Protocol of the Session on January 23, 2014

Meine Damen und Herren! Die Esso-Häuser, die Flüchtlinge aus Lampedusa oder die Zukunft der Roten Flora – all diese Debatten beschäftigen derzeit die ganze Stadt. Das ist nicht neu. Auch in der Vergangenheit haben sehr viele emotional geführte Debatten die Stadt bewegt. Aber weder bei der Debatte um die Netzverstaatlichung noch bei der Debatte um die Primarschule oder die Struktur der Museumslandschaft flogen Steine, wurden Autos in Brand gesetzt oder Polizisten gezielt verletzt. Daran ändert auch Ihre Relativierung nichts, Frau Möller. Sie verschließen hier aus meiner Sicht ein wenig die Augen vor der Realität.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Dr. Andreas Dressel SPD – Zurufe von den GRÜNEN)

Das hat sie eben hier getan.

Ich bedauere ausdrücklich, dass bei einer Pressekonferenz in der Roten Flora am vergangenen Donnerstag für die Zukunft Gewalt ausdrücklich nicht ausgeschlossen wurde, um politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Wir brauchen klare Konzepte, um der Gewalt – auch und insbesondere der linksextremistisch motivierten Gewalt – zu begegnen. Während es Präventions- und Aktionsprogramme gegen rechtsextrem motivierte Gewalt bereits seit Jahren gibt, sucht man nach vergleichbaren Programmen gegen Linksextremismus vergeblich. Dabei hat erst kürzlich eine Anfrage meiner Kollegin Martina Kaesbach offengelegt, wie ernst wir das Problem mit der linksextremistisch motivierten Gewalt nehmen müssen. Die Fallzahlen bei Gewalt von links sind nämlich viel höher als die von rechts: Sie sind doppelt so hoch. Bei Straftaten gegen Leib oder Leben sind sie gar viermal so hoch. Wir haben dieses Thema deshalb immer wieder zum Thema gemacht, und wir werden das auch zukünftig tun in der Hoffnung, dass der SPD-Senat nicht länger die Augen davor verschließt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat nun Herr Senator Neumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Anmeldungen zur heutigen Aktuellen Stunde sind nahezu allumfassend – von der Forderung, politische Fragen politisch zu lösen bis hin zur Solidarität mit unserer Polizei. Die bisherigen Debattenbeiträge haben diese Fragen, diese aus meiner Sicht Selbstverständlichkeiten auch in Teilen versucht zu beantworten. Gestatten Sie mir die eine oder andere Grundsatzbemerkung.

Erstens: Wenn Sie, Frau Schneider, zitieren, dann bitte ich Sie, auch richtig zu zitieren. Machen Sie nicht den Fehler wie Herr zu Guttenberg oder an

(Katja Suding)

dere, die ihre Doktorarbeit zurückgeben mussten, und zitieren Sie richtig. Ich habe gesagt und sage das auch weiterhin: In Hamburg werden politische Fragen natürlich politisch gelöst. Deshalb verstehe ich den Appell der Linkspartei in erster Linie als einen Appell gegen Straf- und Gewalttäter, die politische Fragen missbrauchen, um damit ihre Gewaltexzesse zu verbrämen.

Zweitens: Es gibt in unserer Stadt keine politische Frage und keinen politischen Streit, der es auch nur im Ansatz rechtfertigen würde, Gewalt anzuwenden.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der FDP – Heike Sudmann DIE LINKE: Wo war denn jetzt das falsche Zitat?)

Das ist die Gretchenfrage, die wir alle gemeinsam beantworten müssen. Aus meiner Sicht ist unser politisches, aber auch unser Rechtssystem stark und verlässlich genug, um politische Fragen eben politisch und damit auch rechtsstaatlich zu lösen beziehungsweise zu klären.

Drittens möchte ich deutlich sagen, dass es aus meiner Sicht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen politischen Lösungen auf der einen und rechtsstaatlichen auf der anderen Seite geben darf, denn unsere Demokratie kann, ja darf nur im Rahmen von Recht und Gesetz sich bewegen, gleichwohl dieses Recht politisch und mithin parlamentarisch-demokratisch legitimiert ist. Wer glaubt, dass man hinter einer sogenannten politischen Lösung eine rechtswidrige Lösung quasi verstecken könne, der ist auf dem Holzweg.

(Beifall bei der SPD)

Auch deshalb ist es gut, dass wir für die Menschen aus Afrika, die über Libyen und Italien ihren Weg nach Hamburg gesucht haben, gemeinsam mit der Nordkirche ein klares rechtsstaatliches Verfahren vereinbart haben, auf das sich die Menschen aus der St.-Pauli-Kirche auch eingelassen haben. Andere Städte und Kommunen haben sich auf andere Wege eingelassen. Ich aber glaube auch in der Rückschau, dass unser Hamburger Weg, nämlich der rechtsstaatliche Weg, der einzig richtige gewesen ist.

