Protocol of the Session on April 9, 2014

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das ist doch keine Sonderregelung, der Paragraf 23!)

Genau das rechtsstaatliche Verfahren, das für alle gilt, gilt auch für diese Männer, und es wird durchgeführt. Es wird so durchgeführt, dass niemand

ausgewiesen wird, bevor nicht alles bis zum Ende geklärt ist. Solange bleiben sie hier, und wenn sie sich melden, bekommen sie alle Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz, medizinische Versorgung, sofern nötig, und so weiter. Alle Leistungen, die es in diesem Land für jeden Flüchtling gibt, bekommen sie gleichermaßen. Wir werden daran nichts ändern.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Herr Voet van Vormizeele hat das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In vielen Punkten will ich an das anknüpfen, was Herr Dr. Schäfer gesagt hat. Diese Debatte ist eine der Debatten, bei denen man verleitet ist, auf die vielen Redebeiträge der Vergangenheit zu verweisen, insbesondere dann, wenn kein neues Argument vorgetragen wird. Alles das, was eben gesagt wurde, ist bereits seit vielen Monaten auf dem Tisch, und es ist auch vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags kein Argument gekommen, das wirklich neu ist.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Neu sind immer wieder mal die Behauptungen der Kollegen in diesem Hause. Ich muss ganz offen sagen, Frau Schneider, ich wundere mich über einen Satz wie den, dass Hamburg Wiedergutmachung leisten müsse. Offensichtlich haben wir eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung über das, was in dieser Stadt stattfindet. Ich sage Ihnen offen als gewählter Abgeordneter dieser Stadt, dass ich, wie viele andere Kollegen in diesem Hause auch, stolz bin auf das, was die Hamburger zurzeit in dieser Stadt leisten. Wir nehmen in Deutschland und in Hamburg eine unglaublich große Menge an Flüchtlingen auf, viel mehr als andere europäische Staaten es im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl tun. Wir mögen vieles tun müssen, aber wir haben ganz bestimmt nicht die moralische Pflicht irgendjemandem gegenüber, eine Wiedergutmachung zu leisten. Hamburg ist zurzeit vorbildlich.

(Beifall bei der CDU, der SPD und bei Carl- Edgar Jarchow FDP und Dr. Walter Scheu- erl fraktionslos)

Sie führen immer wieder das Beispiel der SyrienFlüchtlinge an. Das ist ein Beispiel, das nicht einmal ansatzweise passt; Herr Dr. Schäfer hat schon auf das Verfahren hingewiesen. Es kommt kein Flüchtling aus Syrien mit einem entsprechenden Visum in dieses Land, der nicht vorher in Syrien dafür eingeteilt worden ist, und zwar auf Basis dieses 5000er-Kontingents. Das wird vorher geprüft, das ist der entscheidende Unterschied. Ich bleibe dabei, auch nach all den Debatten, die wir schon

(Dr. Martin Schäfer)

geführt haben: Es gibt kein Gruppenmerkmal, das wir diesen Menschen aus Lampedusa zubilligen können. Das ist nicht dieselbe politische Gruppe. Deswegen passt der Vergleich nicht, nicht einmal ansatzweise.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich will einen Gedanken fortspinnen, den Herr Dr. Schäfer aufgeworfen hat. Wir reden hier immer wieder über Gerechtigkeit, auch über Gerechtigkeit im Verfahren. Ich gebe Herrn Dr. Schäfer ausdrücklich recht: Es kommen Menschen zu uns, die in ihren Herkunftsländern derzeit so bedroht sind, dass nicht der Hauch einer Chance besteht, dorthin sicher zurückkehren zu können. Gleichzeitig reden wir über eine Gruppe, sofern wir sie so nennen wollen, die aus Menschen besteht, die – wir haben in den Schriftlichen Kleinen Anfragen, die wir gelegentlich zu dem Thema stellen, auch einmal die Herkunftsländer erfragt – zur Hälfte aus Ghana kommen. Das ist ein absolut sicheres Herkunftsland. Es gibt keinen Grund, nach Ghana nicht wieder zurückgehen zu können. Und dann so zu tun, als könnten wir diese Menschen mit Menschen gleichstellen, die aus Afghanistan kommen, aus Tschetschenien oder anderen Ländern, finde ich schlichtweg nicht anständig.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Wir bleiben dabei: Die 23er-Lösung ist für diese Männer keine Lösung, weil sie eben nicht eine Gruppe in diesem Sinne bilden. Diese Menschen haben, wie ich finde, weiterhin die Verpflichtung, sich dem Senat gegenüber zu offenbaren.

