Protocol of the Session on August 28, 2014

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Rettungsdienst der Freien und Hansestadt Hamburg auf die gewachsenen Anforderungen ausrichten! – Drs 20/12686 –]

Die Fraktionen der SPD, der FDP und der LINKEN möchten diese Drucksache an den Innenausschuss überweisen.

Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Den Rettungsdienst auf die gewachsenen Anforderungen ausrichten – mit dieser Forderung an den Senat weisen wir auf ein großes und, wie ohne Gegensteuern zu befürchten ist, wachsendes Problem hin, das potenziell jeden Menschen in dieser Stadt betrifft: auf den Rettungsdienst als wesentliche Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wir haben über die Frage des Rettungsdienstes an dieser Stelle bereits vor eineinhalb Jahren diskutiert. Getan hat sich überhaupt nichts. Unser damaliger Antrag, das Rettungsdienstgesetz dringend zu novellieren, um die größten Probleme anpacken zu können, wurde überwiesen und ruht seither, also seit anderthalb Jahren, im Ausschuss. Die Mehrheitsfraktion will einfach nicht ran.

Aber es geht beim Rettungsdienst im Kern um die Gesundheit und oft um das Leben von vielen Menschen in dieser Stadt. Deshalb werden wir auch nicht lockerlassen. Wir fordern mit unserem neuen

(Mehmet Yildiz)

Antrag an vorderster Stelle, eine Bedarfsplanung für Rettungsdienst und Krankentransport vorzunehmen, um den Einsatz lebensrettender Maßnahmen zu optimieren,

(Beifall bei der LINKEN)

denn die Situation ist alles andere als beruhigend. Das ist keine Übertreibung. Fast 250 000-mal wurde im vergangenen Jahr der öffentliche Rettungsdienst alarmiert. Ein kleiner Teil davon waren Fehlalarme, aber in über 220 000 Fällen rückten Rettungswagen aus, um Notfallpatienten zu versorgen beziehungsweise in die Notfallaufnahme von Krankenhäusern zu bringen. In über 220 000 Fällen mussten Menschen rechtzeitig erreicht werden. Das ist eine große Aufgabe. Die organisatorische Leistung, die die Feuerwehr und im Verbund die Hilfsorganisationen zu bewältigen haben, ist gewaltig. Damit die Menschen wirklich rechtzeitig erreicht werden, müssen die Bedingungen stimmen, und diese stimmen leider nicht. In über 55 000 von 220 000 Fällen erreichen die Rettungswagen die Patientinnen und Patienten potenziell zu spät. Die sogenannte Hilfsfrist, also die Zeit von der Alarmierung bis zum Eintreffen der Rettungswagen am Einsatzort, beträgt nach der Planvorgabe des Senats ähnlich wie in anderen bundesdeutschen Großstädten acht Minuten. Kommt der Rettungswagen später, kommt er gar deutlich später, kann es im schlimmsten Fall zu spät sein. Laut der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin muss die stationäre Diagnostik und Therapie in schweren Fällen spätestens 60 Minuten nach dem Notrufeingang beginnen. Es geht oft buchstäblich um Minuten, ja Sekunden.

Es gibt einen weiteren wichtigen Wert, die Erfüllungsquote: In wie viel Prozent der Einsätze trifft der RTW innerhalb dieser acht Minuten ein? Die Rechtsprechung hält den Rettungsdienst für funktionsfähig, wenn die Hilfsfrist in Ballungsräumen in 90 Prozent der Fälle eingehalten wird. Die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren hält sogar einen Erfüllungsgrad von 95 Prozent für notwendig. In Hamburg betrug die Sollvorgabe bis 2007/2008 95 Prozent. Bis heute haben die verschiedenen Senate die Sollvorgabe auf 72 Prozent gesenkt – von 95 auf 72 Prozent. Diese 72 Prozent sollen auch in den nächsten Jahren gelten; so steht es im Haushaltsplan. Erreicht wurden im letzten Quartal 70,8 Prozent, also nicht einmal diese 72 Prozent, und die Tendenz ist sinkend. Wenn sich nichts ändert, wird diese Quote weiter sinken, denn die Zahl der Rettungseinsätze wird aufgrund verschiedener Einflussfaktoren – wachsende Stadt, demografische Entwicklung und so weiter – in den nächsten Jahren steigen. Das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Schwachpunkte müssen restlos aufgedeckt und beseitigt werden. Nach unserer Auffassung gibt es vor allem folgende Probleme.

