Protocol of the Session on October 23, 2019

Die Kirchenväter und die Potentaten des christlichen Mittelalters schlugen in dieselbe Kerbe. Mit dem Satz aus dem Matthäus-Evangelium, sein Blut komme über uns und unsere Kinder, ließ sich jedes Pogrom rechtfertigen. Im 19. Jahrhundert gesellte sich der rassistische Judenhass zum religiösen, im 20. Jahrhundert die Idee der jüdischen Weltverschwörung. Wer nur irgendetwas aus unserer 1 200-jährigen Geschichte Deutschlands gelernt hat, versteht, dass Judenhass in der europäischen wie in der arabischen Kultur fest verwurzelt ist. Er kommt deshalb in allen Parteien vor in dem Maße, wie einige Protagonisten sich nicht verstellen oder meinen, so fest im Sattel zu sitzen, dass

(Dr. Alexander Wolf)

sie damit davonkommen. Eine Liste kann ich mir jetzt ersparen, weil sie gestern in der "Bild"-Zeitung veröffentlicht wurde. Erwähnt sei nur, Merkel hat im Sommer in Rumänien interveniert, um zu verhindern, dass die rumänische Botschaft in die Hauptstadt Israels verlegt wird. Höchste Repräsentanten machen sich mit Menschen gemein, hauptsächlich aus dem Iran und von den Palästinensern, die die Judenvernichtung leugnen oder gar fordern.

Der Täter von Halle war kein AfD-Mitglied. Kontakte zur AfD sind ebenfalls nicht bekannt. Auch nicht zur IB, zur NPD, zu rechtsextremen Kameradschaften auch nicht. Er spielte nicht deren Musik, sprach nicht deren Sprache. Als seine Waffen an der Eingangstür der Synagoge scheiterten, tötete er wahllos. Er war im Studium gescheitert, im Beruf, verbrachte seine Zeit auf Imageboards im Netz, wo typischerweise Gewalt dargestellt wird, abartige Pornografie und Frauenhass. Verständlich für einen Typ, der aufgrund seiner Lebensführung für Frauen uninteressant ist und den Drang verspürt, sich dafür an den Frauen zu rächen. Ein Versager, wie alle Amokläufer, und ein Gernegroß.

Wichtiger noch als seine Verbitterung und sein Nihilismus war sein Trieb zum Tabubruch. Der Bruch von Tabus der bürgerlichen, christlichen, nationalen Moral war 60 Jahre lang das Feld der Linken. Das funktioniert kaum noch, weil diese Tabus inzwischen alle gebrochen sind. Wer Tabus brechen möchte, dem bleibt nur noch die Flucht ins Milieu, das Sie als rechts bezeichnen.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Und deswegen sind Sie da!)

Dort kann er sagen, was Sie ablehnen, und das ist sehr, sehr viel. Der Königsweg zur Provokation ist dreispurig, Nationalsozialismus, Rassismus und in der Mitte als einzig verbotene Meinung die Leugnung der nationalsozialistischen Judenvernichtung.

Nackt durch die Straßen rennen ist auch ein Tabubruch. Groß raus kommt man damit nicht. Da braucht es zusätzlich eine Ideologie, am besten eine verdammte. Endlich einmal beachtet werden, das war sein Ziel. Wie der Täter von Christchurch, sein großes Vorbild. Auf der Highscore List der 100 tödlichsten Amokläufer landen, in der Encyclopedia Dramatica.

Noch einige Worte an die AfD. Ihr habt doch nicht ernsthaft erwartet, dass die Gebrauchtparteien sich diese Gelegenheit entgehen lassen, einen Mord zu instrumentalisieren im Kampf gegen politische Konkurrenz? Wenn der behauptete Kausalzusammenhang zwischen der Politik der AfD und dem Mord noch so fadenscheinig, ja absurd ist, die pure Wiederholung durch viele politische Akteure macht es und die Bereitschaft der Medien, sie dem Michel einzuhämmern. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Das Wort hat nun Herr Senator Grote.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete! Der rechtsterroristische Mordanschlag von Halle hat die allermeisten von uns und hat uns als Gesellschaft im Innersten getroffen und er verändert die Realität in unserem Land. Insbesondere die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hat der antisemitische Angriff am Jom-Kippur-Tag unter Schock gesetzt, und in einer Weise, die, glaube ich, kaum einer von uns überhaupt auch nur nachempfinden kann. Deswegen war es sehr wichtig, dass der Bürgermeister noch am selben Abend, als noch alle dort versammelt waren, die Synagoge an der Hohen Weide aufgesucht hat und dem Landesrabbiner gesagt hat, wir sind jetzt bei euch, wir stehen fest an eurer Seite, der Senat, die Stadt. Wir wollen jüdisches Leben in unserer Stadt, je vielfältiger und je reicher, desto besser. Wir werden alles tun, um euch zu schützen, und wir werden den Antisemitismus in unserer Stadt niemals dulden.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN und der FDP)

Wir haben in Hamburg seit Jahren ein funktionierendes, ein bewährtes Schutzkonzept mit ständiger Präsenz vor den jüdischen Einrichtungen, mit Postierung bei Veranstaltungen, mit Bestreifung relevanter Orte und Unterstützung bei technischen Maßnahmen. Natürlich war das jetzt der Zeitpunkt, die Maßnahmen noch einmal zu überprüfen, und wir haben gerade den Schutz bei Veranstaltungen, auch bestimmte technische Sicherungen noch einmal verstärkt und den Schutz ausgeweitet. Das gilt im Übrigen auch für die Liberale Jüdische Gemeinde, mit der wir darüber hinaus im Gespräch sind.