Und dem Senat sage ich deutlich: Man kann das Problem nicht durch Stillhalten lösen. Wir haben Angebote gemacht; die Mehrheitsfraktion hat das sehr großzügig formuliert. Sie haben den geltenden Rechtsrahmen sehr großzügig ausgelegt, aber jetzt muss auch irgendwann einmal das Bekenntnis kommen, dass die Rechtslage in Deutschland klar ist und dass diejenigen, die sich bisher nicht offenbart haben, genauso nach unserer geltenden Rechtslage behandelt werden wie alle anderen auch, und dass es keine Extrawürste mehr gibt. Dieser Verantwortung muss sich der Senat stellen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Möller hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, man muss das Thema Extrawurst und unpassende Vergleiche – Stichwort Gruppenlösung, die es für Tschetschenen und Afghanen noch nie gegeben hat – einmal beiseite lassen und sich auf den Kern der Fragestellung konzentrieren. Ich glaube, man muss über diese Gruppe von Flüchtlingen, die als Arbeitsmigranten in Libyen gelebt haben, deren Ziel ur

sprünglich nicht Europa gewesen ist, die vertrieben worden sind, in Italien aufgenommen wurden, inzwischen in Hamburg angekommen sind und ein gemeinsames Fluchtschicksal von über drei Jahren teilen, immer wieder im Detail reden.

Neu an der Debatte ist im Übrigen, Herr van Vormizeele, dass wir jetzt zum x-ten Mal eine rechtliche Würdigung bekommen haben, die sehr deutlich sagt, dass Paragraf 23 Absatz 1 sehr wohl durch eine Landesregierung angewandt werden kann. Damit haben wir noch einmal bestätigt bekommen, dass es schlicht eine politische Entscheidung gewesen ist, diesen Paragrafen nicht anzuwenden, und nicht eine, die durch das Recht gegeben war.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Es geht bei dieser Entscheidung nicht um die humanitäre Situation der Flüchtlinge, die eine ungewöhnliche Flucht hinter sich haben und einen kaum vergleichbaren Fluchtweg. Sie haben auch einen kaum vergleichbaren Fluchtgrund wie zum Beispiel Tschetschenen, Afghanen oder syrische Flüchtlinge. Sie haben aber natürlich trotzdem das Recht auf die Paragrafen, die wir in unserem Ausländergesetz für solche Gruppen vorgesehen haben, zumindest das Recht darauf, dass eine angemessene und ernsthafte Überprüfung der Anwendung des Paragrafen 23 Absatz 1 stattfindet.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Und das hat nicht stattgefunden. Soweit ich weiß, ist in der Antwort des Bundesministeriums lediglich darauf hingewiesen worden, dass es am Bundesland – also an Hamburg – läge, eine Gruppenlösung zu entwickeln. Es geht tatsächlich um das Entwickeln, denn man braucht Kriterien, um die Gruppe zu definieren. Wie viele Personen im Endeffekt dazu gehört hätten, weiß niemand; Frau Schneider hat das im Detail schon ausgeführt. Erst dann wäre das Bundesinnenministerium dran. In dem Gesetz – und das kann man nachlesen – steht nicht, dass die oberste Landesbehörde erst einmal beim Bund nachzufragen hat, ob das vielleicht gehen würde, sondern es ist genau andersherum. Die oberste Landesbehörde kann entscheiden und dann geht es an den Bund. Dieser Weg wurde hier schlicht und einfach nicht gewollt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Der Verweis darauf, dass jetzt ungefähr 80 Personen im Verfahren sind, ist immer wieder interessant, weil selbstverständlich mit dieser intensiven und gleichzeitig ernsthaften Befassung der Anwendung des Paragrafen 23 Absatz 1 ein nahezu identisches Verfahren, nämlich die Überprüfung der einzelnen Kriterien und dann auch selbstverständlich die Überprüfung der Identitäten, in Gang gesetzt worden wäre. Wo eigentlich war die große

(Kai Voet van Vormizeele)

politische Gefahr, kann man sich fragen, wenn man nicht so ein bisschen Einblick in die flüchtlingspolitischen Ideen der SPD hat, nicht nur in Hamburg, sondern auch bundesweit.

Natürlich wäre es ein Signal gewesen. Es wäre ein Signal gewesen, das von Hamburg ausgegangen wäre, dass man sich nämlich, anders als sonst – in einer Situation, in der Flüchtlinge sich selbst politisch artikulieren und selbst sagen, wir sind jetzt da, wir brauchen Unterstützung und wir haben eine Vorstellung davon, wie das gehen soll –, auf diese Argumentation überhaupt einlässt. Das wäre das politische Signal gewesen. Ich finde, es wäre ein gutes Signal gewesen. Ich glaube, es ist vonseiten der SPD vor allem gefürchtet gewesen.

Aber wie geht es nun weiter? Das ist die große Frage. Wir wissen, rechtlich könnte Paragraf 23 Absatz 1 immer noch angewandt werden. Es läge an der Behörde, mit den Flüchtlingen ins Gespräch zu kommen. Mir gefällt an dem Antrag, dass die LINKEN deutlich sagen, die Bürgerschaft möge beschließen.