Erstens: Das Netz der Feuer- und Rettungswachen über das gesamte Stadtgebiet ist unzureichend. Es fehlen laut Strategiepapier sechs Feuer- und Rettungswachen. Es gibt 38 und es fehlen sechs. Ein Blick in den Haushaltsplan zeigt, dass der Senat nicht nur für die nächsten beiden Jahre, sondern im Prinzip auch für die folgenden Jahre 2017/2018 keine einzige Wache plant, und je später geplant wird, desto später werden die Wachen da sein. In den nächsten fünf, zehn Jahren ist an neue Wachen also nicht zu denken, und das geht nicht.

Zweitens: Die Personaldecke der Feuerwehr ist zu dünn. Es gibt, das wollen wir zugestehen, gute Erfolge bei der Senkung des Krankenstandes. Es gibt auch eine Ausbildungsoffensive und eine Aufstockung des Personals. Das ist gut, aber der Umfang der Aufstockung ist bei Weitem zu gering.

Drittens: Die Hilfsorganisationen wie Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund, Malteser, Johanniter und so weiter werden nur in geringem Maße am Rettungsdienst beteiligt. Ihr Anteil an den Einsätzen liegt immer deutlich unter 10 Prozent, obwohl ihre Kapazitäten größer sind. Wir fordern deshalb, sie auf der Grundlage des bestehenden öffentlich-rechtlichen Vertrages stärker in die Notfallrettung einzubeziehen, die natürlich in der Verantwortung der Feuerwehr bleiben muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Selbstverständlich sind Aushandlungsprozesse über das Wie der besseren Einbeziehung nötig, aber im Interesse von Gesundheit und Leben der auf schnelle Notfallrettung angewiesenen Menschen muss die Einbeziehung dringend erfolgen.

Viertens: Der Senat hat die anstehende Novellierung des Rettungsdienstgesetzes hintangestellt, bis die EU-Richtlinie in Bundesrecht umgesetzt ist. Das soll, so hörten wir jetzt in der Innenausschusssitzung, wahrscheinlich im Herbst 2015, also in frühestens einem Jahr, auf die Tagesordnung des Bundestages kommen. Die Begründung des Senats überzeugt nicht, denn es gibt so viele hausgemachte Hamburger Probleme, die jetzt gelöst werden müssten und könnten. Das darf nicht auf 2016 folgende verschoben werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Verschiebung der Novellierung ist schon deshalb höchst problematisch, weil mit dem Abschluss von TTIP ein neuer Schub der Deregulierung und Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit auch des Rettungsdienstes droht. Auch deshalb muss der Senat so schnell wie möglich handeln und durch eine Novellierung des Gesetzes die Probleme lösen, die in Hamburg gelöst werden können.

Wir freuen uns natürlich über die Überweisung, aber wenn daran gedacht sein sollte, sie bis zum Ende der Legislaturperiode ruhen zu lassen, damit die Diskontinuität eintritt, dann gehen wir auf die Barrikaden.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Münster von der SPD-Fraktion hat das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Rettungsdienst in Hamburg sieht sich in der Tat seit Jahren steigenden Einsatzzahlen ausgesetzt. Der Rettungsdienst gehört in Hamburg zu den Kernaufgaben der Feuerwehr. Diese und die zuständige Innenbehörde haben sich daher natürlich auf die Entwicklung einzustellen und entsprechende Maßnahmen zu treffen.

(Zuruf von Christiane Schneider DIE LINKE)

Und das tun sie, Frau Schneider.

Wie Sie richtigerweise erwähnt haben, haben wir die Einstellung fertig ausgebildeter Rettungsassistentinnen und –assistenten vorgenommen. Darüber hinaus stellt die Feuerwehr nunmehr verstärkt Personal ein. Auf Antrag der SPD-Fraktion ist im Jahre 2012 eine Ausbildungsoffensive beschlossen worden, und wir stellen seit Beginn 2013 jährlich 80 neue Nachwuchskräfte bei der Feuerwehr ein.

(Beifall bei der SPD)

Damit ist die Kapazitätsgrenze der Feuerwehrakademie leider erreicht.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Und wie viel geht weg?)