Natürlich fördert der Senat die Entwicklung des jüdischen Lebens insgesamt in der Stadt, auch im Haushalt kann man das ein bisschen sehen, im aktuellen Doppelhaushalt mit 2 Millionen Euro Landesleistung. Es kommen noch einmal weitere finanzielle Unterstützungen für Sicherheitsmaßnahmen dazu.

Wenn wir insofern heute aus aktuellem Anlass diskutieren, was wir darüber hinaus bei der Prävention und bei der Unterstützung der jüdischen Kultur in unserer Stadt noch verbessern können, dann können wir, glaube ich, schon sagen, dass wir darauf ein breites Fundament an Maßnahmen und Programmen, Veranstaltungen und Angeboten aufsetzen können, exemplarisch ist das zum Ausdruck gekommen im Fachtag Antisemitismus unter Federführung der BASFI im Juni.

Alle Anstrengungen, die wir nun unternehmen und die erforderlich sind, unternehmen wir, weil wir gerade jetzt sicherstellen wollen, dass Antisemitismus in unserer Stadt wirklich gar keinen Raum hat.

(Dr. Ludwig Flocken)

Wir unternehmen diese Anstrengungen nicht, und das ist mir schon wichtig, weil wir in Hamburg eine besondere Gefährdungslage hätten oder weil wir eine auffällige Entwicklung bei antisemitischen Straftaten haben. Wir haben bundesweit eine problematische Entwicklung, wir haben in Hamburg eine demgegenüber eher unauffällige Entwicklung, in 2019 gehen die Zahlen zurück. Was sich eben aus den Zahlen der antisemitischen Straftaten auch nicht ableiten lässt, ist ein größerer Anteil von islamistisch oder islamisch-religiös motivierten Taten.

Damit kommen wir dann zur AfD, Herr Dr. Wolf. Wenn man sich das einmal ansieht, all Ihre Initiativen, die Sie eben aufgezählt haben, hatten fast alle einen Tenor, nämlich mit dem Finger auf den Islam und seine Vertreter in dieser Stadt zu zeigen und zu sagen, da sind die Feinde des Judentums, gegen die müsst ihr einmal etwas unternehmen.

(Beifall bei der SPD)

Das kann man so machen und da kann man sich hier hinstellen nach so einem Anschlag in Halle und kann das hier noch einmal alles herunterbeten. Man kann es schaffen, in einer Aktuellen Stunde sich hinzustellen und nicht ein einziges Wort zum Thema Rechtsextremismus zu sagen. Wie ist das überhaupt möglich? Das ist nämlich das eigentliche Problem, das wir haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP)

Wir haben es hier mit blankem, widerwärtigem Rechtsextremismus zu tun, und die AfD hätte allen Anlass, sich damit auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP)

Der Rechtsextremismus ist stärker geworden, er ist militanter geworden, er ist gefährlicher geworden, er hat einen internationalen Kontext, er richtet sich gegen viele Gruppen. In Halle war es die Jüdische Gemeinde, mit Walter Lübcke wurde ein politischer Amtsträger ermordet, in Christchurch waren die Opfer Muslime, in El Paso waren es mexikanische Zuwanderer. Die Anschläge richten sich insgesamt gegen unsere freie, demokratische, offene Gesellschaft; das ist die Bedrohungslage, vor der wir stehen, und sie ist größer als je zuvor.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN und der FDP)

Diese Bedrohung fordert uns heraus, sie fordert uns als Staat, sie fordert unsere Gesellschaft heraus, und dies beginnt natürlich dabei, wie wir miteinander umgehen, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, wie sich der Diskurs entwickelt, wie sich die politische Debatte entwickelt. Und die AfD hat wie keine andere Partei Hass, Herabsetzung und Ausgrenzung in die politische Debatte der letzten

Jahre getragen. So etwas haben wir in Deutschland überhaupt noch nicht erlebt.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wenn Sie von Instrumentalisierung sprechen, dann bin ich schon ein bisschen, ja, ich will nicht sagen, fast beeindruckt davon, wie Sie es schaffen, selbst in einer solchen Debatte, wo es um die schreckliche Tat in Halle geht und um all das, was das für uns als Gesellschaft bedeutet, sich hier hinzustellen und zu erklären, dass die AfD das eigentliche Opfer dieses Anschlags ist.