(Beifall bei der SPD)

Er ist richtig und er ist vor allen Dingen fair gegenüber all den Tausenden von Flüchtlingen, die sich wie selbstverständlich auf diesen rechtlichen Weg eingelassen haben und auch auf diesem Weg ihr Recht bekommen. Es kann und darf nicht sein, dass Menschen, die ihren Namen verweigern und die verweigern, Auskunft über ihre Fluchtgeschichte zu geben, anders, besser behandelt werden als all die anderen Tausenden von Flüchtlingen, die zu Recht in Hamburg und in Deutschland Zuflucht suchen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Wir haben aber auch in den vergangenen Wochen eine Eskalation der Gewalt erlebt. Straftäter, die sich hinter vermeintlich politischen Motiven verstecken, haben Polizistinnen und Polizisten durch ihr kriminelles Handeln in Lebensgefahr gebracht und dabei schwer verletzt. Selbst die anonymen Interviewpartner im "Spiegel" haben ausgesagt, dass es niemanden gebe, der beabsichtige, die Rote Flora zu räumen. Man habe eben nur zeigen wollen, was passieren könne und werde, wenn jemand nur auf den Gedanken käme. Unabhängig davon, dass der Senat sich nicht erpressen lässt, ist dies mehr als eine bemerkenswerte Aussage, die erschreckend deutlich macht, worum es Teilen der Demonstranten am 21. Dezember letzten Jahres ging. Es ging ihnen um nichts anderes als Gewalt – Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten und Gewalt gegen unsere friedliche Gesellschaft.

Damit wurde der vorläufige Tiefpunkt einer traurigen Entwicklung erreicht, die aus meiner Sicht vor Jahren ihren Ausgangspunkt genommen hat, als es nämlich modisch und normal wurde, Polizistinnen und Polizisten gezielt auch sprachlich zu entmenschlichen und sie als "Bullen" zu bezeichnen. Die Mitglieder des Innenausschusses können sich gut an das höhnische Lachen eines großen Teils der Zuschauerinnen und Zuschauer in unserer letzten Sitzung erinnern, als ich diesen Punkt angesprochen habe. Es wird eben nicht mehr von Menschen gesprochen, die ihr Leben und ihre Gesundheit einsetzen, um unsere Freiheiten und auch das Grundrecht auf gewaltlose und friedliche Demonstrationen zu schützen, sondern es wird von Robocops gesprochen. Von dieser in Teilen der Gesellschaft normal gewordenen sprachlichen Entmenschlichung ist es eben auch nicht mehr weit, Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten einzusetzen und – ich zitiere –:

"[…] die Bullen Steine fressen zu lassen […]"

oder darüber zu fabulieren, wie schön es sei – erneutes Zitat –

"sie mit Molotowcocktails in Brand zu setzen".

(Christiane Schneider DIE LINKE: Jetzt nen- nen Sie mal den Autor!)

Deshalb ist es wichtig, nicht nur die Gewaltorgien zu geißeln, sondern auch den Alltag unserer Polizei im Auge zu behalten, denn es sind nicht nur die in den Medien und von uns besonders wahrgenommenen Demonstrationen oder Angriffe auf Polizeikommissariate, sondern die Belastung im täglichen Dienst. Auch hierbei geht es nicht nur um unsere Polizistinnen und Polizisten, es geht beispielsweise auch um unsere Feuerwehrleute, die seit Jahren in immer stärkerem Maße solchen Anfein

(Senator Michael Neumann)

dungen und Angriffen ausgesetzt sind. Auch deshalb hat der Senat erhebliche Mühen aufgewandt, die Situation der Kollegen zu verbessern: mit dem Erhalt aller 7700 Vollzugstellen bei unserer Hamburger Polizei, mit der kompletten Übernahme des Tarifabschlusses – etwas, was nur Bayern und Hamburg leisten –, mit der kontinuierlichen Einstellung von 250 neuen Polizistinnen und Polizisten jedes Jahr –wir werden in diesem Jahr, in 2014, den tausendsten neuen Kollegen begrüßen können –, mit der Bezahlung eines jeden Polizeischülers der Polizeiakademie vom ersten Tag an, mit der Wiedereinführung des gestrichenen Weihnachtsgeldes und der Ergänzung um Kinderzuschlag, mit dem nun endlich angemessenen Umgang mit den von PTBS betroffenen Kolleginnen und Kollegen, mit der Einführung der Heilfürsorge oberhalb des Krankenversorgungsniveaus der gesetzlichen Krankenversicherung und seit vergangenem Dienstag mit der weiteren Verbesserung der persönlichen Schutzausstattung, der höheren Sicherheit für Einsatzfahrzeuge, der Alarmhundertschaften sowie der Schaffung der finanziellen Voraussetzungen für eine rechtlich abgesicherte und vor allem für die Kollegen berechenbaren Beförderungssystematik.

Ich will deutlich sagen, dass all dies leider notwendig war, weil Vorgängersenate ihrer Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber den Kolleginnen und Kollegen nicht angemessen gerecht geworden sind.