Diese Maßnahmen werden auch in den kommenden Jahren fortgeführt, das heißt, wir sind immer am Ball, Frau Schneider. Gleichzeitig konnte erfreulicherweise, wie Sie auch berichtet haben, der Krankenstand bei der Hamburger Feuerwehr gesenkt werden, und dieser Umstand wirkt sich natürlich positiv auf das zur Verfügung stehende Personal aus. Zugleich sind auch die Hilfsorganisationen bereits heute im Rahmen des öffentlichen Rettungsdienstes in die Notfallrettung eingebunden, wenn auch nicht zu einem großen Anteil; das gestehen wir gerne zu. Allerdings steht bei den zukünftig weiter steigenden Einsatzzahlen wohl außer Frage, dass diese Organisationen stärker eingebunden werden sollen und auch eingebunden werden müssen. Sofern DIE LINKE aber nun als Sofortmaßnahme eine stärkere Einbindung der Hilfsorganisationen verlangt, möchte ich auf die diesbezügliche Beratung im Innenausschuss letzten Dienstag verweisen und daran erinnern, dass die Frage, unter welchen insbesondere vergaberechtlichen Voraussetzungen Hilfsorganisatio

nen zukünftig in den Rettungsdienst eingespeist werden können, noch nicht abschließend geklärt ist.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Herr Münster, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Schneider?

Nein, lassen Sie uns eine Runde abschließen, dann kann sie sich noch einmal melden. Frau Schneider, Sie haben lange geredet, nun lassen Sie mich kurz etwas dazu sagen. Dann können Sie sich noch einmal melden, und dann spielen wir das gleiche Spiel wie in der Aktuellen Stunde. Dann müssen wir einmal schauen, wann wir heute Feierabend machen.

Sowohl der Senat als auch große Teile der Bürgerschaft haben ein Interesse an der baldigen Novellierung des Hamburger Rettungsdienstgesetzes. Der Senat hat aber gerade erst in dieser Woche wieder einmal im Innenausschuss sehr nachvollziehbar dargestellt, warum hierfür zunächst eine bundesgesetzliche Umsetzung der EU-Vergabebestimmungen abzuwarten ist. Es bringt nichts, ein Gesetz ins Blaue hinein zu ändern, das dann nach kurzer Zeit gegebenenfalls revidiert werden muss. Es geht dabei also nicht um die Frage des Ob bei der Einbindung der Hilfsorganisationen, sondern darum, unter welchen Voraussetzungen sie künftig eingebunden werden können. Ich erinnere daran, dass der Senator gesagt hat, er hätte das sehr gerne in dieser Legislaturperiode umgesetzt; Sie werden sich daran erinnern, Sie waren anwesend in der letzten Innenausschusssitzung. Deswegen läuft Ihr Vorwurf, Frau Schneider, der Senat tue in dieser Sache nichts, ein bisschen ins Leere. Wir sind da lange dran und würden es lieber heute als morgen umsetzen, aber wir müssen auch die Voraussetzungen dazu haben.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden diesen Antrag logischerweise an den Innenausschuss überweisen. Da können wir dann noch einmal ins Detail gehen. Das ist überhaupt kein Problem für uns, und ich kann Ihnen versprechen, dass er auch behandelt wird. Ob das in der nächsten oder übernächsten Sitzung der Fall sein wird,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Über- nächste reicht!)

das muss man mit dem Vorsitzenden des Innenausschusses absprechen, denn er legt die Tagesordnung fest und nicht wir, aber wir werden dieses Jahr sicherlich noch darüber reden. Deswegen hier auch nur eine Kurzfassung, und ich glaube, dann bekommen wir ein bisschen mehr Klarheit rein. – Vielen Dank.

(Christiane Schneider)

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Voet van Vormizeele von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kritik, die in der Einleitung des Antrags der LINKEN steht, stimmt leider. Daran zeigt sich deutlich, dass das Hamburgische Rettungsdienstgesetz dringend novelliert werden muss. In diesem Rahmen muss ebenfalls, wie bereits mehrfach von uns eingefordert, die strategische, personelle und materielle Aufstellung der Hamburger Feuerwehr auf Grundlage des Strategiepapiers 2010 neu optimiert werden. Wir begrüßen zwar, dass es uns im Innenausschuss gelungen ist, in einem ersten Schritt die Empfehlung umzusetzen, das Schutzziel der Feuerwehr auf die Empfehlung der AGBF umzustellen. Es kann aber nicht sein, dass wir uns langfristig damit begnügen, 85 Prozent Erfüllungsquote zu erreichen, insbesondere wenn wir gerade gehört haben, dass wir zwischenzeitlich gerade einmal bei 70,8 Prozent liegen. Hier bleibt es dabei, dass das Ziel von 95 Prozent in den nächsten Jahren erreicht werden muss und wir rechtzeitig und frühzeitig die Weichen stellen müssen bei der Entscheidung, mit welchen Maßnahmen wir dieses Schutzziel erreichen können.