Anders nämlich als der Senat haben sich auch viele Bürgerschaftsabgeordnete der SPD mit den Flüchtlingen zusammengesetzt. Ich appelliere noch einmal an Ihre Erinnerungen, auch an die Gespräche, die wir geführt haben, dass Sie sich vielleicht doch noch einmal die rechtlichen Möglichkeiten, die dieser Paragraf 23 Absatz 1 bietet, durch den Kopf gehen lassen und den Sprung wagen. Denn was wir jetzt haben, ist eine schier unerträgliche Situation für die Flüchtlinge. Sie leben in dieser Stadt, unterstützt von privaten Initiativen, auf 30 oder 35 Standorte verteilt, ohne jede Perspektive auf einen Aufenthalt in Hamburg, ohne jede Perspektive auf ein politisches Signal. Ich finde, das ist kaum zu verantworten.

Das gilt auch für die Bundespolitik, die sich längst mit diesem Phänomen, das es inzwischen in allen Bundesländern gibt, beschäftigen müsste, weil Flüchtlinge, die sich aufgrund der Dublin-II-Regelung und der Aufnahme an den Außengrenzen Europas längst im Schengen-Raum bewegen, in allen europäischen Ländern eine Aufenthaltsperspektive suchen, auch aus humanitären Gründen, da sie sonst wegen der Lücken, die das europäische Asylrecht an dieser Stelle hat, schlicht und einfach von einem Land zum anderen gejagt werden.

So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen eine Lösung, auch für die Flüchtlinge, die im Moment nicht im Verfahren sind. Die Gruppenlösung, die Akzeptanz der Flüchtlinge als eine Gruppe wäre hier ein guter Weg, und ich bedaure sehr, dass wir auch im Ausschuss keine weitere Debatte dazu führen werden. Ich glaube nämlich, Herr van Vormizeele, dass es noch sehr viel mehr Neues und vor allen Dingen sehr viel mehr Details ob der rechtlichen Möglichkeiten dazu gäbe.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Kaesbach hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Möller, wir sehen das anders. Nach unserer Auffassung gibt es gerade nichts Neues durch das vorliegende Gutachten und auch nichts durch die Beantwortung der Anfrage des Bundestagsabgeordneten van Aken von der Links-Fraktion. Sie, liebe LinksFraktion, verschleiern in Ihrem Antrag die Fakten. Sie verzerren bewusst die Aussagen des Gutachtens und die Antwort des Bundesinnenministeriums auf die eben genannte Anfrage Ihres Bundestagsabgeordneten Jan van Aken; das muss ich an dieser Stelle feststellen.

Nun erst einmal zum Gutachten. Das von Ihrer Bundestagsfraktion in Auftrag gegebene Gutachten gibt keine neuen juristischen Erkenntnisse her. Unsere Fraktionsgeschäftsstelle hat sich an den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags gewandt und das von Ihnen so sehr ins Rampenlicht gerückte – übrigens nicht öffentlich zugängliche – Gutachten angefordert.

Erstens: Der Wissenschaftliche Dienst weist auf Seite 2 explizit darauf hin, dass dieses Gutachten nicht die Auffassung des Deutschen Bundestags, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wiedergibt.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das ist immer so!)

Das mag immer so sein, aber trotzdem möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen. In Ihrem Antrag klingt es schon etwas anders.

(Beifall bei Dietrich Wersich CDU – Christia- ne Schneider DIE LINKE: Ich habe nichts anderes behauptet!)

Vielmehr liegt die Ausarbeitung in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und der Verfasser sowie der Fachbereichsleitung des Wissenschaftlichen Dienstes.

Zweitens: Das Gutachten beschäftigt sich ausschließlich und völlig abstrakt mit Rechtsgrundlagen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne der Paragrafen 23, 25 und 55 Asylverfahrensgesetz; Herr Dr. Schäfer wies schon darauf hin. Die rechtliche und vor allen Dingen die politische Interpretation liefern Sie. In keinem Satz sagt das Gutachten aus, dass der Paragraf 23 auf die Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge angewandt werden könne. Was das Gutachten bestätigt, ist die reine Tatsache, dass die oberste Landesbehörde die Befugnis hat, für bestimmte Gruppen von Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis anzuordnen.

(Antje Möller)

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das hat sie bestritten!)

Hören Sie bitte gut zu.

(Beifall bei der FDP – Christiane Schneider DIE LINKE: Mehr wollen wir ja gar nicht!)

Die Anordnung wiederum bedarf des Einvernehmens mit dem Bundesinnenministerium. In Ihrem Antrag hört sich diese Feststellung etwas anders an. Sie schreiben – ich zitiere –:

"Das Gutachten bestätigt auch die lange bekannte Tatsache, dass die rechtlichen Spielräume des Senats gemäß Paragraf 23 […] Aufenthaltsgesetz 'im Einvernehmen' mit dem Bundesinnenministerium genutzt werden müssen."