(Beifall bei der SPD – Dr. Eva Gümbel GRÜ- NE: Und das fällt Ihnen jetzt ein!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurück zu den Ereignissen der vorigen Woche. Diese Straftäter stellen durch ihr Verhalten nicht nur das Gewaltmonopol unserer Gesellschaft infrage, sondern sie gefährden Menschen und verletzen diejenigen, die sich in den Dienst der Allgemeinheit stellen und mit ihrem persönlichen Einsatz die Sicherheit der Hamburgerinnen und Hamburger garantieren. Deshalb ist ein Angriff auf unsere Polizistinnen und Polizisten und auf unsere Feuerwehrleute nicht ein Angriff auf irgendjemanden, sondern ein Angriff auf uns alle, auf die gesamte Gesellschaft, ein Angriff auf unsere Gesellschaft auch deshalb, weil sie es damit vielen friedlichen Demonstranten unmöglich machen, ihren Protest kundzutun. Das können und das dürfen wir Demokratinnen und Demokraten nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Bei der Auseinandersetzung mit den Geschehnissen der vergangenen Wochen spielt es auch keine Rolle, aus welchem politischen Lager die Täter kommen oder welchem sie sich selbst zurechnen. Entscheidend ist vielmehr das klare Bekenntnis der Zivilgesellschaft gegen Gewalt und das aktive Eintreten für unsere demokratische freiheitliche Ord

nung und damit für das friedliche Demonstrationsrecht, aber eben auch für unsere Polizei.

Wir hatten eine lange Kette von Straftaten zu beklagen. Auch Kolleginnen und Kollegen in der Bürgerschaft sind das Ziel angeblich politisch motivierter Straftaten geworden. Fenster von Abgeordnetenbüros wurden eingeschlagen oder beschmiert. Es gab Überfälle auf die Privathäuser und Wohnungen mit Farbbeuteln oder Steinen. Es gab den Angriff am 17. Dezember 2013 mit einem aus dem Boden gerissenen Straßenverkehrsschild auf einen Streifenwagen des PK 16 mit entsprechend verletzten Kollegen. Es gab den Angriff am 20. Dezember 2013 auf die Davidwache mit der Zerstörung von Fensterscheiben und sechs Funkstreifenwagen und mit verletzten Kollegen. Es gab die Gewalt am 21. Dezember während der Demonstration mit mehr als 160 verletzten Polizistinnen und Polizisten, und es gab die erheblich verletzten Kollegen am 28. Dezember 2013, erneut im Zusammenhang mit dem PK 15.

In diesem Zusammenhang – das ist mir wichtig, weil ich heute aus den Medien erfahren habe, dass es dazu Fragen gibt – sei nur erwähnt, dass diesen Sachverhalt natürlich die Hamburger Staatsanwaltschaft aufklärt und selbstverständlich Herrin des Verfahrens ist. Lieber Herr Müller, das ist nicht nur beim "Tatort" so, das ist auch in Hamburg so. Mich macht allerdings ein bisschen nachdenklich, wenn der rechtspolitische Sprecher der GRÜNEN seine juristische Fachkompetenz aus den Sendungen der ARD bezieht. Es ist nicht nur in Drehbüchern des "Tatorts" so, es ist Recht und Gesetz, und das wird in Hamburg konsequent befolgt.

(Beifall bei der SPD)

Diese Reihe von Anschlägen, Straftaten und Angriffen hat mich auf Beratung mit der Polizei hin im Januar veranlasst, der Einrichtung eines sogenannten Gefahrengebiets zuzustimmen. Ich bin auch jetzt davon überzeugt, dass es in der damaligen Situation die richtige Entscheidung war, da es infolge der Straftaten und der Bedrohungslage angemessen und geboten war; aber ich will der späteren Debatte am heutigen Tage nicht vorgreifen.

Gestatten Sie mir als langjähriges Mitglied dieses Hauses den Hinweis, dass ich als verantwortlicher Senator für unsere Polizei und unsere Feuerwehr keinerlei Verständnis dafür habe, dass es den Fraktionen in diesem Haus nicht möglich war, sich auf eine Erklärung gegen Gewalt als politisches Mittel, mithin gegen Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten zu verständigen.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Das haben wir doch gemacht, und zwar vorher! – André Trepoll CDU: Haben Sie denn an den Bera- tungen teilgenommen?)

Es gab entsprechende Entwürfe, und ich will sagen, dass ich enttäuscht davon bin. Dass dieses

(Senator Michael Neumann)

Thema nun von verschiedenen Seiten als politischer Streitgegenstand missbraucht wird, ist kein gutes Zeichen für die politische Kultur dieses Hauses und ist vor allem ein verheerendes Zeichen für unsere Polizei. Das haben die Polizistinnen und Polizisten Hamburgs nicht verdient.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD – Glocke)

Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Möller?

Gern.

Ich hätte nur gern gewusst, ob es auf der Seite des Senats ähnliche Versuche gab, eine gemeinsame Erklärung zu formulieren, oder ob es dort schlicht eine Selbstverständlichkeit ist, dass man gegen Gewalt ist, genau wie es hier im Haus eigentlich auch sein sollte.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, Sie haben meine Antwort vorweggenommen. Der Hamburger Senat hat eine klare Haltung zum Thema Gewalt,

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Genau wie wir!)

die der Bürgermeister und die Senatoren zum Ausdruck gebracht haben.