind Sie mit an der Re- gierung?)

Sie haben recht. Diese Entscheidung der Bundesregierung war dem Senat nicht bekannt, und deshalb haben wir auch kein Konzept dafür entwickelt. Es war nicht vorauszusehen, dass so viele Menschen über die Balkanroute den Weg nach Deutschland finden würden. Trotzdem stellen wir uns der Herausforderung, und trotzdem haben wir es bis zum heutigen Tage geschafft. Auch das ist ein Beleg dafür, dass wir der Aufgabe gewachsen sind.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wenn man sich die Zahlen vor Augen hält, dann wird auch deutlich, dass das – überraschenderweise für mich, das gebe ich offen zu – in unglaublich vielen Fällen hervorragend geklappt hat. Es hat aber in Bergedorf nicht so funktioniert, wie wir uns das alle gemeinsam vorstellen. Dafür trage ich natürlich unstrittig die politische Verantwortung, weil es in meinem Verantwortungsbereich geschehen ist. Aber ich will deutlich sagen, und habe das auch heute noch einmal gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Ausdruck gebracht: Ich möchte Mitarbeiter haben, die den Mut zur Entscheidung haben. Und selbst wenn sich die Entscheidung im Nachhinein als zweckmäßig oder unzweckmäßig herausstellt, so ist doch alles besser als keine Entscheidung. Und ich werde für jede dieser Entscheidungen meiner Mitarbeiter öffentlich die Verantwortung tragen. Deshalb stehe ich vor meinen Mitarbeitern, neben meinen Mitarbeitern und hinter meinen Mitarbeitern. Sie können sich gern an mir abarbeiten, keine Frage, das ist auch Ihre Aufgabe. Aber ich bin stolz darauf, dass ich Mitarbeiter habe, die das bisher in einer Art und Weise geschafft haben, die einzigartig ist, und ich gehe so weit zu sagen, die sogar einzigartig in Deutschland ist, und das ist ein Privileg für unsere Stadt.

(Nebahat Güçlü)

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und Dr. Jörn Kruse AfD)

Wir arbeiten daran, wir lernen daraus. Wir haben den Anspruch einer Null-Fehler-Kultur. Aber es werden auch in Zukunft Fehler geschehen, die ich hier auch weiter öffentlich vertreten und entsprechend rechtfertigen werde beziehungsweise für die ich die Verantwortung übernehmen werde. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass wir bei der weiter steigenden Herausforderung der Zuwanderung alles immer geräuschlos so schaffen, dass es niemand merkt.

Wenn wir überall Tausende von Flüchtlingen zusätzlich unterbringen – was wir wollen und was wir auch erreichen werden –, dann können wir nicht so tun, als ginge das geräuschlos und es würde niemand merken.

(André Trepoll CDU: Ihre Abgeordnetenkol- legen sagen das aber genauso! Alles geht weiter wie bisher!)

Es wird Auswirkungen haben, und wir müssen auch die Kraft haben, mit diesen Auswirkungen zu leben. Und wir sollten, Herr Trepoll, vor diesen Herausforderungen keine Angst schüren, sondern eher Mut machen, damit wir das gemeinsam schaffen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Kazim Abaci SPD: Richtig!)

Der Berliner Flüchtlingsgipfel ist ein Baustein, um der Situation Herr zu werden. Es bedarf vieler weiterer Bausteine, über einen werden wir heute auch debattieren. Aber es werden weitere folgen. Der Flüchtlingsgipfel selbst hat mit der Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten eine Forderung erfüllt, die der Bürgermeister und auch ich, in Hamburg wie auf Bundesebene, vertreten haben. Auch die Verlängerung der Residenzpflicht ist eine richtige Entscheidung. Aber Voraussetzung ist natürlich auch, dass die anstehenden Asylanträge zügig bearbeitet werden. Deswegen ist auch die Kritik an mangelnder Rückführung oder Abschiebung wohlfeil dahingehend, als dass natürlich auch bei denjenigen, die aus sicheren Herkunftsstaaten in unser Land einreisen, ein Verfahren durchgeführt werden muss, der Rechtsweg offensteht und dass wir dementsprechend auch – und das ist eines Rechtsstaats mehr als würdig – ordentliche Verfahren haben. Von daher bitte ich auch hier, dem Impuls der Polemik nicht nachzugeben, sondern dem Impuls der Wahrhaftigkeit nachzufolgen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Frau Möller hat die Frage gestellt, was man gewinne, wenn man in der Art und Weise Debatten und Diskussionen hier und an anderer Stelle öffentlich führt. Ich möchte daran erinnern, dass Integration natürlich einen langen Atem voraussetzt. Das ist bildlich gesprochen kein Sprint, sondern ein Mara

thon, und mit dieser Herausforderung werden wir die nächsten 30 bis 40 Jahre konfrontiert sein. Das setzt aber auch voraus, dass wir Politikerinnen und Politiker als diejenigen, die den Anspruch haben, diese Gesellschaft gestalten zu wollen, verantwortlich mit dieser Herausforderung umgehen, dass wir über Risiken und Chancen sprechen, dass wir aber der Versuchung widerstehen, Ängste und Befürchtungen zu schüren.

(André Trepoll CDU: Wo leben Sie denn, Herr Neumann! Sprechen Sie denn mit den Menschen?)

Denn das sage ich Ihnen deutlich: Dieses Feuer, das dort vielleicht spielerisch von dem einen oder anderen gelegt wird, wird uns alle am Ende verzehren. Deshalb warne ich an dieser Stelle davor, leichtfertig Diskussionen zu führen, die vielleicht kurzfristig in der einen oder anderen Umfrage von Vorteil sind.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das ist doch eine Unterstellung!)

Ich glaube, langfristig funktioniert nur der Weg der Integration, der Annahme der Aufgabe und der Herausforderung, erfolgreich zu sein. Wie mir Ihre Aufregung zeigt, habe ich an dieser Stelle den richtigen Punkt angesprochen, weil Sie im Innersten schon wissen, auf welchem falschen Wege Sie in Teilen sind. – Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nach Paragraf 22 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung haben jetzt alle Fraktionen noch einmal die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen. – Zunächst erhält es Frau Dutschke von der FDP-Fraktion.

Frau Möller, Frau Bekeris! Bei allem Respekt, aber Ihre Kritik ist wirklich substanzlos gewesen.