(Zuruf)

Doch.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN, der LINKEN, der FDP und bei Neba- hat Güçlü fraktionslos)

Ich wollte eigentlich noch eine Menge sagen zu dem, was wir an Maßnahmen im Kampf gegen Rechtsextremismus in Hamburg angeschoben haben, was wir jetzt mit großer Konsequenz weiterführen wollen. Es ist eine ansehnliche Liste, ein großes Maßnahmenpaket, glaube ich, und es lohnt sich bestimmt, das vielleicht noch einmal im Ausschuss zu vertiefen.

Ich will dann schließen mit einer Bemerkung. Diese Stadt, die Freie und Hansestadt Hamburg, hat eine große und lange Tradition der Freiheit, der Vielfalt, der Demokratie, der Liberalität und des Entgegentretens gegen Hass, Diskriminierung, Ausgrenzung und Unmenschlichkeit. Und dafür, darauf kann sich jeder in diesem Haus verlassen, wird der Senat alles tun, und das wird auch in Zukunft so bleiben. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der FDP und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Herr Abaci bekommt das Wort für die … Verzeihung, Frau von TreuenfelsFrowein, Verzeihung, Sie bekommen selbstverständlich das Wort für die FDP-Fraktion.

Liebe Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe dieses Thema heute angemeldet, und ich muss ehrlich sagen …

(Urs Tabbert SPD: Ihre Fraktion!)

Unsere Fraktion hat es angemeldet. Vielen Dank für die Nachhilfe. Vielen Dank. Ja, genau, unsere Fraktion hat es angemeldet. Das kostet mich immer drei Sekunden.

Wir haben es angemeldet, weil es uns wichtig war, über dieses Thema mit Ihnen allen zu sprechen. Und ich muss ehrlich sagen, ich bedanke mich da

(Senator Andy Grote)

für, dass wir hier nicht nur so einen Konsens haben, von dem man sagen kann, ja, wir haben einen überfraktionellen Antrag gemacht, sondern ich glaube schon, wir haben hier einen menschlichen Konsens. Ich glaube, das ist es genau, worauf es uns jetzt allen ankommen muss.

Es muss auf noch etwas ankommen. Dieses Thema dürfen wir jetzt nicht einfach fallen lassen. Deswegen ist es gut, auch von Herrn Tjarks, zu sagen, lasst uns doch einfach die Synagogen hier sichtbarer machen, lasst uns da doch unterstützen. Wenn wir diese Vorschläge, die wir hier alle haben – ihr habt gute Vorschläge gemacht, wir haben auch einen großen Katalog an Vorschlägen –, jetzt zusammentun und genauso wie momentan konstruktiv diskutieren, dann haben wir wirklich etwas, das wir zusammen auf den Weg bringen können. Wenn man etwas zusammen auf den Weg bringt, steht jeder dahinter, und dann kann man es auch schaffen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und bei Birgit Stöver CDU)

Ich möchte trotzdem noch zwei Anmerkungen machen. Ich hätte mir schon gewünscht, dass unser Erster Bürgermeister heute zu diesem Thema spricht. Ich finde, es hat eine so grundsätzliche Bedeutung für diese Stadt, dass ich das doch noch als Kritik gern anmerken möchte, dass ich es nicht so gut finde, Herr Tschentscher, dass Sie heute hier nicht gesprochen haben. Das hätte ich schon erwartet.

Und dann möchte ich zur AfD sagen, das, was Sie auch schon gesagt haben, Herr Grote, macht mich echt fassungslos. Sie schaffen es hier wirklich in jeder einzelnen, manchmal auch noch so unwichtigen Debatte, diese AfD-Opferfahne hochzuziehen. Wie können Sie es wagen, in einer Debatte, wo es definitiv überhaupt nicht um Sie geht, so hier aufzutreten. Das beschämt diese ganze Debatte. Wissen Sie, ehrlich, ich bin weit davon entfernt, Ihnen ständig Rechtsradikalismus vorzuwerfen, weil ich das manchmal auch einfach zu ritualisiert finde, aber in diesem Moment ist es sehr wichtig, dass auch Sie einmal, wenn es denn nicht so ist bei Ihnen in der Partei, hier Farbe bekennen und sagen, wir wollen es anders. Aber Sie haben zum Rechtsradikalismus tatsächlich kein einziges Wort gesagt. Das geht doch nicht. Was machen Sie denn? Das geht nicht.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das ist völlig undenkbar. Und das zeichnet Sie doch aus, dass Sie so sind, aber dass Sie es an bestimmten Stellen immer noch nicht schaffen, es nicht zu tun, ehrlich, das disqualifiziert Sie für mich, in einer ernsthaften Art und Weise bei diesem Thema überhaupt mitzureden. Da, muss ich ehrlich sagen, bin ich froh, dass wir hier alle auf einer Seite

stehen. Ich bin bestimmt keiner, der irgendjemanden ausgrenzt, aber das hat mich echt schwer schockiert. Da bitte ich Sie, dass Sie wirklich einmal in sich gehen und einmal die Wurzel dessen untersuchen, wozu Sie – vielleicht nicht gerade Sie, die Sie hier in Hamburg sind – aber auch beitragen, denn eine Verrohung der Sprache, das müssen wir noch einmal klar sagen, die kommt wirklich von Ihrer Seite.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)