Protocol of the Session on February 27, 2014

Kein Unternehmen, das erfolgreich operieren will, würde nach Einführung einer Neuerung sofort die Entwicklungsabteilung abschaffen. Das ist grob fahrlässig gewesen, und das bekommen wir jetzt zu spüren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die noch viel weitreichendere Fehlentscheidung war, die Stadtteilschulen mit der Inklusion alleinzulassen.

(Dirk Kienscherf SPD: Die sind nicht allein!)

Inklusion an den Gymnasien? Völlige Fehlanzeige. Wenn die Stadtteilschulen wenigstens angemessen ausgestattet würden, aber das ist nicht so. Der Senator geht einfach von viel zu wenigen Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus und ignoriert alle Hinweise aus den Schulen auf die korrekte Datenlage.

(Dirk Kienscherf SPD: Es hat sich verzehn- facht! Anscheinend!)

Der Senator bleibt einfach bei seinem Mantra, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Er glaubt den Zahlen aus den Schulen nicht, und das ist der eigentliche Skandal. Er glaubt nämlich seinen eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht, den Lehrkräften. Während alle anderen Senatorinnen und Senatoren sich bei Kritik vor ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stellen, sagt Herr Senator Rabe, die Zahlen aus den Schulen würden nicht stimmen, und das ist wirklich ein Unding.

(Beifall bei den GRÜNEN, vereinzelt bei der CDU und bei Finn-Ole Ritter FDP)

Was wird nun passieren, wenn Senator Rabe weiterhin tatenlos zuschaut und nur Lippenbekenntnisse von sich gibt? Es werden immer mehr Kinder an Gymnasien und immer weniger Kinder an den Stadtteilschulen angemeldet werden. Einige Stadtteilschulen werden sich zu Schulen verändern, die dann den ehemaligen Hauptschulen gleichen. Die soziale Spaltung in der Stadt wird sich verschärfen. Und ganz nebenbei melden sich auch wieder die konservativen Kräfte in unserer Stadt, die die Inklusion am liebsten rückabwickeln wollen. Dem muss dringend ein Riegel vorgeschoben werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir werden wieder in die Situation zurückfallen, die wir vor der Einrichtung der Enquete-Kommission hatten. Die soziale Spaltung in der Stadt wird sich verschärfen, Schulbildung wird wieder stärker an die Herkunft gekoppelt sein und wir haben wieder mehr Risikoschülerinnen und –schüler als jetzt.

Daher haben wir einen breit angelegten Antrag vorgelegt, über den wir heute Abend abstimmen werden. Wir haben viele Lösungsmöglichkeiten angeboten. Wir haben diesen Antrag gemeinsam entwickelt, und er hatte die Unterstützung der Vereinigung der Schulleitungen an Stadtteilschulen und der Gemeinschaft von Elternräten an Stadtteilschulen. Wir haben die gesamten Stadtteilschulen im Rücken. Wir fordern zum Beispiel einen 15 Millionen Euro schweren Inklusionsfonds und viele andere Dinge mehr.

Was aber macht die SPD in dieser kritischen Lage? Sie verschließt Herz und Kopf und verweigert die Überweisung unseres Antrags, über den wir noch abstimmen werden. Das ist fahrlässig, das gefährdet den Frieden in unserer Stadt, das ist eine Ohrfeige für unsere Stadtteilschulen,

(Lars Holster SPD: Warten Sie doch mal ab!)

und vor allen Dingen wird es den Kindern an den Stadtteilschulen nichts Gutes tun, denn sie werden unter dieser fahrlässigen Vernachlässigung der Stadtteilschulen leiden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sage es erneut: Es wird Ihnen um die Ohren fliegen. Das ist kein guter Tag für Hamburg. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat nun Herr Holster.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, Frau von Berg, dass ich zunächst auf die Ankündigung der CDUFraktion zum Thema Stadtteilschulen und Inklusion eingehe. Wenn wir in dieser Stadt alle Talente fördern wollen und alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Chancen bekommen sollen, dann dürfen wir es nicht zulassen, dass behinderte Kinder wieder in Förderschulen oder, wie es die CDU-Fraktion jetzt nennt, in Inklusionsschulen abgeschoben werden. Damit beschädigen Sie das Elternwahlrecht in dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Frau Prien, glauben Sie denn, dass man die enorme Aufbauarbeit für die Inklusion in den Stadtteilschulen sofort stoppen kann oder, wie es Herr Wersich bei Schalthoff Live gesagt hat, dass die

Inklusion gestoppt werden müsse? Dann haben Sie von Schulentwicklung keine Ahnung.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Glauben Sie im Ernst, dass man von heute auf morgen Tausende von Schülerinnen und Schülern, Hunderte von Lehrkräften und viele engagierte Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen auf Ihre sogenannten Inklusionsschulen umsetzen kann? Wenn Sie das wirklich glauben, dann haben Sie den Bezug zur Realität verloren.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg und Farid Müller, beide GRÜNE)

Aber die CDU-Fraktion hat schon ihr Wort des Jahres kreiert, nämlich die Kehrtwende. Offensichtlich ist Ihnen dabei schwindelig geworden.

(Gerhard Lein SPD: Eine Pirouette!)

Wenn Sie zumindest irgendeinen Vorschlag unterbreiten würden, wie Sie mehr Ressourcen in die Schulen bringen wollen, aber stattdessen kommt nur der Vorschlag einer Umsteuerung von einer systemischen zu einer schülerbezogenen Ressource. Damit hat noch keine Stadtteilschule mehr Sonderpädagogen für die Inklusion an ihrer Schule gewonnen.