Die Novellierung des Rettungsdienstgesetzes und die Umsetzung des Strategiepapiers sind zwar eigenständige Themen, korrespondieren aber eng miteinander. Beide Themen wollen wir deshalb auch im Innenausschuss beraten. Herr Münster, ich höre die Worte wohl, allein mir fehlt der Glaube. Sie sagten gerade, wir würden uns damit befassen. Das ist schön, aber wir haben diesbezüglich inzwischen gewisse Erfahrungen gemacht. Befassen heißt bei Ihnen vertagen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Zufälligerweise ist am 15. Februar diese Legislaturperiode zu Ende und dann fällt das alles der Diskontinuität anheim. Das wollen wir nicht,

(Beifall bei der CDU und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

und da werden wir, was wir sonst etwas weniger häufig tun, auch an der Seite der Kollegen der LINKEN stehen.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Es stimmt leider, dass die Erfüllungsquoten im Rettungsdienst alles andere als zufriedenstellend sind, und das liegt nicht etwa daran, dass die Kolleginnen und Kollegen der Feuerwehr keine gute Arbeit machen. Ganz im Gegenteil leisten die Frauen und Männer der Hamburger Feuerwehr eine hervorragende Arbeit, für die wir ihnen sehr dankbar sind. Das Problem ist und bleibt die fehlende Finanzierung und auch die mangelnde Unterstützung des

Senats. So sind zum Beispiel die Hilfsfristen in der Tat nicht hinreichend im Rettungsdienstgesetz definiert. Mangels Personal und aufgrund steigender Rettungsdiensteinsätze verlängert sich der Zeitraum vom Eingang eines Notrufs bis zum Eintreffen des Einsatzfahrzeugs am Einsatzort zunehmend. Dabei geht es jetzt nicht um irgendein Zahlenwerk oder irgendeine Statistik. Wir reden bei diesen Kennzahlen darüber, wie zuverlässig wir in diesem Rettungsdienstsystem sind, und wir reden darüber, dass wir Menschen retten wollen. Davon hängen Menschenleben ab, es ist nicht nur die Debatte ums Zahlenwerk. Umso unverständlicher ist es, dass der Senat eben nicht mit uns gemeinsam daran arbeiten will, diese Empfehlung der Gutachter vollständig umzusetzen und sowohl eine hinlängliche Infrastruktur mit einem ausreichenden Netz an Rettungswachen und genügend Personal als auch eine rechtlich angemessene Grundlage für einen effektiven Rettungsdienst zu schaffen.

Bei aller im Antrag berechtigt geübten Kritik sind die im Petitum erhobenen Forderungen der Kollegen der LINKEN dann doch nicht vollkommen zutreffend. Die Forderung einer Bedarfsplanung zur Optimierung des Einsatzes lebensrettender Maßnahmen ist wichtig. Einzubeziehen sind hier aber auch besonders alle Leistungsanbieter und die Standortplanung von Notarztstandorten unter Berücksichtigung der Feuerwehr. Aber die Ergebnisse müssen in ein novelliertes Rettungsdienstgesetz einfließen. In dieser Gesetzesnovelle ist auch zu klären, wie die Hilfsorganisationen partnerschaftlich mit der Feuerwehr in einer Notfallregelung einbezogen werden können. Da gibt es ohne Frage deutliche Verbesserungsbedarfe, und wir werden genau darauf achten, dass diese auch berücksichtigt werden. Falsch wäre es jedoch nach unserer Ansicht, sich an der örtlichen Nähe des Rettungsmittels zu orientieren. Diesbezüglich gilt die bestehende Regelung bereits weiter, indem sie die schnellstmögliche Hilfe zum Maßstab macht. Diese gesetzliche Regelung sollte unbedingt beibehalten werden und muss dann eben auch in allen Fällen angewandt werden. Die Zusammenführung der Leitstelle muss ebenfalls im Rahmen der Gesetzesnovelle geprüft werden. Es wäre kontraproduktiv, solche Maßnahmen jetzt vorzuziehen.