Ich darf einmal darauf hinweisen, dass wir die Ressource für die Kinder im sonderpädagogischen Förderbereich Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung auf 3,5 Unterrichtsstunden erhöht haben. Kein anderes Bundesland stellt solche umfangreichen Personalzuweisungen zur Verfügung. Aber Sie haben recht, Frau von Berg, es gibt Probleme. In einigen Stadtteilschulen haben wir einige Probleme, und wir haben auch die Hinweise dieser Probleme von den Schulleiterinnen und Schulleitern aus Wilhelmsburg sehr ernst genommen. Der Senat hat hier ebenfalls mit einem Unterstützungsprogramm für 23 stark benachteiligte Schulen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Nicht zusätzli- che!)

Natürlich nehmen wir auch die Hinweise des Landesverbandes – Frau von Berg hatte eben schon darauf hingewiesen – der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule ernst, auch wenn uns nicht alle Aspekte dazu in der letzten Pressemitteilung gefallen haben. Es ist wichtig, dass sich die Stadtteilschulen in der alten Gesamtschultradition wieder eng zusammenschließen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass wir anbieten wollen, regelmäßige Gespräche mit dieser Landesvereinigung im Interesse der Stadtteilschulen zu führen.

(Dr. Stefanie von Berg GRÜNE: Das hilft den Kindern aber nicht!)

(Dr. Stefanie von Berg)

Ein weiterer Schritt ist, dass die Regelklassen mit nicht mehr als vier Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf beschult werden sollen, obwohl ich mir bewusst bin, dass die Realität an der einen oder anderen Stadtteilschule noch anders aussieht. Das muss sich ändern.

(Beifall bei der SPD)

Frau von Berg, Sie haben auf Ihren Antrag zu einem Inklusionsfonds hingewiesen. Dazu werde ich dann später in der zweiten Runde kommen. Uns als SPD-Fraktion ist es wichtig, noch einmal festzuhalten, dass wir keinen Rückschritt wollen, im Gegenteil. Die Umsetzung der Inklusion ist eine gesellschaftliche Aufgabe, vor der sich keine Schulform verschließen darf. Die Inklusion kann nur gelingen, wenn alle Schulen in Hamburg ihren Beitrag dazu leisten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Nun hat Frau Prien das Wort.

Es ist ein bisschen viel für fünf Minuten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das war wieder einmal ein großartiges Beispiel, lieber Herr Holster, wie man den Versuch unternehmen kann, die eigene Unfähigkeit und Untätigkeit

(Dr. Walter Scheuerl CDU: Das ist aber ein bisschen dolle!)

durch Empörungsrhetorik zu vertuschen, das wird Ihnen aber nicht gelingen.

(Beifall bei der CDU)

Es war und bleibt ein Fehler, dass Sie angesichts der größten Schulstrukturreform seit 20 Jahren, die wir in Hamburg durchführen, nämlich der Einführung der Stadtteilschule, geglaubt haben, gleichzeitig die Inklusion in der Fläche einführen zu können. Das müssten Sie heute zugeben und korrigieren anstatt hier große Worte zu machen.

(Beifall bei der CDU)

Wir wissen doch alle, dass Schulentwicklung vor allem eines braucht, nämlich Zeit. Und man fragt sich in diesen Tagen, wie in dem Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Volksgesetzgebung eine solche Schulentwicklung eigentlich noch möglich sein soll. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir dieses Thema heute in der Aktuellen Stunde debattieren. Und, wie Thomas Kerstan heute in "Der Zeit" geschrieben hat, Schulreformen von oben seien endgültig passé. So sehr wir alle uns wünschen mögen, dass wir in Hamburg keine neue Schulstrukturdebatte führen, und so sehr wir uns wünschen mögen, dass vor allem keine neue Schulstrukturreform kommt, sind wir doch in Wirklichkeit mitten in dieser Debatte.

Sie, Herr Dr. Dressel, haben angekündigt, verhandeln zu wollen mit der Initiative "G9-Jetzt-HH". Wir halten es für richtig, diese Verhandlungen zu führen, aber Sie debattieren mit der Initiative über die Frage, ob wir an unserer Schulstruktur, die Teil des Schulfriedens ist, etwas verändern wollen. Und wenn Sie darüber tatsächlich reden möchten, wenn Sie die zur Disposition stellen wollen, dann sollten Sie das – und das ist nicht nur eine Frage des guten Stils – mit allen Parteien des Schulfriedens gemeinsam tun und nicht, wie Sie es offensichtlich jetzt vorhaben, mit der Initiative allein. Jedenfalls können Sie nicht davon ausgehen, dass wir am Ende etwas abnicken werden, was Sie allein ausgehandelt haben.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Nun aber zu der Panikmache und der Empörungsrhetorik in Bezug auf die Stadtteilschule. Die Stadtteilschule ist Ergebnis eines langwierigen, extrem intensiven Beratungsprozesses in diesem Hause und in der Enquete-Kommission gewesen. Frau von Berg, Sie haben recht, es ging darum, mehr Bildungsgerechtigkeit in diese Stadt zu bringen. Es ging darum, die miserablen PISA-Ergebnisse zu überwinden, und es ging darum, die Anmeldezahlen an den Haupt- und Realschulen – ich darf daran erinnern, im Jahre 2007 waren es noch rund 15 Prozent – zu überwinden und dafür zu sorgen, dass mehr Kinder, ganz egal, welcher Herkunft,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Vor allem ganz egal, welcher Herkunft!)